Warum wir komponieren

Winsor McCay, Little Nemo (1900)

Die folgenden Zeilen stammen aus meinem weihnachtlichen Newsletter an die Mitglieder des DKV, richtet sich aber an alle, die komponieren.

Allen Leserinnen und Lesern des Bad Blogs ein Frohes Fest und ein besseres Jahr 2022!

 

Warum wir komponieren

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ohne lang um den heißen Brei herumzureden: das Jahr 2020 war bescheiden, das Jahr 2021 noch bescheidener und auch 2022 schickt sich jetzt nicht gerade an, der Renner zu werden. Wobei…wir haben sicherlich alle nichts dagegen, uns vom Gegenteil überraschen zu lassen, oder?

Im Grunde könnte ich wiederholen, was ich an dieser Stelle im letzten Jahr geschrieben habe, denn so wahnsinnig viel hat sich im Ausblick für unsere Zunft nicht verändert. Die Zukunft bleibt ungewiss.

Aber das war sie im Grunde schon immer. Der tiefe Schock der vergangenen Zeit liegt vor allem darin begründet, dass vieles, an das wir uns schon gewöhnt hatten, plötzlich nicht mehr gewiss ist. Vor uns liegt ein Weg, den wir noch nicht genau abschätzen können. Wird es wieder werden wie früher? Soll es überhaupt wieder so werden wie früher?

Leider gibt es kein angeborenes Grundrecht auf eine Zeit ohne Krisen und Herausforderungen, und dass wir alle einmal eine solche Krise erleben würden, war eigentlich abzusehen. Aber was hilft nun? Verzweifeln? Anklagen? Schuldige suchen? Ganz sicher nicht. Wenn auf nichts Verlass ist, kann es aber trösten, darüber nachzudenken, was man eigentlich so macht als Komponistin, als Komponist. Warum komponieren wir? Wenn wir die richtige Antwort finden, kann es uns helfen, in diesen turbulenten Zeiten einen Anker zu finden.

Schauen wir uns doch mal die möglichen Antworten an.

  • Ich komponiere, weil ich will, dass meine Musik von vielen Menschen wahrgenommen wird

Wenn wir ehrlich sind, wünschen wir uns das alle. Niemand von uns will nur Schreibtischtaten begehen. Wir komponieren, weil wir das, was wir komponieren, auch als hörenswert betrachten. Wir wollen lieber mehr als wenige Aufführungen/Sendungen/Clicks…wie auch immer wir unsere Musik verbreiten. Wir wollen erfolgreich sein, mit dem was wir machen. Wir wollen in dem Genre, in dem wir arbeiten, die Anerkennung erfahren, die uns ermöglicht, von Aufträgen oder Auftritten leben zu können. Wenn wir das nicht wollten, würde uns die GEMA oder der DKV wenig interessieren, wir müssten uns nicht um Kontakte oder Netzwerke kümmern, sondern wären vollkommen glücklich, in einem kleinen Kämmerlein zu sitzen, unbemerkt von der Welt.

Das Problem: Im Moment haben die Menschen andere Sorgen. Jede Kunst braucht Aufmerksamkeit (sonst findet sie nicht statt), und diese Aufmerksamkeit gilt im Moment anderen Dingen. Wir können verzweifelt dagegen angehen, aber noch nicht einmal die Ehrgeizigsten von uns (auch diejenigen, die „gut im Geschäft“ sind) werden im Jahr 2020 oder 2021 mangels Aufführungsmöglichkeit bedeutend mehr Aufführungen gehabt haben als diejenigen, die sonst eher normal präsent sind. Corona war also in gewisser Weise ein „großer Gleichmacher“ unserer Zunft, aber manche können es sich eher leisten, magere Zeiten „auszusitzen“ als andere.

Wie auch immer: für wen die Motivation des äußeren Erfolges die wichtigste ist, wird in diesen Zeiten nicht viel zu lachen haben und kann in eine dauerhafte Depression verfallen.

  • Ich komponiere, weil es mir Spaß macht

Im Grunde ist das eine Supermotivation. Nur die verhärmtesten Puritaner werden behaupten wollen, dass kreative Arbeit ein freudlos abzuleistender Frondienst sein solle. Natürlich soll das Komponieren Spaß machen, und wenn es das nicht täte, wäre mancher Corona-Tag für uns unerträglich gewesen. Jetzt stellt sich aber die Frage: reicht es, einfach nur Spaß haben zu wollen? Wir alle wissen, dass kreative Arbeit nicht selten aus Schweiß und Tränen besteht. Nicht immer ist man im perfekten „Flow“, manchmal belasten Deadlines und Selbstzweifel die Arbeit. Ich würde sogar behaupten, dass nur diejenigen, die auch diese Krisen kennen, überhaupt wirklich künstlerisch arbeiten, ansonsten ist es eher ein Hobby, kein Beruf. Man muss auch komponieren können, wenn es überhaupt keinen Spaß macht. Aber selbst dann arbeitet man für einen Moment, in dem das Ergebnis Spaß macht: Wenn man erlebt, wie Musikerinnen und Musiker die eigene Musik spielen und Stolz und Freude empfindet; wenn man merkt, wie das Publikum in einem Konzert mitgeht; wenn man erlebt, wie ein Film durch den eigenen Musikbeitrag an Wirkung gewinnt. Das sind alles positive „Spaß“-Erlebnisse, die einen manche harte Stunde auf dem Weg dahin überstehen lassen. Der Weg ist das Ziel, aber das Ziel hilft auch dem Weg.

Das Problem: Mangels Aufführungen und freudigen Erlebnissen hat die „Spaß“-Motivation ganz sicher gelitten. Es ist etwas vollkommen anderes, eine Aufführung vor einem begeisterten Publikum zu erleben als vor einem gedämpften, weniger zahlreichen oder ängstlichen. Sicherlich haben sich viele von uns ihre letzten Aufführungen beim Komponieren wesentlich freudvoller vorgestellt, und auch wenn wir sicherlich auch positive Erfahrungen im Sinne von „jetzt erst recht“ in der Pandemie gemacht haben, war doch über weite Strecken dieses Erlebnis eher eine trübe Erfahrung. Wenn nicht sogar alles ganz ausfiel. Wenn uns also angesichts dieser tristen Umstände auch der Spaß beim Komponieren verging, kann man uns das nicht übelnehmen. Verlass ist auf diese Motivation im Moment also nicht.

  • Ich komponiere, weil ich „muss“

Das ist eine Antwort, die wir zum Beispiel bei Aufnahmeprüfungen an Musikhochschulen sehr gerne hören, denn für uns ist das eine Art Test, ob diese Person sich klar macht, auf was für einen wenig erfolgversprechenden Beruf sie sich in diesem Moment einlässt. Komponieren zu lernen ist ja – ähnlich wie ein Philosophiestudium – nicht unbedingt finanziell aussichtsreich, aber wer für diese Themen brennt, „kann nicht anders“, und das kann man genauso respektieren wie andere verrückte Herausforderungen, der sich Menschen stellen. Unerbittlich angetrieben zu sein von Neugier oder dem Wunsch, etwas Außergewöhnliches zu schaffen, sind gute Gründe, sich dem kreativen Beruf zu widmen, keine Frage.

Das Problem: ähnlich wie bei Punkt 1). Denn selbst wenn man vollkommen uneitel ist oder allein an der „Sache“ dran ist, wünscht man sich irgendwann, dass das jemand auch mitbekommt. Der Triathlet, der gerade die Welt umrundet hat, möchte nicht einsam und unbeachtet am Münchener Odeonsplatz ankommen, die Komponistin, die gerade neueste Klangwelten erforscht hat will nicht, dass diese auf einer Festplatte versauern und niemand je davon erfährt. Das „Müssen“ muss auch in die Welt, es will sich ausdrücken, hinterfragt werden, in eine Kommunikation eintreten. Aber dafür sind gerade was Kunst angeht, momentan die schlechtesten Voraussetzungen. Normalerweise herrscht eine gewisse Aufmerksamkeit dafür, was gerade so in der Kunst passiert, während nur wenige Experten wissen, was sich so in der Virologie tut. Im Moment ist es aber ganz sicher umgekehrt. Andere Probleme überlagern das, was an Aufmerksamkeit sonst möglich ist.

 

All das macht also nicht sonderlich Mut. Alle genannten Motivationen sind in normalen Zeiten vollkommen ausreichend, zerschellen aber an den Realitäten von katastrophalen Weltereignissen. Sich mit aller Kraft dagegen zu behaupten, kann aber ab irgendeinem Punkt nur frustrierend sein, denn wir müssen uns alle klar sein, dass wir nicht die Welt unserem individuellen Willen unterwerfen können. Es läuft nicht immer alles so, wie wir es wollen, und das heißt nicht gleich, dass wir in einer Diktatur leben (eine der seltsamen Hysterien dieser Tage).

Bleibt also nur eine vierte Motivation, die uns weiterhelfen könnte. Ich gebe gerne zu, dass sie die ist, die mich im Moment am meisten tröstet. Natürlich sind für mich die Antworten 1), 2) und 3) auch relevant, aber auf diese ist im Moment wie gesagt kein Verlass. Wir brauchen also eine andere Antwort, und das ist die folgende:

 

  • Ich komponiere, weil ich an eine Zukunft glaube

 

Auf den ersten Blick mag das kitschig klingen. „Zukunft? Welche Zukunft?“ werden manche Zyniker sagen. Aber wie heißt es so schön: Zyniker sind im Grunde pessimistische Optimisten – wären sie gänzlich der Meinung, dass nichts einen Sinn macht, hätten sie gar keinen Grund, überhaupt irgendetwas zu sagen, denn das würde ja dann auch keinen Sinn mehr machen.

„Zukunft“ ist ein großes Wort. Versuchen wir doch zu ergründen, was es wirklich bedeutet. Es bedeutet, dass ein Teil von dem, an dem wir uns gerade abarbeiten, Bestand hat. Dass irgendetwas weitergeht. Ein neugeborenes Kind ist – selbstverständlich – Zukunft. Aber auch eine Idee ist Zukunft. Wir Menschen insgesamt sind Zukunft. Es ist dabei gar nicht wichtig, ob es immer „Menschen“ geben wird, denn auch das, was anstatt uns Menschen dann weiterexistiert, wird eine Fortsetzung unserer eigenen Zukunft sein.

Die Zukunft: das ist alles, was wir uns darunter vorstellen können. Alles, was wir uns vorstellen können, ist möglich, im Guten wie im Schlechten. Aber damit es überhaupt irgendeine Zukunft gibt, müssen wir uns etwas vorstellen können. Und dabei spielt die Imagination – und damit natürlich die Kunst – eine wichtige Rolle. In der Forschung können wir etwas entdecken, aber wir können nur das entdecken, das es schon gibt. Nur in der Kunst können wir Dinge entdecken, die es noch nicht gibt. Wir können sogar die Dinge selbst erfinden.

Und dafür ist der „wilde Raum“ unserer Imagination gedacht – alles zu verhandeln, alle Möglichkeiten durchzuspielen, alle Ideen zu verfolgen. Es ist vollkommen unwichtig, welche Ideen sich „durchsetzen“, welche „besser“ oder „schlechter“ sind, genauso wenig wie man sagen muss, welcher Wassertropfen jetzt der entscheidende für die Bewässerung einer Pflanze war. In diesem Strom der Möglichkeiten ist jeder Tropfen gleich entscheidend, solange es genügend Tropfen gibt. Das Außergewöhnliche braucht das Durchschnittliche, um sich davon abzusetzen genauso wie das Durchschnittliche das Außergewöhnliche braucht, um nach Höherem zu streben.

Für uns als Komponisten heißt das also, dass es – außer für unser Bankkonto – letztlich nicht wichtig ist, wie berühmt oder erfolgreich wir sind, sondern allein, dass wir unsere Stimme erheben. Dass wir komponieren. Dass wir Musik erfinden, dass wir Möglichkeiten ausloten, dass wir unsere Fantasie erblühen lassen. Weil wir damit dafür sorgen, dass auch in Zukunft Menschen genau dies tun und daran Freude haben können, Hörende wie Schöpfende. Dieser Prozess muss immer lebendig bleiben, es muss immer wieder Neues entstehen, ansonsten erstarrt alles in Nostalgie und geistigem Stillstand. Immer nur zurückzuschauen – wie es ein Großteil der Programme unserer Opernhäuser und klassischen Konzertsäle tut – verhindert irgendwann Zukunft. Das sich immer wieder neu definierende Lebendige muss einen Platz haben, das ist in unser aller Interesse als lebendige Komponierende.

Wir leben in sehr verzagten Zeiten, die uns diese grundsätzliche Kraft der Erfindung manchmal vergessen lässt. In den Kommentaren zu meinen Artikeln, in denen ich mich für die heutige Musik einsetze, äußern sich immer wieder Bornierte mit dem Argument „Die Musik von heute ist einfach zu schlecht.“. Wobei nie ganz klar wird, welche Musik da eigentlich gemeint ist, denn dann müssten diese Personen ja wirklich alle Musik von heute kennen, um eine solch apodiktische Behauptung zu machen (spoiler alert: meistens kennen genau diese Bornierten so gut wie nichts von der Musik von heute, sonst würden sie die Behauptung „alles ist schlecht“ gar nicht wagen).

Wollen wir wirklich in dieser Verzagtheit verharren? Oder wollen wir dagegen ankomponieren, erfinden, singen, Musik machen?

Ich denke letzteres ist ein guter Weg. Weil wir an eine Zukunft der Musik glauben. Und weil wir diese Zukunft aktiv mitgestalten wollen.

Ich wünsche uns allen, dass dies uns 2022 motiviert, weiterzumachen und schöne Dinge in diese Welt zu bringen. Musik, die Freude macht, die anregt, die begeistert oder erstaunt, oder uns vielleicht einfach nur ein bisschen tröstet.

Macht weiter so, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dann wird 2022 auf jeden Fall ein Jahr, das Zukunft hat.

Euch allen wünsche ich Gesundheit, geruhsame Feiertage und einen Guten Rutsch,

Bis bald,

Euer

Präsi

Moritz Eggert

Winsor McCay, Little Nemo (1900)

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Eine Antwort

  1. Bin zwar kein Komponist, nur Philosoph, wobei es mir eigentlich um die Überwindung der Philosophie geht (http://www.das-polare-paradox.de)! Trotzdem spricht mich der Präse, wie er Münchnerisch heißt, an. Ich glaub, da habt ihr schon den richtigen gewählt. Man muss es ihm halt nachsehen, dass er vorübergehend zum Impfmissionar geworden ist…