Was war das für eine Musik damals im ICE?
Jeder, der professionell Musik macht, hat gewisse Ängste, die mit einem möglichen „Versagen“ zu tun haben. Der totale Blackout während eines Konzerts – oder, eine Variante davon, die „falsche Weiche“: Man setzt einen Formteil falsch fort, lässt entweder einen wichtigen Teil komplett aus oder wiederholt einen Teil, der entweder schon wiederholt wurde oder nicht für die Wiederholung vorgesehen ist. Andere Ängste betreffen einfach große Patzer – oder, im Zusammenspiel mit anderen, das totale Auseinander-Fallen des Gesamtgefüges. Eine angsteinflößende Variante davon wiederum ist eine mögliche Situation, in der man sich mittels Sprache verständigen muss, wo man denn nun gedenkt, gemeinsam weiterzumachen.
Bei Proben sind solche Unterbrechungen üblich, normal und notwendig. Aber sobald ein Aufnahmegerät läuft: Man unterbricht nicht mehr!
Doch vor etwa 20 Jahren, da hörte ich in einem ICE der Deutschen Bahn eine Aufnahme, da geschah eben dies. Es war eines der großen Liederzyklen, vielleicht Schumanns „Dichterliebe“, vielleicht Schubert „Die schöne Müllerin“. Muss aber nicht sein. Und ich meine, es war eine Aufnahme mit Dietrich Fischer-Dieskau.
Jedenfalls hörte ich diese Aufnahme nicht etwa von einem selbst mitgebrachten Aufnahmegerät aus. Wir hatten ja nichts damals! Nein, ich bediente mich an dem damals noch zur Verfügung stehenden Programm der Deutschen Bahn. Man musste den selbst mitgebrachten Mini-Klinke-Kopfhörer-Stecker (ich meine, beim Service konnte man sogar nach – allerdings ziemlich schrottigen – Kopfhörern zu einem Preis von sieben Mark oder so fragen) in die Buchse zwischen den Sitzen stecken – und konnte danach aus einem von der Bahn kuratierten Programm Musik diverser Genres (oder auch Dokumentationen) für sich auswählen.
Und eben hier, in dem damals von der Deutschen Bahn ausgewählten Programm, kam mir eine Aufnahme mit Gesang und Klavier unter, auf der irgendwann beide Interpreten unterbrachen und so etwas sagten, wie: „Ah, dann lass uns doch noch mal ab da machen!“ Das ist kein Scherz! Ich irre mich nicht. Das ist genauso passiert.
Es kann ja durchaus sein, dass diese Aufnahme Teil eines Probenmitschnitts oder dergleichen war. Und ich fand es wunderschön, dass mir etwas derart schön Nicht-Perfektes angeboten wurde. Und das von der Deutschen Bahn, die schon damals nicht immer perfekt pünktlich war. Wie passend!
Nun frage ich in die Runde: Welche Aufnahme könnte das gewesen sein? Könnt ihr euch etwa auch daran erinnern, sprich: Hat das damals irgendjemand von euch auch gehört – und, wenn „ja“, könnt ihr mich informieren? Einfach in die Kommentare schreiben. Ich würde mich sehr freuen.
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.