Gesellschaftliche Spannungen werden sich verschärfen und die Kunst zunehmend herausfordern („Was uns erwartet, Teil 3“)

Was uns erwartet (3)

Inzwischen sollten vielleicht auch die größten Zweifler begriffen haben, dass die Welt es bei Covid-19 nicht mit einer vorübergehenden übertriebenen Panik zu tun hat, sondern dass die Pandemie im Begriff ist, auf unabsehbare Zeit zu einem Dauerthema zu werden, das unsere Gesellschaft verändern und auch lange prägen wird. Hier jetzt detailliert vorherzusagen, was genau in den kommenden Jahren deswegen an Veränderungen passieren wird, wäre vermessen – zu groß sind die Ungewissheiten. Aber inzwischen leben wir schon lange genug mit der Situation, dass sich bestimmte Tendenzen absehen lassen. Nach einigen Monaten der Corona-Krise ist es vielleicht Zeit für eine vorsichtige Bestandsaufnahme, was auf Musikschaffende in zum Beispiel Deutschland zukommen könnte. Eine Serie.

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Gesellschaftliche Spannungen werden sich verschärfen und die Kunst zunehmend herausfordern

Weltweit ist in der Coronakrise zu beobachten, dass Länder mit populistisch geprägten Regierungen und Regierenden (man kann tatsächlich eine eindeutige Zuordnung treffen, da es sich hier ausschließlich um Männer handelt) ganz besonders ungeschickt mit der Pandemie umgehen. Die Strategien in diesen Ländern ähneln sich – meistens wird die Virusgefahr erst komplett ignoriert oder als Hirngespinst kleingeredet, dann sofort anderen in die Schuhe geschoben, dann rühmt man sich mit zweifelhaftem Selbstlob bei der hilflosen Bekämpfung. Für die Bevölkerungen entstehen hier fragile und explosive Situationen mit unnötig eskalierenden Opferzahlen, die schon vorher vorhandene Konflikte befeuern und ausbrechen lassen – die USA sind hier bestes, aber bei weitem nicht einziges Beispiel. Da die Pandemie keineswegs morgen vorbei sein wird, sehen wir hier erst die Anfänge von Situationen, die sich eher verschärfen als beruhigen werden. Man muss kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass manche Regionen Zusammenbrüche in irgendeiner Form erleben werden, entweder direkt durch Corona oder durch seine wirtschaftlichen und sozialen Folgen.

Aber auch die demokratisch und liberal geprägten Länder erleben eine gefährliche Herausforderung. Wir haben im vergangenen Jahrzehnt eine solche Zunahme von rechten Tabubrüchen erlebt, dass eine Art Abstumpfung eingesetzt hat – wäre es in den 90er Jahren zum Beispiel unvorstellbar gewesen, dass eine Partei mit Mitgliedern, die sich für jedermann ersichtlich zu Holocaustleugnung und zur Verherrlichung des Dritten Reiches bekennen, im Bundestag wirkt, ist dies inzwischen schon längst Alltag. Es ist nicht so, dass diese Neue Rechte plötzlich entstanden ist, es gab sie tendenziell schon lange. Nur hat sie inzwischen entdeckt, dass die neuen und vor allem sozialen Medien ein idealer Nährboden sind, um Extrempositionen einerseits auf bisher nicht mögliche Weise zu verbreiten aber auch deren Protagonisten zum scheinbar einzigen Sprachrohr unbestimmter Modernitätsängste eines Teiles der Bevölkerung zu machen. Da die erlangte Aufmerksamkeit in den sozialen Medien nicht davon abhängt, wie fundiert oder durchdacht eine These ist, sondern allein davon, wie laut man brüllt oder sich der Peer Group versichert, können inzwischen selbst eindeutig geistig verwirrte und paranoide vegane Köche eine Aufmerksamkeit bekommen, die angesichts ihrer vollkommen fehlenden Kenntnis von Sachverhalten nichts anderes als erstaunlich ist.

Es ist abzusehen, dass durch die mehrheitliche Positionierung der Neuen Rechten auf Seiten von rassistischen Verschwörungsmythen ihr auch eine neue Achillesferse entsteht – noch nie war die menschenverachtende Unvernunft und Eitelkeit von Populisten so deutlich wie im Moment, wenn sie gemeinsam mit Virusleugnern demonstrieren oder sich über den Schutz von Mitmenschen hinwegsetzen, indem sie Distanzregeln ignorieren. Das wird die Rechte zunehmend an Sympathie in den Bevölkerungen verlieren lassen – in Krisen zeigt sich das wahre Gesicht der Covidioten, und so schnell wird man diese Gesichter auch nicht vergessen.

Wir sollten aber nicht zu früh aufatmen – denn genau dieser Verlust an Glaubwürdigkeit, wird das Extreme der Positionen noch verschärfen, und zwar in beide Richtungen. Die Insel der Vernunft liegt irgendwo in der Mitte zwischen Virusleugnung und übertriebener Regulierung, aber es wird zunehmend Fanatismus auf beiden Enden des Spektrums geben. Aus dem Gefühl des Verlusts von Bedeutung oder Orientierungslosigkeit entsteht der beste Nährboden für Terrorismus, Vandalismus und politische Morde. Hier droht große Gefahr, und eine zunehmende Schwächung der Mitte, die eine Gesellschaft am besten zu stabilisieren vermag. Zu großer Druck von sowohl links als auch rechts zersetzt Konsens und vergiftet die Verständigung.

All dies wird nicht spurlos an der Musik vorbeigehen, die ganz besonders schwer von der Coronakrise betroffen ist (zusammen mit Selbstständigen und Kleinunternehmern). Manch eine/r wird sich aus der Angst aus Bedeutungsverlust in eines dieser Extreme flüchten, um wieder Aufmerksamkeit zu bekommen. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, bis wir zum Beispiel den ersten Xavier Naidoo der Neuen Musik erleben werden (wahrscheinlich gibt es ihn schon). „Entfreundungen“ bei sozialen Medien sind an der Tagesordnung, man bekommt also die „andere Seite“ zunehmend weniger mit, und so teilt sich alles zunehmend in schwarz und weiß auf, Zwischentöne gehen verloren.

Dies wird auch Einfluss auf die neu entstehende Kunst haben. Corona wird zum Beispiel auf die Neue Musik wie ein Brandbeschleuniger von schon vorhandenen Tendenzen wirken – es wird immer schwieriger sein, für akademische Oasen zu komponieren oder sich einer Positionierung zu entziehen. Kunst wird wieder „politischer“ werden, im Guten wie im Schlechten. Gleichzeitig tritt sie in Konkurrenz mit Protestbewegungen, die zunehmend auch wie „Künstler“ agieren, wie Harry Lehmann in seinem sehr lesenswerten Essay „Was ist politische Musik?“ beschreibt:

„Nicht selten werden (die Aktionen der NGOs und Protestbewegungen) wie eine Performance aufgeführt. Das ist eine ernst zu nehmende Konkurrenz für die politisch engagierte Kunst, denn die Aktivisten machen – da sie näher an den politischen Ereignissen sind – oft die bessere „politische Kunst“ (Harry Lehmann)

Eine neutrale oder einfach nur abwartende Haltung wird es zunehmend schwer haben. Und mancher wird auch künstlerisch auf der Strecke bleiben – wer sich einmal als Covidiot geoutet hat, wird es nicht einfach finden, die Uhr zurückzudrehen oder auf kollektive Amnesie zu hoffen. An der „Karriere“ eines Mathias Moosdorf kann man zum Beispiel ablesen, wie irgendwann das normale Musizieren nicht mehr möglich ist, weil man ins extreme Lager abgedriftet ist.

In diesem heißen Gemisch aus Ideologien und Gegenideologien kann der Kunst eine Art Vermittlerrolle zukommen, in der sie neue Bedeutung erlangen kann. Aber sie wird sich überhaupt erst einmal behaupten müssen, das ist das Problem.

 

Was wir tun können

Zuallererst einmal die Nerven bewahren. Gerade die Schwächung einer „vernünftigen Mitte“ stärkt die Bedeutung von Vernunft. In gewisser Weise wird daher besonnene Vernunft zur radikalsten Position aller werden, da sie sich der Hysterie der Extremen verweigert.

„In einer Welt, die überflutet wird von bedeutungslosen Informationen, ist Klarheit Macht“ schreibt Yuval Harari im Vorwort seines wie immer empfehlenswerten Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“.

Diese Klarheit zu finden, wird individuelle Herausforderung jedes Künstlers sein. Die liberale Weltanschauung, die erneut in einer Krise ist wie zuletzt Ende der 60er Jahre, mag zwar für viele immer fragwürdiger sein in ihrer eigenen Angst vor Bedeutungsverlust, sie war aber im 20. Jahrhundert erwiesenermaßen die flexibelste und empathischste (und damit insgesamt menschenfreundlichste) Ideologie, die auf die Herausforderungen der Moderne am Besten reagieren konnte. Ein Faschismus 2.0 oder ein Kommunismus 2.0 wird nicht so wandelbar sein. Aber auch das liberale Denken hat seine Schattenseiten, und der enthemmte, stets auf Gewinnmaximierung zielende Kapitalismus der freien Länder hat auch Konsequenzen für das Leben auf diesem Planeten, wie wir immer mehr merken.

Bildung (und damit auch Kultur) wird in einer sich immer schneller verändernden Welt eine immer größere Rolle spielen. Wer hier überleben will, muss nicht nur global denken, sondern sich auch global informieren, schnell sein, flexibel sein, anpassungsfähig sein. Gerade zu Coronazeiten wird klar, wie wichtig es ist, über den Tellerrand der eigenen Grenzen hinauszuschauen und daraus Schlüsse für die besten Strategien zu ziehen. Wer hier nur den Kopf in den Sand steckt und alles ignoriert, was außerhalb des Bekannten geschieht, tut dies vielleicht aus verständlicher Überforderung, aber diese Überforderung ist für die Ignoranten selbst am Gefährlichsten. Kultur als Ausdruck einer im positiven Sinne globalen Bildung wird also gebraucht werden.

Allen, denen verständlicherweise im Moment die Decke auf den Kopf fällt, die aufgrund der momentanen Situation verzagt und voller Zukunftsangst sind, rate ich aber, den Blick vor allem auf die junge Generation zu werfen.

Die Jungen werden ihre eigenen Fehler machen und sind sicher auch vor Misserfolgen nicht gefeit. In der jungen Generation werden sich aber genau die Themen manifestieren, die gesellschaftlich am dringendsten verhandelt werden müssen. Man kann zu „Fridays for Future“, Rassismus-Debatten, dem Wunsch nach mehr Akzeptanz von Minderheiten und „#metoo“ stehen wie man will – aber wenn man diese Debatten komplett ignoriert, läuft man Gefahr, zu einem Dinosaurier zu werden. Und es ist eindeutig, dass diese Themen die junge Generation bewegen, und dass sie sich zunehmend dagegen wehrt, wenn diese Themen von alten selbstherrlichen Säcken ignoriert werden.

Selbst ein Adorno – dem bekannterweise Bob Dylan, Jazz und die Beatles ein Gräuel waren – befand sich als Lehrender dann eben doch in einem Dialog mit der jungen Generation, und war gezwungen, sich mit den Themen der Studentenbewegung auseinandersetzen, da sie seine Vorlesungen stürmten. Das tat sowohl ihm wie auch der jungen Generation gut, denn seine Widerrede forderte sie im positiven Sinne heraus. Es geht hierbei keineswegs um Rechthaben, sondern um den Dialog der Generationen an sich, denn beide Seiten können voneinander viel lernen.

Die Hinwendung zur Jugend bedeutet aber auch eine Hinwendung zum Neuen, auch zum Neuen in der Musik, und damit auch wieder Hoffnung für interessante Inhalte. Die 60er und 70er Jahre waren eine Zeit des verschärften und oft hitzigen Generationenkonflikts, gleichzeitig aber unglaublich fruchtbar in sowohl Popular- als auch Kunstmusik. Wer daher in den nächsten Jahren Neues schaffen möchte, sollte besonders für die Belange der Jungen ein sehr offenes Ohr haben – denn es lohnt sich, ihnen zuzuhören.

 

Moritz Eggert

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