Hyrox

Tagebuch der Wörter (11)

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Hyrox

Meine Freunde sind immer etwas verwirrt, wenn ich ihnen über meine Fitnessaktivitäten erzähle. Vor allem der Name „Hyrox“ löst Rätselraten aus. Und immer wieder muss ich erklären, was man da macht, z.B. in der Pro Men Kategorie:

1km Laufen – 1000m Ski-Erg (das ist so eine Art Langlaufsimulation, bei der man an Seilen zieht) – 1km Laufen – 175kg Sled Push 50m (Also einen Schlitten mit Gewichten drauf schieben) – 1km Laufen – 125 Sled Pull 50m (also einen Schlitten mit 125 kg an einem Seil zu sich ziehen) – 1km Laufen – 80m Burpee Broad Jump (Burpees sind Liegestützstrecksprünge mit Sprung nach vorne kombiniert) – 1km Laufen – 1000m Rudern (also am Rudergerät, wie man es kennt) – 1km Laufen – 200m Farmer`s Carry 2×32 kg (also mit zwei sogenannten „Kettlebell“-Gewichten an jedem Arm 200m Laufen) – 1km Laufen – 30kg Sandbag Lunges 100m (also 30kg als Sack auf dem Rücken, dann jeweils einen abwechselnden Streckschritt nach vorne, wobei das Knie den Boden berühren muss) – 1km Laufen – 100 Wall Balls 9kg (also einen 9kg schweren riesigen Ball nach erfolgter tiefer Hocke auf ein hohes Ziel werfen) – Zieleinlauf

Das Ganze muss man sich so vorstellen: Die Teilnehmer laufen eine Laufstrecke (typischerweise in einer großen Messehalle) die rund um die sogenannte „Roxzone“ geht, in die man dann nach je einem Kilometer laufen muss, um die Übungen zu absolvieren. Die Idee von solchen kombinierten Lauf- und Fitnesswettbewerben kommt von der sogenannten „Crossfit-Bewegung“, die vor allem in den USA sehr populär ist und bei der ebenfalls Wettbewerbe abgehalten werden. „Hyrox“ ist im Grunde eine Variation, die ein Publikum ansprechen soll, dass jetzt nicht unbedingt endlos Klimmzüge oder Gewichte stemmen kann wie ein Crossfitter. Es ist also ähnlich hart und kompetitiv, aber zugänglicher. Die Idee dabei ist, dass man eine Art ganzheitliche Fitness entwickelt, denn nur, wenn man in allen Übungen gut ist (man muss nicht in allen topp sein, aber auf einem hohen Level), kann man etwas reißen. Es gibt z.B. absolute Bodybuildinghünen, die dann einfach zu langsam laufen und keine Chance haben (und umgekehrt). Ziel für den Einsteiger ist es, den Kurs überhaupt erst mal zu schaffen, denn spätestens bei den Wall Balls gehen den meisten die Puste aus, es kann eine unglaubliche Willenskraft kosten, diese Übung am Schluss überhaupt abzuschließen. Und auch ansonsten ist die Sache ziemlich schweißtreibend.

Die besten Athleten schaffen den Kurs unter einer Stunde, sind unglaublich schnelle Läufer und sind extrem trainiert, in der sogenannten „Elite“-Wave gibt es richtige Stars der Szene, zum Beispiel auch meine unglaublich fitte Trainingspartnerin Viola Oberländer (die übrigens auch Pressesprecherin von TSV 1860 München ist). Gerade eben hat sie den 2. Platz bei der Weltmeisterschaftselite Frauen gemacht, eine starke Leistung.

Was fasziniert nun mich daran? Ich bin in diese ganze Szene eher zufällig geraten, denn zuerst einmal spricht das Ganze eher Triathleten oder Bodybuilder an, wozu ich mich jetzt nicht unbedingt zähle. Aber diese Mischung aus Wettbewerb und totaler Verausgabung zieht mich aus irgendeinem Grund an, wahrscheinlich, weil ich weder in der Musik noch im wirklichen Leben irgendwelche halben Sachen mag, sondern mich immer für Extreme interessiere. In gewisser Weise ist Hyrox eine Fortsetzung meiner Hämmerklavierstücke, in denen es auch um totale Verausgabung geht. Bei „Hämmerklavier IX: Jerusalem“ rennt man zum Beispiel so schnell wie möglich um einen Flügel herum, während sich die Musik immer schneller wird. Dass ich dieses Stück irgendwann kaum noch spielen konnte, weil ich zu viel wog, war übrigens einer der Gründe, warum ich begann, mich mit Laufen und Fitness zu beschäftigen!

Vielleicht werde ich irgendwann ein Hämmerklavier schreiben, in dem ich Fitnessübungen mit Klavierspiel kombiniere. Das hätte was. Ein „Ultramarathon“-Klavierstück ist auch schon in Arbeit, aber es wird vielleicht noch Jahre dauern, bis ich die geplanten 12 Stunden Musik fertig habe.

Was ich aber auch an Hyrox liebe: man ist mal mit ganz anderen Menschen als mit denen aus dem Kultur-oder Musikbetrieb zusammen, nämlich mit Menschen, die eine Art zeitintensive und vergängliche Körperkunst betreiben. Wann spricht man schon mal mit tätowierten Bodybuildern, erfahrenen Triathleten oder amerikanischen Spartan-Race-Champions, die von Wettkampf zu Wettkampf reisen und nur von der Hand in den Mund leben (oder vielmehr vom Preisgeld in den Mund). Diese Menschen sind oft extrem verrückt, aber auch extrem sympathisch, begeisterungsfähig, leidenschaftlich, herzlich. Man muss seine Vorurteile beständig revidieren, das mag ich sehr.

Denn wenn es eines gibt, das mich an Kunst interessiert, dann ist es der beständige Perspektivwechsel, das Eintauchen in andere Welten, die man vielleicht noch nicht kennt. Hierzu gehört für mich einerseits Sport, aber auch alle Menschen, die etwas vollkommen anderes als Musik machen und ganz anderen Tätigkeiten nachgehen.

Wenn wir als Komponistinnen und Komponisten möglichst Musik für alle Menschen komponieren wollen, dann müssen wir uns auch für alle Menschen interessieren. Ich selbst möchte mir auf jeden Fall diese grundsätzliche Neugier noch lange bewahren.

Leipzig, 11.9.2021

Ich war für die WM durch viele gewonnene Vorausscheidungen qualifiziert (gottseidank gibt es Altersklassen, ansonsten hätte ich keine Chance), da aber der Termin unglaublich kurzfristig wegen mehrmaliger Coronaverschiebung angesetzt wurde, war es zu spät, mein schon geplantes Lauftraining für einige Laufwettbewerbe grundsätzlich umzustellen. Daher war ich beim heutigen Antritt zwar läuferisch sehr fit, aber gerade die Armkraft erfordernden Disziplinen laugten mich ziemlich aus. Bei der an sich nicht sehr schweren Farmer’s Carry – Übung vergaß ich zudem, die Hände mit Kalk rutschfest zu machen, so dass mir die vermaledeiten Kettle Bells ständig entglitten und ich böse Zeitstrafen bekam. Damit war meine bis dahin existierende Führung nach der 6. Runde dahin und ich musste mich nach sehr zähen Wall Balls mit dem 4. Platz begnügen, aber hey, immerhin 4. Platz der Weltklasse in meiner Altersgruppe, das muss man sich dann auch mal sagen. Und natürlich gibt es auch ein nächstes Jahr. Die nächste WM soll übrigens in Las Vegas stattfinden. Auch so eine andere Welt, die ich schon immer Mal sehen wollte.

Moritz Eggert

Bilderstrecke: mit Viola Oberländer (2. Platz Elite Women WC), Florian Gast/Fritz Grobien  (Weltmeister Men’s Double 31-39) , Stephan Muggli, Resi Streng (3. Platz Age Group Vorausscheidung)

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