Die 11 längsten Musiken aller Zeiten

George Crumb: Makrokosmos I, Der magische Kreis der Unendlichkeit (Löwe)

Meine persönliche Top 11 der längsten Musiken aller Zeiten. Aus ganz bestimmten guten Gründen sind es elf – und nicht zehn Musiken. (Und zwar, weil ich nicht mit schlechter Max-Richter-, sondern mit guter Morton-Feldman-Musik beginnen wollte). Auch habe ich eine 16-stündige Performance des Solistenensemble Kaleidoskop in Erinnerung. Diese war aber an Wagners „Ring“ angeknüpft und taucht hier nicht auf. Auch ist mir bewusst, dass es sicherlich hunderte weitere Musiken ähnlichen Ausmaßes gibt, die hier nicht versammelt sind. Ich bitte aber von Besserwissereien und Belehrungen abzusehen. Denn die lese ich gar nicht. Außerdem finde ich Perfektion (meistens) langweilig. (Im Übrigen habe ich nicht eigens recherchiert, sondern die Dinge hier so aufgelistet, wie ich sie in meiner Erinnerung aufgefunden habe. Ich will nicht immer googeln müssen, um sinnlose Listen erstellen zu dürfen!)

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Grundsätzlich sei gesagt, dass es natürlich lang anhaltende Musik gibt, von der wir ich nichts oder noch nichts wissen weiß beziehungsweise bei der die Frage ist, ob wirklich etwas Ästhetisches gemeint ist. (Wobei ich nicht zum ersten Mal anmerken möchte, dass die Autorenintention eine in der Musikwissenschaft – völlig naiv und unreflektiert – immer noch viel zu große Rolle spielt; als hätte Roland Barthes niemals gelebt). Eine andere Sache sind die „Werke“ (Sets), die von DJs in Clubs geschaffen werden – und die, je nach Schichtlänge, auch extrem lange und ohne jegliche Pause andauern können.

Nicht vergessen wollen wir auch beispielsweise aus Versehen (etwa vor dem eigenen Tod, nach dem man erst Wochen später von Maden angespeichelt in seiner Wohnung gefunden wird) oder absichtlich auf Dauer-Betrieb gestellte Endgeräte. Diese spielen jedoch, so müssen wir einschränken, mehrere Titel hintereinander ab (wie beispielsweise bei YouTube und Spotify). Kein „langes Ganzes“ also.

Wiederum anders funktionieren musikähnliche Geräusche, wie die von Energiequellen oder jedenfalls irgendwie summenden oder brummenden Maschinen oder anderweitigen technischen Objekten. Betrachtete man diese Geräusche als Musik und würde nach dem Alter des jeweiligen Geräts beziehungsweise des jeweiligen Reaktors oder Ähnlichem sowie nach reparatur- oder wartungsbedingten Pausen fragen, könnte man dort sicher auf viele Jahre „Musik“ stoßen. Ebenso könnte man die Geräusche eines nimmerstillen Urwaldes als „Sinfonie der Natur“ betrachten (jeweils immer nur zweisätzig: Tag und Nacht, vielleicht, um das Bild kompositionsgeschichtlich traditionell anzugleichen, mit der Dämmerung als – allerdings dann ungewöhnlich kurzes – Adagio und dem Morgengrauen als Scherzo; oder umgekehrt). All das ist nicht gemeint, sondern eher die typisch abendländische – und damit sicher angreifbare – Vorstellung eines „Werkes“. Aber halt auch nicht so ganz. Deshalb habe ich „Musiken“ drüber geschrieben. Haha.

Platz 11: Morton Feldman (1926-1987): Streichquartett Nr. 2 (1983)
Dauer: 5 1/2 Stunden
Einschränkung: Keine

Morton Feldmans 1983 komponiertes Streichquartett Nr. 2. Mit fünfeinhalb Stunden recht sicher das längste Streichquartett bisher. Feldman neigte – auch durch seine enge Verbundenheit zu John Cage – zu Extremen. Gleichzeitig gab er sich bewusst anti-institutionell – und wurde doch von den Institutionsvertretern, die Feldmans Werke nicht selten cool und mit Getränke- sowie Chill-Angebot als „immersives Zeiterlebnis“ (der neue Begriff für das veraltete „Event“) zu verkaufen sich anschicken, vereinnahmt. Interessant, dass Feldman unter bildenden Künstlern so bekannt ist wie kaum ein anderer Komponist des 20. Jahrhunderts. Die Zeitdimensionen Feldmans schlagen allein schon eine Brücke zur „stehenden“ bildenden Kunst (sofern nicht eh Installation, sondern eher Skulptur oder anderweitiges Raumobjekt). Denn hier steht die Zeit wie still. Schön.

Platz 10: Max Richter (* 1966): Sleep (2015)
Dauer: 8 Stunden
Einschränkung: Schlechte, dumme Musik (wie immer bei Max Richter).

Weniger schön. Sondern nur unerträglich: Max Richter hat 2015 einen achtstündigen Dreck Track herausgebracht, der tatsächlich für den Schlaf, für das Einschlafen gedacht ist. Tatsächlich schlafen de facto viele Zuhörer zum Beispiel bei einer Bruckner-Sinfonie ein. Bruckner-Sinfonie sind alle sehr lang – und manche Zuhörer empfinden diese Musik als gleichförmig. Bruckner und Richter zu vergleichen ist allerdings ein Unding.

Das Werk wurde bei der MaerzMusik 2015 uraufgeführt. Und zwar im Kraftwerk Berlin auf Ebene 8. Dort wurden den Besuchern Schlafplätze angeboten. Schlafsäcke mussten selber mitgebracht werden. Etwas erschreckend die Angabe, die noch im Internet zu finden ist: „Das Mitbringen von Getränken und Speisen ist nicht gestattet.“ (Vermutlich konnte man dort aber Essen und Trinken erwerben.)

Max Richters „Musik“ ist noch nicht einmal Minimal Music. Max Richter ist das reine Nichts. Musik für Dumme. Glatt und langweilig, ohne Widerstand – bei Harmonik auf unterstem Anfängerniveau. Und nein, ich bin nicht neidisch. Ich bin sehr glücklich. Aber ich möchte mich mit und an Musik aufregen, mich immer weiterbewegen – und wenn ich zur Ruhe komme, dann in Stille. Bämm, nimm das, Max-Richter-gut-Finder! In your Gesicht!

Platz 9: Richard Wagner (1813-1883): Der Ring d. Nibelungen (1848-76)
Dauer: 16 Stunden
Einschränkung: Werk besteht eigentlich aus mehreren Teilen und ist eher nicht für eine Aufführung hintereinander gedacht.

Richard Wagner hatte es mit der Zeit, beispielsweise mit der Art und Weise, harmonische Schlusswendungen tunlichst zu vermeiden („unendliche Melodie“). Parsifals „Zum Raum wird hier die Zeit“ nicht zu vergessen… Konsequent vong daher, eine Tetralogie mit gerade einmal zweieinhalbstündigem „Rheingold“-Vorabend zu komponieren, die ich – verzeiht mir – in Gänze: liebe.

Natürlich hört sich kaum jemand alle vier Teile ohne Unterbrechung hintereinander an. Aber möglich wäre es. Und möglicherweise wäre es sogar gut.

Platz 8: Erik Satie (1866-1925): Vexations (ca. 1893)
Dauer: 19 Stunden
Einschränkung. Nicht klar, ob die Angabe des Komponisten (840 Mal spielen) ernst gemeint war.

„Vexations“ (französisch für „Quälereien“) ist ein Klavierstück von Erik Satie, das vermutlich 1893 komponiert wurde. Es handelt sich im Grunde nur um ein paar spröde Klänge auf dem Klavier, die aber – laut der Anweisung in den Noten – 840 Mal wiederholt werden sollen. Und zwar, wie es weiter heißt, „wird es gut sein (angesichts der sehr vielen Wiederholungen), sich darauf vorzubereiten, und zwar in größter Stille, mit ernster Regungslosigkeit.“

Erst 1949 wurde das Stück gedruckt, lange nach dem Tod Saties. Bald interessierte sich John Cage für das Stück. Die Uraufführung fand am 9. September 1963 mit mehreren Pianisten in New York statt, zu denen auch Cage selbst zählte. Damals dauerte das Stück 18 Stunden und 40 Minuten. Man begann um 18 Uhr und war am nächsten Tag um 12.40 Uhr fertig. Weitere Aufführungen folgten – bis hin in unsere Zeit. Die Aufführungsdauer kann aber sehr variieren, angeblich von 12 bis 28 Stunden.

Ganz nett, aber es ist leider nicht bekannt, ob Satie wirklich an ein so langes Werk dachte. Sicher, er hätte seinen Spaß gehabt, sofern genug Drinks vorhanden.

Platz 7: Pharrell Williams (* 2013): Happy (24-h-Videoversion) (2013)
Dauer: 24 Stunden
Einschränkung: Repetitiv. Song wird in dem 24-Stunden-Video einfach nur wiederholt.

2013 brachte Pharrelll Williams seinen größten Hits und die seit 1975 meistverkaufte Single in Deutschland heraus: „Happy“. Dazu wurde ein 24-stündiges Video erstellt, das Pharrell Williams und andere – darunter auch Prominente wie Jamie Foxx oder Steve Carell – durch die Stadt tanzend zeigt. Der vierminütige Song wird dabei schlicht wiederholt, aber die Videospur ist tatsächlich jeweils anders. Und je nachdem, wann man das Video anschaltet, fängt es zeitlich dort gerade an, wo man sich auf der Uhr befindet.

Eine feine Idee, wenn auch das Lied jeweils nur repetiert wird und man somit nicht richtig von einem durchgehenden „Werk“ sprechen kann.

Platz 6: Karlheinz Stockhausen (1928-2007): LICHT (1977-2003)
Dauer: 29 Stunden
Einschränkung: Werk (bezüglich der Gesamtdauer gibt es wie bei einigen anderen Beispielen hier auch unterschiedliche Angaben) besteht aus mehreren Teilen und ist eher nicht für eine Aufführung hintereinander gedacht.

„Licht. Die sieben Tage der Woche“ ist ein siebenteiliger Opern-Zyklus von Karlheinz Stockhausen. Zwischen 1977 und 2003 komponiert (ich weiß noch als es hieß, „Stockhausen ist mit seiner Oper fertig.“). Jeder Tag der Woche ist also eine eigene Oper.

Stockhausen wollte noch die Stunden des Tages musikalisieren sowie die Minuten der Stunde und die Sekunden der Minute. Das hat er aufgrund seines Todes 2007, der ihn auf den Sirius zurückholte, wo er einst ausgebildet worden war, jedoch nicht mehr geschafft.

Platz 5: Terre Thaemlitz (* 1968): Canto V: Meditation On Wage Labor And The Death Of The Album (2008)
Dauer: 30 Stunden
Einschränkung: Keine wirkliche. Allerdings „nur“ Performance.

Terre Thaemlitz war dieses Jahr nicht zum ersten Mal beim MaerzMusik-Festival zu Gast – und an gleich mehreren Konzerten beteiligt. Vom 17. auf den 18. März kam es dieses Jahr zu der 30-stündigen Uraufführung von „Canto V: Meditation über Lohnarbeit und den Tod des Albums“ unter der Mithilfe von einer ganzen Reihe von Pianisten.

Ich war nicht da. Aber 30 Stunden sind natürlich ein Pfund. Wobei ich die Umsetzung von Gender-, Sex-, Rassismus- und anderen Diskussionen auf Musik fast immer problematisch finde (da entweder reine Behauptung, denn die Musik klingt wie immer – oder mir zu naiv).

Platz 4: John Cage (1912-1992): ORGAN2/ASLSP (1987)
Dauer: 639 Jahre
Einschränkung: Aufführungsdauer ist eine (feine) Halberstädter Marketing-Idee.

John Cage ist durch sein Werk „4’33“ ohnehin der wohl bekannteste Musik-Zeit-Künstler of all times. Über „4’33“ wurde schon eine Menge geschrieben – und viel zu viele Künstler haben das Werk als Spaß verstanden.

Vor ein paar Monaten schrieb ich für die Bochumer Symphoniker einen Text über dieses Werk, der hier einfach mal so nebenbei die Diskussion um dieses Stück zu einem Ende (und zu wirklich authentischen Aufführungen voller Innerlichkeit!) bringen möge.

Es ist vielleicht das legendärste avantgardistische Musikstück aller Zeiten: 4′33″ von John Cage. Das Stück, über das jeder klassisch ausgebildete Musiker mindestens einmal in seinem Leben bereits einen Witz gemacht oder zumindest gehört hat. Unzählige Musikstudenten haben schon darüber nachgedacht, ob die Wahl dieses berühmtesten Werkes von Cage als „zeitgenössisches Werk“ beispielsweise bei einer Abschlussprüfung, innerhalb derer eine Komposition aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Pflicht sein kann, zulässig sein könnte.
Denn der Interpret – die Besetzung ist frei wählbar – spielt während der Dauer von vier Minuten und 33 Sekunden (das Werk wird meist mit einer Stoppuhr aufgeführt) keinen einzigen Ton. Für die drei Sätze – die Form dieses 1952 notierten Stückes ist also im Grunde sehr traditionell und keineswegs avantgardistisch – hat der Komponist „Tacet“ vorgeschrieben. Die Anweisung „Tacet“ (lateinisch für: er/sie/es schweigt) erscheint sonst meist in den Noten von Orchestermusikern, die beispielsweise während eines einzelnen Sinfoniesatzes nichts zu spielen haben (die Harfe ist dabei ein relativ beliebtes Tacet-Opfer).
Zu der Komposition des Stückes wurde Cage durch den Besuch eines schalltoten Raumes angeregt, dessen Nicht-Widerhall von eigenen und fremden Geräuschen ihn nachhaltig beeindruckte. Bei der Uraufführung durch den Pianisten David Tudor im Spätsommer 1952 in New York kam es zu dem erwarteten Skandal, dessen Restwind noch heute dann und wann zu spüren ist, wenn das Werk vor einem Publikum aufgeführt wird, das von diesem Stück Stille noch nichts wusste.

Über das Werk von Cage lässt sich trefflich philosophieren. Doch durch ohnehin nur rhetorisch gemeinte Fragen wie „Ist das noch Musik?“ – ein enger Verwandter des eigentlich unwitzigen und ultrakonservativen „Ist das Kunst – oder kann das weg?“ – wird die Diskussion oft verdeckt; ja, die Rezeption von Cages bekanntestem Werk scheint in den letzten Jahren im reinen Slapstick angekommen zu sein. Denn die eigentlich interessanten Fragen sind doch: Warum provoziert dieses Stück noch heute? Haben wir in der durchdigitalisierten 24/7-Erreichbarkeitsgesellschaft das gemeinsame Genießen von Stille verlernt? Wird uns als Musikliebhaber im Konzertsaal klar, wie laut – und wirklich störend, ja, in der Tat kein bisschen komisch – Husten während eines zerbrechlichen Stücks Musik wirken kann? Ist die scheinbare Unmöglichkeit wirklich gemeinsamen Schweigens im Konzertsaal denn tatsächlich ein gesellschaftliches Phänomen? Oder hängt diese Unmöglichkeit mit der Situation zusammen, in der wir uns mit anderen, nämlich fremden Konzertbesuchern befinden, so dass wir uns auf die fast erotische Intimität des Nicht-Erklingens jeglicher Geräusche nicht einzulassen imstande sind? Schließlich sagt man doch, dass menschliche Beziehungen dann besonders glücksverheißend seien, wenn beide Partner auch mal gemeinsam schweigen können. Aber warum nutzen wir nicht einfach diese oft verlachte – in Wirklichkeit ernste, ja: existenzialistische – Komposition von Cage, um eine ganz besondere Erfahrung zu machen?

Jetzt aber zu dem Stück meiner Top 11: 1987 komponierte eben jener John Cage ein Orgelstück mit dem Titel „ORGAN²/ASLSP“ (wobei das „ASLSP“ für „As slow as possible“ steht).

Ein achtseitiges Stück für Orgel soll laut Cage „so langsam wie möglich“ gespielt werden. Also Interpretationssache.

Ein paar Orgelexperten hatten in Halberstadt bei einem Symposium Ende der 90er Jahre die Idee, dieses Stück aufzuführen – und die Überschrift sehr ernst zu nehmen. Die Orgel im Halberstädter Dom wurde im Jahre 2000 639 Jahre alt, eine der ältesten erhaltenen Orgeln der Welt. Und man dachte sich: nehmen wir das Jahr 2000, beziehungsweise: es wurde dann das Jahr 2001 – und rechnen die ursprünglich von Cage erdachte Spieldauer (nämlich knapp 30 Minuten) auf 639 Jahre hoch.

2001 begann man also. Man baute dafür aber einen extra Orgel-Apparat in die Sankt-Burchardi-Kirche Halberstadt hinein. (Die Orgel im Halberstädter Dom wird ja noch normal bespielt.) Das Stück beginnt mit einer Pause – und so erklang von 2001 bis 2003 erst einmal kein Ton. Jeder Tonwechsel ist inzwischen ein richtiges Ereignis, zu dem viele Zuhörer nach Halberstadt fahren. Sei es den Halberstädtern gegönnt.

Der aktuelle Klang ist dis’, ais’ und e’’ und erklingt seit dem 5. Oktober 2013. Der nächste neue Klang (nämlich gis, e’) kommt dann am 5. September 2020.

George Crumb (* 1929): Makrokosmos I. Nr. 8: The Magic Circle of Infinity (1972)

Platz 3: George Crumb (* 1929): Makrokosmos I. Nr. 8: The Magic Circle of Infinity (1972)
Dauer: Theoretisch von 1972 bis zum Ende der Welt/des Schalls
Einschränkung: Theoretische Länge, vom Komponisten nicht explizit erwünscht.

1972 schreibt George Crumb die beiden Klavierzyklen „Makrokosmos I und II“. Manche der Partituren sind nicht horizontal, sondern beispielsweise rund angeordnet, darunter auch „Der magische Kreis der Unendlichkeit (Löwe)“, der laut Partituranweisung mit dem horizontalen Teil in der Mitte des Kreises (siehe Bild) beginnt, worauf schließlich zweieinhalb Umdrehungen folgen sollen.

Nähmen wir „Unendlichkeit“ ernst, so könnte das Werk seit seiner Herausgabe Anfang der 1970er Jahre ununterbrochen erklingen; und noch (hoffentlich?) viele weitere Jahre. Jedenfalls wohl mehr als 639 (sagt ein Freund, der astronomisch ausgebildet ist).

La Monte Young (* 1935): Composition 1960#7 („To be held for a long time“)

Platz 2: La Monte Young (* 1935): Composition 1960#7 („To be held for a long time“)
Dauer: Theoretisch von 1960 bis zum Ende der Welt/des Schalls
Einschränkung: Musikalisch etwas unterkomplex (oder auch nicht). „Lange Zeit“ ist dabei Auslegungssache. Eher doch nicht „unendlich“ gemeint.

1960 entstand die Komposition „Composition 1960#7“ von La Monte Young mit dem Untertitel „To be held for a long time“, der freilich nach einer ganzen Reihe von Interpretationsmöglichkeiten kreischt. Die Besetzungsoffenheit sowie die apodiktisch-humorvolle Kürze dieser Fluxus-Komposition haben zu einer Reihe von Events in aller Welt geführt, bei der diese schöne Quinte erklang und erklingt.

Ich hatte mir vorgenommen, keinen einzigen YouTube-Link in diesem Artikel zu verwenden (denn wir wissen nicht, wie lange es YouTube noch gibt; mein Artikel ist aber für die Ewigkeit geschrieben; vorerst!), aber wer schauen will: Es gibt eine sehr ironische Wiedergabe des Stückes für Klavier solo. Ausdauernder wäre eine denkbare Aufführung seit Herausgabe des Werkes in den 1960er Jahren, beispielsweise durch – selbstverständlich menschenfreundlich bezahlte und nur in bestimmten Zeiträumen abwechselnd eingesetzte – Streicher. Diese Aufführung könnte theoretisch seitdem ununterbrochen stattfinden – und (siehe Platz 3) noch viele Jahrhunderte weitergehen.

Pythagoras von Samos (ca. 570-510 v. Chr.)


Platz 1: Die Sphärenharmonie
Dauer: seit 4,57 Milliarden Jahren
Einschränkung: Keine wirkliche Komposition. Beruht auf einer falschen Annahme, denn ohne Luft kann es zwischen den Planeten keinen Schall und demnach keine für Menschen hörbare Klänge geben.

Pythagoras von Samos und seine Homies hatten die Vorstellung, dass die Himmelskörper von durchsichtigen Kugeln getragen werden. Bei den Bewegungen dieser Himmelskörper entstünden Töne. Diese Töne seien mal höher, mal tiefer – je nach Abstand und Geschwindigkeit ihrer jeweiligen Bewegung. Diese Idee, dass die Himmelskörper in einer Art dauernder Sphärenharmonie verharren hielt sich eine lange Zeit.

1619 kam Johannes Kepler mit seiner „Weltharmonik“ („Harmonice mundi“) auf diese altgriechische Scheiße zurück. Und tatsächlich gibt es ernstzunehmende Forscher, die in jüngster Zeit meinten, Kepler hätte bei seiner Darstellung der sphärenharmonischen Idee höchst erstaunliche mathematische „Treffer“ gelandet, was die Korrespondenz von musikalischen Intervallen und kosmischen Winkeln angeht. (Der Link zu einem entsprechenden Artikel ist mir verloren gegangen. Vielleicht ergänze ich das einiges Tages hier. Aber ich wollte ja eigentlich keine Links verwenden. Dann würde ich den Artikel per Post verschicken. An Interessierte, für die es okay ist, dass unschuldige Bäume sterben.)

Nehmen wir also an, Sphärenharmonien existieren, so können wir sie zwar nicht hören (da es im Weltall fast keinen Schall gibt), doch gleichsam konstatieren: Das ist wohl die längste Musik aller Zeiten. Und auch (seien wir realistisch) schwer zu toppen,

Denn unser Sonnensystem ist geschätzte 4,57 Milliarden Jahre alt. Und gehen wir davon aus, dass die Sphärenharmonie erst einmal nicht so schnell endet (wegen öffentlich-rechtlicher Sparmaßnahmen, Donald Trump oder so), so geht es ja wohl auch noch ein bischen länger…

Wäre doch eigentlich ganz fein.

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.