Teodor Currentzis mit Schwartz und Mahler in München

Currentzis auf dem PC-Monitor nach dem Abendbrot, vor Verfassen des Textes

Ganz klar. Das Utopia Orchestra ist nicht Musicaeterna. Aber es wirken in Utopia immer Mitglieder und Assoziierte von Musicaeterna mit. Musicaeterna wird laut seiner eigenen Homepage nun nicht mehr nur von der sanktionierten VTB-Bank, sondern auch vom sanktionierten GAZPROM gefördert und der massivst problematischen ROSATOM, die auf ukrainischem Territorium in den besetzten und geraubten Gebieten das Atomkraftwerk Saporischschja für das kriegslüsterne Russland verwaltet. Zudem melden russische Exilmedien, dass der Aufsichtsratsvorsitzende von ROSATOM, Kirijenko, mit Hilfe von GAZPROM und der VTB-Bank für Russland eine Privatarmee in der Ukraine unterhalten soll, so das russischsprachige Portal istories in seiner Recherche aus dem Februar 2024. Die berechtigte Frage ist also: muss man als EU-Bürger und zugleich Russe ausgerechnet von diesen Unternehmen sein russisches Ensemble fördern lassen?

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Natürlich haben Currentzis und sein Manager Chakhov von Musicaeterna und Utopia Orchestra nichts mit dem furchtbaren Engagement ihrer russischen Musicaeterna-Förderer in der Ukraine und in Russland selbst zu tun. Insgesamt aber runden sie mit der Annahme der Geldmittel dieser Förderer das Portfolio dieser Firmen in Russland ab. Würde man nun programmatisch und personell beide Ensembles strikt trennen, dann wäre die Sachlage verständlicher. Allerdings probte Currentzis mit Musicaeterna im September die 5. Sinfonie Gustav Mahlers auch mit Musicaeterna unter dem Sponsoring seiner russischen problematischen Förderer und führte sie am 4. und 6. Oktober je in Moskau und Sankt Petersburg auf. Nun mit personellen Überschneidungen von Musicaeterna in Utopia dasselbe Werk in der Berliner Philharmonie, in der Liederhalle Stuttgart, in der Elbphilharmonie, im Festspielhaus Baden-Baden, heute in der Münchner Isarphilharmonie und morgen und übermorgen in Athen. Später im November vereinen sich die im Westen gastierenden Teilkräfte von Musicaeterna wieder mit dem gesamten russischen Ensemble und gastieren mit der 5. Sinfonie von Mahler in Schanghai, Peking, Wuhan und Shenzen. Letztlich profitiert vor allem der Dirigent selbst durch das russische Sponsoring für Musicaeterna: so kann er das Werk mit zwei Ensembles, aber mit personellen Überschneidungen, für Russland, Deutschland, Griechenland und China in seiner Interpretation in diesem Herbst vervollkommnen. Utopia wird natürlich nicht durch diese russische Förderer finanziert. Aber in der Dichte der Produktionen ,mit eben diesen besagten personellen Überschneidungen, strahlt das russische Sanktionsgeld bis ins Utopia-Finale der Mahler-Sinfonie.

Dass er an seiner und der Interpretation und des jeweiligen Orchesters Verbesserung andauernd feilt, konnte man heute Nachmittag sehr gut nachvollziehen. Die Detailarbeit ist reich, allerdings fast schon übermanieriert. So geht es leise und so laut, so langsam und so schnell als möglich über die Bühne, ist überabphrasiert, selbst das Trompetensolo am Anfang ziseliert er live aus, statt das mal einfach fließen zu lassen – man dürfte ja zur Genüge daran geprobt haben. Das Adagietto war nun noch leiser und ruhiger als zuvor im Internet zugänglichen Aufnahmen mit Currentzis und Musicaeterna.

Currentzis bleibt sich hier übrigens immer treu in der Förderung von Neuer Musik: Jay Schwartz ließ er eine Passacaglia komponieren als riesig gedehnte Variation mit Glissandi über das Wanderer-Lied von Franz Schubert. Es begann wie das erste der drei Orchesterstücke von Alban Berg mit Großer Trommel und Tam-Tam. Dann steigerte es sich über die Register hinfort, an zentralen Stellen kamen die Glissandi immer in tonalen Akkorden, mal unverfärbt, mal verfärbt an. Das hat etwas Beeindruckendes, so dass das Publikum hierbei sogar ganz aus dem Häuschen war. In seiner Massivität hat es aber leider auch etwas von einem hyper-romantischen Egotrip, der eben vor allem eines will: beeindrucken.

Das tat Currentzis eben zuvörderst auch mit seiner Mahler-Interpretation: es beeindruckt massiv. Doch wird es damit dann eben in seinem Manierismus eher ein Fall der Oberfläche, die perfekt ins Leise und Laute geht, aber eben doch ohne die Tiefe und Wucht wie man es von Bruno Walter, Leonard Bernstein, Rafael Kubelik oder Mariss Janson hier in West-Europa gewohnt ist erlebt zu haben. Am Ende gab es als Zugabe dann noch den Bach-Choral „Jesus bleibet meine Freude“ aus der Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“. Ob dies das schlechte Karma der Musicaeterna-Förderer austreiben sollte? Das naive Publikum glaubte, es habe etwas mit Allerheiligen zu tun – in Berlin gab es das auch schon als Zugabe. Utopia spielte reduziert, der Rest des Orchesters sang – allerdings ohne die Power, die es dazu in Philharmonien auch chorisch braucht, wenn man es nicht in einer Kirche oder einem Kammermusiksaal aufführt. Und am Ende verhauchte man instrumental in einem Pianissimo, das interessant ist, doch eben die nötige Gleichmäßigkeit im Verhältnis zu den anderen Momenten des Chorals vermissen ließ.

Dem Publikum gefiel es: Standing Ovations. Mir erging es dabei aber so: Sie wissen wohl nichts oder wollen nichts von den Fördererproblemen Currentzis’ in Russland wissen. Sie begreifen das Utopia Orchestra als etwas originär anderes als Musicaeterna. Sie sehen nicht die personellen Überschneidungen. Sie wissen nicht davon, dass nur wenige Wochen zuvor und hernach diese personellen Überschneidungen mit Musicaeterna an der Interpretation mit russischen Geld übten, die sie heute dann mit diesen Musikern und vorwiegend westlichen Musikern aufgefüllt als Utopia erlebten. Sie kommen einem wie BSW-Wähler vor, die irgendwas von Frieden sagen und dann am Abend bedauern, dass sie bisher nur Moskau sahen, aber noch nicht Sankt Petersburg, oder umgekehrt. Es ist letztlich eine an den Weltläufen desinteressierte Boomer-Veranstaltung, die sich Musik servieren läßt, sie bejubelt, aber niemals auf den Gedanken kommt, dass es damit Probleme geben könnte, da der Dirigent seine Ensembles nicht strikt auseinanderhält und russisches Sanktionsgeld mitschwingt, wenn Teile des russischen Ensembles dasselbe Werk zuerst mit dieser Förderung in Russland probten und aufführten und hier nun mit westlichen Kollegen unter einem anderen Label, zugegeben auch einem anderen Förderer, hier zum Besten geben. Ohne das russische Geld wäre es aber nicht so gut und hätte der Dirigent nicht so sehr das für sich ausfeilen können.

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