Sind dem SWR-Symphonieorchester nationalistische Z-Partner von Currentzis egal?

Offizielle Ankündigung des Moskauer Bürgermeisters des Babi Jar Konzerts zur Saisoneröffnung der Zaryadye-Halle mit problematischen Bass und Gastchören

Im September stehen Aufführungen der 13. Sinfonie „Babi Jar“ von Dmitri Schostakowitsch auf dem Programm des SWR-Symphonieorchesters. Angekündigt ist der russische Bass Alexey Tikhomirov, der Estnische Männerchor, alle mit SWR-Chefdirigent Teodor Currentzis. Leser:innen des Bad Blogs of Musick wissen, dass Alexey Tikhomirov u.a. ausgerechnet nach dem russischen Bombardement des Drama-Theaters Mariupol auf seinen Instagram und Facebook-Profilen die russische Fahne in seinem Profilbild „hisste“. Nach unserem Blog dazu wechselte er das gegen ein Szenebild als Boris Godunov in der gleichnamigen Oper von Modest Mussorgsky aus. Am 9. Mai 2023 trat er in der Zaryadye Halle in Moskau, wenige Meter vom Kreml entfernt, im Rahmen eines Konzertes des Академический хор русской песни радио «Орфей» (Akademischen Chor der russischen Lieder“ auf Radio „Orpheus“) mit dem Titel «Нам дороги эти позабыть нельзя…» („Uns sind diese Wege nicht zu vergessen…“), unter dezidierter Ankündigung von „Зрители услышат самые известные и любимые военные песни“ („Das Publikum hört die berühmtesten und beliebtesten Militärlieder“).

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Es handelt sich hierbei um einen Chor des staatlichen Klassik-Radios „Orpheus“, der damit seinen Beitrag zu den Feierlichkeiten des „Tages des Sieges“ beitrug: Bass Alexey Tikhomirov und die Chormitglieder trugen St. Georgsschleifen, die einerseits an diesem Tag seit Ummünzung des sowjetischen Feiertages in einen russischen ans Revers geheftet werden, andererseits als Zustimmung zur aggressiven, kriegerischen Aussenpolitik Putins gelten. Das Konzert wurde zudem in wichtigsten Medien (hier und hier) des Landes zusammen mit der Militärparade auf dem Roten Platz, der Rede Putins und der gesonderten Teilnahme von in der Ukraine kämpfenden Truppen angekündigt, was damit den offiziellen, Regime unterstützenden Charakter dieses Konzerts unterstreicht. Daneben schwadronierte Tikhomirov wohl „vom Schwert der Rus“ gegen „Nazis in der Ukraine“ und „NATO“ sowie drohte er einer Frau, sie für regimekritische Likes beim Inlandsgeheimdienst FSB anzuzeigen. Auf all dies angesprochen, sagte eine Sprecherin des SWR: „Zum Engagement von Alexey Tikhomirov: In dieser Causa gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keinen Kommunikationsbedarf.“

Der SWR wurde zudem darauf aufmerksam gemacht, dass Tikhomirov und Currentzis am 3., 6. und 7. September 2023 mit MusicaEterna in St. Petersburg und Moskau, dort wieder in der Zaryadye-Halle, wie der Bass bereits am 9. Mai, mit „Babi Jar“ auftreten werden. Nachdem das Werk wohl im Sitz des Ensembles, im VTB-Bank finanzierten „Dom Radio“, geprobt werden wird, sind Dirigent und Bass bestens Dank dieser sanktionierten Sponsorengelder, die dort ihre Arbeit ermöglichen, für die SWR-Konzerte ab 20. September 2023 in Stuttgart, Freiburg, Mannheim, Berlin und Hamburg bestens vorbereitet. Das Konzert am 7. September wird durch die Internetseiten des Bürgermeisters von Moskau als Saisoneröffnung mit angekündigt, was bei aller Rede um die Widrigkeiten der Uraufführung in den 1960ern zeigt, wie offiziell willkommen diese Aufführung dem Putin-Regime in Form des Bürgermeisters in Moskau ist.

Offizielle Ankündigung des Moskauer Bürgermeisters des Babi Jar Konzerts zur Saisoneröffnung der Zaryadye-Halle mit problematischen Bass und Gastchören

Da der Männerchor von Musicaeterna zu klein besetzt, muss er durch die beiden Chöre академической хоровой капеллы России им. А.А. Юрлова и Государственного академического русского хора им. А.В. Свешникова – Yurlov Russian State Academic Choir und Sveshnikov State Academic Russian Choir ergänzt werden. Beide werden von Gennadi Dmytrak geleitet. Dmytrak äußerte sich übrigens 2014 in einem Interview mit belcanto.ru, auf die „Russophobie in Hinblick auf die Krim und Ukraine“ angesprochen: „Die Autorität russischer Musiker und russischer Musik ist so hoch, dass keine Propaganda unsere Künstler daran hindern wird, überall mit großem Erfolg aufzutreten, davon bin ich überzeugt. (Авторитет русских музыкантов и русской музыки настолько высок, что никакая пропаганда не помешает нашим исполнителям выступать повсюду с огромным успехом, я в этом убежден.)“

So verwundert es auch nicht, dass der Sveshnikov State Academic Russian Choir mit Dmytrak am 12. März 2022 im Moskauer Kalinin-Kulturzentrum nach dem Telegram-Kanal des Kulturzentrums zur Unterstützung des Angriffskrieges Musik darbot: „“Песню „Нам нужна одна победа“ Булата Акуджавы зал слушал стоя. Песня была исполнена в поддержку Российской армии участвующей в военной операции на Украине. / Das Publikum lauschte im Stehen dem Lied „Wir brauchen einen Sieg“ von Bulat Akudzhava. Das Lied wurde zur Unterstützung der Teilnahme der russischen Armee an der Militäroperation in der Ukraine gesungen.“ (hier und hier).

Der andere Chor von Gennadi Dmytrak, der an den Babi Jar russischen Aufführungen, der Yurlov Russian State Academic Choir, mit Currentzis und Tikhomirov teilnimmt, sang am 24. Februar 2023 auch in der Zaryadye-Halle im Konzert „Wenn Ihnen Ihr Zuhause am Herzen liegt…“ im Rahmen des gesamtrussischen Kampagne „Alles für den Sieg“, wohl aus Anlass des ersten Jahrestages des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine teil („24 февраля в концертном зале «Зарядье» прошел благотворительный вечер «Если дорог тебе твой дом…» в рамках Всероссийской акции «Все для Победы»“): „Der gesamte Erlös des Konzerts „Wenn Ihnen Ihr Zuhause am Herzen liegt…“ wurde zur Unterstützung unserer Kämpfer und Kommandeure verwendet, die derzeit weiterhin in der militärischen Sonderzone arbeiten…. (Все деньги, вырученные с концерта «Если дорог тебе твой дом…», направлены в поддержку наших бойцов и командиров, которые прямо сейчас продолжают работу в зоне специальной военной операции.)… An dem Benefizkonzert nahmen weltberühmte Musiker teil (В благотворительном концерте приняли участие всемирно известные музыканты)… der Pianist Boris Berezovsky, der Cellist Sergei Slovachevsky (Anm.: Vater des MusicaEterna-Cellisten Vladimir Slovachevsky) (пианист Борис Березовский, виолончелист Сергей Словачевский)… Yurlov Russian State Academic Choir (Хоровая капелла России им. А. Юрлова)…“

Auf diese Umstände der möglichen Profitierung des SWR vom unter Sanktionsgeldern bestens vorgeprobten Paares aus Dirigent und Bass sowie die nationalistischen Auftritte der mit Currentzis in Russland kooperierenden Chöre und der Nachfrage, ob man denn von den Konzerten in Russland mit „Babi Jar“ 3 Wochen vor der eigenen Konzertreihe überhaupt wüsste und der daraus resultierenden Frage nach der Zuverlässigkeit des Chefdirigenten, wenn man davon eben warum auch immer nicht wüsste oder das ignoriere, antwortete die Sprecherin des SWR mit genau demselben Satz wir bereits oben: „Zum Engagement von Alexey Tikhomirov: In dieser Causa gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keinen Kommunikationsbedarf.“ Das ist zudem bemerkenswert, da man im Juni das Engagement von Tikhomirov prüfen wollte, aber auf Nachfragen anderer bis jetzt kein Ergebnis des Prüfens preisgab, wobei da zu klären wäre, ob man z.B. die ARD in Moskau recherchieren ließ oder es bei arbeitsrechtlich-ähnlichen Stellungnahmen beruhen ließ.

Ein befreundeter Komponist und Autor fasst das so zusammen: dass hieße, „dass der SWR hierzu keinen Kommunikationsbedarf sieht, und damit „Z“ und Massenmord an Ukrainern gutheißt, denn das ist die Konsequenz davon.“

Interessant ist auch die Sache mit dem SWR-Kompositionsauftrag für „The Water has no hair“ von Alexey Retinsky. Das Werk wurde am 27. Mai 2023 durch Teodor Currentzis mit dem SWR-Symphonieorchester im Festspielhaus Baden-Baden uraufgeführt. Am 26. Juni 2023 wiederholte Currentzis dies mit MusicaEterna im Rahmen des Diaghilev-Festivals, das mit der SBER-Bank auch eine in der EU sanktionierte Bank als Hauptsponsor hat wie MusicaEterna mit der VTB-Bank. Der Donemus-Verlag, der das Werk verlegte, kündigte die deutsche Uraufführung an, nicht die russische Premiere und äußerte sich dazu trotz mehrmaliger Nachfrage bis heute nicht. Ähnlich lief es 2022 mit Orffs „De tempore“, das im Sommer ganz offiziell vom Musicaeterna-Chor, Gustav-Mahler-Orchester mir Currentzis auf den Salzburger Festspielen zu sehen war und auch vom Schott-Verlag angekündigt, später dann auch auf dem Diaghilev-Festival in Russland aufgeführt, vom Verlag nicht angekündigt. Das mag damit zu tun haben, dass der Austausch von Lizenzen und Aufführungsrechten derzeit kaum finanziell mit Russland möglich ist und EU-Verwertungsgesellschaften die Beziehungen zu denen in Russland eingefroren haben.

Das zeigt aber auch, dass im Musikgeschäft normale, branchenübliche Vorgehensweisen kaum möglich sind. Das Notenmaterial müsste hier im Westen gekauft oder gemietet werden, lizenziert und bezahlt werden. Hätten wir normale Zeiten, müsste das den Auftraggeber SWR nicht interessieren. Nachdem hier Beitragsgebühren im Spiel sind, die Zeiten und Umstände besonders sind, sollte dem SWR daran gelegen sein zu wissen, wo sein Auftragswerk unmittelbar nach Uraufführung gespielt wird und ob man zumindest vom Chefdirigenten darüber informiert würde bzw. wie man das sähe, wenn man nicht informiert sei oder das ignoriere. Darauf eine Sprecherin des SWR, übrigens nichts zur Finanzierung des Festivals sagen wollend, nur auf altbekanntes zur VTB-Bank rekurrierend, was zuletzt der Kölner Philharmonie auch nicht mehr reichte und nun von Konzerten mit Currentzis absieht: „Das Werk „The Water has no hair“ von Alexey Retinsky war eine exklusive Auftragskomposition des SWR und des Festspielhauses Baden-Baden. Die Uraufführung fand am 27. Mai 2023 im Rahmen der Pfingstfestspiele im Festspielhaus Baden-Baden statt. Nachfolgende Aufführungen dieses Werkes unterlagen und unterliegen branchenüblich nicht der Kontrolle der genannten Auftraggeber. Verträge zwischen dem SWR und dem Diaghilev-Festival gab es weder zu diesem Werk noch in anderen Zusammenhängen. Zum Sponsoring von musicAeterna durch russische Banken hat sich der SWR in der Vergangenheit mehrfach geäußert. An der Haltung des SWR dazu hat sich nichts geändert.“

Das Bild sollte noch um die ursprünglich geplante Mitwirkung des MusicaEterna-Posaunisten Andrey Saltanov beim Auftritt des Utopia-Orchestra mit der Großen C-Moll Messe von Wolfgang Amadeus Mozart im Rahmen der Salzburger Festspiele 2023. Saltanov war erstmalig im Winter/Frühjahr 2023 in den Fokus gerückt, als er auf VKontakte Meisterkurse von Mitgliedern seines Ensembles und seiner selbst für die GAZPROM-Tour 2023 in Sibirien ankündigte. Als die Tour unter dem erneuten Sponsoring von GAZPROM hier von uns auf auf social media aufgegriffen wurde, verschwand diese Ankündigung auf VKontakte wieder, um wohl dies erneute Sponsoring durch diesen Partner zu verschleiern? Später wurde zudem bekannt, dass Rosatom, nicht nur die russische Atombehörde in Russland, sondern nun auch im besetzten, der Ukraine geraubtem Atomkraftwerk Saporischschja, einzelne Phasen dieser Tour auch mitfinanzierte.

Wie übrigens diese erste Sache von Saltanov verschwand, wurde im Frühsommer auf VKontakte eine Liste des Fan-Profils „Melamory Taylor“ aller mit MusicaEterna als Mitglied oder je als Gast befassten Personen, die seit Oktober 2022 beim Utopia-Orchestra mitwirkten, wieder herausgenommen. Die Mitwirkenden wurden laut Konzertbesuchenden der Mahler-3-Tournee im Programmheft der Mahler-Sinfonie meist nicht namentlich genannt, nur nach den Kammermusikkonzerten gab es Handzettel mit den Mitwirkenden. Zu den Aufführungen von „The Indian Queen“ nannte das uns vorliegende Abendprogramm erstaunlicherweise alle Utopia-Orchestra Mitwirkenden für Salzburg, auch wenn hier zuerst keine Posaunen besetzt waren. So fiel der Namen des o.g. Posaunisten Saltanov auf.

Saltanov war als einer der likenden MusicaEterna-Mitglieder aufgefallen, als der Ex-MusicaEterna Tenor Alexander Gajnutdinov anläßlich eines Mai-Auftritts einer Bühnenshow in der Rolle eines Soldats das „Z“ Propaganda-Zeichen mit seinen Händen darstellte. Das wurde von uns auf social media immer wieder thematisiert. Da man anscheinend, s. das Löschen des GAZPROM-Tour-Postings, bei uns kräftig mitliest, gingen wir davon aus, dass man Saltanov daheim läßt wie im Frühjahr den Trompeter Pavel Kurdakov, der seit 2014 mit nationalistischen Postings auffiel, was wir thematisierten, der allerdings im Oktober 2022 beim Utopia-Orchestra dabei war. Zudem postete Saltanov unmittelbar vor dem Salzburg-Auftritt am 7. und 8. August 2023 des Utopia-Orchestra eine Aufforderung, quasi mit ihm am Vorabend jener Konzerte in St. Petersburg in den Club zu gehen. Aber am 5. August 2023 fiel er uns in einer Instagram-Story von Utopia auf, die Utopia von einem anderen Mitglied geteilt hatte. Denn er hatte zudem just zu dieser Tage sogar Material eines dezidierten „Z“-Kanals auf VKontakte geteilt, der „Informationen zur Spezialoperation für unsere Soldaten in der Ukraine“ verbreitete. Darauf wie auf seine Anwesenheit machten wir aufmerksam und nicht einmal eine halbe Stunde später löschte Utopia diese Story wieder. Also hatte man ihn trotz im Raum stehender Kritik an ihm aus Russland trotzdem mitgebracht, obwohl man die Kritik kannte? Erst nach Anfrage bei der Leitung der Salzburger Festspiele teilten diese mit, dass der anwesende Posaunist nicht auftreten werde.

So kann man feststellen: egal ob es sich um prominente Bassisten, Gastchöre oder russisch-nationalistische Mitglieder von MusicaEterna im Utopia-Orchestra handelt: man kann nicht einschätzen, ob Teodor Currentzis Kooperationen mit diesen in der EU durchführt, seine hiesigen Partner das registrieren wie die Salzburger Festspiele oder es ignorieren oder besser für nicht kommunikationswürdig erachten, wie sein Arbeitgeber, der SWR. Oder ist das alles nur eine Geburtstagsparty, wie hier in dem Video ab ca. Minute 9:50, als man vor ein paar Jahren gut erkennbar mit Kurdakov und Co. den Geburtstag von Saltanov feierte?

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