Vom Zauber des Anderen

Während der Planet, vermutlich das ganze Sonnensystem momentan komplett unter dem Zeichen großer Jubiläen wie dem 60. Geburtstag von Wolfgang Rihm oder dem 100. Geburtstag von John Cage ächzt, wird ein weiterer wichtiger Jubilar wie so oft eher vernachlässigt: Wilhelm Killmayer.

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Allerdings: Eleonore Büning hat ihn heute in der FAZ schön gewürdigt, und auch hier im Bad Blog bemühe ich mich immer wieder, seinen Namen zu nennen (was natürlich daran liegt, dass ich bei ihm studieren durfte).

Killmayers große musikalische Qualitäten zu beschreiben, seinen kompromisslos individuellen Ansatz, mit Tönen umzugehen, dieses scheinbar vordergründig Leichte, das so viel hintergründiger und interessanter ist als manches komplex daherprotzende Stück – das haben Komponistenkollegen und Freunde wie Rihm, Lachenmann, Bialas, Hamel, Kühnl und viele andere Wackere immmer wieder beharrlich und mit schönen Worten getan. Dennoch wird Killmayer wohl ewig eine Art Außenseiterrolle einnehmen, und vielleicht ist das auch genau der Ort, an dem er sich insgeheim am wohlsten fühlt. Und man wird das auch weiterhin an ihm schätzen: Eben genau das Unangepasste und letztlich Antikarrieristische, für das Killmayer immer gestanden hat, und das ihn zum Teil in die fast völlige Obskurität führte (aus der er dann spätestens in den 80er Jahren durch den Einsatz von treuen Freunden und Förderern wieder auferstand, aber auch durch phantastische Werke wie zum Beispiel seinen drei Symphonien).

Ich erinnere mich noch genau an mein erstes Konzert mit Musik von Killmayer – mein damaliger Lehrer Claus Kühnl hatte mich in die Alte Oper mitgenommen, wo auf Initiative des unermüdlichen damaligen Intendanten Dieter Rexroth einige Konzerte mit seiner Musik stattfanden, natürlich gespielt von seinem Freund Siegfried Mauser. Eines dieser Stücke („Brahms-Bildnis“ für Klaviertrio) fing mit einer langen, intonationsmäßig unglaublich heiklen Streichereinleitung an, an deren Ende der Geiger kurz vor dem Einsatz des Klaviers plötzlich einen Hustenanfall bekam, so dass das Stück erneut begonnen werden musste, begleitet von peinlichem Hüsteln im Publikum.

Dieses Heikle und Abgründige ist für mich ein ganz wichtiges Markenzeichen der Killmayerschen Musik – hier schreibt jemand, der in seiner Jugend die größenwahnsinnigen Pläne der Nazis scheitern sah und daher bis heute jeglichem Autoritätsgehabe zutiefst mißtrauisch gegenübersteht. Es war für ihn unerklärlich, dass sich kurz nach dem Krieg fast die gesamte Komponistenszene freiwillig in eine neue ästhetische Diktatur begab – obwohl es auch von Killmayer durchaus (und auch sehr gute) dodekaphonische und serielle Stücke gibt, war ihm das Komponieren „nach System“ stets suspekt (und dies ließ er uns als Schüler stets spüren – gottseidank).

„Am Grat“, „Zittern und Wagen“, „Nachtgedanken“ – das sind typische Killmayertitel, die dieses Mißtrauen zum Ausdruck bringen. Aber es gibt auch eine sehr sonnige Seite an Killmayers Musik, eine Hinwendung zu Melos, Helligkeit und Offenheit, Wärme und Schalk, die sich vor allem in seinen großartigen Liedern und seiner Kammermusik offenbart. So kann auf eine dissonante und schroffe Miniatur bei ihm stets das genaue Gegenteil folgen, z.B. ein besessen heiteres Ostinato wie in der „Etude de Figaro“. Kontraste und überraschende Gegenüberstellungen sind das Kernelement jeden Humors, und somit ist Killmayer ganz nah bei den großen Humoristen in der Musik, seinem Idol Beethoven z.B., wie aber auch dem in vielerlei Hinsicht seelenverwandten Erik Satie.

Genau wie Satie ist auch Killmayer nicht nur ein Musiker, sondern ein an allen Sparten von Kunst interessierter Mensch – Kunstausstellungen, Theateraufführungen, Lesungen, Ballettabende…das sind Orte, an denen Killmayer sich stets wohlfühlt, wie auch beim Austausch mit Freunden aus anderen Kunstsparten wie z.B. Tankred Dorst. Auch als Autor, Sprecher und künstlerischer Leiter von Konzertreihen hat er sich immer wieder erfolgreich betätigt und seinen großen literarischen Lieben wie zum Beispiel Robert Walser gehuldigt.

Ich hatte das große Glück, während meines Studiums sehr oft mit Killy (wie ihn seine Freunde nennen) ins Theater zu gehen. Das könnten Inszenierungen von klassischen Stücken wie auch hochexperimentelle Performance-Abende sein. Killmayer war dabei immer wesentlich offener gegenüber dem Unverständlichen, Bizarren und Verrückten als der Großteil des jüngeren Publikums, was wirklich eine Auszeichnung ist. Ich erinnere mich gut an den gemeinsamen Besuch eines extrem provokanten Abends von Jan Fabre, der ca. 4 Stunden dauerte und bei dem über weite Strecken fast nichts passierte außer repetitiven und das Publikum zutiefst provozierende Aktionen. Irgendwann stand Killy auf und sagte zu mir „Komm, wir gehen jetzt“. Als wir draußen waren, war ich absolut sicher nun ein vernichtendes Urteil über den Abend zu hören zu bekommen, aber ganz das Gegenteil war der Fall: er war total begeistert und pries Jan Fabre in den höchsten Tönen. Als ich ihn fragte, warum er denn dann gegangen sei sagte er nur „Ich habe verstanden, was er will, daher konnte ich gehen“.

Das ist für mich ein genauso genialer Satz wie der von Eleonore Büning überlieferte Satz der „Kinderjury“ zur neuen Produktion der „Europeras“ von John Cage bei der Ruhrtriennale: „Es war ein bisschen langweilig, aber so ist es halt mit Kunst“.

Aber das ist eben die besondere Gabe von Killmayer: Es ist immer große Kunst. Und es ist dennoch nie langweilig.

Morgen wird er 85.
Herzlichen Glückwunsch, lieber Killy!

Moritz Eggert

Eines der ganz wenigen unpeinlichen Fotos aus dem "Verbrecheralbum" des Deutschen Komponistenverbandes: Wilhelm Killmayer

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Eine Antwort

  1. Martin Torp sagt:

    Hallo Moritz, da ist Dir eine schöne Hommage gelungen. Killmayer hats verdient. Dank an Euch beide!