Mein Musiklehrer – Teil II
In Folge 1 hatte ich noch über diese schlimme Stadt, an deren Rand ich aufwuchs, geschrieben. Heute muss die erste Hommage her. Die Hommage an meinen Musiklehrer. Und heute soll auch sein hochwohllöblicher Name genannt werden: Herr Oberstudienrat Dietrich Schmolling! Geboren (das musste ich recherchieren) am 28. Januar 1935.
Er führte mich 1998 zum Abitur im Leistungskurs Musik, der nur auf sein Engagement hin überhaupt zustande gekommen war. Er kämpfte für die musikalische Bildung, für Inhalte, für das Gute, Schöne und Wahre! Schon meine geliebte große Schwester hatte bei ihm das Abitur geschrieben.
Doch Herr Schmolling war mehr als nur ein großartiger Musiklehrer. Er war auch ein Freund der Familie – und ein Freund meiner zweiten Klavierlehrerin, einer sehr temperamentvollen Russin, die heute angeblich (aus Steuerschuldgründen) in Russland in einem Kloster lebt (wenn sie noch lebt, was ihr vergönnt sein möge!). Diese Klavierlehrerin, welche ihre russischen Schülerinnen noch nach schlechter alter Tradition und Sitte schlug, wenn sie nicht geübt hatten (vermutlich hatten sie es schlichtweg verdient), pflegte, schön inszenierte Klassenvorspiele abzuhalten, bei denen wir uns an Schumann, Chopin und Beethoven nacheinander abzuarbeiten hatten. Ab und zu fanden diese Klassenabende im Hause von Herrn Schmolling und seiner unsagbar liebevollen und sympathischen Gattin statt. Das Haus der Schmollings war gewissermaßen nur zwei Dörfer von unserem entfernt – und zudem war Frau Schmolling eine kunstliebende Freundin meiner ebenfalls künstlerisch veranlagten, geliebten Frau Mutter. Im Hause Schmollings gab es einen weißen Flügel – ich weiß nicht mehr, von welchem Hersteller. Diese Abende waren prunkvoll, elaboriert und angenehm.
So ging also unsere Beziehung zu Herrn Schmolling weit über die unfassbar hässlichen Mauern unseres – hoffentlich dem Feuer anheim gegebenen (natürlich ohne Menscheninhalt!) – Gymnasiums hinaus. Dort, im Gymnasium, galt Herr Schmolling als wohlwollender, äußerst kompetenter, aber auch durchaus – vergleichsweise (was die sonstigen Luschigkeiten der Musiklehrer:innen hierzulande angeht) – fordernder Musiklehrer, der sich auch bildungs – und kulturpolitisch (wenn man mal googelt, findet man was…) nach Schulende engagierte.
Für einen Oberstudienrat dieser Generation eher selten: Herr Schmolling hatte Humor! Und so fand er es – wie ich vermute – wohl schade, dass er an vielen – natürlich immanent musikwissenschaftlichen! – Späßen unter uns Schüler:innen nicht immer teilhaben konnte. So pflegten wir, in manche Partituren (meist in diesem abgegriffenen Edition-Eulenburg-Gelb gehalten) Dinge hineinzuschreiben wie „Pizzicato der Oboe“ – oder etwa, an völlig belanglosen Übergangsstellen von Beethovens fünfter Sinfonie: „Zweites Thema!“. Immer verbunden mit der Hoffnung, irgendein:e Schüler:in weniger profunder Kompetenz würde irgendwann (zu unserem Gaudium) versuchen, in diesen Bleistift-Notizen unerwartete Möglichkeiten für „aktive mündliche Beteiligung“ zu sehen…
Live bekamen wir das nie mit; aber allein die Vorstellung davon fanden wir witzig. Nun ja. Wir waren jung.
Und sind es immer noch.
(Demnächst mehr von Herrn Schmolling.)
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.