Mein Musiklehrer – Teil V (Finale) („Arno, korrigieren Sie mich!“)

Mein Gymnasium. (Inzwischen offenbar abgerissen)
Mein Gymnasium. (Inzwischen offenbar abgerissen)
Mein Gymnasium. (Inzwischen offenbar abgerissen)

Mein Gymnasium. (Inzwischen offenbar abgerissen)

(Bisherige Folgen: I, II, III, IV).

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Mein großartiger Musiklehrer Dietrich Schmolling… Kein typischer Musiklehrer. Er konnte seine Begeisterung wirklich authentisch vermitteln. Er war hingerissen von frühen Webern-Stücken, von der Intensität des (kurzen) Augenblicks. Er liebte Bach, den wir gemeinsam analysierten (ich meine, es war die „Matthäus-Passion“).

Andere Werke, an die ich mich erinnere und die wir damals im Unterricht behandelten, waren die Psalmensinfonie von Strawinsky und seine Klaviersonate, Beethovens Fünfte… Dann komponierten wir selber zwölftönig. Herr Schmolling wurde zum spielenden Kind.

Auch Wagners „Meistersinger“ kamen dran. Schmolling war voller Respekt über die Kontrapunkt- und Themenverschränkungskünste allein im Vorspiel des Ganzen. Aber das Deutschtümelnde hasste er an Wagner; man spürte jederzeit den bildungsbürgerlich-konservativ gewordenen – aber dennoch cool gebliebenen – Alt-68er. Für Schostakowitsch (ich meine, wir analysierten seine zehnte Sinfonie…) konnte er sich dagegen weit mehr begeistern. Hier schlug irgendetwas Revolutionäres, Unangepasstes für ihn durch…

Am höchsten rechne ich ihm an, dass er – trotz einer gesunden Eitelkeit – sich voll auf uns einließ… Vor allem auf mich… Ich war damals schon… Nun, sagen wir: ich war nicht unbedingt von wenig Selbstbewusstsein erfüllt… Einmal besprachen wir irgendein Werk von Schostakowitsch, Schmolling philosophierte ein wenig – schaute aus der Partitur hervor, weil ich mich in meinem Musik-Raum-Stuhl wahrscheinlich irgendwie augenrollend bemerkbar gemacht hatte – und sagte: „Arno, korrigieren Sie mich, wenn ich Ihrer Meinung nach falsch liege!“

Dieses „Arno, korrigieren Sie mich!“ kam häufiger. Und es transportierte einerseits die nötige Ironie – angesichts von so viel jugendlich-kritischer Ambition; und andererseits war es aufrichtig gemeint. Mit Dietrich Schmolling waren wahre Gespräche möglich; immer auf Augenhöhe; immer darauf bedacht, der/dem anderen zuzuhören, um dann allerdings schon zu verlangen, dass sie/er ihre/seine Meinung soweit präzisieren möge, dass eben keine unangreifbaren Allgemeinplätze resultierten…

Einigen Lehrer*innen meiner Vergangenheit habe ich später meine Dankbarkeit in Briefen ausgedrückt. Dietrich Schmolling wollte ich auch schreiben – und dachte häufig an ihn. Ich weiß nicht, was mich nach dem Abitur und während des Zivildienstes und des Studiums daran hinderte, zu ihm einen engeren Kontakt zu halten. (Wahrscheinlich einfach Unfähigkeit meinerseits. Oder der Wunsch, es erst zu irgendetwas in der Musikwelt „gebracht“ zu haben, bevor man diesem Respektsmenschen wieder begegnet.) Ich habe es versäumt. Er war ein großartiger Lehrer und ein feinsinniger, sensibler Mensch, der auch manchmal sehr Persönliches von sich erzählte, ohne, dass es jemals unangenehm wurde.

Dietrich Schmolling starb am 6. März 2015 im Alter von 80 Jahren.

Ich werde ihn nicht vergessen.

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.