To do or not to do
Anmerkung: Bevor wir hier Beschwerden über Rechtschreibfehler bekommen – ich benutze in diesem Artikel experimentell eine von mir hier vorgeschlagene alternative Form von genderneutraler Schreibweise, die deutlich platzsparender ist als die gängigen Sternchen und Doppelpünktchen. Ich unterstütze genderneutrale Schreibweisen, finde sie nur manchmal ziemlich „clunky“ und sperrig. Es ist meine ausdrückliche Hoffnung, das sich irgendwann sprachlich elegante Neuerfindungen durchsetzen.
Wer meine Vorschläge nicht aushält, kann gerne bei mir eine Version mit den gewohnten Doppelpunktkonstruktionen bekommen, die ist nur einfach dann viel länger…
To do or not to do
Es sind moralisch schwierige Zeiten, keine Frage. Von einer unübersehbaren Flut von Informationen überfordert, sind wir immer wieder anfällig für „alternative“ Meinungen, denen man mehr aus einem Gefühl heraus folgt. Oder auch vielleicht, weil man grundsätzlich bestimmten Quellen misstraut, anderen aber alles glaubt. Ominöse Konzepte und Begriffe wie „Mainstream Medien“ oder „Great Reset“ verstärken dieses selektive Wahrnehmungsverhalten und man droht in einer Bubble zu verschwinden, die die Wahrnehmung der Welt komplett verändert.
Der Ukrainekrieg bringt – wie bei allen menschlichen Problemen – das volle Meinungsspektrum zum Vorschein, das eine Gesellschaft erzeugen kann. Ganz sicher dominiert in Deutschland ein großes Entsetzen über diesen Krieg und ein Gefühl der Solidarität mit den Ukrainere. Aber als zum Beispiel neulich der Komponisteverband zu einem „Tag der Solidarität“ aufrief, bekam ich einen bösen Brief eines unsere Mitglieder, dass das „genauso sinnlos ist, wie Panzer in die Ukraine zu schicken“, und dass die Ukrainere ja ohnehin „Zelensky ganz furchtbar finden und Putin in Wirklichkeit mit offenen Armen willkommen heißen, weil er sie ja endlich von den Nazis befreit“.
Nun könnte ich diesem Mitglied lange erzählen, dass meine vielen ukrainischen Freundi hier dezidiert widersprechen würden und dies ganz sicher nicht die Meinung des Großteils des ukrainischen Volkes ist (warum sollten sie sonst so tapfer ihr Land verteidigen?), aber natürlich kann man auch nicht ausschließen, dass es in der Ukraine Einzelmeinungen gibt, die sich von der Allgemeinheit unterscheiden. Diese hätten aber bei einer demokratischen Abstimmung ganz sicher keine Chance, denn die Mehrheit dieses Landes empfindet sich nicht unter der Knechtschaft einer faschistischen Diktatur, ebenso wie auch die Mehrheit der Bevölkerung hierzulande ganz sicher nicht ein wiederauferstandenes Kaiserreich im Sinne der Reichsbürgere begrüßen würde.
Zur Demokratie gehört auch die Akzeptanz, dass es einen gesellschaftlichen Konsens gibt, der demokratisch errungen wurde. Man kann eine andere Meinung haben als diesen Konsens, aber wenn man wider jedes Argument auf dieser Gegenmeinung beharrt, wenn der Zug schon längst abgefahren ist, oder womöglich wie viele Trump- oder Bolsonaro-Anhängere ständig überall einen Wahlbetrug wittert, untergräbt man tatsächlich die Demokratie, die man angeblich verteidigt. Es ist uns allen klar, dass der Angriff auf das Kapitol z.B. eine zutiefst antidemokratische Gewalttat war – die Tätere dagegen handelten in der (falschen) Annahme, dass ein Großteil des amerikanischen Volkes hinter ihnen stünde, so hermetisch ist ihre „bubble“.
Wir haben in diesem Blog immer wieder moralische Positionen in diesen Zeiten thematisiert. #metoo fehlgeleiteter Coronamaßnahmenwiderstand und die dubiosen Putinverbindungen von Künstlere wie Currentzis und Gergiev waren zum Beispiel Themen unserer Artikel, die dann in den sozialen Medien sehr kontrovers diskutiert wurden und bei denen wir oft besonders hart von denen angegangen wurden, die eine andere Meinung vertreten. Das ging hin bis zur Aufkündigung von Freundschaften.
Auch wenn es immer wieder gerne missverstanden wird: ich glaube, keine unserer Autore erhebt den Anspruch, eine moralisch perfekte Position einnehmen zu können. Aber wir empfinden es als verpflichtend, die moralischen Fragen, die unsere Gesellschaft auch dem Musikleben stellt, zu diskutieren. Hierzu muss man eine Position einnehmen, ansonsten macht diese Diskussion keinen Sinn. Und diese Positionen diskutieren wir intensiv im Hintergrund.
Im Moment diskutieren wir zum Beispiel ein Thema, das eine wirklich schwierige Frage stellt. Der Hintergrund ist folgender: in Russland gibt es gerade ein Konzert, bei dem viele namhafte Vertrere der deutschen Komponisteszene aufgeführt werden. Leider gesponsort von der VTB-Bank, die im Moment offiziell und das auch durchaus mit Grund boykottiert wird.
Natürlich interessierten uns sofort die Hintergründe. Meine Vermutung, dass die Kollegi gar nichts von diesem Konzert wussten, bestätigte sich schnell. Tatsächlich hatten sich die russischen Organisatore das Aufführungsmaterial zum Teil auf dubiosem Weg besorgt. Das Festival selbst (das wir natürlich anfragten) bleibt bis heute eine Auskunft schuldig.
Die betroffenen deutschen Kollegi reagierten ganz unterschiedlich auf unser Nachfragen. Einige untersagten sofort dem Festival, ihre Musik zu verwenden. Andere fanden es nicht gut, sahen sich aber auch nicht verpflichtet, die Aufführung aus der Ferne zu beeinflussen. Wieder andere machten auf die schwierige Situation der russischen Kollegi aufmerksam, und dass man doch in Russland ohne solche Gelder und Kollaborationen gar keine Musik mehr machen könnte.
Welche Haltung soll man jetzt dazu finden? Das ist gar nicht so einfach. Klar: man bringt in Russland ohne „befleckte“ Kulturgelder kaum etwas zustande, man arrangiert sich entweder mit bestimmten Finanzierungen oder muss mehr oder weniger verstummen. Nicht alle Kollegi, die von diesen Geldern profitieren sind böse Putin-Vasallen, die die Auslöschung der Ukraine fordern. Es gibt viele Grauzonen und Zwischenpositionen. Aber gleichzeitig darf man auch nicht übersehen, dass ganz viele Russe, die dieses System seit Jahrzehnten kennen, ihr Land gerade verlassen haben…weil sie es eben moralisch nicht mehr vertretbar finden, was ihre Regierung fabriziert. Es scheint also eindeutig etwas nicht in Ordnung zu sein in Russland, es gibt einen Dissens darüber und eine drängende und starke moralische Frage.
Nun kann man natürlich sagen, dass einen das nicht interessiert. Und man sich vielleicht auch schönreden kann, dass trotz VTB-Geldern da ganz unschuldige Konzerte stattfinden. Aber sind sie wirklich unschuldig? Oder machen sie sich vielleicht auch zum Teil einer Propaganda, die gerne auch vorgibt, der Westen sei angeblich im Banne von faschistischen Diktaturen, die die große Liebe der Bevölkerung zu Russlands aktueller Politik gewalttätig unterdrückt? In eine solche Propaganda passt ein Konzert mit deutschen Komponiste geradezu perfekt. Denn es sagt doch: „seht, das europäische Volk begrüßt den Kulturaustausch mit uns, nur eure Anführere zwingen euch eine andere Position auf“.
Meine persönliche Antwort hierzu wäre (und natürlich hat jedi das Recht, zu widersprechen), ein solches Konzert nicht gutzuheißen und die Aufführung meiner Musik zu untersagen. Zu groß wäre für mich die Gefahr, dass selbst gutmeinende russische Organisatore hier einer Propaganda dienen, der ich nicht zu Diensten sein will. Mal abgesehen davon, dass wir Europäere die VTB-Bank boykottieren, was ich vollkommen richtig finde. Da muss man dann auch konsequent sein.
Auch wenn solche Vergleiche immer sehr schwierig sind: Man stelle sich vor, man wäre als amerikanische Komponiste mitten im Holocaust angefragt worden, doch eine Aufführung von Werken in Berlin zu erlauben, und das finanziert mit Geldern, die vorher ganz sicher jüdischen Mitbürgere geraubt wurden. Hätte man da ja gesagt? Sicher nicht.
Aber auch hier wäre die Frage zu exakt dieser Zeit schwieriger zu beantworten gewesen als im Nachhinein. Auch mitten im zweiten Weltkrieg demonstrierten Amerikanere für den Frieden und Schulterschluss mit Nazideutschland (was ganz sicher dazu beitrug, den Kriegseintritt der Amerikanere zu verzögern). Heute sind wir ziemlich froh, dass es irgendwann einen gesellschaftlichen Konsens gab, dass Hitlers Wahnsinn dringend zu stoppen sei. Dies zeigt auch, wie wichtig ein solcher Konsens ist: er ist dringend nötig, um die Feinde der Demokratie zu stoppen. Nur gemeinsam und in Einigkeit können wir als Europa heute den wiedererwachenden Diktaturen entgegentreten.
Gab es damals in Nazi-Deutschland auch „Gute“? Ganz sicher. Nicht jedi konnte es sich leisten, zu fliehen. Doch beeindruckt die innere Emigration eines Karl Amadeus Hartmann (der quasi aus der Öffentlichkeit verschwand, weil er mit seiner Kunst die Verbrechen nicht feiern wollte) heute wesentlich mehr, als das, was viele Halbherzige oder gar Mitläufere in diesen Zeiten veranstalten. Hartmann war kein kämpfender Held des Widerstands, der sein Leben riskierte, aber er tat etwas, das großen Respekt zollt: er machte nicht mit. Allein das kann schon eine sehr starke Haltung sein.
Doch zurück zum Heute: Auch wenn meine Meinung zum Konzert in Moskau sehr klar ist, muss ich mich selbstkritisch fragen, ob man immer das „Richtige“ tun würde.
Vor einigen Jahren – noch vor Corona – bekam ich eine offizielle Einladung, Teil der Jury des Tschaikowsky-Kompositionswettbewerbs in Moskau zu werden. Schon in der ersten Mail lag eine große Betonung darauf, dass dieser Job außerordentlich gut bezahlt werden und man alles tun würde, um mir den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen (sprich: bestes Hotel, teure Diners, etc.). Das war wie gesagt vor dem Krieg, aber wäre ganz sicher mit öffentlichen Geldern finanziert worden, die VTB-Bank und irgendwelche Oligarchen wären sicherlich beteiligt gewesen, standen aber damals nicht im Fokus wie heute.
In gewisser Weise bin ich sehr froh, dass mir Corona die Entscheidung über diese Einladung letztlich abgenommen hat. Der Kontakt verlief dann im Sande. Kann ich sicher sein, dass ich hier nein gesagt hätte? Nein. Vielleicht hätte ich mir das Ganze schön geredet und wäre, wie manche inzwischen fanatisierten Putintrollkollegi, den Lockungen von Kaviar und Vodka erlegen. Man hätte mir vor dem Krieg keinen Strick draus gedreht. Viele von uns waren auf Konzertreise in Russland. Auch ich war schon mehrmals dort und traf nette Kollege. Ich hoffe auch sehr, dass dies irgendwann wieder unbekümmert möglich ist. Aber jetzt fordert der Krieg eine Haltung ein, die eine Position benötig, ob ich das mag oder nicht. Denn keine Haltung zu haben heißt, dass mir die Ukraine vollkommen egal ist, und das ist sie mir eben nicht.
Diese Art von Entscheidungen muss jedi selbst treffen. Und weil der demokratische Konsens täglich neu errungen werden muss, sind wir nicht nur dazu aufgefordert, uns mit den schweren moralischen Fragen dieser Zeit auseinanderzusetzen, sondern auch es uns dabei nicht zu leicht zu machen und nicht allein den Einflüsterungen irgendeines Telegram-Channels zu lauschen.
Demokratie beginnt nämlich dort, wo man es sich nicht leicht macht.
Moritz Eggert
Komponist