Deutsche Klassikagenturen und Veranstalter – man kann sich nur an den Kopf schlagen

Habt Ihr auch das Statement von Anna Netrebko und ihren Gatten zu ihrer Distanzierung zum Ukraine-Überfall Putins gelesen? Gut, dass es überhaupt dieses laue Schreiben von der Diva gibt, die sich 2014 mit der Neurussland-Fahne und einem Separatisten-Chef zeigte, als Dank für Spenden für das Theater in Donezk: Neurussland meinte damals schon die Ukraine vom Donbass mit Odessa samt der Krim. Das Auffällige an ihrem und Eyvazovs Statement: sie sind fast identisch. Nachdem er kein Russe ist, kann das nur durch ihre Agenturen koordiniert worden sein. Aber warum nicht deutlich empathisch wie z.B. Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker, sondern geschäftsmäßig ausbalanciert quasi wie das gescheiterte Minsk II Abkommen?

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Das schöngeistige Schönwetter Machen von Klassikagenturen und Klassik-Veranstaltern muss endlich ein Ende finden, gerade wenn es um Künstler:innen geht, die dann doch für oder vor menschenrechtsverachtenden Regimes auftreten. Nehmen wir z.B. Valentina Lisitsa, die man nach ihren Ausfällen auf Twitter für und Reisen ins Donbass v.a. zum damaligen Separatistenführer Sachartschenko doch noch selbst zum Klassik Open-Air in Nürnberg eingeladen wurde. Keine Auseinandersetzung mit ihr, die wirklich tiefgründig war, sondern einfach Erfüllung des Vertrages vor Zehntausenden im Publikum.

Oder nehmen wir Baltic Sea Philharmonic und Nord Stream 2 AG. Man hat sich jetzt wohl voneinander getrennt. Das Orchester versteht sich als ein Ensemble, dass Skandinavien, Deutschland, Russland, das Baltikum und Polen miteinander verbindet. Klar, solch ein internationales Engagement kostet. Aber wenn man weiß, dass die EU, dass gerade auch das Baltikum und Polen große Probleme mit Nord Stream 2 hatten und haben, man dezidiert auch für diese Länder da sein will: warum sucht man sich ausgerechnet den umstrittensten, Putin-nahen Konzern als Hauptsponsor? Ist man da so betriebsblind und formuliert sich das wohl auch mit Segen der Bundesregierung damals schön, auch wenn man mit Verbindungen nach und Auftritten im Baltikum und in Polen quasi am Puls der Kritik agierte?

Man fragt sich auch: warum haben die Münchner Philharmoniker und der Stadtrat der Landeshauptstadt München unbedingt von vornherein Valery Gergiev engagieren müssen? Sein Auftritt nach dem Georgien-Krieg in Süd-Ossetien war damals schon bekannt. Seine Unterstützung für Anti-LGBTIQ*-Gesetze ebenfalls. Seine Unterschrift Nr. 97 unter eine Putin-Krimraub-Gratulation war ebenfalls frisch und sehr bekannt. Man bemühte dann Mediation und Schönwetter-PR, mit durchaus schönen Projekten. In der Sache aber kam man an Gergiev nicht ran. Bist jetzt, 28.2.22 15:45 hat er nicht einmal ein Pieps zu dem von der Stadt an ihm gerichteten Ultimatum herausgebracht, das eine Distanzierung von dem Putin-Überfall auf die Ukraine verlangte. Nicht einmal der laue Aluminiumklang eines Netrebko-Statements oder gar minimaler Plastikklang ist zu vernehmen.

Oder nehmen wir die Kammeroper Schloss Rheinsberg. Es ist zwar schon ein wenig her, aber 2012 war dann doch 4 Jahre nach dem russischen Georgien-Krieg, der Anerkennung von Abchasien oder die Einmischung in der Ukraine gegen die Orangenen Revolution. Gazprom war damals ein Hauptförderer für den sängerischen Nachwuchs. Das Problem mit Nord Stream 2, das Gazprom antrieb, die Nähe zu Putin, die Kritik der Balten und benachbarten slawischsprachigen Länder war auch damals nicht unbekannt. Natürlich steht die Kammeroper damit nicht allein da und suchten andere die Nähe zum russischen Oligarchen- und Konzerngeld. Hatte man aber nur den Blick für den rollenden Rubel? War einem das Drumherum egal? Oder war man so finanziell am Boden, dass die Wahl nur auf Gazprom fallen konnte? Von heute aus, ein wenig ungerecht in die Vergangenheit, ja, aber von heute aus eben wohl doch eine falsche Entscheidung.

Axel Brüggemann machte heute in seinem Crescendo-Newsletter auf die Causa Hajo Frey aufmerksam, der wohl nun in Sotschi ein Theater oder Festival leitet, sogar Russe wurde. Dieser Mann leitet noch den Dresdner Opernball. Warum überhaupt noch? Putin verlieh er einen Preis des Balles, Assad wollte er den auch verleihen. Warum endete da aber nicht wenigstens still und leise umgehend sein Engagement beim Opernball? Tanzt man wirklich so nonchalant über Kriegsleichen hinweg?

Denn eines darf man nicht übersehen: der Weg Putins ist ja schon vor seinen Einmischungen in der Ukraine und seinen Kriegen gegen diese oder in Syrien oder gegen Georgien mit Leichen gepflastert. Sein Vorgehen in Tschetschenien war schon zum Amtsbeginn menschenrechtlich scharf kritisiert worden, seine Zerstörung der Hauptstadt Grosny, die noch übler zugerichtet wurde als Kyiv oder Kharkiv im Moment. Seine Anti-LGBTIQ*-Politik. Sein Wegsehen bei der Schwulenhatz in Tschetschenien.

Warum verließ man sich da auf die kompromißbereite Staatsräson, die das aus Gründen der staatlichen Nichteinmischung aussen vor ließ, sah aber auch als private oder gar öffentliche Institution, als Theater, Opernfestival, Orchester, das immer noch an den humanistischen Auftrag glaubt und damit hausieren geht, überdeckte das mit „die verbindende Kraft der Musik und Völkerverständigung“ und nahm eben auch willigst Geld aus den Putin-nahen Töpfen bzw. ließ so agierende Musikmanager selbst nach humanitären Skandalen noch in Amt und Würden? Man hat den Eindruck, Teile des Klassikbetriebs sind so amoralisch und menschenverachtend im Lichte von Fördermitteln wie Bach einmal eine Fürstin als amusisch und künstlerverachtend bezeichnete. Liebe Leute: das muß sich ändern!

Das Schönformulieren der PR, sowieso ein Graus all der Kultur- und PR-Studiengänge, muss beendet werden sowie das Renommee-Gedöhns, das eben eher auf Leichen weitertanzt als Rücksicht auf moralische Nuancen zu nehmen und dafür erst den Holzhammer auf das Dach benötigt, um überhaupt mal „Sorry“ oder „Huch, nicht gut“ hervorzubringen. Oder handelt sich um einen Angstbetrieb, bei diesem Klassikbetrieb? Wenn dem so ist, dann ist er schon so nahe am Putin-Geist und dessen Regime, ohne ihm personell nahe sein zu müssen, dass man empathisch und moralisch, ein böses Wort, abgewrackt ist und bitte endlich das Metier wechseln sollte. Nicht nur Corona zeigte die Weltfremdheit des Klassikwesens auf, nein, die Ukrainekrise, eigentlich die ganze Zeit des an-die-Brust-Werfens an Putin und dessen Umkreis, zeigt dann noch einmal auf, wie nah man am menschenverachtenden Abgrund mit Hochkultur und Hochglanz-PR und Förderern stehen kann.

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