Blog of Bad Virus: Die größten Corona-Missverständnisse von MusikerkollegInnen (1)

Die größten Corona-Missverständnisse von MusikerkollegInnen

Obwohl die meisten Musiker darüber schimpfen, dass sie zu wenig Zeit haben, finden sie in normalen Zeiten anscheinend immer noch genug davon, um stundenlang im Internet zu surfen und auf sozialen Medien aktiv zu sein. Das Problem ist: momentan haben sie eher noch mehr Zeit, und was anfangs auf zum Beispiel Facebook noch als ein gegenseitiges Trösten in Corona-Krisenzeiten begann, ist inzwischen ein harter Kampf gegen Dummheit in Form von Fehlinformationen und Verschwörungstheorien geworden. Noch nie wurde so viel Stuss gepostet, wurde blockiert, gemeldet und geschimpft wie in diesen Zeiten. Und ausnahmsweise sind es mal nicht die rechten Trolle, die das Feld dominieren, sondern die – vormals oft geschätzten – KollegInnen, die z.B. der Meinung sind, dass wir alle Opfer einer unheimlichen Verschwörung sind. Schon jetzt steht fest, dass man einigen davon eigentlich nie wieder begegnen, nie wieder mit ihnen musizieren will, auch wenn morgen ein Heilmittel gefunden wird und wir auf der Straße umherspringen und uns endlich wieder umarmen dürfen. Wenn einmal jemand z.B. behauptet hat, dass Covid-19 das Werk einer satanischen Weltneuordnungsverschwörung des dritten Klons von Bill Gates ist, wird man dieser Person nie wieder unbefangen entgegentreten können. Ebenso nicht, wenn sie behauptet hat, in Wirklichkeit wäre 5G an allem Schuld oder es gäbe gar keinen Virus. Vorher mochte man über solche Verwirrungen bei anderen Themen noch milde lächeln, aber die Nerven liegen inzwischen blank.

Hier nun also in loser Folge, die schlimmsten Theorien, dümmsten Missverständnisse und absurdesten Schlussfolgerungen, alle entnommen aus tatsächlich existierenden zahlreichen Posts von MusikerkollegInnen, deren Namen ich hier gnädig nicht nennen werde.

  1. „An allem sind die Juden schuld – auch an Corona“ (frei nach Friedrich Hollaender). Verschwörungstheorien.

Quelle: https://www.psiram.com/de/index.php/Verschw%C3%B6rungstheorie

Dass Verschwörungstheorien blühen, wenn Seuchen am Werk sind, ist eine historische Tatsache, und hier schön an einigen Beispielen beleuchtet. Die Angst vor apokalyptischen Zuständen macht etwas mit den Menschen – Sündenböcke müssen gesucht, die Welt muss in einfache Gut-und-Böse-Chiffren aufgeteilt werden, da man nicht weiß, wohin man mit seinen ganzen Ängsten soll. Hier hilft es vielleicht, einfach mal tief durchzuatmen und sich zu vergegenwärtigen, dass die momentane Pandemie keineswegs ein noch nie dagewesenes Phänomen ist, dass es schon unzählige solcher Seuchen sowohl bei Menschen als auch bei Tieren gab und sie in regelmäßiger Folge auftauchen, genau wie andere Naturkatastrophen.

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Neu ist allein die Art und Weise, wie wir eine solche Pandemie mittels moderner Medien wahrnehmen, die Pandemie selbst aber ist erwartbar gewesen. Gewarnt davor wurde schon lange, genau wie man bei einem Vulkan grundsätzlich weiß, dass er mal wieder ausbrechen wird. Dennoch ist es jedes Mal eine Überraschung und auch ein Schock, wenn es passiert. Um mit diesem Schock umzugehen, gibt es eine Reaktion unserer Psyche, die man auf Englisch „in denial“ nennt. Das, was man nicht begreifen kann, wird umgeformt in ein simples Narrativ, das entweder die Gefahr als nichtexistent deklariert, oder eine alternative Sichtweise offeriert, in der alles, was man nicht ganz versteht oder wahrhaben will, zum Teil einer „Verschwörung“ wird.

Da es in der Natur von „Verschwörungen“ liegt, dass man nicht alles über sie wissen kann, können sie als leichte Erklärung für so ziemlich alles herhalten, bekanntermaßen auch dafür, dass die Erde in Wirklichkeit flach ist oder von außerirdischen Reptilien beherrscht wird. Bei sogenannten „Flatearthern“ liegt z.B.  eine simple kognitive Dissonanz vor: sie sind damit überfordert, dass sie die Rundung der Erde nicht selbst erfahren oder spüren können, daher „muss“ sie einfach flach sein. Wenn man ihnen Fotos der Erde aus dem Weltall zeigt, ist es einfach das Resultat einer großen Vertuschungsaktion der NASA.

Ähnliche Beispiele gibt es viele: überall dort, wo detaillierte Erklärungen einen gewissen geistigen Horizont oder auch ein Vertrauen in das Wissen von Fachleuten voraussetzen (da nicht jeder Mensch alles wissen kann), kursieren auch Verschwörungstheorien. Über Chemtrails, 9/11, Impfstoffe und sogar über den Begriff „Verschwörungstheorie“ selber (den angeblich die CIA erfunden hat – auch falsch). Oder auch wenn etwas passiert, das man nicht wahrhaben will – so sind so unterschiedliche Personen wie Elvis Presley und Adolf Hitler für wunschdenkende Verschwörungstheoretiker immer noch am Leben.

Es gibt also verschiedenste Gründe für die Theorien um Covid-19. Ängste und Wunschdenken als Anlass mögen auf den ersten Blick eher verzeihlich sein als schlichte Dummheit, aber leider haben Verschwörungstheorien auch eine sehr dunkle Seite. Denn unter dem Deckmantel der „Aufklärung“ dienen sie allein der Verdunkelung und der Manipulation. Vielen naiven Verbreitern dieser Theorien ist dies leider nicht bewusst uns sie machen sich zu willentlichen Gehilfen, ohne die Konsequenzen zu verstehen.

Die meisten Verschwörungstheorien beinhalten Argumentationen, die unterstellen, dass wir alle manipuliert, gelenkt oder beeinflusst werden. Es gibt angeblich eine „geheime staatliche Kontrolle“, die Presse ist „manipuliert“ (oder auch eine „Lügenpresse“), dunkle Mächte ziehen heimlich ihre Fäden. In Wirklichkeit sind es aber die Verschwörungstheorien selbst, die uns versuchen zu manipulieren. Das gezielte Streuen von Falschinformationen und Legenden hat schon immer Diktaturen, gesellschaftliche Umstürze und Staatsstreiche ermöglicht. So hätte es keinen Ersten Weltkrieg ohne Verschwörungstheorien gegeben, hätte Hitler nie den Holocaust durchführen können, der von den hetzenden Karikaturen und Legenden um z.B. angebliche jüdische „Ritualmörder“ befeuert wurde.  Auch wenn heute Populisten wie Trump, Bolsonaro und Konsorten Fehler machen, braucht es sofort einen „Schuldigen“, denn das lenkt vom eigenen Versagen elegant ab und eint die eigenen Unterstützer im Hass auf jemand anderen.

Nicht nur zu Zeiten der Pest gab es Hexenverbrennungen und panische Lynchmorde an Unschuldigen, unzählige Menschen starben, weil falsche Gerüchte über sie verbreitet wurden. Wer heute darüber staunt und das als eine traurige menschliche Verirrung in Krisenzeiten beurteilt, darf nicht so tun, als sei das Posten eines hetzenden Artikels um die angebliche Covid-Verschwörung von Bill Gates auch nur einen Deut besser. Denn die heutigen Verschwörungstheorien sind exakt genauso schlimm und hetzerisch, auch wenn sie erst einmal harmlos daherkommen als geteiltes Video mit irgendwelchen vor sich hin murmelnden Wodarg-Zauseln oder anderen Covid-19-Verneinern.  Denn auch in diesen Videos ist am Ende immer jemand „schuld“ – die Pharmaindustrie, die Regierung, die Wissenschaft…oder eben Bill Gates. Wenn aber jemand angeblich „eindeutig schuld“ ist, muss man sehr kritisch hinschauen, denn die Vernunft lehrt, das die Eindeutigkeit von Schuld eine hochkomplexe Frage ist, die nicht leichtfertig beantwortet werden darf und kann. Schon allein die Existenz eines einfachen Schuldnarrativs zeigt die schlechten Absichten auf – wer vernünftig abwägt, sucht nie „Schuldige“, sondern beurteilt möglichst nüchtern den Erfolg oder Misserfolg bestimmter Handlungsweisen. Wer dagegen nur mit dem Finger auf jemanden zeigt, hat meistens keine anderen Argumente.

Die Frage „cui bono“ muss man stellen: Hat uns jemals eine Verschwörungstheorie gerettet, zu besseren Menschen gemacht, vor einem schlimmen Schicksal bewahrt? Ganz im Gegenteil – Verschwörungstheorien haben uns immer wieder verdummt, verwirrt, aufgehetzt und aggressiv gemacht. Was auf Facebook oft unter dem harmlosen Deckmäntelchen „hier einmal eine andere Sichtweise“ verbreitet wird, ist in Wirklichkeit genauso schlimm wie ein echtes Virus. Man verbreitet Meme, die sich in Gehirnen festsetzen, dort als falsche Wahrheiten gespeichert werden und Paranoia, sinnlose Ängste und Aggression schüren.

Das ist kein Kavaliersdelikt, und etwas dagegen zu haben, ist keineswegs „Blockwart“-Mentalität  sondern Selbstschutz vor einer Infektion der Verdummung.

Die Welt ist leider komplizierter und widersprüchlicher, als Verschwörungstheoretiker wahrhaben wollen. Dazu gehört auch die Notwendigkeit der Erkenntnis des eigenen Nichtwissens. Worüber man nichts zu sagen hat, sollte man lieber schweigen. Vor allem, wenn das was man sagt, nur der Verdunkelung, Verwirrung und Hetze dient.

Im realen Leben hilft „social distancing“ vor zu schneller Virusverbreitung, im Internet brauchen wir dagegen „social media distancing“ – um schlimmeren Schaden abzuwenden als den, den das Virus ohnehin schon anrichtet.

Moritz Eggert

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6 Antworten

  1. David Stingl sagt:

    Danke Moritz. Ein probates Mittel gegen solche Protagonisten der „anderen Sichtweise“ ist ein Meme mit dem schlichten Text in Arial, weiß auf schwarz: „Was soll das denn bitte für ’ne beschissene Verschwörung sein, wenn sogar so’n Spacken wie Du alles darüber weiß?“

  2. Walter sagt:

    Ich habe hier jetzt auf „die schlimmsten Theorien, dümmsten Missverständnisse und absurdesten Schlussfolgerungen“ gewartet, was aber kam, war ziemlich dümm. Ein einziger Punkt. Oder war das jetzt die Folge 1 und ich kann mich darauf freuen, in den nächsten „Bad Boy“-Veröffentlichungen mehr zu erfahren?

    • Richtig, es ist der erste Teil einer Serie – es war einfach zu viel Stoff, sonst wäre der Text sehr lang geworden, ich denke Mal 5-6 Folgen werden es werden…

  3. Sonia G.Y. sagt:

    Zurzeit bin ich häufiger in Foren unterwegs als sonst. Man hat ja mehr Zeit. Da stoße ich immer wieder auf absurde Behauptungen der Shutdown-Gegner. Ihre Taktik ist simpel: a) Verharmlosung des Corona Virus, b) Darstellung der Maßnahme der Regierung als Grundrechtsverletzung, c) Verschwörungstheorie

    Wer so etwas behauptet, muss komplett empathielos oder einfach ignorant sein. Gut zu wissen, dass auch Musiker zu dieser Gruppe gehören. Abgesehen ihres fehlenden Denkvermögens, ist ihr Egoismus kaum zu überbieten. Nicht nur sie haben Grundrechte, sondern auch eine bestimmte Risikogruppe. Mit der übereilten Lockerung der Maßnahmen hat man mit einer explosivartigen Ausbreitung der Infektion und steigender Letalität zu rechnen.

    Ich möchte mich von Veranstaltungen, in deren solche Ignoranten mitwirken, fernhalten.

  4. Benjamin sagt:

    @Sonia G.Y.

    Da muss man schon aufpassen, wen man wofür kritisiert.

    Ad a)

    Es besteht ein Unterschied zwischen dümmlicher Verharmlosung und kritischer Analyse der Risiken, soweit sich dies überhaupt abschätzen lässt. Da wir es wir bei der Einschätzung des Risikos bzw. der Gefährlichkeit mit der Interpretation von Statistiken zu tun haben, die auf einer teils sehr undurchsichtigen Zahlenbasis beruhen, halte ich es für gerechtfertigt, auch denjenigen nicht unbesehen zu glauben, die uns die Totalkatastrophe prophezeien, wenn wir uns nicht jahrelang einschließen – wenngleich es natürlich einfacher und naheliegender ist, diejenigen zu widerlegen, die uns weismachen wollen, das sei alles nur ein besserer Schnupfen. Das halte ich auch für Quatsch. Aber die Zahlen aus allen Ländern sind so unterschiedlich und werden so unterschiedlich erhoben, dass sie keine einfachen Rückschlüsse darauf zu, welche Maßnahmen wo geholfen haben oder ob der Verlauf ohne diese oder bei Anwendung anderer Maßnahmen ebenso gewesen wäre, dass ich ebenso sicher bin, dass die Gleichung „je strenger der Lockdown, umso weniger Infektionen“ nicht aufgeht.

    Ad b)

    Die Maßnahmen, mit denen die Ausbreitung der Pandemie eingedämmt werden soll (ich formuliere das bewusst genau so), sind mit großer Wahrscheinlichkeit sowohl in ihrem Zustandekommen (bloße Verordnungen bzw. Regierungsentscheidungen ohne ausreichende parlamentarische Kontrolle) als auch in ihrer Nichtbeachtung der Verhältnismäßigkeit verfassungswidrig. Das ist keine Behauptung von Verschwörungstheoretikern, sondern es sind ziemlich analytisch denkende (Verfassungs-)juristinnen, die so argumentieren, und zwar nicht nur im Internet, sondern auch in Gerichtssälen.
    Man führe sich mal zu Gemüte, mit welcher Klarheit das Verwaltungsgericht Hamburg ein Demonstrationsverbot gekippt hat ( https://justiz.hamburg.de/contentblob/13858150/5dccce7cac604b552dd5ffa03163fe49/data/17-e-1648-20-beschluss-vom-16-04-2020.pdf) oder desgleichen das Bundesverfassungsgericht (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/04/qk20200417_1bvq003720.html). Die Argumente, die gegen die pauschalen Verbote jeglicher Art von Versammlungen dort angeführt werden, lassen sich ohne weiteres auf andere Lebensbereiche übertragen.
    Natürlich ist es problematisch, dass auch rechte Verschwörungstheoretiker solche Urteile lesen und verstehen können und ihre Argumentation darauf stützen. Allerdings: Nur deshalb, weil ein Verschwörungsspinner sagt, dass die Erde eine Kugel ist, muss ich nicht reflexhaft behaupten, sie sei eine Scheibe, nur um mir nicht vorwerfen lassen zu müssen, ich würde mit ihm gemeinsame Sache machen. Man muss sich ja nicht zur gleichen Zeit wie diese Leute vor die Volksbühne stellen.
    Genausowenig übrigens muss man (über das absolut notwendige Maß hinaus, also z.B. zum Einkaufen) irgendwo hin gehen, wo man eine Ansteckung fürchtet. Sie dürfen gerne zuhause bleiben, bis irgendjemand für Sie glaubwürdig behauptet, die Gefahr sei jetzt vorbei, oder bis Sie selbst davon überzeugt sind. Diejenigen hingegen, die in einem vernünftigen Rahmen wieder kulturell tätig werden möchten (oder das nie unterbrechen wollten), sind aktuell (und ohne jede klare Perspektive, wann sich dies wieder ändern könnte), umgekehrt der Möglichkeit beraubt, NICHT zuhause zu bleiben. Das ist ungerecht, denn diejenigen, die sich lieber mehr schützen wollen, hätten eine Alternative – die anderen haben sie derzeit nicht. Das haben Sie ja schon selbst sehr rüde formuliert.

    Ad c) Hier, und nur hier, gebe ich Ihnen uneingeschränkt recht. Aber kein vernünftiger Mensch glaubt Verschwörungstheoretikern.

    Empathie übrigens muss allen Menschen gleichermaßen gelten, also auch denjenigen, die unter dem sogenannten Shutdown leiden – das sind übrigens meist gerade die Schwächeren der Gesellschaft. Das sollten Sie unbedingt beachten – man könnte Ihnen sonst Ihrerseits vorwerfen, dass es egoistisch wäre, Ihren persönlichen Wunsch nach Sicherheit über die berechtigten Freiheitsinteressen anderer zu setzen.

    • Sonia G.Y. sagt:

      Ein dauerhafter Shutdown führt zu einer wirtschaftlichen Katastrophe. Eine Durchseuchung der Gesellschaft ist aber keine bessere Lösung. Es wird ca. 300.000 Todesfälle innerhalb 260 Tage geben, vermuten viele Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern. Die Letalität bei jungen und gesunden Menschen liegt bei 0,9 Prozent. Das heißt, unter den Verstorbenen werden sehr viele Senioren und Vorerkrankten sich befinden. Bitte nicht vergessen: Klassik Veranstaltungen werden überwiegend von Senioren besucht.

      Es ist möglich, dass Konzerthäuser/Musiktheater wieder geöffnet werden, wenn die Pandemie vorbei ist. Sie wird erst vorbei sein, wenn es eine Impfung gibt.

      Ist das zuviel verlangt, dass man sich vorübergehend an die Corona-Regel halten sollte? Ein wenig mehr Disziplin wäre angebracht. Meiner Ansicht nach geht es manchen nicht um Grundrecht. In den USA mobilisieren Rechtsextreme via Facebook gegen Corona-Maßnahmen.