Zu schleppende Aufklärung: Appell zur Erneuerung der Leitung der Münchener Musikhochschule
Am 18.5.18 twitterte die bayerische, derzeit fraktionlsose Landtagsabgeordnete Claudia Stamm, Tochter der Landtagspräsidentin Barbara Stamm zu Mitwisserschaft der Musikhochschule München und der zuständigen Stellen Wissenschaftsministerium zu den Vorgängen um den Jungstudenten Mitte der 90er Jahre: „In ihrer Antwort auf meine Anfrage hat Regierung bestätigt Mitte der 90er Jahre davon gewusst zu haben -Jetzt müssen Lösungen gefunden werden, wie sich strukturell was ändert, in München , aber offenbar auch an anderen Musikhochschulen.“
In ihrer Antwort auf meine Anfrage hat #Regierung bestätigt Mitte der #90er Jahre davon gewusst zu haben -Jetzt müssen Lösungen gefunden werden, wie sich strukturell was ändert, in #München , aber offenbar auch an anderen Musikhochschulen #MeToo https://t.co/tFyVM6vZrZ
— Claudia Stamm (@claudiastamm) May 18, 2018
Wer den Spiegel vom 12.5.18 liest, jetzt frei verfügbar, erfährt, dass der 16 Jahre alte Jungstudent mutmasslich von seinem Kompositionsprofessor sexuell bedrängt worden sei: „Zunächst vertraute sich der Jungstudent seinem Lehrer am Internatsgymnasium an. Er erzählte ihm auch, dass der Professor ihn aufgefordert habe, „das wilde Tier“ in sich herauszulassen. Der Gymnasiallehrer unternahm nichts, erst Ettenhofers Klavierlehrerin sah Handlungsbedarf. Sie kann sich noch heute an alles erinnern. Sie rief den Professor an und verwickelte ihn in ein Gespräch, das sie mit einem alten Anrufbeantworter mitschnitt. Ausgestattet mit diesem Material, beschwerte sie sich bei der Musikhochschule.“ Der Kompositionsprofessor habe seine Position als Lehrender ausgenutzt und den 16 Jahre alte Studenten bedrängt, sich zu seiner ihm vom Professor zugeschriebenen Homosexualität zu bekennen.
Weiter im Spiegel: „In der Hochschule löste der Mitschnitt Unruhe aus.“ Der Kanzler habe das Wissenschaftsministerium informiert, ein Regierungsdirektor wurde eingeschaltet, auch der Minister. Erst jetzt erfuhren die Eltern von den Vorgängen, der Vater des Jungstudenten wollte Anzeige bei der Polizei erstatten, nach damaliger Rechtslage sei aber nichts handfestes passiert.
Damals galt allerdings auch schon das BGB und seine Regeln zur Unterschriftsfähigkeit von Minderjährigen: ohne Rechtsbeistand und Eltern wurde der Student förmlich in einer zwei stündigen Sitzung und später im Ministerium bei einer Anhörung ein Protokoll zu unterschreiben, mit dem er die Vorwürfe gegen seinen Kompositionsprofessor ausräumte. Der Spiegel: „Er wollte unbedingt Komposition studieren und war dankbar, dass die Hochschule ihm wenig später gestattete, den Lehrer zu wechseln. Im Gegenzug unterschrieb er ein Protokoll, das nach seiner heutigen Einschätzung mehr als beschwichtigend war.“ Wie gesagt, ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten war die geleistete Unterschrift unter das Protokoll eigentlich wertlos, illegal.
Es stellt sich hier die Frage, ob damals seitens der Musikhochschule München und des Ministeriums Beteiligte noch ihre Aufgaben und Ämter ausüben. Was sagen die dazu bzw. wäre es nicht besser, sie würden alsbald woanders eingesetzt? Die Sache zieht noch größere Kreise. Am 13.6.18 wird sich der Wissenschaftsaussschuss des Bayerischen Landtags mit diesen Vorgängen und heutigen Verhältnissen an der Musikhochschule München befassen. Es scheint sogar besonders schlimm zu sein, siehe der Kommentar von Juan Martin Koch in der Juni-Ausgabe der nmz (6/2018): „Einiges spricht dafür, dass Teile der Seilschaften des Ex-Präsidenten weiterhin wirksam sind und es ist fraglich, inwieweit die parlamentarischen Anfragen und Anträge, die zu den Vorfällen mittlerweile im Bayerischen Landtag vorliegen, für Aufklärung sorgen werden.“
Oh ha! So lautet ein Antrag 17/22095 (Vorsicht, automatischer Download, dort S.36) der SPD-Fraktion für die Sitzung am 13.6.18: „Die Staatsregierung wird aufgefordert, dem Ausschuss für Wissenschaft und Kunst unverzüglich einen umfassenden Bericht über die vorliegenden Vorwürfe und die Hintergründe der aktuellen Presseberichterstattung über sexuelle Übergriffe an der Hochschule für Musik und Theater München vorzulegen.“ In der Begründung heißt es, die derzeitige Hochschulleitung schwer belastend: „Über diese bereits bekannten Vorwürfe hinaus ist jetzt eine interne an der Hochschule durchgeführte Umfrage, an der 800 Hochschulangehörige teilgenommen haben, veröffentlicht worden, die das dramatische Ausmaß der Vorkommnisse aufzeigt.“
Der o.g. Spiegelartikel führt dazu genauer als der SPD-Antrag aus: „115 haben während ihrer Zeit an der Münchner Musikhochschule „anzügliche Bemerkungen“ gehört, 56 „anzügliche Gesten“ wahrgenommen, 34 meldeten, „angegrapscht oder absichtlich berührt“ worden zu sein. 9 Befragte berichteten, ihnen seien Genitalien gezeigt worden. 8 sagten aus, zu sexuellen Handlungen gezwungen worden zu sein. 7 wurden demnach von ihrem Gegenüber Nachteile angedroht, weil sie einen Annäherungsversuch abgelehnt hatten. Auch eine Vergewaltigung wurde gemeldet.“
Nur zum Verständnis: 14% (115 von 800 Studierenden) der im Herbst 2016 an der Umfrage teilnehmenden Studierenden hörten sexuell anzügliches Wording. 4% (34 von 800) wurden trotz der allmählich anlaufenden Prozesse und der damit bekannten Risiken für die Täter angerapscht. 1% (7 von 800) gab an, Nachteile für ihr Studium angedroht bekommen zu haben. Und 0,1% (1 von 800) wurde vergewaltigt.
Wenn man das ernst nimmt, scheinen immer noch Verhältnisse wie in den 90er an der Musikhochschule zu herrschen, wie in „Sodom und Gomorrha“, wie sich laut der damals laufenden Berichterstattung der nun zu knapp 3 Jahren verurteilte Ex-Rektor (aktuell ist das Verfahren revisionsanhängig) mutmasslich schutzbehauptend zu den Zuständen an seinem Hause äußerte.
Bis heute sind die Ergebnisse der Umfrage nicht veröffentlicht worden, allein noch mehr Evaluierung des evaluierten Verfahrens zur hochschulinternen Behandlung von sexuellen Straftaten soll weiter erfolgen, wie sie die Hochschulleitung auf den Spiegel-Artikel äußerte, s. nmz vom 14.5.18: „Daher werden wir die entsprechenden Strukturen und Prozesse der HMTM von einem unabhängigen Dritten auditieren lassen und gebotene Veränderungen konsequent umsetzen.“ Das ist ja löblich.
Aber wenn man mitbekommt, wie es Beschäftigte der Musikhochschule belastet, dass die Umfrage bisher nicht – außer grob im Spiegel – veröffentlicht wurde, wie sie angeblich nicht darüber öffentlich reden sollen, stehen potentiell 400 Professoren, Dozenten und Lehrbeauftragte insgesamt unter Generalverdacht, einer der mutmasslichen Täter der in der Umfrage angegebenen Straftaten zu sein. Selbst die Studierendenvertretung scheint sich gar nicht mehr zu trauen, da proaktiv nachzufragen.
Wen wundert dies? Wer 2016/17 seinen Abschluss machte, ist nicht mehr aktiv studierend, wer 2017/18 mit dem Studium durch ist ebenfalls, damit ist potentiell die Hälfte der negativen Beantworter der Umfrage weg vom Haus, sozusagen aus den Augen, aus dem Sinn. Blickt man in die „Schwäbische“, scheint man sich an der Hochschule sicher zu sein, dass im Falle der bisher angeklagten und verhandelten Fälle alles lange her ist und neues nicht erkennbar sei und es wird ein direkter Konnex zur heute noch unveröffentlichten und Teile des Lehrkörpers schwer belastenden Umfrage hergestellt: „Beide Fälle bezögen sich auf einzelne Personen und lägen viele Jahre zurück; weitere Vorfälle seien nicht erkennbar. Die Hochschule habe jedoch ein ganzes Bündel von Maßnahmen ergriffen, um eine Wiederholung auszuschließen. Schon vor Jahren sei ein Flyer herausgegeben worden, der zum Thema sexuelle Übergriffe und Diskriminierung aufkläre. 2015 habe eine vom Senat eingesetzte Arbeitsgruppe eine Richtlinie gegen Machtmissbrauch, Diskriminierung, sexuelle Belästigung und Gewalt erstellt. Geplant sei eine umfassende Befragung aller Hochschulmitglieder, von den Studenten über die Lehrenden bis hin zu den Verwaltungsmitarbeitern.“
In der nmz 7/2016 wird zwar das Problem mit den beschuldigten Professoren eingeräumt, zugleich aber auf Studierende ein Umkehrschluss angewendet: „Es geht nicht nur um den Fall, dass Studierende Opfer von Übergriffen werden – Übergriffe können auch von diesen begangen werden.“ Das mag vorkommen. Doch die Hauptlast liegt bei Mitgliedern der Lehrerschaft!
Zudem hat man den Eindruck, dass durch die internen Massnahmen belästigte, vergewaltigte Studierende immer mehr von Einschaltung der Polizei abgehalten werden, wie man beispielhaft am Falle des Jungstudenten sehen konnte. Ehemalige Studierende wie das „Harfenduo“ interpretieren das so, in einer als das Haus Kennende sehr emotionalen Analyse des aktuellen Flyer zu Verhalten bei sexuellen Übergriffen: „In dem Flyer ist auch der offizielle Weg aufgezeichnet, den man bei einem Vorfall gehen kann – leider führt dieser letzten Endes immer über die Hochschulleitung. Das ist schon etwas zynisch in Anbetracht der Tatsache, dass der ehemalige Leiter der Hochschule grade wegen sexueller Nötigung verurteilt wurde. Aber auch, wenn die Hochschulleitung nicht direkt an Vorfällen beteiligt ist – es dürfte für betroffene Studenten bei dem engen Geflecht von Freundschaft und Kollegialität an Hochschulen schwer nachvollziehbar sein, wie ein solcher Weg neutral und fair ablaufen soll.“
Hier wird nicht nochmals der Kommentar von Juan Martin Koch zitiert. Aber es sei an den Badblog-Artikel „Offene und unsichtbare Netzwerke – Mauser und das Stars and Rising Stars-Festival in München sowie weitere Gremien“ erinnert, wo ein Zusammenhang zwischen Ex-Rektor und aktuellen Rektor angedeutet in Hinblick auf „Stars and Rising Stars-Festival“, dessen erster Vorsitzender der aktuelle Rektor ist, wo ehemalige Regierungsmitglieder im Kuratorium sitzen, die zum Teil Mitte der 90er, dem Zeitraum der Anfrage von Claudia Stamm, amtierten, wo der Ex-Rektor laut eines Kommentars seiner Frau zu diesem Artikel im Hintergrund jenes Festival mitkuratierte, gemeinsame Auftritte des Ex-Rektors und aktuellen Rektors bzw. deren schwierige Trennung beim recht familiären „Kissinger Sommer“ geplant waren.
So stellt sich die Frage, ob die aktuelle Hochschulleitung überhaupt personell geeignet ist, einen wirklichen Neuanfang zu wagen: angekündigte Massnahmen erfolgen in Formen von Richtlinien. Ok. Eine Umfrage fand statt, wo die Hälfte der Betroffenen bald aus der Musikhochschule weg sein wird. Alumni wurden erst gar nicht in Betracht gezogen, nein, die vergangenen Fälle werden als wenige und längst vergangen deklariert, ja, im übertragenen Sinne masst man sich an, sie damit mutmasslich indirekt als verjährt einzuschätzen. Die Netzwerke vom alten, verurteilten zum neuen Rektor erscheinen evident.
Bis heute ist man nicht einmal bereit institutionell Verantwortung und Entschuldigung für die widerfahrene Unbill selbst Mitte der 90er zu üben, weder direkt Betroffenen wie dem Jungstudenten oder indirekt Betroffenen wie mir, der in der gleichen Klasse des Kompositionsprofessor in der letzten Stunde des Jungstudenten dabei war. Jener Professor gab damals wie im Spiegel bekannt, dass jene interne Ermittlung gegen ihn lief, wir anderen Studierenden vielleicht dazu befragt werden könnten, was bis heute unterblieb, da man wohl eher an Verschleiern und Verschleppen als rückhaltloser Aufklärung interessiert war. Es heute noch ist?
Da die Zyklen an der Hochschule aus Sicht der Studierenden so kurz sind im Gegensatz zu Verweildauern des Lehrkörpers und der Verwaltung am Hause, ist bei längerem Zögern das „Momentum“, wie ein Studierender so schön sagte, bald weg. Das war Mitte der 90er so, das droht heute vor lauter Vorsicht und Zögern sich eins zu eins zu wiederholen.
Im Herbst wird nicht nur der Landtag in Bayern neu gewählt, sondern auch die Hochschulleitung. Da Teile dieser auch in den 90ern Studierende der Musikhochschule waren, dem beschuldigten Kompositionsprofessor und seinem Umfeld sehr nahe kamen, was bei den engen Verhältnissen, dem Daheimunterricht, etc., kein Wunder war, wäre es ernsthaft zu erwägen, endlich leitende Personen in Leitung und Verwaltung der Münchner Musikhochschule zu installieren, die von jenen Bekanntschaften und Netzwerken weitestgehend unbelastet sind. Und die Umfrage sollte endlich seitens der Hochschule offengelegt werden, um durch die im Spiegel bekanntgewordenen Ergebnisse den Lehrkörper nachhaltig zu entlasten. Ja, unter Einbezug von Alumni sollte die Umfrage wiederholt werden.
Disclaimer: Diesen Text habe ich als unabhängiger Autor von nmz/Bad Blog of Musick verfasst. Seit dem Twitter von Claudia Stamm hat mich das Thema schwer beschäftigt, weil man das Haus und seine Personen kennt, weil man sieht, wie sie sehenden Auges den Ruf der Musikhochschule nicht zum Guten wenden können. Daher die Ermutigung: Erneuert Euch!
Komponist*in