Hauptstadtkulturblödsinn

Heute früh wachte ich auf. Mir ging es wunderbar. Und dann kam mir ein dunkler Gedanke in mein Kopf. Gibt es eigentlich noch den Hauptstadtkulturfonds (HKF)?

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Ja, natürlich gibt es den noch. Ich musste das nicht googeln. (Und ich muss auch dazu sagen, dass ich mich seit vielen Jahren nicht bemüht habe, Förderungsbeträge vom HKF zu bekommen.)

Für Außenstehende: Der Hauptstadtkulturfonds ist ein Fördertopf des Landes Berlin für Kulturprojekte. Man muss sehr viele Seiten ausfüllen. Jeden Cent – und wofür er genau in in einem Dreivierteljahr ausgegeben werden soll. Sehr wichtig ist, dass man mit Blut beglaubigt, dass nichts, aber auch gar nichts vor dem eigentlichen Förderzeitraum irgendwie mit diesem Projekt passiert ist. Man darf noch nicht einmal drüber nachgedacht beziehungsweise organisatorische Zusagen, Kostenvoranschläge eingeholt haben. Man darf vor allem kein Geld ausgegeben haben. Und kommt es dann zu der Spalte in diesen unendlichten Weiten der Hauptstadtkulturfondsonlineanträge, in denen es ums Geld ist, ist es ganz wichtig, dass man für alle (einschließlich sich selbst, es sei denn es ist ein bekannter Dirigent, der kann gerne für ein Konzert 9.000 Euro bekommen) Künstlerinnen und Künstler für den Realisierungszeitraum von mehr als einem Dreivierteljahr 400 bis 600 Euro Honorar (Brutto) einträgt. Ansonsten wird der Förderantrag relativ sicher abgelehnt.

Der Antrag wird auch dann abgelehnt, handelt es sich um ein wertvolles, wirklich innovativ und cool klingendes Projekt. Ich habe drei oder vier Anträge gestellt, vor langer Zeit. (Noch einmal: Ich bin nicht wütend oder so; ich find’s nur ein bisschen peinlich …). Drei davon wurden abgelehnt. Schade. Weitermachen. Egal.

Doch dann entschied ich mich zusammen mit ein paar Kolleginnen und Kollegen (es ist wirklich einige Jahre her), halb aus Spaß, einfach mal ein Thema in den Raum zu stellen, um zu gucken, was passiert. Wir berieten uns also. Was kann man machen? Was kann man beim HKF beantragen? „Neue Musik und …“ – „Raum!“ – „Nein, haben wir schon einmal 2005 gemacht in den Sophiensälen. Damals gab es für ein Mini-Festival 3.000 bis 4.000 Euro“. – „Okay weiter …“ – „Neue Musik und Politik!“ – „Ach komm …“

Und dann sagte ich: Unser Projekt, das wir beim Hauptstadtkulturfonds beantragen heißt: „Neue Musik und …“.

Und jetzt bitte einfach dasjenige Wort (ich kann es leider nicht sagen; ich will meine Kolleginnen und Kollegen nicht irgendwie diskreditieren) einsetzen, das am blödsten, am unpassendsten (aber nicht im künstlerisch guten Sinne) erscheint …

Richtig! (Vermute ich mal.) „Neue Musik und …“. (Mir liegt es auf der Zunge. Aber ich will nicht.)

Dieses Projekt haben wir dann beim HKF beantragt. Und wir haben 80.000 Euro dafür bekommen.

Ich wiederhole: 80.000 Euro. Die fanden das toll. Unsere Antragsprosa war natürlich entsprechend blöde und pseudo-philosophisch. Wir haben wirklich viel gelacht damals gemeinsam. Also: beim Schreiben.

Was natürlich nicht heißen soll, dass alle HKF-Projekte blöd sind. Aber einige schon. Ich weiß, wovon ich spreche.

Weg mit der Antragsprosa. Weg mit genauen Kalkulationen. Weg mit diesem ganzen Bürokratiekram. Einfach Förderungssummen verlosen!

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.

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