„Blühen“ für Ungeduldige

„Blühen“ für Ungeduldige

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Der österreichische Autor Händl Klaus ist für seine poetischen und präzisen Libretti bekannt. In konziser und von jeglichem unnötigen Ballast befreiter Sprache bringt er uns die inneren Emotionen seiner Figuren so nahe, dass sie fast greifbar werden. Sehr oft sind seine Heldinnen und Helden ganz gewöhnliche Menschen, die in Extremsituationen geraten, da sich in ihrem Alltag ein plötzlicher Abgrund auftut. Im Angesicht des Todes bewahren Sie ihre Würde bis zuletzt.

Gestern hatte im Bockenheimer Depot seine neue Oper „Blühen“ (nach Thomas Mann) Premiere, mit wunderschöner Musik von Vito Zuraj, inszeniert von Brigitte Fassbaender.

Um Händl Klaus‘ Werk auch einem größeren Kreis von Lesern zugänglich zu machen, habe ich mir erlaubt, die Handlung hier in verkürzter Form zusammenzufassen.

 

Szene 1

(Mutter und Tochter, vor einem Vorhang aus Wattestäbchen)

Chor: uauahhhauuuuuuahhh!

Mutter: Tochter, siehst Du diesen schönen Baum? Er blüht!

Tochter: Aber Mutter, es ist März, der Baum blüht doch erst im Mai!

Mutter: Früher hast Du immer so schön an diesem Baum gespielt…

Tochter: Hey, ich hatte total Schiss vor diesem random Baum!

Mutter: Aber er blüht so schön, so wunderschön!

Tochter: Ja, jetzt finde ich ihn auch irgendwie cool.

(sie tanzen und singen, ca. 20 Minuten)

 

Szene 2

(Der Sohn und sein englischer Nachhilfelehrer, Mutter und Tochter beobachten sie heimlich)

Chor: huuhuhhahhahhhuuuuuuu!

Sohn: (frustriert) I zink I can not rihly speak ze englisch wery vell

Lehrer: You might be right about that, son…

Mutter: Isn’t it splendid how this British fellow teaches my son?

Tochter: He’s American, mum.

Lehrer: Isch wollen lehren Ihre Sohn gute Deutsch, Ma’am!

Mutter: (lüstern) Ich glaube, ich muss Ihnen auch ein bisschen Nachhilfeunterricht geben, Mister…

 

Szene 3

(Mutter und Tochter)

Chor: ohoohooohhahahheeee!

Mutter: (traurig) Ich glaube, ich bin verliebt!

Tochter: In wen?

Mutter: In einen viel jüngeren Mann.

Tochter: Wie alt?

Mutter: Fünfundzwanzig.

Tochter: Und du bist Zweiundfünfzig – passt doch!

Mutter: (fröhlich) High Five! Es ist übrigens der Nachhilfelehrer Deines Bruders.

Tochter: Finde ich total ok und auch überhaupt nicht creepy!

Mutter: Wie schön! (sie umarmen sich)

 

Szene 4

(Mutter und Nachhilfelehrer)

Chor: ouououuahhhuaoooh!

Mutter: Wie wäre es, wenn wir uns küssen?

Lehrer: Cool, let’s do it!

(Sie küssen sich)

Mutter: Wir haben uns geküsst!

Lehrer: We just kissed!

Mutter: Hurra, Küssen ist super!

Lehrer: Hooray, kissing is great!

Mutter: Küssen!

Lehrer: Kissing!

(usw., ca. 15 Minuten)

Mutter: Ich bin so froh, dass wir uns geküsst haben!

Lehrer: Me too, but I have to go now…

Mutter: Moment, was ist da Hartes in deiner Hose? Ist das eine Pistole oder bist Du einfach nur froh mich zu sehen?

Lehrer: (plötzlich in perfektem Deutsch) Nein, das ist nur ein Stück hartes Brot, das ich immer mit mir führe, um die Enten zu füttern.

Mutter: Aber das Brot…es duftet! Zeig es mir!

Lehrer: Nein!

Mutter: Es duftet so gut! Bitte gib mir das Brot!

Lehrer: Nein, nein und nochmals nein!

Mutter: Ich will das Brot! Ich will von dem Brot essen!

Bernd: Hilfe!

(Sie fällt über ihn her, sie haben wilden Sex. Das Publikum und die gesamte Familie schauen ergriffen zu.)

Chor: Oh la la!

(Sie kommen)

 

Szene 5

(Mutter und Tochter)

Mutter: Stell Dir vor: ich blute! Ich blute wieder! Schau doch, wie ich blute!

Tochter: würg!

Mutter: Das ist alles ganz natürlich. Und außerdem ist Frühling!

Tochter: Ich glaube, Du solltest zum Arzt gehen, Mama!

 

Szene 6

(Auf der Bühne öffnet sich plötzlich ein Geschwülst zum Upside Down aus „Stranger Things“. Heraus tritt ein Arzt, der aussieht wie Sky Dumont)

Arzt: Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht, gnädige Frau.

Mutter: Na gut, dann halt die schlechte zuerst!

Arzt: Sie haben Gebärmutterkrebs und werden bald sterben.

Mutter: F***! Und was ist die gute Nachricht?

Arzt: Die Oper dauert nur noch 40 Minuten.

Chor: uhbalagubaaaaahhh

 

Szene 7

(Die Mutter liegt auf einem Sofa, sterbend. Ihr Geliebter hält ihre Hand)

Mutter: Scheiße, ich sterbe!

Sohn, Tochter, Lehrer: Oh Mama! Oh Geliebte!

Mutter: (röchelt, sinkt darnieder)

Lehrer: Sie ist tot!

Tochter: Nein!

Chor: uuuuuuuuuh

 

Szene 8

(Die Mutter erhebt sich wieder)

Mutter: Das Leben ist so schön, ich will noch nicht sterben.

Sohn, Tochter, Lehrer: (verwirrt) Huch?

Mutter: Es ist doch Frühling draußen! Schaut doch, der schöne Baum! (sie sinkt erneut darnieder)

Sohn, Tochter, Lehrer: (schluchzen)

Chor: nooooooooooooo!

 

Szene 9

(Die Mutter erhebt sich erneut vom Sterbesofa)

Mutter: Äh, und was ich noch sagen wollte…

Sohn: Was denn, Mutter, was denn?

Mutter: Ich hab euch lieb! Und das Leben auch! (Sie tanzt fröhlich herum)

Chor: wawaaaaaahhh!

 

Szene 10

(Die Mutter ist wieder dahingesunken)

Sohn: Ist sie jetzt tot?

Tochter: Ich bin nicht sicher, die Musik läuft noch…

Mutter: Taraaaaa! Da bin ich wieder!

(alle zucken erschreckt zusammen, die Mutter erhebt sich)

Mutter: Komm her, mein Sohn, ich muss Dir etwas Wichtiges sagen!

Sohn: Was denn, Mutter, was denn?

Mutter: Du musst noch die Grundsteuererklärung ausfüllen.

Sohn: (genervt) Echt jetzt?

Chor: lalalalalalalaaaaaaa

 

Szenen 11-23

(Die Mutter läuft im Negligé fröhlich und sexy über die Bühne, setzt dabei immer wieder zum Sterben an, steht aber dann sofort wieder auf)

 

Szene 24

Mutter: Ach, ist es nicht schön, zu sterben? Ich glaube, ich war noch nie so zufrieden in meinem Leben. Aber jetzt ist Schluss. Schluss is, sog I! Aus und vorbei!

(ihr Kopf sinkt kraftlos ins Sofakissen)

Lehrer: (schlägt die Hände über dem Kopf zusammen) Sie ist tot! Tot! Buhuuuuu!

Mutter: (erhebt sich plötzlich wieder) Ätschibätsch!

 

Szene 25

Mutter: So jetzt langt’s langsam.

Alle: Uns auch!

Mutter: Nun denn. Ich verlasse euch. Und das Schönste daran ist: mich kann jetzt nichts mehr enttäuschen! Adieu! Macht’s gut! Und danke für den Fisch!

Alle: (schauen sich verwirrt an)

Mutter: Urgh! Röchel!

(Sie stirbt)

(Aus der Ferne ist ein leiser Furz zu hören)

ENDE

 

 

Moritz Eggert, frei nach dem Original von Händl Klaus

 

Mehr Händl Klaus gibt es auch hier: „Bluthaus“!

Weitere Vorstellungen von „Blühen“ im Bockenheimer Depot, Frankfurt am Main: 22., 25., 28., 30. Januar, 3., 5., 8., 10. Februar

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