Ich mache, was ich will – Currentzis ändert Orffs Instrumentation in Salzburg
Ich saß daheim am Radio und hörte mir auf Ö1 die Übertragung des Bartok/Orff Doppelabends (noch ein paar Tage online nachzuhören) zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2022 mit dem Gustav Mahler Jugendorchester, dem Musicaeterna Chor, dem Bachchor Salzburg und alle mit dem Dirigenten Teodor Currentzis in der Felsenreitschule in der Regie von Romeo Castellucci. Mich interessierte vor allem, was mit Carl Orffs Musiktheater passieren wird. Musikalisch. Ich verfolgte die Aufführung mit Partitur in der Hand. Natürlich begann es nicht sofort mit den Instrumenten und Chören der Partitur, sondern mit Soundscapes, die immer wieder eingestreut wurden. Nachdem sowieso Orff schreibt „Die Herstellung der Tonbänder erfolgt durch den Veranstalter oder die Interpreten“ ist das vielleicht sogar in seinem Sinne bald 50 Jahre nach der Uraufführung auf den damaligen Salzburger Festspielen.
Der Hut ging mir allerdings dann ganz am Ende hoch. Es war wie ein 2021er Déjavu, als Currentzis die Fuge des Don Giovanni-Finales mit einem Chor statt Solisten besetzte. Ärgerlich, da nicht von Mozart so vorgesehen, vielleicht aber szenisch begründbar. Doch was haben Chor-Ahhs oder „bocca chiusa“ am Ende von Orffs „Endzeitspiel“ zu suchen? Nachdem es hieß, dass die Überarbeitung aus 1980/81 zum Einsatz käme, sei hier reingeschaut. Auf Seite 175 beginnt die letzte Nummer „Con sublima spiritualità“. Zuerst wird die Kontra-D-Saite eines Flügels hier mit Schlägeln schlagzeugartig angeschlagen. Das passiert auch in Salzburg 2022. Dann spielen vier Violen bzw. violaartige Streichinstrumente eine Spiegelkanon-Fassung-Orffs über die Bachsche Choralmelodie „Vor deinen Thron tret ich hiermit“. So aber nicht in Salzburg 2022. Ab dem ersten Einsatz singen Bässe, dann Tenöre, der Alt und der Sopran im Radio hinter den Streichern hallig zu hören mit. Warum? Ich sah öfters in die Noten und fand schlichtweg keinen Hinweis. Auch im Austausch mit einem Kollegen, der Orffs Werke quasi auswendig kennt, gibt es keine positive Antwort für diesen „Eingriff“ am noch geschützten Werk eines noch nicht seit 70 Jahren Verstorbenen.
Der Schott-Verlag nennt die Aufführungen in seinem Kalender, die Orff-Stiftung veranstaltet eine Reise dorthin, unterstützt die Aufführung. Gibt’s von dort einen Hinweis? Bisher nicht. Solange kann man den v.a. von Teilen der österreichischen Presse hochgelobten Event im Finale als willkürlich und eigenmächtig bezeichnen. Currentzis, der im ServusTV-Interview mit Ioan Holender in Vorabpublikation von Demokratie und absoluter Handlungsfreiheit als sein Grunrdrecht spricht, geht hier Larifari mit dem Grundrecht des Komponisten auf Urheberrechtsschutz um. Nun, Currentzis kann immer machen, was er will. Sich und Musicaeterna weiterhin von einer EU-sanktionierten Bank sponsern lassen, mit Gazprom durch Sibirien düsen, auf Putins Wirtschaftsforum und auf einer Digitalmesse samt russischem Ministerpräsidenten musikalisch mitmischen, nach der Eröffnung der Salzburger Festspiele im Juli, gleich noch vor Gergiev, die Zaryadye-Konzerthalle in Moskau eröffnen, als sei das mit Gergiev noch unproblematisch wie 2021 so wie 2022 es eben nicht mehr problemlos ist, mit VTB-Bank-Geldern einstudierte Musik von Orff und Schostakowitsch (14. Sinfonie) im Westen aufzuführen, samt umstrittener VAC/GES2-Oligarchen-Stiftungsgelder, was selbst die Currentzis-freundlichen Salzburger Nachrichten kritisch anmerken und fragen, warum man nicht ähnlich wie bei Solway dann das Sponsoring lieber bleiben läßt.
Man kann also immer machen, was man will. Solange man die Handlungsfreiheit anderer wiederum nicht einschränkt. Mit dem Geld schränkt er das Gewissen mancher ein und verkauft vielleicht in einer anderen Welt sich damit an den Orffschen Luzifer. Und mit Musikänderungen an Orff schränkt er dessen posthume Rechte ein. Ja, das mag langweilig erscheinen, wo Urheberrechtsverletzungen auch kreativ sein können. Bei einer klaren, klassischen und einst zeitgenössischen Partitur erscheint das aber fragwürdig, zumal wenn man selbst als Herr Currentzis von der besonderen, archaischen Instrumentation im Festspiel-Selfmade-Interview spricht, es ganz am Ende aber doch irgendwie glaubt, „verbessern“ zu müssen. Man kann machen was man will. Nur werden da eben auch ehemals sehr Neugierige, wie ich es mal auf Currentzis war, irgendwann nicht mehr mitgehen. Mit Eingriffen ins Werk: das war’s dann endgültig. Man fragt sich, ob er auch so eigenmächtig mit heutigen Komponist:innen verfährt? Mancher scheint durch die Kritik hier und den vorigen Blogs schon sehr erbost zu sein. Doch wo beginnt Handlungsfreiheit, wo endet sie? Sie ist jedenfalls z.B. im Sinne der deutschen grundgesetzlichen Lesart nicht so grenzenlos, wie man sie von so vielen Seiten nach 2020 als vollkommem frei apostrophierte. Das führte uns schon einmal an Abgründe. Und auch Russland, sein Krieg, sein Sponsoring, führt derzeit in weitere Abgründe, vor allem, wenn man sich diesen, also dem Geld dieser Abgründe, nicht baldigst deutlichst entzieht, z.B. am 18.8.22 sein Bleiben im Westen verkündet, ohne jegliche Absicherung, wie all die Geflüchteten oder gar auch Ensembles zu Zeiten der Sowjetunion, von Diaghilew und den Ballets russes bis hin zum Georgischen Kammerorchester. Oder heute das Sinfonieorchester von Luhansk, das 2014 nach Sewjerodonezk umzog und 2022 nun nach Lviv flüchten musste. Wenn das ein ukrainisches Orchester derzeit muss, kann das auch ein russisches – fundamental für das Leben der Beteiligten ist es, wäre es immer, kommt aber in diesen Tagen sehr oft vor.
Komponist*in