Kai Wangler – Odem und Demut

Zuerst entschuldige ich mich für den reichlich hochtrabenden Titel dieses Textes. Wenn man einem Musiker wie Kai Wangler beim Spielen seines Akkordeons zuhört und zusieht, können einem solche Worte einfallen. Wobei die Frage berechtigt wäre, ob der Schreiber einer solchen Phrase nicht auf einen Showeffekt im Medium Blog aus ist. Das Gegenteil davon ist Wangler: im Medium Musik strahlt er großen Respekt und harte Auseinandersetzung mit der von ihm aufgeführten Musik aus. Lustvoll ist es, mehr oder minder drei Lungen am Werk zu sehen, wenn der Luftsog sein Akkordeon und die Musik den Atemapparats des Spieler durchströmt.

Werbung

Nimmt man ein wenig Abstand von dieser Eloge, könnte man kritisch hinterfragen, ob nicht vor allem der Instrumentalist selbst die von ihm gespielte Musik zusammenhält. Den sechs Stücken des Abends war auf alle Fälle ein starker harmonischer Zusammenhalt innerhalb der Tonhöhenstrukturen zu eigen, um wieder eines meiner Lieblingsthemen anzureissen. In nahbareren Kompositionselementen formte dies jeder Komponist eigenständig aus, wobei in zwei Werken formale Entscheidungen vor Aufführung auf den Musiker übertragen worden waren. Der Schweizer Michael Heisch zum Beispiel komponierte gleichsam 90 kleine Partituren im Postkartenformat in „Brouillage/Bruitage – Skylla und Charybdis“, die Kai Wangler anordnen musste. Jenseits des vielfach rückbezüglichen Titels ermöglichte Heisch mit diesen Ministücken, die stark differierten und doch Erinnerungen an Vorangegangenes zuließen, eine sinnstiftende Abwechslung, gerade durch die harmonische Austarierung der einzelnen Kleinteile, die so ein wunderbares Mobile ergaben.

Ähnliche Strategien verfolgte Nikolaus Brass‘ „Trennzeichen“. Mit sieben Teilen schuf er abgeschlossenere Abschnitte als Heisch. Wangler hatte sich für eine Version entschieden, die viril trillernd startete und in Pfeifen und ganztönigen Großterzskalen ausklang. Der Komponist sprach davon, dass er diese Fassung zum ersten Mal erlebt habe und immer wieder aufs Neue überrascht sei, wenn er neue Anordnungen erlebe. Für mich wäre zudem spannend gewesen, im gleichen Konzert etwas später vielleicht eine weniger abgerundete Fassung erlebt zu haben. Das Stückmaterial ist auf alle Fälle erfrischend mehrdimensional.

Auf einfachere Pfade und kein Jota weniger wirkungsvoll begaben sich die Akkordeon-Klassiker „Melodia“ von Toshio Hosokawa und John Cages „Souvenir“. Der Japaner vereinte seine Erinnerung an das Blasinstrument Sho mit seinen Eindrücken des Akkordeons in einer Setzweise, die im Atmen Melosbögen erzeugte, wo eigentlich Klangwolken enstanden. „Souvenir“ wiederum bezog sich auf erweiterte Mollakkorde, die unerbittlich beibehalten, skaliert und pedalartig ausgehalten wurden, unendlich nostalgisch, in eine unbestimmte Vergangenheit zurückreichend. Ganz anders Magnus Lindbergs „Jeux d´anches“: aus lichtem Glanze schönster Tangoreste steigt es atemlos in die Tiefen schnellster Klangwechsel herab, erfindet sich eine Harmonik, die unbewusst in der Tradition Franz Schrekers stehen könnte – ein Rausch, als stünde man den halben Tag an den Wasserfällen am Flaucher.

Ein kleines Stück war Gerard Griseys „Passacaille“, ein Jugendwerk, das er zur Aufnahmeprüfung seines Kompositionsstudiums komponierte. Es fängt brav mit einer Basslinie an, die wiederum auch als ein Klang aufzufassen wäre. Darüber setzte Grisey elegante und ausziselierte Variationen, die in ihrer kontrapunktischen Elaboriertheit dennoch den an „sonorité“ sich abarbeitenden vorausahnen lassen, obwohl von Mikrotönen noch nichts zu verspüren ist: Linie ist Klang, der wiederum lineare Farbe ist.

Und wer es verpasst hat: heute Abend wiederholt Kai sein Recital im schwerereiter! Die gesamte erste Dezemberhälfte läuft zudem die Neue-Musik-Reihe „flüchtig-präsent z.B. mit The Sound of Slow und zuletzt mit einem Triptychon des phantastischen E-Gitarristen des Ensemble pianopossibile, Johannes Öllinger.

Liste(n) auswählen:
Unsere Newsletter informieren Sie über Neuigkeiten im Badblog Of Musick. Informationen zum Anmeldeverfahren, Versanddienstleister, statistischer Auswertung und Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzbestimmungen.
Komponist*in

Komponist*in