Klimarettung in Sao Paulo Teil 2: Wir haben keine Chance

Einer der Gründe für mich beim „Amazonas“-Projekt mitzumachen war, meinen langjährigen Emailfreund Claudio Toffoli (kurz Toffo) endlich einmal „in the flesh“ kennenzulernen, denn er lebt und arbeitet hier in Sao Paulo. Seit 8 Jahren tauschen wir regelmäßig Gedanken über Musik aus – Toffo ist ein profunder Kenner brasilianischer Musik, von Brega (dem brasilianischen Wort für „Schlager“ – hier sehr abfällig gebraucht) bis zu klassischer Musik.

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Toffo ist ein typischer „Aussteiger“ in Sachen Neuer Musik. Er studierte am damals noch unabhängigen Konservatorium in Sao Paulo (jetzt Teil der Universität) Komposition und Klavier, war aber schnell abgeschreckt durch die harsche serielle Lehre, die damals in Sao Paulo vorherrschte. Seine Vorliebe für Melodik und Humor machten ihn immer mehr zum Außenseiter am Konservatorium (so zumindest stellt es Toffo heute dar) und er entschied sich dann doch für eine Banklehre, denn die Aussichten auf einen Lebensunterhalt als E-Komponist in Brasilien sind nicht gerade rosig (entweder man hat eine Professur oder man schreibt Bregas – dazwischen gibt es nicht viel).
Als nun pensionierter Banker widmet sich Toffo seinen Lieblingshobbies: Dem Schreiben von Romanen, dem Komponieren und der Korrespondenz mit seinen zahllosen Freunden. Am wichtigsten ist es ihm, brasilianische Klischees zu durchbrechen. „Weißt Du, Brasilien ist nicht nur Samba und Fußball -so sieht uns die Welt, aber Brasilien ist doch viel mehr!“.
Mit seinem Lebensgefährten Cledson besuchen wir einen Markt in der Nähe meines Hotels. Auf dem Weg fährt ein Auto mit lauter Musik an uns vorbei, die 4 Insassen wippen fröhlich dazu. „Das ist Samba“, sagt Toffo trocken. Auf dem Markt essen wir „Pastel“, eine Art Leib-und Magenspeise der Brasilianer, eine Teigtasche die mit allem möglichen gefüllt wird, zum Beispiel mit Käse, Hackfleisch oder „Caipiri“, das nicht etwas Caipirinha enthält, sondern einfach nur Hühnchen und Hüttenkäse, sehr lecker, und hauptsächlich von der großen japanischen Bevölkerung hergestellt.
Direkt am Markt steht das „Pacaembu“, das wichtigste Fußbalstadion der Stadt. Es fasst 50.000 Plätze, wenig für eine 12-Millionenstadt, daher muss für die WM 2014 noch ganz schön rangeschafft werden. Ich frage meine Begleiter, ob sie nicht Lust haben, dass angrenzende Fußballmuseum mit mir zu besuchen, das man direkt unter die Tribüne ins Stadion hineingebaut hat.
Das Fußballmuseum ist eine reine Freude – voller Liebe und Leidenschaft zum Thema haben die Kuratoren ein großartiges Panoptikum der brasilianischen Geschichte ausgebreitet. Diese Geschichte besteht natürlich aus Fußball, Fußball, Fußball. Vom ersten großen Star, dem halbdeutschen Spieler Friedenreich, bis zu den Heroen Socrate und Pelé. Man kann Ronaldinho in 3D zuschauen, wie er Fußballtricks vollführt. Man geht unter die Tribüne, auf die von unten Bilder von Fankurven projiziert werde, mit authentischer Geräuschkulisse. Man erfährt, dass für das meistverkaufte Spiel in Sao Paulo 168.000 Karten verkauft wurden und für das am geringsten verkaufte 55, und natürlich werden alle bisherigen Weltmeisterschaften ausführlich präsentiert, mit allen brasilianischen Toren. Bei soviel Überzeugung für die Sache des brasilianischen Fußballs kann man für die WM 2014 nur konstatieren: Wir haben keine Chance. Wenn unsere Mannen hier in teilweise tropischen wie auch arktischen Temperaturen (Brasilien hat im Sommer alles von 0-40 Grad zu bieten) gegen die Brasilianer antreten müssen, wird ihnen das Herz in die Hose rutschen, so viel ist sicher.

Als wir das Museum verlassen, kommen wir an einer Sambakapelle vorbei, die authentisch 6 Trommler, einen Gitarristen und eine Sängerin beschäftigen. Sie sind phantastisch, die Besucher eines nahen Cafés fangen spontan an zu tanzen, alles verwandelt sich sofort in ein Fest. Etwas weiter kommt ein alter Mann tanzend auf mich zu, er will mir Parkplatzkarten verkaufen (bei ihm kosten sie 10 Real, normalerweise 3 Real). Seine Schritte wippen im Takt der Musik.
Als wir um die nächste Ecke kommen, spielt schon wieder eine Sambakapelle, diesesmal eine ganze Schule, Jugendliche im Alter von 12-18 Jahren die begeistert nach Vorgabe ihres Lehrers die Trommelstöcke schwingen, dabei die charakteristischen Pausen und 2 gegen 3 – Rhythmen markierend, die den Samba ausmachen.
„Weißt Du, Moritz, Brasilien ist nicht nur Samba und Fußball“ sagt Toffo mahnend.
Ich nicke pflichtbewußt.
Bei meiner Rückkehr ins Hotel läuft Musik im Fahrstuhl. Es ist ein Samba.

Moritz Eggert

leckere Pastes vom Japaner

leckere Pastels vom Japaner

Fußballmuseum, Fußballstadion, Markt: Pacaembu

Fußballmuseum, Fußballstadion, Markt: Pacaembu

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2 Antworten

  1. querstand sagt:

    Wie einfach wird doch die Wahrnehmung von Welt in der Fremde! Das komplexeste Gefühl ist dort nur das Heimweh oder Liebesleid. Ach Moritz, ich könnte jetzt in Deinem Artikel zwischen den Zeilen auch den unbewussten Blick für soziale Verwerfungen (all‘ die merkwürd’gen Japaner – nach Brasilien exilierte Verwandte Fujimoris aus Peru?) und Umweltproblematik (extreme Temperaturen in den Subtropen – das kann nur Klimawandel sein…) finden, ja so richtig Neue-Musik-Kritische-Schule-tranig Blindheit vor irgendwas hier nicht direkt Angesprochenen ankreiden.

    Dabei ist der Text doch richtig differenziert: der brasilianische Freund sieht vor (noch!) lauter Bäumen den Sambawald nicht, dem Reisenden wummert nichts anderes als Samba an jeder Ecke entgegen. Das erinnert mich an meine holländischen Stipendiats-Kollegen in Bamberg: bevor die deutschen Boden betraten, bestand für die deutsche Musik via TV nur aus ZDF-Fernsehgarten, Klingendes Österreich-Alpöi (was für bayerische Musik gehalten wird!) und Stadiongesängen. Kein Bayreuth, keine Nena, kein Stockhausen, etc. Dieser einfache Blick bestand dann noch wacker das erste halbe Jahr fort, begann immerhin dank meiner Missionsarbeit später zu wanken.

    Höchstwahrscheinlich würde uns ein rührend einfacher Blickwinkel auf die eigene Musikszene aus der inneren Ferne mal wieder zu Gute stehen, sollten sich verbissen kuratiert-nein-oder-ja-Ferienkurse als Urlaubsanimation verstehen. So kommt es wohl all den Gästen aus der weiten Welt jetzt schon vor. Wir sollten unsere eigene Musik einfach mal in einer nicht indogermanischen Sprache beschreiben müssen, vielleicht auf koreanisch? Ich denke, ich kolportierte schon mal die Story des koreanischen Kompositionsstudenten in Frankfurt. Er mühte sich redlich in Deutsch, unsereins wollte ins Englische ausweichen, was er wiederum nicht beherrschte. Nach einigen Monaten konnte er dann zum ersten Mal wundersam differenzieren: die koreanische Musik ist überhaupt nicht wie die chinesische oder japanische Musik, aber ein wenig doch wieder wie die Chinesische oder die Japanische. Einfach und klar!

    Analog könnte man als Deutscher mit frischem 100-Begriffe Wortschatz sagen: die deutsche Musik (ob wir uns überhaupt das Wort „deutsche Musik“ zu denken trauen?) ist keinenfalls wie die österreichische, italienische oder französische Musik. Aber ein wenig ist sie doch wie die gerade Ausgeschlossenen. Oder leicht verzerrt: unsere Musik ist ein wenig amerikanisch, ein wenig dreiklangsgebunden, mal in 2er- oder 3er-Metren, mal rauscht sie nur und verklingt fast, mal trumpft sie auf und ist oft französischer, italienischer und österreichischer wie diese Musiken auch deutscher sind als man es liebhaben möchte – sie ist unser Alles und sie ist doch Nichts! Möge sie uns öfters eine Urlaubsinsel sein, egal ob pauschal oder individuell gebucht!

    Aus der Ohrenwerkstatt,
    Alexander Strauch

  2. eggy sagt:

    Die Erklärung für die vielen Japaner in Brasilien ist einfach: im Umfeld des Russo-Japanischen-Krieges (1904-1905) gab es eine große Auswanderungswelle von Japanern, die den Untergang iher Heimat fürchteten. Am Ende gewannen doch die Japaner, aber die Brasilojapaner blieben in ihrer neuen Heimat und sind eigentlich inzwischen von den anderen Brasilianern kulturell kaum noch zu unterscheiden.