Opernhäuser – die schwarze Liste der ewig Gestrigen (Teil I)

Die Alte Oper. Oder sollte es die alte Oper heißen?

Die Alte Oper. Oder sollte es die alte Oper heißen?

Opernhäuser – die schwarze Liste der ewig Gestrigen (Teil I)

<Kein Kino würde sich trauen, hauptsächlich Stummfilme aus den 20er Jahren zu zeigen. Kein Museum mit Wechselausstellungen würde sich trauen, hauptsächlich Ölschinken aus dem 19. Jahrhundert auszustellen. Und kein Buchverlag würde sich trauen, hauptsächlich Publikationen in Sütterlin-Schriftbild zu veröffentlichen.

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Aber genau das, liebe Freunde der Musik, machen unsere Opernhäuser. Klar, da spielen die 19. Jahrhundert-Opern (die ungefähr 85% des Repertoires ausmachen) mal im KZ, mal auf dem Mars oder auch mal unter dem Rock von Ivana Trump, aber – da beisst die Maus keinen Faden ab- die Musik ist dieselbe. Und um die geht es doch letztlich, sonst müsste man keine Oper machen. Und tausende von Sängern werden allein daraufhin ausgebildet, allein in einem Vokalstil zu singen, der genau an diese 19. Jahrhundertopern angepasst ist (allerdings nicht an alles was davor oder danach kam).

Solange das so ist, ist unsere Opernlandschaft tot, verarmt und erbärmlich, egal wie die Qualität der Inszenierungen ist (und die ist sicherlich generell hoch hierzulande). Es kann doch nicht wahr sein, dass man bis in alle Ewigkeiten hauptsächlich 19. Jahrhundert spielt, das ist falsch, dumm und tut auch dem Repertoire des 19. Jahrhunderts nicht gut. Die Welt würde nicht untergehen, wenn man mal ein paar Jahre lang keinen Wagner oder Verdi spielen würde, danach wären die beiden wieder frisch und neu und man würde sich richtig freuen, deren Opern zu sehen. So wie es ist, ist es einfach immer nur same old, same old, bis zur Unerträglichkeit. Man kann manche Stücke schon gar nicht mehr neu interpretieren, so „durch“ sind die Stoffe. Es ist ein ewiges Wiederkäuen des immergleichen verbunden mit krampfhaften Versuchen, das Ganze in ein oft nicht passendes Korsett zu zwängen. Manche Stücke sollte man vielleicht einfach so machen, wie sie ursprünglich intendiert waren, das wäre dann schon fast das Radikalste.

Warum zur Hölle kann es nicht einfach so sein wie am Theater, wo der Anteil klassischer Stücke zu neuen Stücken ungefähr 50/50 ist (so wie es sich gehört), und so wie es sich ein sprach- und themensensibles Publikum auch wünscht? Man könnte es im Theater überhaupt nicht ertragen, ständig nur Menschen in der Sprache von Shakespeare oder Goethe reden zu hören, aber in der Oper liebt man diese Altsprachlichkeit anscheinend, wahrscheinlich, weil man den Text eh nicht versteht.

Ein beliebtes Argument verzagter Intendanten ist der ominöse „Publikumsgeschmack“ und auch das grandiose Missverständnis, dass neue Oper entweder fast nur aus Geräuschen und alternativer Klangerzeugung bestehen (so wie bei Lachenmann) oder aus hysterischen Weibern, die einen 2 Stunden lang im höchsten Register ankreischen (so wie bei Reimann), oder irgendwie eine Art „Labor“ sind, bei dem man rein gar nichts versteht und die Darsteller als Gurken und Früchte verkleidet sind (so wie vor Ewigkeiten Mal in einer Handy-Werbung).

Ich persönlich liebe sowohl Lachenmann als auch Reimann, und als Gurken verkleidete Sänger im Münchener-Biennale-Labor vor 3 Zuschauern gebe ich mir auch gerne, aber es ist einfach Blödsinn, wenn das heutige Opernrepertoire allein auf solche Stücke reduziert wird. Tatsächlich gibt es zahllose hervorragende Stücke, die zuallererst einmal Opern sind und nicht alleine Ästhetik oder intellektuellen Diskurs zum Thema haben.

Auch im Theater gibt es experimentelle und radikale Stücke aber eben auch Mal ein gut geschriebenes Konversationsstück mit heutigen Dialogen, Wortwitz und Unterhaltungswert. Oder ein Stück, dass einfach aktuelle und für unsere Gegenwart relevante Themen behandelt, ohne gleich jedes Mal das Theater an sich komplett neu erfinden zu müssen. Meiner Ansicht nach braucht ein gutes und ausgewogenes Repertoire beide Arten von Stücken, die experimentellen und die einfach nur zeitgenössischen, dann kann man von einem lebendigen Spielbetrieb sprechen, ansonsten nicht.

Der Spielbetrieb des heutigen Opernbetriebes ist also extrem besorgniserregend in seinem immer stärker werdenden Anachronismus. Jede Inszenierung muss entweder eine „radikale Neudeutung“ eines schon tausend Mal durchgekauten Stoffes sein, oder es geht bei der neuen Uraufführung von XY gleich um die Neuerfindung des gesamten Genres. Das resultiert in einem ewigen Verharren auf der Spur der Gestrigkeit, denn die (durchaus auch mal funktionierenden) Neuerfindungen des Genres, werden quasi nicht nachgespielt, sodass das Genre am Ende doch genau bei dem bleibt, was es ohnehin schon die ganze Zeit hauptsächlich anbietet: Wagner, Verdi und Mozart. Vielleicht auch mal Verdi und Mozart und Wagner. Oder Wagner, Verdi, und gleich nochmal Wagner, aber dafür halt kein Mozart. Usw. und sofort.

Ich habe mir mal die Spielpläne der aktuellen Saison daraufhin angeschaut, wie eigentlich das Verhältnis von neuen und alten Stücken ist. Und das Ergebnis ist niederschmetternd und  deprimierend. Mehr dazu an diesem Freitag!

Moritz Eggert

3 Antworten

  1. Dennis Kuhn sagt:

    Ja, das beginnt ja leider schon an den Musikhochschulen, dass Gesang, wie du es treffend beschreibst, ausschliesslich für die Musik des 19. Jahrhunderts gelehrt wird. Sozusagen zu einer Zucht von Heldentenören und Dramatischen Sopranen. Es ist auch immer mit Schwierigkeiten verbunden, in der Hochschule Programme jenseits des Mainstreams mit Gesang zu projektieren. Schade!

  2. Das Ausbildungsmanko betrifft leider nicht nur Sänger, sondern auch Instrumentalisten. Hier werden Orchesterfunktionierer auf höchstem Niveau sozusagen am Fließband gezüchtet. Wer hochbegabt ist und eine Solokarriere in Aussicht hat, hat möglicherweise das Glück, auch mal rechts und links neben den gängigen Solo-Konzerten und Sonaten etwas auszuprobieren (um dann leider oft genug doch später hauptsächlich de bekannten Renner zu spielen). Aber eine Vermittlung Neuer Musik oder gar ihrer Spieltechniken findet kaum statt. Natürlich gibt es Ausnahmen. Aber es ist mir durchaus als Komponist schon passiert, dass ein Musiker eines Spitzenorchesters, ausgebildet an einer der führenden Musikhochschulen, weder wusste, was Bartok-pizzicato ist (dessen Name ja schon irreführend ist, denn Biber hat es bereits im 17. Jahrhundert eingesetzt), noch, wie man col legno spielt. Wie auch, wenn es an den Hochschulen mehr um sportliche Hächstleistungen innerhalb einer gewissen Ästhetik als um wirklich umfassende Ausbildung als Instrumentalist und MUSIKER geht. Und die so ausgebildeten bilden dann wieder aus…

  3. Thomas sagt:

    Und auf der anderen Seite fallen Monteverdi, Händel und Lully raus-