Gedanken zum Umgang in 2022 mit belasteten russischen Musikern und Geldgebern

Vor zwei Tagen gab es ein Gespräch in ORF 2 mit Markus Hinterhäuser (Salzburger Festspiele) und Bogdan RošÄiÄ (Wiener Staatsoper). Exemplarisch sah man an dem Gespräch, dass Handreichungen zum Umgang mit belasteten russischen Musiker:innen und Geldgeber:innen zu fehlen scheinen. Jeder Fall mag eine Einzelentscheidung sein. Doch gibt es genügend Materialien, um behutsam und etwas allgemein verbindlicher entscheiden zu können. Am einfachsten ist es vielleicht mit den Finanziers.

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Einer der aktivsten Finanziers ist Dmitry Aksenov mit seiner Aksenov Family Foundation. Sie förderte zuletzt viennacontemporary, Projekte von Teodor Currentzis MusicaEterna oder z.B. ein Moskau-Gastspiel des Klangforum Wien im Dezember 2021. Aksenov selbst steht einem Förderkreis russischer Mäzene der Salzburger Festspiele vor. Aksenov steht der russischen RDI Group vor, ein Unternehmen, das in Russland mit Immobilien zu tun hat. Er steht nicht auf der Sanktionsliste der EU. Aufgrund dieses Engagements würde man sich freuen, dass Aksenov doch etwas gegen den Ukraine-Krieg öffentlich von sich geben würde. Nachdem sein Unternehmen in Russland v.a. aktiv zu sein scheint, ist eher davon auszugehen, dass es kein Statement von ihm geben wird.

Tatsächlich gibt es von viennacontemporary ein Statement der Manager, nicht des Boards, dem Aksenov angehört, das sich gegen den Krieg wendet: „viennacontemporary fully supports the values of a democratic and humanitarian society and categorically condemns any actions that sow social division and violence. We declare our full solidarity to our friends and colleagues in Ukraine who are facing the terror of war.“ Auf dem Internetauftritt der Family Foundation oder der RDI Group findet man englischsprachig keinen Appell.

Allerdings auf Instagram wird man fündig, automatisch übersetzt heißt es dort sinngemäß zu einem Bild des Ukrainers Nikita Kadan: „Nikita ist einer der wichtigsten zeitgenössischen Künstler in der Ukraine. Er ist in Kiew geboren und arbeitet dort, in einer Stadt, in der seit dem frühen Morgen Sirenen heulen, Menschen sich in Luftschutzbunkern vor russischen Granaten verstecken. Kultur ist ein Raum, der Erinnerung schafft und bewahrt. Und wir, die Aksenov Family Foundation, möchten, dass es in unserem kollektiven Gedächtnis keine Kriege mehr gibt. Ja, es liegt außerhalb unserer Macht, die Panzer und Raketen zu stoppen. Aber es liegt in unserer Macht, uns nicht mit Gewalt zu solidarisieren und nicht im Einklang mit der Stimme des Hasses zu klingen. #KeinKrieg.“ Das ist ziemlich klar.

Wie klar aber wiederum ist es z.B. mit der V-A-C Foundation aus Moskau, der Leonid Mikhelson, der CEO von Novatek vorsteht? Novatek steht auf der EU-Sanktionsliste (hier, s. S. 170). Auf EU-Listen ist Mikhelson nicht zu finden, gemäß der englischen Wikipedia zu Novatek wurde er aber in einem Report an den US-Kongress aufgrund eines US-Gesetzes für Einschränkungen gegenüber Russland genannt. Seine Foundation sollte 2020 den auf 2021 verschobenen Don Giovanni mit Teodor Currentzis MusicaEterna auf den Salzburger Festspielen fördern.

Man sieht daran, wie nah Kulturförderung im Westen in den letzten Jahren bereits russischen Geldgeber:innen war, bereits nach der Krim-Annexion in 2014, deren potentielle Geldquellen und Personen gar nicht so weit entfernt von längst erlassenen Sanktionen agierten. Wie damit nun angesichts des Ukraine-Kriegs und sich häufender Sanktionen umgehen?

Das Verbier-Festival machte es radikal vor: „Zu den Maßnahmen, die das Festival mit sofortiger Wirkung ergreift, gehören die Rückgabe von Spendengeldern von Personen, die von einer westlichen Regierung sanktioniert wurden, und der Ausschluss aller Künstler:innen vom Festival, die sich öffentlich mit der russischen Regierung solidarisieren.“ Dem Grunde nach bedeutet dies aber auch, dass sich jede:r weitere russische Geldgeber:in erklären müßte. Denn mag die Person (noch) unsaktioniert sein, so kann es schon ihr Unternehmen oder der eng kooperierende Kompagnon sein. Vielleicht wäre es daher das Beste, man verzichtet generell auf russische Geldgeber:innen als Ensemble, Agentur oder Festival im Bereich von Klassik und zeitgenössischer Musik/Kunst?

Verbier verweist zudem auf die Künstler:innen, die sich öffentlich mit Putin solidarisieren. 2014 gab es mehr als 500 Künstler:innen, darunter eben Valery Gergiev, Yuri Bashmet, Fabio Matrangelo, Denis Matsuev, Anton Lubchenko (2021 z.B. in Regensburg an der Oper), Vladimir Spivakov u.v.m. – einfach immer diese Liste bei Unsicherheit aufrufen – , die die Krim-Annexion guthießen. Oder sie solidarisierten sich wie Anna Netrebko oder Valentina Lisitsa mit den Separatist:innen des Donbass.

Wer auf dieser 2014er Liste steht oder damals entsprechend auffiel, bei dem kann man vorsichtig sein. In einer zweiten Stufe sollte man nachsehen, was 2022 von der betroffenen zu Putins Krieg gesagt oder nicht gesagt wurde. Man sollte dann keinen öffentlichen Aufruf sich zu erklären starten. Am besten, man fragt mal direkt vertrauensvoll nach. Oder man lädt eben bei Unklarheit nicht ein oder jemanden, der sich in Russland oder anderswo dennoch gegen den Krieg äußerte, seinen Job aufgab.

So ein Fall ist z.B. Vladimir Urin. Der unterschrieb 2014, 2022 aber kritisierte er offen mit seiner Unterschrift den Krieg. Zuletzt gab Tugan Sokviev seine Jobs in Toulouse und am Bolschoi Theater in Moskau auf. Er behauptete dabei, dass nun selbst russische Komponist:innen der Tradition boykottiert würden und berief sich dabei auf die Absage des Boris Godunow in Warschau. Hätte er nach Stuttgart geblickt, wäre ihm aufgefallen, dass dort Mussorgsky wie Sergei Newski zusammen erklingen, genauso zuletzt bei den Berliner Philharmonikern. Dieser „Aufschrei“ erinnert an Netrebkos Widerstand gegen das „sich klar machen“, was angeblich in die Bezeichnung „human shit“ für ihre Kritiker:innen, wie schon einmal hier geschrieben, mündete.

Zusammenfassend kann man feststellen: in Sachen russische Geldgeber:innen sollte man auf Transparenz und Statements eigentlich am besten bestehen, auch im Sinne unternehmerischer Tranparenz und Governance, ob man überhaupt derzeit Fördermittel aus der Seite annimmt, weil eben private und unternehmerische Vernetzungen – eigentlich schon viel länger als erst jetzt – oft ganz nahe an Sanktionslisten liegen. Bei Einladungen von Künstler:innen lohnt sich ein Blick auf die 2014er Liste oder in die globale, auch kyrillisch geschriebene Presse von damals, sowie auf Appelle (s. hier oder hier oder hier über 17.000 Künstler:innen/Kulturarbeiter:innen in Russland) und in dieselbe Presse in 2022 oder man fragt persönlich, nicht öffentlich direkt nach oder konzentriert sich am besten bewusst nicht auf staatnahe, sondern jetzt neue oder immer schon dissidente Persönlichkeiten und lädt diese bewusst ein.

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