Die Abschaffung des Kulturradios – Folge 2 (Das damalige – leise – Verschwinden des ARD-Nachtkonzerts)

Das ist tatsächlich das mehr oder weniger einzige (und völlig unbrauchbare) Foto, das ich in meiner Zeit beim rbb gemacht habe. Es stammt vom 30. September 2008.
Das ist tatsächlich das mehr oder weniger einzige (und völlig unbrauchbare) Foto, das ich in meiner Zeit beim rbb gemacht habe. Es stammt vom 30. September 2008.

Folge 1 (Prolog)

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Wir alle versammelten uns damals; wir Unruhigen, Entspannten, Einsamen, Neugierigen… Wir versammelten uns selbst alleine im Bett und hörten „unseren“ jeweiligen öffentlich-rechtlichen Kultursender. Bei mir war es NDR 3 (heute: NDR Kultur). Immer kurz nach Mitternacht. Die profane Tagesaktualität der vorherigen Nachrichten verschwand mit Mahler, Beethoven und Brahms. Wir hörten ganze Werke, immer nur kurz anmoderiert; Komponist*innen-Name, Titel des Werkes, Opuszahl, Satzfolge, Beteiligte und vielleicht noch das Aufnahmejahr.

Es war irgendwie ein gemeinsames Erlebnis. Denn alle öffentlich-rechtlichen Kulturwellen wurden damals nach Mitternacht zusammengeschaltet. Bis 6 Uhr morgens! Egal ob MDR, hr, rbb: Wir alle saßen in einem Hör-Boot – und lauschten zeitgleich ganzen Werken. Ganz in Ruhe; manchmal schafften wir es gar nicht so lange, wachzubleiben wie spannende Aufnahmen liefen…

Das ganze hieß: ARD-Nachtkonzert.

Und heißt es bis heute. Wiewohl der Name eigentlich nicht mehr korrekt ist, da das „ARD-Nachtkonzert“ seit 4. Juli 2011 ausschließlich vom (ehrenwerten) Bayerischen Rundfunk kommt. „ARD-Nachtkonzert“ hieß eigentlich vom Sonntag, den 2. März 1980 bis Sonntag den 3. Juli 2011, dass jede Rundfunkanstalt abwechselnd „dran“ ist. In einem bestimmten Rhythmus – je nach Größe der jeweiligen Anstalt – wurde das ARD-Nachtkonzert, das seinen Namen noch verdiente, vom WDR (die spielten im guter Tradition manchmal Henze und Rihm; Revolution in da house!), vom SWR (die begannen – ernsthaft – immer mit einem Schlaflied!), vom rbb, vom hr und so weiter gesendet. Und man war vielleicht sogar ein bisschen „stolz“ oder besonders fokussiert, war der heimische Sender an der Reihe…

Für den rbb moderierte ich von 2008 bis 2010 (damals bekam ich anderswo eine feste Stelle und verließ die Anstalt) viele ARD-Nachtkonzerte. (Ich hatte dem damaligen Disponenten gesagt, dass ich die ARD-Nachtkonzerte besonders gerne habe; und da dieser Nachtdienst nicht besonders beliebt war, bekam ich entsprechend viele Nachtkonzert-Schichten…). Entweder von Samstag auf Sonntag oder von Montag auf Dienstag. Aber niemals hintereinander. (Die Aufteilung unter den Sendern funktionierte etwas komplexer.) Hier, beim rbb (und auch bei den anderen Wellen, denke ich), „bestückten“ die festangestellten Redakteurinnen die ARD-Nachtkonzerte; wir Programmsprecherinnen lasen nur vor. Der seit vielen Jahren pensionierte Redakteur Dieter Hauer entwickelte beispielsweise einmal ein ganzes sechsstündiges ARD-Nachtkonzert-Programm ausschließlich mit Beethoven-Aufnahmen aus dem rbb-Archiv. War das spannend und experimentell! (Zwei – inzwischen natürlich längst verstaubt-verhipsterte – Begriffe, die die öffentlich-rechtlichen Sender selten richtig buchstabieren konnten. Bis heute weiß niemand dort so genau, was eigentlich diese modernen „Podcasts“ sind. Übertrieben ausgedrückt, I know.)

Diese verschiedenen (schönen!) Farben des ARD-Nachtkonzerts fielen weg als man vor zehn Jahren beschloss, dem Bayerischen Rundfunk fortan nun jedes ARD-Nachtkonzert anheimzugeben.

Das finde ich bis heute schade – und gewissermaßen symptomatisch für das langsame Verschwinden (beziehungsweise für den Selbstmord) der Kulturwellen.

Aber – bevor ich in den kommenden Wochen mit Leuten vom Rundfunk persönlich rede (da ist schon Einiges geplant) – die Frage (denn ich bin ein großer Freund der öffentlich-rechtlichen Kulturwellen!): Wo waren eigentlich die Zuhörerinnen und Zuhörer als das ARD-Nachtkonzert damals wegfiel? Ist es nicht auch die „Aufgabe“ der Zuhörer*innenschaft, mitzuarbeiten, auch mal lautstark zu protestieren?

Abschließend stellt sich vielleicht (für heute) noch die Frage nach dem „Warum?“ der Verlagerung des ARD-Nachtkonzerts von den vielen verschiedenen Anstalten zum Bayerischen Rundfunk. Obvious: Einsparungsmaßnahmen. Nur hörte ich schon damals, dass diese Einsparungsmaßnahmen sich überhaupt nicht ausgingen. Sprich: Man sparte auf diese Weise nichts großartig. Nein, Buntheit und Vielfalt des ARD-Nachtkonzerts fielen einfach weg. Ohne wirklichen Grund!

Dabei hörten – wie gesagt – alle zu. Ein Phänomen, wie es wahrscheinlich nur in der „Klassikszene“ existent ist: Man „benutzt“ etwas jeden Tag, doch weiß wenig bis nichts darüber. (Ähnlich wie angesichts von IMSLP. Musizierende auf der ganzen Welt nutzen dieses kostenlose Noten-Portal, doch offenbar war – Entschuldigung – ich es, der 2017 das erste Interview mit dem IMSLP-Gründer überhaupt führte, um mal wenigstens ein bisschen behind the scenes zu watchen.)

Damit grüße ich für heute… Auch meinen damaligen lieben Kollegen Claus-Dieter Fröhlich. Denn der arbeitete mich damals beim Kulturradio vom rbb im Studio ein. Und erzählte mir, dass er das erste ARD-Nachtkonzert überhaupt moderiert hatte. Und das Allerletzte! Klar, denn das waren beides Sonntage (siehe oben)! Und Sonntag waren (häufig) „wir“ vom rbb dran, unseren nächtlichen Dienst zu tun.

Das „wirkliche“ ARD-Nachtkonzert begann und endete also mit Claus-Dieter Fröhlich.

Und ich war quasi live dabei.

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.

Eine Antwort

  1. Thomas Wunsch sagt:

    Ich kann mich auch noch erinnern, als Jugendlicher die Programmzeitschriften studiert zu haben, um Werke, die ich noch nicht kannte und die im Nachtkonzert liefen, vorzumerken und dann anzuhören.

    Doch seien wir ehrlich, im Zeitalter von YouTube (wo auch die ARD Sender Kanäle haben) und Idagio (wo man praktisch alle klassische Musik anhören kann) ist das in der Tat doch obsolet geworden.

    Wenn das Kulturradio überleben will, muss es sich schon was besseres ausdenken.