Randnotizen zur musica viva mit Yun, Chin und Andre mit Intro zur postpandemischen BR-Welt

Die musica viva des Bayerischen Rundfunks muss mehr für die Freie Neue Musik Szene in München tun! Das schleudere ich mal als These einfach so hin. Wofür die musica viva nichts kann, ist aber notwendige Fundamentalkritik an der Klassikabteilung, Neue Musik, des BR, um dann wieder zur Konzertreihe zu kommen. In den letzten Jahren wurden die Ü-Wagen Entsendungen im Bereich Neue Musik sehr reduziert. Wo trotz Trockenheit wie in der Black Box des alten Gasteigs oder Trambahnrumpeln im Schwere Reiter vor 5-6 Jahren noch Aufnahmen stattfanden, wurden diese urplötzlich aus „akustischen Gründen“ ausgesetzt, als ob das dort früher Aufgenommene alles niemals Qualität gehabt hätte, obwohl es sehr wohl heute noch gesendet wird. Hinzu kommt: die Klassikabteilung, Neue Musik hat im Gegensatz z.B. zur Neue Musik Abteilung des SWR, die während der schlimmsten Phase von Corona aus dem ganzen Bundesgebiet Solist:innen und Ensembles zu Aufnahme-Sessions für spätere Sendungen einlud, nichts dergleichen unternommen ausser ein paar Ü-Wagen-Abordnungen, wofür wir Alle auch dankbar sind. Doch Aufnahmen von Solisten oder Ensembles erfolgen nur noch für CD-Kooperationen, die natürlich auch die Komponist:innen und Musiker:innen viel Geld kosten, statt Studioproduktionen weiterhin für den Sendebetrieb durchzuführen und daraus auch CD-Produktionen zu generieren. Das käme ganz klar auch der Freien Neuen Musik Szene in München und Südbayern zugute.

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Als ich heute den Herkulessaal betrat, wurde ich sofort von netteren älteren Herrschaften mit Unterschriftslisten angesprochen, ob ich nicht für die sofortige Wiederaufnahme des BR-Konzertsaalprojektes im Werksviertel unterschreiben möchte. Ich tat das. Nur fragte ich die arme Person, die mich wohl gar nicht verstand, was denn die Freie Musik-Szene davon habe? Ob man nicht doch für die tolle geplante Akustik lieber auf einigen Architektur-Luxus an der Hülle verzichten möchte? Noch weniger Verständnis. Als dann alle im Saal auf ihren Plätzen sassen, kündigte Herr Hopp von der musica viva Leitung große Kooperationen für den September 2022 an. Das klingt alles gut. Doch frage ich mich als nun 50 Jahre alter Komponist, ob das genügt, um in die Zukunft in 10 Jahren zu investieren? Natürlich sah ich junge Personen. Aber ich sah vor allem ganz, ganz Viele erheblich älter als ich. Was hat das nun mit der Freien Neuen Musik-Szene zu tun?

Das musica viva Publikum ist ein eigener Kosmos, das man nur sehr eingeschränkt für Konzerte ausserhalb von Räumen der Residenz, des Prinzregententheaters oder sonstiger Hochkultur-Orte gewinnen kann. Es ist ein Abo- und Steuer- wie Freikarten-Publikum, das sich naturgemäß auf die Elegenz der Residenz, erfüllt mit Neuer Musik, freut. Vor dem Herkulessaal stehen immer wieder nette, junge Personen oder auch mal Gesichter aus der Freien Szene und verteilen Konzertflyer. Das ist nett. Aber nach Corona, nach Zeiten, wo sich der BR in gewissen Teilen von der Freien Musik-Szene zurückzog, wo selbst eine Bayerische Staatsoper um ihr Publikum (nicht immer, aber meistens) kämpfen muss, wo der BR einen neuen Konzertsaal gebaut bekommen haben will und nicht selbst komplett bauen kann oder dafür Geld komplett einsammeln kann, muss der BR insgesamt und in seinen Teilen in Sachen Rundfunk uns schon genauer erklären, was er denn auch für uns tun will, was er mehr für uns tun will, ohne sich hinter Budgets zu verstecken. Denn warum sollte man dann stolze Projekte und Reihen unterstützen?

Was die musica viva tun könnte? Nun, nicht nur auf große Kooperationen und das doch deutlich älter werdende Publikum setzen. Sondern z.B. auch für die Freie Neue Musik-Szene in München und Bayern aktiv werben. Im Programmheft könnte dem eine Seite gewidmet sein. Zudem könnten Flyer der Festivals, Häuser der Szene und der Ensembles dem Programmheft beigelegt werden, im Internet darauf verlinkt werden. Und im Radio könnte es auch einen Hinweis in der Pausenmoderation dazu monatlich geben. Dazu müsste sich die Szene natürlich weiter bündeln. Und ja: sie tut es mit der IG Zeitgenössische Musik München.

Ob man das von der musica viva so ein wenig wie hier mit der Brechstange verlangen kann? Nun, s. die Fundamentalkritik weiter oben. Zu Beginn der Pandemie machte sich z.B. die Bayerische Staatsoper noch unter Bachler für die Freie Theaterszene stark und gab ihr, wo es ging und reinpasste, ein kleines Forum für das Sammeln von Hilfen. Daran anknüpfend sehe ich nun weitere Institutionen in der Pflicht, mehr für ihre freiberuflichen Kolleg:innen zu tun im Rahmen einfacher PR-Mittel. Das betrifft auch der Münchner Kammerorchester und die Münchner Philharmoniker. Aber als wichtigste Neue Musik Konzertreihe und starke Sendeanstalt kann schon auch vom BR mehr erwarten, als bitte unbedingt für sein Konzertsaal-Projekt zu sein – was ich sogar sehr gerne bin. Doch in der Welt nach Corona ist weniger eigener Leuchtturm, sondern mehr Solidarität und soziale Verantwortung auch gegenüber den Freiberuflichen gefordert. Und das trifft im Bereich der Klassik und Neuen Musik v.a. die Neue Musik-Szene. Dass zudem mehr für traditionelle Klassik oder Alte Musik der Freiberuflichen getan werden könnte, will ich gar nicht ausschliessen. Wer einen Konzertsaal baut in Zeiten wo das Geld knapp wird, die Kosten für alle horrend steigen, das Publikum oft noch zu aktivieren ist, man nicht nur mit Stipendien Freiberufliche fördern sollte, hat eine ganze Menge Pflichten auch wie eben beschrieben.

Und wie war das Konzert selbst? Isang Yuns „Reak“ wurde durch das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks zupackend gespielt. Das Orchester machte den gesamten Abend einen wirklich tollen Job und zeigte sich allen drei Werken stilistisch, könnerisch und spieltechnisch von höchstem Niveau gewachsen. Die Dirigentin Shiyeon Sung versuchte gerade bei Yun mit oft stehen bleibenden Bewegungen und Kraftgesten auf Energie und Lautstärke hinzuweisen, in einem Stil wie vor 30 Jahren oft bei Dirigentinnen anzutreffen, der das eher gestoppt hätte, wenn das Orchester nicht von sich das einfach gespielt hätte. Der Fluss und die Aufforderungsgesten von Joana Mallwitz oder Susanna Mälkki wurde von mir deutlich vermisst. Fantastisch der wie eine koreanische singende Person helle vokalreiche Klang von Oboen und Hörnern.

Wu Wei, ich bin da nicht unbelastet, weil er letzthin wunderbar ein Solowerk von mir uraufführte, rockte vor der Pause den Saal mit Unsuk Chins „Šu – Konzert für Sheng und Orchester“. Das Werk begann in Zartheit, entwickelte rasende Power und löste sich wieder in Ruhe auf. In feinsten Nuancen lässt Chin das Sheng mit den einzelnen Sektionen gegeneinander oder gemeinsam atmen. Wu Wei als Solist reißt auch die Dirigentin mit, die hier wie später bei Mark Andre eine versierte Begleiterin war. Der Klang des Konzertes wurde musikelektronisch wie durch im Raum verteilte Violinen erweitert, ohne dabei irgendwie prätentiös zu wirken und auf der Stelle zu treten. Der Fluss der Musik strömte fein wie kräftig durch den Saal – niemand wurde dabei nass. Wäre ich SZ-Journalist würde ich sagen: es war toll!

Mark Andres „ über… „für Klarinette und Orchester mit Jörg Widmann als Solisten und dem Team des SWR Experimentalstudios Freiburg hatte ich bereits bei seiner Uraufführung in Donaueschingen erlebt. Damals war ich nicht begeister. Heute erlebte ich es jedenfalls entspannter. Andre gelingen in Momenten des ins Orchester getragenen trillernden und Multiphonics-reichen Solo-Klarinetten-Sounds Erweiterungen dann am besten, wenn es in den Streichern hoch in Richtung „hinauf“ und in den Bläsern „hinab“ geht, über allem die Elektronik schwirrt. Bis es jedoch so weit ist, vergeht doch viel Zeit mit Atmen und noch mehr Atmen. Der Moment, als die Streicher anfangen auf den sordinierten Stegen zu streichen, ist tatsächlich eine feine Sache. Doch dauert es weiterhin, bis es sich verdichtet, in Neues überführt. Das Werk dauert gut 38 Minuten. 21, was für eine schöne heilige Zahl, wären auch großartig. Die Schlussphase von verhauchender Elektronik und immer leiser und höher spielendem Solisten ist schon beeindruckend in Spielerischer Hinsicht, was noch geht – doch man fängt auch zu wetten, wie lange geht es, schafft es der Solist? Das wird mit einer Inbrunst vorgetragen, die manche total in den Sessel zu bannen schien. Ich bin trotz katholischer Taufe da doch eher zwinglianisch und erfreue mich an der reinen Technik. Manchmal wäre da insgsamt weniger mehr, beeindrucken mich vor allem Kammerochester und Kammermusik-Werke von Andre nachhaltiger.

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