„Mein Konzert fällt aus, weil zu wenige Karten verkauft wurden.“ – Stehe dazu!

Derzeit liest man im Netz immer mal wieder, dass die Konzerte von Bands, Ensembles oder Einzelkünstlerinnen und -künstlern abgesagt werden, weil im Vorverkauf zu wenige Karten verkauft wurden. Der normale Impuls des enttäuschten Kunstschaffenden (vor der Pandemie): totschweigen, Zuhause still trauern, sich klein und unoriginell fühlen. Doch hier und da hauen die Künstlerinnen und Künstler jetzt raus: „Hey, klar ist das schade. Aber kauft doch beim nächsten Mal wieder Karten!“

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Das Ganze liegt natürlich immer noch an der Pandemie. Denn: Nimmt man, wie bekanntlich in den vielen Monaten der Pandemieschließung geschehen, den Menschen Kulturerlebnisse weg, so verkümmert das Bedürfnis an kultureller Teilhabe einfach. Das hat nur sehr bedingt damit zu tun, dass die Menschen „jetzt endlich erkennen“, dass sie die „schlechten Inszenierungen“ (innerhalb der Welt des Musiktheaters) oder die immergleichen „Stars der Klassik“ (im Konzertleben) eigentlich immer schon doof fanden, sondern mit dem Umstand, dass Kultur eben doch kein „Lebensmittel“ ist, sondern etwas viel Fragileres: Mit der Kultur und der Wichtigkeit der Regelmäßigkeit kultureller Erfahrungen (und daraus möglicherweise resultierender differenzierter Gespräche mit anderen Menschen) verhält es sich wie mit den (noch) mehreren Millionen verschiedenen Tierarten auf unserer Erde: Stirbt etwas davon aus, kommt es nicht zurück – wird aber eventuell auch gar nicht großflächig vermisst! Und damit haben wir es jetzt zu tun. Mein Eindruck: Solidarität gibt es nicht. Wir unterstützen uns nicht gegenseitig. Im Gegenteil, gehe ich durch Berlin (schlagt mich, wenn das nur mein subjektiver Eindruck ist), merke ich: Das Leben ist noch einmal rauer, rüder geworden. Ganz allgemein! Mitmenschlichkeit: zum Auslachen! (Auf die Musikszene übertragen: Dein Konzert fällt aus? Du warst ja schon immer völlig überschätzt!).

Häufig wird in Momenten der Krise „Solidarität“ gefordert. Doch wir wissen, wie es sich mit Solidarität unter Künstlerinnen und Künstlern eben verhält. Der Einsatz von Initiativen, entsprechenden Projekten und Veranstaltungen (oder sogar Demonstrationen) verhallt im Orkus des plötzlich sehr verhaltenen Medieninteresses. Da kommen dann Schein-Initiativen und vermeintlich grundgütige Leut‘ daher, die alles weggrinsen (oder doch nur wieder auf sich selbst verweisen) wollen.

Vielleicht hilft einfach nur Ehrlichkeit. Vielleicht hauen wir demnächst jedes Mal, wenn eines unserer Konzerte wegen immer noch zu wenig verkaufter Karten ausfällt, genau diese Information heraus. Erst dann resultiert möglicherweise von der Seite aus Solidarität, von der wir die wichtigste Unterstützung erfahren: von der Seite des Publikums.

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.