Donaueschinger Musiktage 2017/3: Substanz und Bezahlung

Musiktage Doping

Heute war der Tag der kleinen Formate. Der Festivalsamstag hat in Donaueschingen das größte Angebot, das man marathonhaft komplett mitmachen kann oder sich das herauspickt, was von Interesse sein könnte. Für mich waren das die Konzerte mit dem Solistenensemble Kaleidoskop Berlin, das Konzert des Ictus Ensemble und die Performance von Alexander Schubert.

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Rückblick auf die Eröffnung
Der Vorteil des Bloggers ist, dass er schneller als alle andere Medien brandaktuell, aus dem Bauch heraus seine Eindrücke heraushauen kann. Aber er kann sie einen Tag später auch nochmals revidieren, derweil die Printmedien oder Sender schon zum nächsten Thema übergehen und den Vortag vergessen lassen. Über Thomas Meadowcroft The News In Music (Tabloid Lament) ließ mich hin und her gerissen zurück. Unbestritten war es das Werk mit dem deutlichsten Jetztzeitbezug. Das kann man einfach so auf sich wirken und gelten lassen, es steht autark für sich da, auch wenn es eigentlich gar keine Identität entfalten sollte. Andreas Dohmens a doppio movimento für E-Gitarre, Harfe, Klavier und großes Orchester hat dann bei aller Spielfreude und konzisen Materialdurchführung doch seinen „guten Stand“ am Eröffnungskonzert der Nachbarschaft zu den Kollegenwerken zu verdanken. Ein Werk Lachenmanns daneben hätte diesen Eindruck leicht absorbieren können, da sie dann beide ähnliche Wurzeln hätten. Es ragte in konservativer Perspektive auf Form, Handwerk und deren eigenständige Verbindung aus den anderen Werken heraus. Aus dieser Perspektive heraus fragt man sich, warum sich die anderen Werke dem so verweigern, abgesehen von der Hollywood-Perfektion Meadowcrofts.

Warum reicht es nicht, sehr gute Musik, die auch Fragen stellt, aufzuführen? Das beantwortete letztlich auch William Dougherty mit seinen Intersections nicht ganz. Aber als jüngerer der Riege des ersten Abends versuchte er nicht nur den Ist-Zustand von Welt und Musik abzubilden, sondern ein imaginäres Soll aufleuchten zu lassen, auch wenn er sich da noch mächtig freischwimmen muss von seinem Vorbild Haas. Man verspürte da ein „von Herzen zu Herzen“ – ganz uncool, sowas in Donaueschingen zu sagen. Doch gibt es ja auch eine viel größere Musikwelt außerhalb der Donauquelle.

Musiktage Doping

Transit
In dem etwas bemühten Transit-Konzert von Laurent Chetouane und dem Solistenensemble Kaleidoskop wirkte auf mich am angenehmsten mit seinen Flageoletts Chiyoko Szlavnics Memory Spaces (appearances) für 14 Streichinstrumente, das immerhin dann zu Ende war, als man dieses heiß herbeisehnte. Das sagt aber schon fast Alles über die Performance aus. Sich als Streicherkapelle als Flüchtlinge zu verkleiden ist ein interessanter Versuch, in die Haut des Heimatlosen zu schlüpfen. Dann allerdings 14 Musizierenden 10 Minuten beim Ausziehen der Flüchtlingsmäntel zuzusehen oder in Dmitri Kourliandski Maps of non-existent cities: Donaueschingen von den Sitzdecken vertrieben zu werden, erhöht nicht unbedingt die Erkenntnis über die Existenz von Flüchtlingen. Ich blieb einfach sitzen, überbrückte durch Handytippen jeden Verscheuchungsversuch. Um das Leben von Flüchtlingen zu verstehen, hilft es nicht, einen selbst zum Fliehenden zu machen. Das wirkt ein wenig so, wie schon die Franz Schubert abtörnende Gleichnishackerei der katholischen Kirche, als ein Priester den Tod jedes Einzelnen verdeutlichen wollte, indem er einen Schädel hervorkramte und meinte, dass jeder mal so aussehen werde. Gut erzählte Geschichten oder das Erforschen der Flucht der eigenen Großeltern oder anderer Angehöriger in den Vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist da sinniger und sinnlicher als die Berliner Erlebnisstreicher.

Schüttler reigns
Fragen nach der Substanz von Musik oder des persönlichen Verhaltens zu ihr gelang später vor allem Martin Schüttlers «My mother was a piano teacher […]» für Fernensemble und Moderatorinnen. Die sich nach oben schraubenden unterschiedlichen chromatischen Linien mögen nicht das stärkste Material sein. Dafür war die „Story“ stark: in Interviews waren Laien oder Profis befragt worden, wie sich ihr musikalisches Leben gestaltete, wie es sich und sie veränderte. Ja, wie es ihre Identität beeinflusste, die es ja nicht mehr geben soll, formte bzw. verformte, wie Musik nicht zum Leben in der eigenen Cloud wird, sondern man auch aus allen Wolken des Familienlebens purzelt, wenn z.B. familiären Musizieren etwas von Zwang und Unterordnung anhaftete. Blicken wir Komponierenden auf unser musikalisches/künstlerisches Leben, kann mancher von sich sagen, dass Komponieren auch die persönliche Überwindung von Musizieren sein kann, oder auch dessen Überhöhung, wie man es gerne hört. Ist es Überwindung von instrumentalen oder gar psychischen Einpassungen, bleibt man der Musik doch verbunden.

Bei Personen, die nicht als Künstler weiterleben, gibt es dann auch eine Musikstory, eine der Deformation, ist das Aufgeben der Verbindung zur Musik die Befreiung, die Musik doch zu sein verspricht. Mag man von mancher Wiederholung oder nur mild lustigen Kameraführung – die Musiker sassen wohl in Übezellen hinter der Bühne und wurden per Kamera und Audio in den Saal übertragen – nicht ganz überzeugt gewesen sein, war der Cameo-Auftritt Schüttlers im Feinrippunterhemd, mit weiblicher Moderatorinnenstimme synchronisiert tatsächlich amüsant. Aber eigentlich ist das Witzige gar nicht so würzig. Emotion gab am Ende der leicht kaputte Gesang aller Beteiligten der Worte des Stücktitels, der alle Silben gleichzeitig überlagerte – es wirkte wie der Abspann eines isländischen Hirtenfamiliendramas, es ging ja auch um familiäres Scheitern in Musik. In Bezug auf die anderen Werke gab das Ictus-Ensemble Alles, irgendwann wünschte man sich leise Prins und Beil mit Nadar und ihrer Mikrosekundenperfektion im Performativen zurück.

Kraft und Masse
Ganz anders dagegen die anfänglich strotzende Maskulinität Alexander Schuberts Codec Error für Schlagzeug, Kontrabass, Lichtregie und Elektronik. Ein Kontrabassist und zwei Schlagzeuger bewegten sich anfangs im Stroboskoplicht, als seien sie aus Toren rein und rausfahrende Gestalten eines Rathausglockenspiels. Dabei erzeugten sie ungemein musikalische Kraft, wurden genauso vom Licht weggeblitztdingst wie die Opfer der Men in Black. In seiner Genese aus der Erlebniswelt des Clubs hatte es sogar etwas von Tanztheater. Doch es war in seiner eigenen performativen Naivität auch wieder weit davon entfernt, eben ganz Musikperformance. Typisch für Schubert spielten Störungen von Licht und Sound durch Rechnerfehler eine große Rolle. Statt am Ende endlich aus den Zwängen des Digitalen befreit zu sein, freezen diese Fehler die drei Musiker ein, bringen sie letztlich um – ein wenig überdeutlich die Message als Kritik an der Technik, die man eigentlich doch so in ihrem Einsatz auch feiert. Dieser Widerspruch löst sich bei Schubert nicht immer auf, da es eben überdeutlich transportiert oder sich ins Witzelnde rettet. Dennoch ist es die mitunter handwerklich höchststehende Produktion der bisherigen zwei Tage und hat das Potential auch Nicht-Fachpublikum zu erreichen.

Applaus-VHS
Was hier wie in allen Aufführungen verwunderte, war die Dietzsche Ecole de oder du claque: junge Leute lernen wohl in einem Kurs sich widerständig mit Buhrufen, Pfeifen und Applaus zu verhalten. Das erklärt auch die Buhs oder das Saalverlassen der Hipster im Eröffnungskonzert. Ist ja schön, dass man vollkommen klare Verhaltensmuster nun auch in einer Art Volkshochschulkurs für die Verunsicherten erlernen kann. Nur erzeugt das keinen Mehrwert, da es nicht spontane, sondern erlernte, verabredete Reaktionen sind. Das kennt man auch aus Italien und Frankreich oder auch Wien und ihren Opernhäusern. Nur wirkt dort der kulturfernste Claquer überzeugender als die aktuellen Workshopteilnehmenden. Wenn richtig was los sein soll auf den Musiktagen, dann müssen entweder provozierende oder die Trennlinien im Publikum deutlich machende Werke erklingen und das Auditorium wird heftig reagieren. Oder man spielt mehr groß besetzte Werke junger Leute, deren Lager dann richtig übereinander herfallen.

Knete
Aber bevor man nun die Bezahlung der Claquere wissenschaftlich darstellen lässt, noch ein Wort zu den Kompositionshonoraren der Musiktage: innerhalb eines Konzertes, wie z.B. dasjenige des Ictus-Ensembles, sollten sich die Honorare weder nach Nutzung von Instrumenten, Länge oder Renommee der Beauftragten unterscheiden. Selbst wenn Verlage durch ihre Gebühren Unterschiede erzeugen, sollte jede Komponistin und jeder Komponist einer Produktion gleich gut oder gleich schlecht in seinem ihm persönlich bleibenden Bruttohonorar behandelt werden. Wenn jemand Überlänge produziert, erhöhen sich sowieso die GEMA-Tantiemen. Größere Qualität verspricht das letztlich nicht. Manchmal sollte man da sogar was wieder abziehen. Daher lieber gnadenloses equal payment, letztlich auch egal, ob Studierende oder Grandseigneurs zum Zuge kommen, gleiches Geld je nach Besetzung der Produktion für Alle!

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