Vom Pornokomponisten zum Operettenkomponisten

 

Vom „Pornokomponisten“ zum „Operettenkomponisten“

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Vielleicht kennen manche das Gefühl: es herrscht eine Erwartungshaltung und man ist nicht sicher, ob man diese erfüllen kann. So geht es mir im Moment mit meinem neuen Musiktheaterwerk „Die letzte Verschwörung“ (Uraufführung am 25. März in der Wiener Volksoper).

Ich merkte das schon bei den ersten Publikumsgesprächen mit den Abonnenten der Volksoper. Jedes Mal, wenn ich aus Versehen den Begriff „Oper“ verwendete, ging ein nervöses Raunen durch den Saal. „Du musst natürlich Operette sagen“ flüsterte mir auch die Intendantin und Regisseurin, Lotte de Beer, zu.

Klar, die Volksoper setzt sich in Wien von den anderen Opernhäusern dieser kulturbegeisterten Stadt dadurch ab, dass man der „leichten Muse“ frönt und eben nicht „große Oper“ präsentiert. Das hat lange Tradition, und Tradition ist in Wien ungemein wichtig.

Ich persönlich habe nicht das Geringste gegen Leichtigkeit, denn die ist – wie jeder Theatermensch weiß – das Allerschwerste. Drama ist leicht – jemand hat ein Messer in der Hand, ein anderer wird erstochen, sofort passiert etwas „Dramatisches“. Aber wie schwer ist es, genuine Komik zu erzeugen? Spritzige Dialoge zu erfinden? Komische Situationen zu erzeugen? Das ist harte Arbeit, die aber nie den Respekt bekommt, den sie verdient. In Österreich schätzt man Humor und Selbstironie, in Deutschland hat man immer das Gefühl, dass man erst erklären muss, was das überhaupt ist und ob man das darf.

Führt man daher in Deutschland Operetten auf, liest man im Programmheft meistens lange Abhandlungen darüber, wie politisch und tagesaktuell die Operette einst war. Das tut man fast entschuldigend, als sei es nur erlaubt zu lachen, wenn das eigentliche Thema ernst ist, wenn es also „um etwas geht“. Das erinnert mich dann immer an manche Schullehrer, die beim Genre des Comics immer die Nase rümpften, aber Asterix noch durchgingen ließen, weil man da ja „Latein lernt“.

Immer das politisch Subversive der Operette zu betonen wäre aber ein Trugschluss. Immerhin ist die Operette sehr wohl auch das, was die Oper oft nicht ist. Temporeicher, ironischer, realistischer aber vielleicht auch ein bisschen verrückter, auf jeden Fall aber nicht gediegen oder künstlich erhaben. Aber wenn wir schon von Genre sprechen: Gibt es das Genre überhaupt noch? Ist die Operette eine lebendige Kunstform?

Ein verkürzter historischer Abriss: Zu Zeiten der Florentiner Camerata brachte man durchaus auch schon das tägliche Leben auf die Bühne, man inszenierte sogar Fußballballette („Calcio Storico“). Aber die Themen der großen musikalischen Dramen konzentrierten sich (noch) auf die antike Mythologie. Aus dem Geist der Parodie dieser Werke entstehen aber schon schnell anarchischere Stücke wie zum Beispiel die originale „Beggar’s Opera“, die der Künstlichkeit der barocken Arien mit bodenständigeren und vulgäreren Songs entgegentrat. Damals nannte man das „Ballad Opera“, was schon darauf verweist, wie wichtig „Songs“ in so einem Kontext sind.

Schon bald kommen weitere Themen hinzu: Haydns „Die Welt auf dem Monde“ ist eine Art Prä-Operette, die den Weg für Mozarts Singspiele bereitet. Die wirkliche Welt kommt hier nicht vor, dafür aber fantastische Symbolwelten mit großem Unterhaltungswert wie z.B. in der „Zauberflöte“. Spätestens jetzt gibt es also neben den großen dramatischen Stoffen auch einen zunehmenden Bedarf an Leichtigkeit und Humor, es folgt die Blüte des „Singspiels“, gefolgt von den ersten „Operetten“. Das ist alles auch eng verwandt mit der „Volksoper“, also zum Beispiel dem „Freischütz“.

Im frühen 20. Jahrhundert erweitern das „Songspiel“ (Weill) und die „Zeitoper“ (Krenek) die Möglichkeiten, das Weltgeschehen mit Musiktheater zu kommentieren – man verlässt die schon damals zunehmend nostalgisch geprägten Gefilde der Operette. Die Protagonisten dieser neuen Genres müssen größtenteils aus Europa fliehen, daher erlebt die Gattung ihre Fortsetzung als „Musical“ im englischen Sprachraum.

Das „Musical“ schien auch erst einmal die letzte Inkarnation der einstigen Operette zu sein, wobei man sich fragen kann, inwieweit die heute das Genre leider dominierenden Kommerzmusicals noch irgendetwas mit den Anfängen des Genres zu tun haben. Auf dem Weg von Weills „Street Scene“ bis zum bräsigen Phantom der Oper („Das Phantohom der Ohoper ist daaaaaa“) ist auf jeden Fall irgendetwas Wichtiges verlorengegangen.

Welche Rolle spielt die Neue Musik mit großem „N“ in dieser Geschichte? Bis vor kurzem keine. Es bedurfte schon großer Anstrengungen, das Genre der Oper als Vehikel für zeitgenössische Musik wiederzuentdecken, zeitgemäßer war das „Musiktheater“, das sich den Konventionen der als bourgeois empfundenen Oper widersetze. In dieser arienfeindlichen Umgebung wäre der Plan eine „Operette“ zu komponieren als vollkommener Irrsinn empfunden wurden. Wie trostlos zum Beispiel die 70er Jahre in der akademischen Neuen Musik in dieser Hinsicht waren, zeigt die vollkommene Ignoranz gegenüber einem Meisterwerk wie „Yolimba“ von Wilhelm Killmayer und Tankred Dorst, einem musikalisch gelungenen Versuch, die Leichtigkeit der Operette mit modernen Mitteln nachzuempfinden.

Seitdem hat sich einiges verändert. Heute sprechen Komponistinnen und Komponisten zunehmend wieder von „Opern“, ja, sogar das Konzept einer Art „Neue Musik“ – Belcanto-Konzept hat seine Anhänger (siehe Reimann oder Henze). Mit einiger Verzögerung gibt es seit kurzem wieder „Operetten“, aber so richtig herumgesprochen hat sich das noch nicht, obwohl es zunehmend Kolleginnen und Kollegen gibt, die aktiv auf das Genre zugehen und ihre Stücke auch so benennen.

Nun also auch ich. Oder doch nicht?

Ich muss ehrlich sein: beim Komponieren der „Letzten Verschwörung“ habe ich in keinem einzigen Moment daran gedacht, dass das nun eine „Operette“ sein muss. Gleichzeitig finde ich es aber nicht schlimm, dass man es „Operette“ nennt, denn ich finde die oben beschriebene Tradition ehrenwert und faszinierend.

Ich hätte den Begriff vielleicht früher nicht verwendet, aber eigentlich wollte ich irgendwie schon immer eher „Operetten“ als „Opern“ schreiben. Und das hat schlicht und einfach damit zu tun, dass ich es erstrebenswert finde, dass das Leben wie wir es täglich erleben, auf der Bühne Raum bekommt, nicht nur Ideen oder Konzepte. Ich möchte nicht, dass die Protagonisten meiner Opern symbolisch für irgendetwas stehen oder sich einem Kompositionssystem unterordnen. Ich möchte, dass sie atmen, scheitern, sich lächerlich machen, über sich selbst hinauswachsen oder sich an Banalitäten unseres Alltags reiben. Das funktioniert nur, wenn ich ihnen nicht nur einen Namen, sondern auch eine Authentizität gebe, wenn sie nachvollziehbare Motivationen haben und sich verständlich äußern. Natürlich ist es auch spannend, komplexe und kunstvolle Partituren für die Singenden und die Orchester zu komponieren. Wenn dies aber mein einziges Mittel ist und es nie einen natürlich klingenden Dialog oder nie einen mitreißenden musikalischen Verlauf gibt, entfremdet dieser akademische Höchstleistungssport eher, als mitzureißen.

Ich finde es erstrebenswert, wenn man direkt an einer Szene teilnehmen kann und versteht um was es geht, ohne, dass man vorher ein Statement oder einen erklärenden Text gelesen haben muss. Die nach wie vor grassierende„Programmtextitis“ in der zeitgenössischen Musik verhindert im Musiktheater direkt funktionierende Emotionalität, da sie sich als Barriere zwischen mich und das direkte Erlebnis stellt. Das direkte Erlebnis ist aber Kernprinzip der Oper. „Theatralisch“ und „direkt“ zu denken, ist nicht „antiintellektuell“.

Meine Theorie ist, dass Operette ein fernes Sehnsuchtsland ist, in dem alles passiert, was normalerweise in der gerade vorherrschenden „Großen Oper“ nicht geht. Insofern ist die Operette immer Gegenentwurf zu vorherrschenden Tendenzen. Ist die Oper schwülstig und wohlfeil, ist die Operette frech und ungezogen.  Ist die Oper weltfern, ist die Operette der Welt zugewandt. Wenn die Oper an der Größe ihrer Themen zerbricht, zelebriert die Operette die Banalitäten des Alltags.

Man kann also sagen: ohne Oper keine Operette. Aber umgekehrt beeinflusst die Operette wiederum die Oper, indem sie mit dem Erfolg hat, was die Oper vernachlässigt, sodass die Oper wieder nachziehen muss. Der Verismo in der Oper z.B. ist eine direkte Antwort auf die „realistischere“ Operette, nur mit anderen Mitteln.

Da Oper und Operette direkt verwandt und voneinander abhängig sind, ist es sinnlos, Operettenkomponisten und Opernkomponistinnen zu trennen. Wer gute Opern schreibt, beherrscht auch die Leichtigkeit. In Mussorgskys hochdramatischem Stück „Boris Godunow“ gibt es z.B. auch leichte und kindliche Momente, um so größer ist die Fallhöhe zu den tragischen Momenten. Und gute Operettenkomponisten zieht es zum „Ernsten“, siehe Offenbach mit „Hoffmanns Erzählungen“.

Warum nicht das Beste aus beiden Welten? Wirklich interessant wird es doch ohnehin nur dann, wenn man die festen Grenzen jeglicher „Genres“ oder „Stile“ überwindet und dort wildert, wo man den Ort nicht genau einordnen kann.

Insofern ist meine „Letzte Verschwörung“ weder eine „ernste“ Oper noch eine „leichte“ Operette. Sie hat Elemente aus beidem, was allein schon mit dem Thema zu tun (es geht, wie der Titel schon sagt, um „Verschwörungsmythen“ – ein Thema, bei dem uns allen sowohl zum Lachen als auch zum Weinen zumute ist).

„Die letzte Verschwörung“ ist keine Abfolge von Arien oder „Nummern“, aber es gibt Momente, die man als Arien oder Nummern bezeichnen kann, sie sind nur viel kürzer als normalerweise, manchmal nur wenige Sekunden.

Es gibt nur ganz wenige kurze gesprochene Passagen, hauptsächlich wird gesungen. Aber gleichzeitig gibt es auch eine „Erzählerstimme“, im Film ein oft unnötiges, im Musiktheater aber noch nie verwendetes Mittel, das Rezitative oder Zwischendialoge ersetzt.

Das grundsätzliche hohe Tempo ist eher einem Film oder einem Theaterstück ähnlich – Szenen werden nicht endlos ausgedehnt und die Musik dient der Handlung, anstatt sich ständig als eigene Ebene behaupten zu müssen. Es gibt sowohl skurrile als auch dramatische Szenen. Dennoch ist die Musik nie im Hintergrund und ist auch keine Film- oder Bühnenmusik.

Ich habe keine Ahnung, was für ein Genre das jetzt ist, aber man kann es gerne „Operette“ nennen, es stört mich nicht.

Als ich 2007 gemeinsam mit Hans Neuenfels das Singspiel (!) „Die Schnecke“ schuf, betitelte die BILD-Zeitung das als Pornooper und mich als Pornoopernkomponisten. Das war schon einmal ein guter Anfang.

Jetzt bin ich immerhin schon „Operettenkomponist“. Ich bin sehr gespannt, was als Nächstes kommt.

 

Moritz Eggert

 

 

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