Hinter tausend Legenden…keine Musik

“Hinter tausend Legenden…keine Musik…” (Hommage á Rilke)

Werbung

 

Kompositionsauftrag der Neuen Musikzeitung, gefördert von Mitteln der Theo Geißler und Barbara Haack – Gesellschaft

 

gewidmet Martin Hufner – in Dankbarkeit

 

  1. 317b

 

komponiert in Detmold, Luzern, Wuppertal, Venedig (Deutsches Studienzentrum), New York, Bielefeld und Tokyo, 13.7.2018 14:37 Uhr bis 14.9.2019 20:23 Uhr (MEZ)

 

Die Durchschnittstemperatur bei der Komposition betrug 23 Grad Celsius (1)

 

für schreibenden und polemisierenden Blogautoren, sowie eine beliebige Anzahl von Lesern, jedoch mindestens einen, bzw. eine. (2)

 

Länge: 11,456332 Minuten (bei genauer Einhaltung der Tempoangaben, siehe Appendix C-G)

 

 

Vorwort:

 

In meinem Stück „Hinter tausend Legenden…keine Musik“ (Hommage à Rilke) werfe ich einen kritischen Blick auf die akademische Blase der zeitgenössischen aktuellen Partiturproduktion. Schon seit vielen Jahren hat sich ein bestimmter Stil etabliert, der der zur musikalischen Realisierung nötigen Bestimmung einer umfassenden Zeichensetzung einen immer größeren Raum gibt, all dies im Sinne einer „verwirrenden Topologie“ (Walter Benjamin: „Die Topologie des modernen Kunstbegriffs als Phänomenologie einer Kritik an der Schopenhauerschen Weltsicht“, Seite 24ff.), die sich durch vorgetäuschte Tiefe und Komplexität eben jener Stilmittel bedient, deren scheinbare Sinnhaftigkeit sich gleichsam in einer übertriebenen Penibilität manifestiert, die letztlich de facto eine Sinnlosigkeit darstellt, so als sei der komplexen Welt der Klangphänomene (vgl.“Die Welt als Klang“, unvollendeter Aufsatz von T.W.Adorno) nur damit beizukommen, indem man sie ins letzte Detail auslotet und als Phänomen damit (nur scheinbar) greifbar machen würde hätte haben sollen geworden sein.

 

Typisch für diesen Stil sind endlose Partiturvorworte und Legenden, bei denen bestimmte Spieltechniken ausufernd und en detail beschrieben werden, als seien sie in Wirklichkeit terra incognita, ja, als sei der Eintritt in die Ästhetik dieser Komponistinnen und Komponisten nur mittels eines ausführlichen Quellenstudiums möglich, wobei die Quellen praktischerweise von der Komponistin bzw. Komponistin selber bereitgestellt werden, sich dabei auf einen wachsenden Kanon Neue-Musik-üblicher 08/15-Ausdifferenzierungen berufend, der wie eine Art Doppelte-Rittberger-Übung absolviert werden muss, bevor man überhaupt zum „Eigentlichen“ (dem „Werk“) kommen kann. So ist z.B. eine Partitur für Holzbläser ohne mindestens 3-4 detailliert beschriebene Multiphonics samt Grifftabellen für verschiedene Griffsysteme nicht „relevant“, da sie sich den inzwischen überall gängigen Codes der Scheinkomplexität verweigern würde. Dem Komponisten bzw. der Komponistin scheint der Weg zu den höheren „Weihen“ der Szene auch versperrt zu sein, wenn nicht zumindest eine der verwendeten Spieltechniken so ungewöhnlich und überdifferenziert ist, dass sie mittels komplizierter Grafiken und Hilfsnotationen seitenlang erklärt werden muss, da nur dann der pseudowissenschaftliche Entwurf erfüllt ist, der den im Grunde immer gleichförmigeren Partituren den Hauch von Eigenwilligkeit verleihen soll, den diese musikalisch meist vermissen lassen.

 

Inzwischen treibt dieser Erklärzwang so seltsame Blüten, dass Partituren ohne mindestens 10-seitige Vorworte nicht als „vollständig“ empfunden werden, ja, manche Partituren bestehen fast nur noch (!)  aus Vorworten und Legenden, die Musik selber kann – wie ein unnötiger Wurmfortsatz – weggelassen werden, denn wenn alles erklärt worden ist, bevor auch nur ein Ton erklungen ist, wird das Klingen selbst redundant.

 

Mein Stück setzt sich kritisch mit dieser Praxis auseinander, im Sinne einer zeitlich genau definierten „Klangrede“ im Grenzbereich zwischen Performance und Kammermusik.

 

 

Legende:

 

abcdefg…..    Diese „Buchstaben“ ergeben in festgelegten Abfolgen sogenannte „Worte“, die jeweils als eigenständiger Sinnzusammenhang eine Grammatik von Inhalten ergeben. Die genaue Reihenfolge der „Wortfolgen“ ist hierbei streng festgelegt, und sollte vom Interpreten bzw. Interpretin bzw. der Leserin oder dem Leser ebenso streng beibehalten werden.

 

.        Mit diesem Symbol endet eine spezifische Abfolge. Die Lesepause sollte ca. 5/100 Sekunden dauern, dann kann im Vortrag fortgefahren werden.

 

,      Mit diesem Symbol wird das Ende eines spezifischen Sinnzusammenhangs gekennzeichnet, allerdings nicht das Ende eines sogenannten „Satzes“

 

;     Mit diesem sogenannten „Punktkomma“ (vulgärrhaetoromanisch: „semikolon“, oder auch „Halbarschloch“) wird quasi eine Dichotomie des „abschließenden“ wie auch „weiterführenden“ Zustands symbolisiert. In diesem speziellen Zwischenzustand, sind die Gesetze der normalen Lesart quasi außer Kraft gesetzt, idealerweise entsteht also ein Equilibrium aus „Verharren“ und „Fortschreiten“, das einer besonderen Spannung bei der Ausführung bedarf.

 

fettgedruckt      Diese „Worte“ sollen besonders betont werden. Der Aussprachevorgang kann durch ein leichtes oder auch deutliches Anheben der Stimme unterstützt werden, dies ist vor allem dann der Fall, wenn dem fettgedruckten Wort auch ein Ausrufezeichen folgt, wobei dieses sowohl fett- als auch normalgedruckt erscheinen kann. Die Intensität der Ausführung unterliegt teilweise der persönlichen Einschätzung des Interpreten/der Interpretin, wobei darauf geachtet werden muss, dass diese der Intention des Komponisten nicht zuwider läuft, denn diese hat auf jeden Fall Vorrang, ihr Motherfuckers.

 

kursiv        diese „Worte“ haben eine Sonderstellung innerhalb der Notation – sie sind quasi Repräsentanten einer eigentlichen „Besonderheit“, die sich durch Uneigentlichkeit einer genauen Lokalisierung widersetzen. Wichtig ist hierbei die Deutung des Zeichens als gleichsam „exterritoriales“ Ereignis im Sinne einer Stockhausenschen Logik der Gestenrede. Ich weiß auch nicht so richtig, was das jetzt bedeutet, aber es klingt irgendwie gut.

 

unterstrichen    leichte Ausdifferenzierung, irgendwo zwischen fettgedruckt  und kursiv,  allerdings mit leicht angeschrägter Bogenhaltung, damit deutlich mehr Obertöne erklingen als bei normaler Spielweise.

 

Wichtig: In diesem Stück kommen zwar keine Multiphonics vor, aber wenn sie vorkämen, dann wären sie extrem obskuren Almanachen entnommen, die nur dem Schöpfer dieser Zeilen und seinem Cousin 4. Grades bekannt wären. Nur um es euch zu zeigen, ihr erbärmlichen Loser!

 

 

Fig. I-VIIIIa-x:  Multiphonics, die in diesem Stück nicht vorkommen, aber einfach geil aussehen

 

 

 

Moritz Eggert: „Hinter tausend Legenden…keine Musik“ (Hommage á Rilke)

 

Version 1.04

 

copyright Breitkopf und Härtl

 

Das Kopieren dieser Partitur wird mit dem Tode geahndet, außer der Kopierende führt die Kacke auf, denn dann gibt es GEMA.

 

 

  1. ( und einziger) Satz

Tempo: Viertel gleich 35,7 (Achtel gleich 71,4)

leise schreitend (ohne besondere Hast, jedoch streng im – nicht zu schnellen – Zeitmaß, pochend, unruhig)

 

 

 

 

 

 

Wenn ????

 

ihr

 

so VIELE

…. 

 

.

 

—-

 

Worte

 

braucht

um eure Musik!!!!    -..   ?

 

 

zu erklären

 

warum?    …

 

 

seid ihr dann eigentlich…..

 

äh (äh)

 

(krks)

 

nicht!

 

 

&%€

 

 

Schriftsteller geworden ?;:;:;:=====

 

Fine

 

Moritz Eggert, 23.9.2019

 

 

 

 

 

  1. Siehe auch die Umrechnung in Fahrenheit, Appendix A
  2. Ideal wäre eine Mischung aus sowohl weiblichen als auch männlichem ZuhörerInnen, solange die Aufführungssituation nicht für einen GEMA-Missbrauch genutzt wird (siehe Appendix B)

Eine Antwort

  1. Wie wahr und entlarvend! Selten so gelacht!