Edward II. auf der Bühne, Homophobie in der Kritik

Führt das deutsche Musikfeuilleton „rosa Listen“? Neulich las man statt einer Kritik oder eines echten Verrisses eine Statistik der sexuellen Orientierung des Premierenteams: „Der Komponist der Oper: schwul. Der Librettist: schwul. Der Regisseur: schwul. Der Dirigent: wissen wir nicht. Der Intendant: schwul. Der Chefdramaturg: auch.“ Aus dem Kontext gelöst sieht das wie eine § 175 StGB Liste aus den 30er oder 50er oder 70er, gar eine HIV-Liste den 80er Jahren aus. Urheberin ist die „Zeit“-Kritikerin Christine Lemke-Mattwey.

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Ihr hat die Uraufführung von „Edward II“ nicht gefallen. Klar, die zur Verfügung stehende Textlänge reichte für Differenziertes nicht aus. Stattdessen werden Vorteile einer schwulen Kreuzfahrt in Kontrast zu der für Lemke-Mattwey gescheiterten Produktion gesetzt. Mag sie ihre „rosa Liste“ auch im Folgesatz relativieren, dass die Erwähnung der sexuellen Orientierung der Teammitglieder unnötig sei, so tut sie es eben doch, um zu beweisen, dass dieses mehrheitlich schwule Team versagt habe, einen schwulen Stoff zu bändigen.

Das macht es auch nicht besser. Im Gegenteil: sie outet Personen, von denen man vielleicht weiß und ahnt, wie sie orientiert sind. Es aber auch nicht fett im Lebenslauf steht. Statt in der Kürze handwerklich einigermassen mit ihrem Zorn zurecht zu kommen, werden die Künstler auf eine einzige Facette ihrer Existenz reduziert und darin zu Versagern abgestempelt. Vor 10, 20, 30 Jahren, je nach Land, Metier und Schicht, genügte dies, um damit Karrieren komplett zu ruinieren, genügt dies an vielen Orten heute noch .

Eigentlich galt dies wie dieses Reduzieren als Vergangenheit. Doch die gute, alte Tante Zeit zeigt eine hässliche Seite, um zu sagen, dass Schwule am Schwulen versagen. Dass diese Personen in erster Linie Künstler sind, unterschiedliche Herkünfte, Ausbildungen und Interessen haben, eben entfaltete Persönlichkeiten, Menschen sind, verblasst. Verfolgt man andere Kritiken zur Premiere, wird zwischen Musik, Text, musikalischer, bildnerischer und szenischer Interpretation differenziert, mal das eine, mal das andere besser bewertet. Die Zeit ist hier im Ergebnis nur eines: homophob.

Ganz allein ist sie damit nicht. Die FAZ Autorin Christiane Tewinkel bedauert das Fehlen von Frauen im Produktionsteam. Ja, es wäre schön, endlich auch eine Vertonung eines lesbischen Stoffes zu erleben, wie z.B. „Aimée und Jaguar“ als Oper. Muss aber deswegen das Team gegendert sein? Ja, die Inszenierung bediente wohl in Kostümen und Interaktionen der Protagonisten in sehr vielen Momenten die Vorstellungswelt Tewinkels derart, dass sie sagen muss, „aus jeder Seite ragt, nun ja, ein Zeigefinger: Liebe zwischen Männern ist schön, aber auch sehr ungehemmt!“

Soll aber für besseres Gelingen Produktionspersonal streng nach normsexuell, lesbisch, schwul, bi und * besetzt werden? Latent schwingt auch hier der Vorwurf mit, das schwule Team ist am Schwulen gescheitert, vor allem künstlerisch, aber eben auch wegen der Monosexualität der Gruppe.

Auch in der an sich gut differenzierenden rbb-Frühkritik schimmert durch, dass ein zu grossen Teilen schwules Publikum den schwulen Stoff des schwulen Teams feierte. Immerhin durchbricht die Kritik im weiteren Verlauf diese Monokausalität. Wenn solch ein Stoff wie „Edward II.“ zur Oper wird, wo es um einen englischen König geht, der seine Frau und Familie zugunsten des Geliebten Gaveston zurückstellt, diesen mit Geld und Ämtern überhäuft, Gaveston brutal seine Gegner verfolgt, aus der Dreiecksbeziehung ein Bürgerkrieg entsteht, der Geliebte ermordet wird, der König zur Marionette der triumphierenden Königin, der Hofstaat veritable Proto-Homophobie pflegt und zuletzt Edward II. bestialisch getötet wird, dann kann man damit rechnen, dass dies auch heute in der Umsetzung Widerspruch auslösen kann, der genauso auf die sexuelle Orientierung wie wohl auch die Produktion setzt.

Dennoch berechtigt dies keinen wie auch immer gearteten Rückfall in einen Schreibstil, den man ansonsten in der Adenauerzeit verorten würde und der mitunter mit seiner miesen Stimmungsmache auch Henze aus dem Lande trieb. Wenn es Euch, werte Kritiker, nicht gefiel, dann benennt dies. Dann aber das Künstlerische aufdröselnd und nicht die Schöpfer und Interpreten auf ihre Sexualität reduzierend, die sie im Zuge der Produktion vielleicht offener zeigten als zu anderen Gelegenheiten. Mir widerfur es auch einmal, dass jemand über meine Oper „Narrow Rooms“ in der Abendzeitung „Verirrtes Schaf im rosa Millieu“ titelte. Und hier? Es genügt, wenn der schwule König auch wegen seiner Sexualität auf der Bühne gemeuchelt wird. Die Autoren deswegen zu desavouieren wäre ein Grund mal eine Denkpause einzulegen als nach Auftrumpfen unter der Gürtellinie zu trachten.

Komponist*in

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