Blog of Bad Virus: Wolfgang Wodarg ist eine dumme Wurst. Von Verharmlosern und Zynikern.
In diesen Zeiten fällt es schwer, über etwas anderes als COVID-19 und dessen Auswirkungen auf unser aller Leben zu sprechen. Daher wird der Bad Blog sich ab jetzt vornehmlich diesem Thema widmen, mit Gedanken zu den aktuellen Entwicklungen, Informationen, Notizen und Erfahrungsberichten. Aber es soll weiterhin auch um Musik gehen: Wir und die NMZ wollen ein Sprachrohr für die Initiativen sein, die sich der schwierigen Situation von Musikern und Kulturschaffenden in diesem Moment annehmen. Kommentare und Diskussionen sind willkommen, Fake News nicht.
“Don’t Panic, but also don’t be an idiot in denial” (frei nach Douglas Adams).Wolfgang Wodarg ist eine dumme Wurst. Von Verharmlosern und Zynikern.
Noch vor wenigen Tagen schrieb ich hier, wie großartig, mitfühlend und vernünftig sich viele KollegInnen angesichts der für alle MusikerInnen einschneidenden Maßnahmen verhalten. Aber seit einigen Tagen ist in den sozialen Medien eine schreckliche neue Seuche ausgebrochen, die selbst vormals von mir für intelligent gehaltene Menschen befällt.
Diese neue Seuche äußert sich in gebetsmühlenartig wiederholten Posts, in denen aus unseriösesten Quellen zusammengeschusterte Links von diversen Verschwörungstheoretikern und Virusverharmlosern geteilt werden. Ganz oben auf der Liste dieser meistens gruseligen und dilettantischen Videos: der oben genannte Wolfgang Wodarg, der zwar irgendwie Arzt ist oder war (u.a. Schiffsarzt), irgendwie mal in der SPD rummurkelte, aber keineswegs ein Experte für Viren und Seuchen ist. Warum man ihn so toll findet? Weil er einfach behauptet, dass uns überhaupt keine Gefahr droht, dass alle Maßnahmen übertrieben sind. Und das übrigens ohne jegliches Fachwissen über einen Virus, das bisher nicht bei Menschen existierte und der gerade erst erforscht wird.
Mal abgesehen davon, dass diese Wodarg-Zausel-Videos meist älteren Datums sind, und keineswegs mehr die inzwischen täglich dramatischer ansteigenden Todesfälle berücksichtigen, sollte einen vielleicht auch beunruhigen, dass vor allem Seiten, die dem populistischen oder rechten Spektrum nahe stehen, diese Videos verbreiten. Und das ist auch gar nicht schwer zu entdecken – so postete eine sehr bekannte deutsche klassische Sängerin gestern ein Video mit Wodarg, unter dem beim Anklicken Links zu verschiedenen rechtsradikalen Seiten zu finden waren, Tipps für Reichsbürger gab’s gratis dazu. Und als Begründung führte sie – die bisher keineswegs als Populistin bekannt war – naiv exakt die Formulierungen an, die man auch aus der rechten Szene kennt, und die an das fatale „das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen“ erinnern. Häufig hört man auch etwas verbrämter: „Warum nicht mal alternative Meinungen hören?“. Nun, es gibt eine Partei, die das „alternative“ im Titel führt, aber die wird zu Recht in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet, und wer sie in ihrer momentanen Form wählt ist das, was man bei allergrößtem Wohlwollen höchstens „alternativ intelligent“ nennen könnte. Oder auch einfach nur strunzdumm.
Heute Morgen bei mir im Posteingang: eine lange Rundmail eines Komponistenkollegen, in der er wie viele andere im Moment mahnt, dass die angebliche „Panik“ die größte Gefahr sei, er vor dem Virus keinerlei Angst hätte, und man sich doch nicht so ängstigen solle. Gleichzeitig verbreitet er aber selber vollkommen unnötige und übertriebene Ängste: Ausgerechnet am Abend nach dem unsere Bundeskanzlerin einen ganz und gar unpanischen aber sehr ernsten und sachlichen Appell an das deutsche Volk richtete, spricht er davon, dass wegen vollkommen unnötiger „Hypochondrie“ und „Paranoia“ der Entscheidungsträger nun das „Kartenhaus der menschlichen Zivilisation“ zusammenfalle. Wer das „Kartenhaus der menschlichen Zivilisation“ schon zusammenfallen sieht, wenn das Robert-Koch-Institut einen nüchtern über die Entwicklungen täglich informiert, der sah vielleicht vorher schon zu schwarz.
Auch oft bei den sozialen Medien zu lesen: der „beruhigende“ Satz „Wir alle sterben doch eh irgendwann – daher habe ich keine Angst vor Corona!“. Das soll mutig und trotzig klingen, man fühlt sich den Überängstlichen auch gleich sowas von überlegen, aber es ist halt auch unsäglich zynisch und menschenverachtend, so etwas zu sagen. Ja, das haben sich die bisher 32 Millionen AIDS-Toten weltweit oder die schon jetzt viel zu vielen Toten durch COVID-19 sicherlich auch gedacht, bevor sie jämmerlich an Schläuchen hängend verreckten, das hat die bestimmt ganz dolle getröstet, dass sie ja „eh irgendwann sterben müssen“, halt nun einfach „ein bisschen früher“. Vielleicht haben sie sich aber eher gedacht: „F*** you!“, und das mit Recht. Aber stimmt: AIDS war ja auch erst „harmlos für alle außer Schwule“. Und Corona ist ganz bestimmt „nur eine Grippe“. Wie man sich täuschen kann.
Ein bekannter englischer Countertenor postete gestern die Fake News, dass die Neuinfektionen in Italien ja nun deutlich zurückgegangen seien, ohne Quellenangaben und mit falschen Zahlen (tatsächlich war gestern ein Rekordtag in Italien von sowohl bestätigten Neuinfektionen als auch Todesfällen). Schon vorher war er durch „calm down, it’s just a simple flu“ – Posts aufgefallen. Als ich ihn höflich auf den Fehler und die Verbreitung von Falschmeldungen aufmerksam machte, blockierte er mich umgehend.
All dies sind nur einige Geschichten, die ich momentan erlebe. Und das kann einem zu Recht Sorgen machen, denn mit jedem verharmlosenden Post verleitet man Menschen dazu, sich sorgloser zu verhalten, als dies im Moment angebracht ist.
Das soll jetzt alles nicht überheblich klingen. Wir haben alle Angst, und jeder geht damit anders um. Mir machen auch die Auswirkungen des Virus (mögliche bürgerkriegsähnliche Zustände in schwer betroffenen Ländern, Wirtschaftskrisen, Zusammenbruch von geopolitischen Allianzen z.B.) wesentlich mehr Sorgen als das Virus selber. Aber es ist sehr klar, dass Corona der Punkt ist, an dem diese Dinge sich entzünden werden, daher ist die Ausbreitung dringendst unter Kontrolle zu bringen. Und es hilft einfach nicht, sich das Alles Schönzureden. Ich höre ständig „zu viel Panik, huch!“ von immer denjenigen Leuten, die selber viel panischer sind als alle anderen um sie herum. Wenn ich so die belebten Straßen von München anschaue, würde ich mir eher MEHR Panik, oder vielmehr einfach mehr gesunden Menschenverstand und Vernunft wünschen, denn das wäre jetzt echt nicht das Schlechteste.
All denen, die wider besseres Wissen immer noch darauf hoffen, dass jemand wie die tumbe Wodarg-Wurst doch Recht haben könnte, möchte ich einfach folgendes Beispiel ans Herz legen:
Stellt euch einfach vor, es ginge nicht um ein Virus, sondern um einen Asteroideneinschlag. Stellt euch vor ihr lebt in einer Stadt, die von einem solchen Einschlag bedroht ist. Von 100 Experten sind sich 99 sicher, dass der Asteroid die Stadt treffen wird, in der ihr lebt. Die einen sind pessimistisch und sagen, dass der Asteroid genau ins Zentrum der Stadt treffen und alles Leben auslöschen wird. Die anderen sind etwas optimistischer und meinen, dass der Asteroid vor allem die Randgebiete der Stadt treffen aber dennoch schreckliche Verwüstungen anrichten wird. Dann gibt es welche, die meinen, dass der Asteroid nur in der Nähe einschlagen wird, was aber dennoch aufgrund der Druckwelle und der Verwüstungen die Bewohner der Stadt in große Lebensgefahr bringen würde. Alle 99 Experten sind sich aber darin einig, dass es vielleicht nicht das Schlechteste wäre, die Stadt mal vorsorglich zu verlassen.
Ein einziger Experte – nennen wir ihr Herrn Wodarg – hält dagegen den Asteroiden an sich für eine Illusion und argumentiert, dass es ja schon immer Asteroiden gegeben hätte, und die ja auch eigentlich immer an der Erde vorbeifliegen. Außerdem würde man sowieso irgendwann sterben.
Jetzt mal ganz ehrlich – würdet ihr in einer solchen Situation in dieser Stadt bleiben und vage darauf hoffen, dass Herr Wodarg als einziger Recht hat, oder lieber auf Nummer sicher gehen und die Stadt vorsorglich verlassen?
Denn ungefähr so ist die jetzige Situation – bei den echten Experten (also nicht den Würsten) herrscht nämlich keineswegs eine absolut einhellige Meinung über die Auswirkungen des Virus vor. Es gibt da durchaus optimistischere und pessimistischere Meinungen. Wer ein bisschen recherchiert, und nicht einfach nur tumb auf „teilen“ klickt, kann sich sehr leicht eine differenzierte Meinung bilden, die nicht nur Schwarzseherei sondern auch hoffnungsvoll stimmende Erkenntnisse beinhaltet. Aber selbst die Optimisten sind sich ziemlich einig darüber, dass Maßnahmen gegen Corona ergriffen werden MÜSSEN, und dass dies auch die einzige Chance ist, wenn man nicht den absoluten Zusammenbruch will. Dieselbe Parabel kann man übrigens auch auf den Klimawandel anwenden, denn genau wie bei Corona ist der Klimawandel eben leider etwas, das relativ schleichend passiert und nicht so viel hermacht wie ein plötzliches Erdbeben oder eine Flutkatastrophe.
Wer aber Labsal für die Seele will und sich von der jetzigen Situation überfordert sieht, kann sich doch gerne an die Optimisten unter den wirklichen Experten halten. Es gibt keinen Grund, alles nur schwarz und apokalyptisch zu sehen, denn wir sind uns in der Krise alle einig, dass wir sie möglichst schnell überwinden wollen, und dass das auch möglich ist, wenn alle sich zusammenreißen. Es liegen auch viele Chancen darin, aber nur, wenn man erkennt, dass Seuchen Naturkatastrophen sind, die in der Geschichte der Menschheit schon mehrmals ganze Kulturen auslöschen konnten.
Eine Naturkatastrophe kann man sich nicht wegwünschen, wenn man die Augen schließt und an rosa Ponys denkt. Oder einen verschissenen Verharmlosungspost teilt.
Dann ist man nämlich nicht nur leichtsinnig, sondern gefährdet Leben, macht sich mitschuldig an Unterschätzungen, an Falschpropaganda und an Dummheit, die letztlich tatsächliche Leben kosten wird.
Man verharmlost dann nicht nur das Virus – man WIRD zum Virus.
Moritz Eggert
Informationen für Musiker, Freiberufler u.a. sind hier zu finden, zuverlässig zusammengestellt von Martin Hufner:
Komponist