Nimmt uns musicaeterna mit dem auf den ersten Blick retuschierten Generalpartner VTB Bank auf den Arm?
Lieber Teodor, wir müssen uns nochmals mit Dir befassen. Bei meiner letzten Umschau auf der Homepage Deines Orchesters „musicaeterna“ Anfang April 2022 fand sich im Abgleich mit einer Web-Archive Version nicht mehr im Footer Dein umstrittener und im Westen aufgrund des Ukraine-Angriffskrieges sanktionierter russischer Generalpartner VTB Bank. Das ließ zarte Hoffnung aufkeimen, dass Du den Generalpartner ersetzen konntest. Jetzt konnte ich die Homepage nochmals durchblättern und mir blieb der Schreckensschrei im Halse stecken: unter „Residencies“ wird die VTB Bank nach wie vor als Generalpartner genannt unter den Residenzprojekten in St. Petersburg, Deinem Ensemble-Sitz im Radio-Haus „Dom Radio“ und Ende September/Anfang Oktober 2022 in Moskau. So frage ich mich: Während im Westen die Frühjahrskonzerte mitten im russischen Überfall in Wien (Dein Benefizkonzert, zuletzt für die Caritas zugunsten der Ukraine, wurde wegen mutmasslich kritischer Punkte abgesagt) und Hamburg auch kontrovers wegen Deinem Generalpartner VTB Bank hinterfragt werden, verschwindet dieser aus dem Footer, den jede:r beim Besuch Deiner Seite sehen würde, verbleibt aber als Generalpartner bezeichnet, also Gesamtförderer aller Aktivitäten, auf den Unterseiten erhalten? Willst Du uns verhohnepiepeln? Oder Denkst Du, in Russland soll Dein Generalpartner Dich weiter fördern und für den Westen ist das Diskutieren damit erledigt?
Aber noch nennt sich Dein Generalpartner eben Generalpartner aka Generalförderer? Verstehe ich Deine Terminplanung mit musicaeterna richtig, finden circa. zwei Drittel Deiner Auftritte im Westen statt. Im Russland des Angriffskrieges kündigst Du im Juni 2022 in Perm die Teilnahme Deines Ensembles beim Diaghilev-Festival an, dessen künstlerischer Festivalleiter Du in Personalunion bist (immerhin heißt es in der Presse Deiner zweiten russischen Heimat, dass die Daten des Festivals bisher nur vorläufig seien). Erinnerst Du Dich an Diaghilev höchstpersönlich? Nach der russischen Revolution verblieb er endgültig mit den Ballets russes in Westeuropa. Wie dieser trittst Du wie o.g. mehrheitlich mit Deinem interkulturellen, dennoch russischen Ensemble im Westen auf. Wäre es da nich an der Zeit, in dieser Weltlage endlich mit dem Ensemble in den Westen umzuziehen? Dann wärest Du eines Diaghilev würdig. Den Sitz in Russland zu belassen, vielleicht aus steuerlichen Gründen (wie hier angemerkt), aber mitten im Krieg gegen die Ukraine dennoch im Westen vorzugsweise zu wirken und saftige Eintritte in Isarphilhatmonie und Elbphilharmonie oder den Salzburger Festspielen via Veranstalter zu kassieren ergibt ein seltsames cerebrales Geräusch, das man lieber nicht beschreiben möchte. Ich denke, es ist höchste Eisenbahn, mit der VTB Bank und Russland aufzuräumen. Oder hängst Du noch an ihr wie sie im Weihnachtswerbespot an Dir und bspw. auch Anna Netrebko? Es ist an der Zeit, auch medial in Sachen Förderung Klarheit zu schaffen. Das wortlose Ändern der Auftritte auf social media, der Rückzug dort auf russische Medien wie VKontakte oder Telegram ist respektlos gegenüber den westlichen Fans und zeugt von reiner Unterwerfung unter russische Netzsperren und nicht Transparenz gegenüber westlichen Medien und Veranstaltern und Publikum. Also, mach Dich ehrlich! Sonst kommt man sich, wie gesagt, doch gewaltig veräppelt vor, um es noch sanft auszudrücken.
Herzlichst,
Alexander Strauch
Webseiten und Webarchive-Abgleich:
Komponist*in
Da müssten unabhängige Journalisten recherchieren, nicht nur hinsichtlich des Netzwerks der Entscheider und Förderer.
Bei einem Orchester geht es – anders bei Solisten – nicht nur um die Frage der Auftritte selbst, sondern auch und vor allem um die Arbeitsbedingungen wie Vertrag, Gehalt, Probenzeiten, Arbeitsschutz, Antidiskriminierung, Sozialversicherung usw.. Im Kollegenkreis ist es schon länger Thema, natürlich hinter vorgehaltener Hand, zu groß der Geniekult. Der Westen ist zwar auch kein Garant für faire Behandlung von Musikern oder für Freiheit von Korruption (man kennt genug Beispiele), aber das Orchester wird nicht einfach nach Westen übersiedeln und wie gehabt weiterarbeiten können, auch wenn der Name beibehalten wird.
Hier müsste man auch schauen, wer – Currentzis, musicAeterna, Veranstalter, Förderer, das Publikum usw. – eigentlich alle aktuell Whitewashing betreiben, in welcher Form und aus welchen Motiven. Selbst eine Absage zu diesem Zeitpunkt kann u.U. Whitewashing der eigenen Institution sein, um selber nicht als prorussisch zu gelten und dadurch Nachteile zu erleiden.
MusicAeterna ist jetzt Thema, weil die Invasion Russlands so ungeheuerlich offensichtlich ist und der Krieg alle betroffen macht (auch wenn die Currentzis Konzerte trotz allem immer noch ausverkauft sind).
Im Klassikbetrieb gibt es aber ein grundsätzlicheres Problem, nämlich, dass wenn es in der Szene heißt „der macht Politik“, es natürlich nicht um die Realpolitik geht, sondern wie man sich mit wichtigen Entscheidern befreundet, wie man Auftritte und Geld bekommt, wie man sich selber Macht verschafft, wie man ein gutes Image erzeugt und volle Säle bekommt. Nach außen ist das natürlich „unpolitisch“, weil man nur wirtschaftlich und opportunistisch gehandelt hatte. Ich wünsche mir von der Kulturszene gerade in Krisenzeiten mehr Haltung und Entscheidungen aus eigener künstlerischen und menschlichen Überzeugung – egal welche Entscheidung man dann trifft, bezüglich Einladung, Absage, Umbesetzung, Umprogrammierung.
Nachtrag: wenn man es zu Ende denkt, wäre es viel besser, wenn Leute das Geld einfach so spenden würden, was sie bei einem Benefizkonzert gespendet hätten. Das spart Gas und Öl. Wenn man trotzdem ein Benefizkonzert macht, sollte man schon gute Gründe haben.
Update: Im Interview mit dem NDR nahm der Generalintendant der Elbphilharmonie Stellung zum Beitrag von Axel Brüggemann („Umstrittenes Ensemble musicAeterna in der Elbphilharmonie“, 14.4.). Der Blog klassik-begeistert berichtet vom Konzert („Elbphilharmonie, Hamburg: Es fällt ein Programmheft zu Boden, und Maestro brechen ab“, 15.4.).
Diese Beiträge in Kombination zeigen das Problem des Klassikbetriebs auf, was schon bei #metoo zu beobachten war:
Der Veranstalter lädt auch „umstrittene“ Künstler ein, solange das Publikum kommt. Das Publikum soll entscheiden. Das Publikum interessiert sich aber nur für die geniale Aufführung, also für das eigene Vergnügen, und nicht für die Hintergründe. Wer den Spaß des unbeschwerten Konzertbesuchs verdirbt, wird von Fans als böse verteufelt.
Weiß denn der Blogger, was es heißt, wenn er so deutlich schreibt: „… mir scheint in diesen zwei Stunden jeder Oligarchenrubel, der in Richtung dieses Klangkörpers floss, bestens angelegt. SWIFT hin – oder her!“
Da kann ich mich als Teil des Klassikszene nur fremdschämen.
Es geht hier nicht mal darum, ob russische Künstler boykottiert werden sollten oder um verletzte Gefühle von Ukrainern (auch wenn ukrainische Botschafter es gerne so sehen). Es geht in erster Linie um die Durchsetzung von Sanktionen und Embargo, was natürlich Nachteile und Härte mit sich bringen, damit hoffentlich die Invasion beendet werden kann, ohne dass ganz Europa in einen militärischen Krieg ziehen muss.
Der Satz zu „Swift“ stieß mir bei Klassik-begeistert leider auch auf. Gerade erst vor einer Stunde, bevor Sie hier kommentierten. Man lernt jeden Tag neu in dieser Krise: man muß leider sehr genau hinsehen.