Kommentar zu Klageabsichten in Bayern gegen die Schliessungen der Theater und Konzertsäle

Am Freitag war auf dem Onlineauftritt von BR-Klassik zu lesen, dass am folgenden Montag (7.12.20) eine Gruppe um den Sänger Christian Gerhaher und den Dirigenten Hansjörg Albrecht vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof München auf Aufhebung der „pauschale(n) Schließung von Konzert- und Opernhäusern zur Bekämpfung der Corona-Pandemie“ klagen will. Auf einer Pressekonferenz wollen sie das ebenfalls am Montag konkretisieren. Allerdings ist die Kernaussage so deutlich, dass man sich jetzt schon Gedanken dazu machen kann.

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Die Unzufriedenheit in Bayern bzw. München scheint eine besondere zu sein. Ich muss zugeben, dass ich Ende Oktober auch erst ein, zwei Tage entgeistert über die wiederholte Schliessung von Theatern und Konzertsälen war, obwohl ich schon zwei Tage vor der Ankündigung damit rechnete. Dennoch traf mich das ins Mark. Zugleich aber nahm ich die Anzahl der steigenden Zahlen von Infektionen und Verstorbenen wahr. In München schossen die Inzidenzen in die Höhe und rissen zuerst zweimal die 50er Marke, um dann vom 11.10.20 bis zum 9.11.20 die 200 zu durchbrechen und sich nun seit ca. drei Wochen um die 180 einzupendeln.

München leuchtete
Am Münchner Odeonsplatz fanden jedes Wochenende seit dem Sommer bis Ende Oktober Aufführungen des Mozart-Requiems statt, um mit melodramatischen Unterbrechungen auf den Stillstand in der Klassikszene hinzuweisen. Selbst als die Covid-19-Verstorbenen seit Mitte Oktober im Bundesgebiet täglich über hundert Personen lagen, gedachte man mit dem Requiem vor allem seiner selbst und nicht der Verstorbenen. Bevor am 24.10.20 die Demonstration „Aufstehen für Alle“ dann sogar mit einem kapernden Auftritt des Kulturministers Bernd Sibler erfolgte, hatte man anfänglich dort eine Repräsentantin von Querdenken, Klagepaten und Widerstand 2020 mehr oder minder versehentlich eingeladen, um sie dann auch nach meinem Protest wieder ganz schnell auszuladen. So wurde die Demo gerettet.

Dennoch wirkt Münchens Klassikszene irgendwie überdreht. Liegt das am fortgesetzten Unmut über die verunglückte Künstlerhilfe von Mai bis September 2020? Oder dem noch nicht erfolgtem Einsetzen der reformierten Hilfe, die bis zum Ende der Pandemie laufen soll, die mit anderen Programmen von vornherein kumulierbar sein soll? Hier würde ich Jammern und sogar auch juristisches Klagen verstehen. Auch in Hinblick der Klage von Dieter Hallervorden für den Spielbetrieb vor Live-Publikum seines Privattheaters konnte ich Verständnis entwickeln, da er viel privates Kapital verlor. Zu Zeiten als der „Pilotversuch“ mit mehr als sonst 200 ZuhörerInnen mit gesondert zugelassenen 500 Gästen für die Bayerische Staatsoper und die Gasteig-Philharmonie lief, hatte ich Sympathien für die gescheiterte Klage des Konzertagenten Schessl auf mehr Publikum.

Jetzt leben wir aber in einem Moment der Pandemie, wo die Inzidenzen zu lange hoch bleiben und die Verstorbenen und schwer Erkrankten dem Pflegepersonal über den Kopf wachsen. Hört man sich im Umfeld der Leitung des TU München Klinikums rechts der Isar um, schätzt man dort wie z.B. das RKI und die Politik die Lage als sehr kritisch für die Intensivstationen ein. Daher wurde der Lockdown light bekanntlich verlängert und verschärft. Auch da ging ich vor einer Woche einen Tag durch ein bitteres Tal, als klar wurde, dass im Dezember nichts live an Aufführungen stattfinden wird. Inzwischen habe ich mich persönlich auf Ende März eingestellt, um nicht alle zwei bis vier Wochen wieder geschockt zu sein, dass erst dann wieder langsam das Kulturleben hochgefahren wird. Passiert das früher, sehr fein. Aber meine Nerven liegen erstmal nicht so blank.

Nachwehen?
Aber warum jetzt eine Klage auf Aufhebung der Theater- und Konzertsaal-Schliessungen? Sind das Nachwehen auf die Empörung über die Bezeichnung Freizeitgestaltung? Oper und Bordell sind sich zumindest in den schönsten Puccini-Opern immer sehe nahe. Zudem meinte man nicht das Wirken als MusikerIn als Freizeit, sondern die Frage, was das Publikum sonst noch so in seiner Freizeit tut und sich davor und danach versammelt. Die Aufregung bewirkte, dass man nun in den Verordnungen zumindest in Bayern von Kulturstätten spricht. Oder ist es die Angst um die Beschränkung der Kunstfreiheit? Mit der Novelle des Infektionsschutzgesetztes wurde ausdrücklich die Begründungspflicht auch für die Schliessung von Kulturstätten integriert. Die nun geltende neunte Bayerische Infektionsschutzverordnung tut genau dies: „Aus diesen Gründen kann die in den genannten Bereichen bestehende Infektionsgefahr auch bei Beachtung von Schutz- und Hygienekonzepten nicht vollständig vermieden werden. Konnten diese Bereiche bei günstigeren Infektionsgeschehen noch unter entsprechenden Hygieneauflagen und insbesondere im Sommer, als ein großer Teil der Betätigungen im Freien erfolgte, stattfinden, so ist unter den gegebenen Bedingungen die Schließung der entsprechenden Bereiche unumgänglich.Das Verbot von Veranstaltungen flankiert die Kontaktbeschränkungen, indem Anlässe für ein gezieltes Aufeinandertreffen eines größeren, nicht gleichbleibenden Personenkreises und auch der entsprechende An- und Abreiseverkehr verhindert werden. Dies ist erforderlich, um das Ziel der Maßnahmen zu erreichen.“

Ausblick auf mögliche Konzepte bei niedrigen Inzidenzen
Das bedeutet nicht, dass die Hygienekonzepte der Kulturstätten nicht funktionierten. Das besagt nur, dass bei der akuten Nichtrückverfolgbarkeit von Infektionen massive Zweifel bestehen, dass man sich im Umfeld von Veranstaltungen doch nicht infizieren kann. Mancher beruft sich auf das gerade verkündete Resümee des Pilotversuchs von Staatsoper und Gasteig. Man sollte nicht vergessen, dass trotz medizinischer Begleitung die dort ausgewerteten Umfragen und gut handhabbaren Vorfälle in der Zeit noch spätsommerlicher Verhältnisse erfolgten. Hilfreich ist dazu auch ein Blick in das Ergebnis der Leipziger restart-19 Studie: bei Inzidenzen über 50 wird empfohlen, Säle nur zu einem Viertel zu füllen, was bei den ca. 2000 Plätzen in Oper und Gasteig den 500 zugelassenen Gästen des Pilotversuchs entspricht. Bei Werten unter 50 könne der Saal zur Hälfte belegt werden, was dem Empehlungen des Pilotversuchs zur Staatsoper entspricht. Leipzig empfiehlt allerdings durchwegs die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung.

Das Alles deutet auf Möglichkeiten für das Öffnen von Kulturstätten hin. Dem muss aber die allgemeine Lage entsprechen. Man kann natürlich Barcelona anführen, dass bei einer Inzidenz um 150 sein Opernhaus wiederöffnete. Allerdings hatte die Stadt mit Inzidenzen um 500 und wohl mehr zu kämpfen. Man hatte aber auch mit viel strengeren Eingriffen für das gesamtgesellschaftliche Leben und enormer drastischen medizinischen Problemen als in Deutschland zu kämpfen. So ist das nicht vergleichbar mit hierzulande und unserem Bestreben, solche Eingriffe oder medizinischen Notlagen überhaupt auftreten zu lassen.

Bleibt die individuelle Kunstfreiheit? Proben, konzipieren, online aufführen, komponieren: das Alles ist derzeit möglich, an Bildungseinrichtungen wie an Theatern und in Konzertsälen. Man kann die Ungleichbehandlung mit dem Einzelhandel und dem Verkehr ins Spiel bringen. Will man aber sich wirklich damit vergleichen? Einzelhandel als Gewerbesteuerquelle und dem Verkehr als notwendiges Übel der Fortbewegung? Der oder die vorsichtige SängerIin wird mutmasslich eher Taxi, PKW oder 1. Klasse nutzen als die Metro.

Wer kann, der kann – aber ist das richtig?
Wie sagte Söder zu Beginn des März-Lockdowns: jedem steht der Klageweg offen. So steht auch den Montagsklägern dieser Weg offen. Und dem applaudieren jetzt schon etliche KollegInnen und Fans. Aber ist es wirklich der richtige Zeitpunkt, jetzt alle Kulturstätten selbst mit nur 50 Personen im Publikum zu öffnen? Das war z.B. der Oper Zürich oder dem Concertgebouw aufgrund ihrer speziellen Finanzlagen zu wenig Publikum. In Zeiten der fortbestehenden schwierigen Rückverfolgbarkeit, den massiven Untersagungen auch für Tourismus und Gastronomie aus genau denselben Gründen wie für die Kultur: will man da eine Sondernummer wagen und wirklich das mögliche Risiko von Infektionen selbst bei besten Hygienekonzepten im Umfeld der Veranstaltungen riskieren? Ist es jetzt nicht ethisch geboten, der Vermeidung von weiteren Infektionen, schweren Erkrankungen und Verstorbenen mehr Raum zu geben als den eigenen Bedürfnissen vor Live-Publikum zu operieren? Wie gesagt, habe ich für Klagen in Sachen Finanzen großes Verständnis. Bei dieser Klageabsicht aber frage ich mich, was in den Köpfen mancher Kulturschaffender derzeit falsch läuft.

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22 Antworten

  1. k. sagt:

    Die Sänger sind keine Spielstättenbetreiber, daher frage ich mich ohnehin, was das Ziel der Klage sein soll. Sind sie überhaupt klageberechtigt?

    Dass die Maßnahmen jetzt alle 2 Wochen neu verlängert werden, ist allerdings tatsächlich belastend. Die Veranstalter hoffen bis zum letzten Moment und sagen erst dann ab, wenn die Maßnahmen verlängert werden (prinzipiell ist es auch gut so), aber solange es noch 1% Chance gibt, dass das Konzert stattfindet, muss man sich als Musiker drauf vorbereiten. Wenn dies kostenneutral oder sogar bezahlt geschehen kann, ist es gut (vor allem, um „Perspektive“ zu haben), aber für die Freien bedeutet das oft erstmal Ausgaben aus der eigenen Tasche, auf denen man sitzen bleibt, wenn das Konzert letztendlich doch (…eigentlich erwartungsgemäß…) abgesagt wird und es kein Ausfallhonorar gibt. Man hat dann nicht nur kein Honorar sondern auch noch Ausgaben, die irgendwie anderweitig zusätzlich verdient werden müssen, weil sie sich dann nicht durch das Honorar refinanzieren lassen. Das sind auch keine laufenden Betriebskosten, im Sinne von Überbrückungshilfen. (Daher ist auch die Neustarthilfe für Soloselbständige ein zweischneidiges Schwert , denn die kann man nur dann beantragen, wenn man erwartet, weniger als 50% Umsatz zu haben im Vergliech zu 2019.)

    Dass man als Künstler oder Veranstalter aber nicht von sich aus absagt, hat natürlich vorwiegend rechtliche Gründe, aber auch ein gruppendymanischer Aspekt scheint doch in Teilen der Kulturbranche eine große Rolle zu spielen, nämlich, dass jemand in der Kulturbranche, der von vornerein keine Vorstellung plant, gleich als unkünstlerisch angesehen wird („der brennt nicht genug für seine Kunst“, „ein echter Künstler muss immer auf die Bühne wollen“).

    Ich kann für die Sänger natürlich nicht sprechen, ich weiß nicht, welche Motive sie haben. Ich bin eher frustriert darüber, dass die Zahlen nicht runtergehen und dass viele Menschen einfach weiterhin weitestgehend normal leben und eigentlich auch nichts vermissen. Und wenn ich die vollen Busse und Einkaufspassagen sehe (wo die Menschen teilweise auch nur rumhängen, weil es dort warm ist und es nicht so auffällt, auch wenn man mit mehr als 2 Haushalten unterwegs ist), denke ich, dass wenn es so weitergeht, bleiben Konzerte noch lange zu, warum können die Leute sich nicht ein bißchen disziplinieren? Und man ahnt schon, was nach Weihnachten und Silvester passiert, wenn die Zahlen wieder steigen.

    Daher frage ich mich schon, welche Lösungsvorstellungen die Sänger haben.

    Theater auf und dafür Schulen zu?
    Theater auf und dafür Einzelhandel zu (im Januar ist Weihnachtsgeschäft vorbei)?
    Oper und Orchester auf und dafür die Musikhochschulen zu?
    Theater auf und dafür Flugreisen verbieten (Auch Künstler dürfen nur innerhalb des 50km Umkreises des Wohnortes auftreten)?

    Denn alles öffnen geht ja momentan nicht, dafür müssten die Zahlen besser werden, und dafür reichen die momentane Light-Variante des Shutdowns offenbar auch nicht.

    Zumal es eigentlich auch nicht der Sinn der Pandemiebekämpfung ist, dass Musiker nun bei Amazon packen gehen, mit vielleicht sogar mehr Menschenkontakt als im Hauptberuf, weil man ja von irgendwas leben muss (und Ausgaben finanzieren muss, siehe oben).

    Im Grunde genommen müsste die Kultur man die Menschen bitten, möglichst auf Kontakte zu verzichten und zu Hause zu bleiben, damit die Kultur bald wieder anlaufen kann.

    Vielleicht ist es auch bezeichnend, dass es wohl gerade die promimenten Musiker sind, die klagen wollen, und die beleidigt sind, dass die „Kultur“ hinten anstellen muss. Für Musiker, die auch Hobbykinder unterrichten, ist das tägliches Brot und nichts Neues…

  2. Winterreise sagt:

    Mit Sorge betrachte ich das schwindende Bemühen um Dialog. Ich frage mich natürlich, warum Sie den Montag nicht abwarten, um vielleicht Beweggründe zu erfahren, die zu der Klage führten? Sie sprechen den Klägern schon jetzt ethnisches Verständnis ab. Wow. Das passt natürlich in diese Zeiten, in denen es salonfähig scheint, Menschen als Idioten zu bezeichnen. Ihr Kollege Eggert ging noch weiter, er attestiert aus der Ferne hier in diesem Blog eine schwere psychische Erkrankung. Und bei sich selbst nimmt er perverse Gefühle wahr und fühlt sich unterhalten wenn er Telegramm Äußerungen des so Bezeichneten liest. Da waren wir schon weiter, dass Menschen mit psychischen Krankheiten in der Gesellschaft nicht mehr stigmatsiert werden. Wir waren auch weiter in unserem europäischen Denken. Und ich tue mich schwer, dass ich in München zwar in den ICE steigen und stundenlang durch die Bundesrepublik gondeln kann, aber eine Reise nach Salzburg mich in Quarantäne bringt. Das will in mein europäisch denkendes Hirn nicht rein. Doch das Hirn unterstützt weiter, dass wir alle Gerichte anrufen können. Es ist nicht immer leicht, es nachzuvollziehen, wer das alles tut, doch ich bin kein Richter und froh, dass es diese gibt, die es aus einem anderen Blickwinkel, dem des Gesetzes, urteilen. Ein hohes Gut.
    Da ist es spannend, wie Sie diese Klage emotionalisieren, Sie verbinden es mit einer Demo, einem Requiem, ich glaube, Herr. G. trat bei keiner Veranstaltung offen auf. Und dann bringen Sie noch das Bild vom vorsichtigen Sänger. Bitte, das ist so etwas von vorbei. Der Sängerschal war einmal, wie die 1.Klasse, die für Stand und Verdienst steht. Da gibt es längst gute Angebote, die jeder sich leisten kann, wenn er das möchte.
    Ich wünsche mir, dass wir in Dialog bleiben.
    (Übrigens wurde mein Lesebeitrag zum benannten Artikel von Herrn Eggert nicht veröffentlicht)

    • Hallo Herr/Frau Winterreise, ethisch, nicht ethnisch. Mir liegt das Positionspapier der Gruppe vor. Das mit der Krankheit, das sagen Sie. Mir ging es um ein Gesamtbild der Entwicklungen hier in München. Dass auch ich an der Situation knabbere, habe ich dargestellt. Tatsächlich finde ich diese Vergleiche von vollen Zügen/Flugzeugen und mager belegten Opernhäusern vollkommen untauglich – selbst Angehörige der gehobenen Künstlerschaft führen die an als beteten sie simple Phrasen nach. Denn bei aller Frage nach Wirtschaftlichkeit kann es jetzt, im Dezember 2020 der Pandemie, wirklich kein Ziel sein, die Säle maximal zu befüllen. Wer die Presse von heute, So., 6.12.20 verfolgt, sieht, dass ab Mittwoch in Bayern nur noch triftige Gründe das Verlassen der Wohnung erlauben. Die Dramaturgie und der Zeitpunkt der Klageabsicht ist jetzt einfach falsch. Es soll auch österreichische Stars umfassen: derweil kursieren in Österreich Briefe von Intensivmedizinern, dass de facto die Triage gegeben ist. Die Klagegruppe beklagt die Einschränkung der Kunstfreiheit zu deren Ausübung unbedingt deren Präsentation gehört. So weit ist das korrekt. Nur kann das eben doch auch stattfinden durch Streaming oder fortgesetzten Probenbetrieb oder zur Not Lehren & Unterrichten via Streaming, Aufführungen können verschoben werden, bevor sie wirklich abgesagt werden. Modifikationen, Flexibilität an komponierten Werken, das wird beklagt. Allerdings unterschreibt jeder Uraufführungskomponist Verträge, das weitreichende Eingriffe, Striche aufgrund diverser Gründe möglich sind oder Bearbeitungen erfolgen. Modifikationen und Flexibilität sind also sehr wohl künstlerischer Alltag. Ob ein Musikwerk in diesen Zeiten schon sehr einfacher Aufzeichnungsmöglichkeiten selbst für Off-Theater in Notlagen wie jetzt die Kommunikation durch eine Live-Aufführung benötigen, das kann man – s.o. – also durchaus kritisch sehen. Es wird auf die Pilotstudie zu Gasteig, etc. abgestellt. Im Resümee dazu werden Inzidenzen bis 100 thematisiert. Das wird vielleicht ab solcher oder der um 50 wieder interessant. Nimmt man die Empfehlungen der Leipziger Studie, liegt diese mit ihrer Inzidenz-Korrelation nahe an den Empfehlungen der Pilotstudie zur Staatsoper. Das gibt also bei besseren Inzidenzen Grund zur Hoffnung. Und dann, so man die Kultur und Theater „vergisst“ oder dauerhaft wieder nur auf 200 Maximum festlegt, dann gibt es wirklich gute Gründe zur Klage. Nur, sollte die Klage z.B. aufgrund von Rechtsfehlern in den Verordnungen jetzt Erfolg haben: will man bei Ausgangssperren dann mit halber oder im Gasteig fast 4/5 Belegung loslegen? Madrid wird erwähnt, das toujours aufhatte. Nur blendet man da höhere Temperaturen und andere Methodik der Pandemiebekämpfung und Finanzierungsmöglichkeiten in Spanien aus. Und man vergisst, dass es sehr wohl Publikumsproteste gab. Und dass Barcelona eben auf mehr Sicherheit setzte, das Liceu sehr lange schloss. Aber bleiben wir im deutschsprachigen Raum: in der Schweiz die Wochen Todesraten und dunkle Farben bei Euromomo wie bei Belgien. Die Notlagen in Österreich, die geflissentlich ausgeblendet werden. Die höchsten Todes- und Infektionsraten in Deutschland, Bayern. Das sich nicht absenkende Plateau an Zahlen. Und jetzt, also im Dezember, in dieser Lage, muss man klagen? Ich wiederhole mich: ja, das finde ich tatsächlich unethisch. Denn es stellt die Pilotstudie nicht kritisch dar: Im Gegensatz zur Leipziger Studie, wo jeder Teilnehmer negativ getestet wurde, wurde kein Ausschnitt aus dem Publikum getestet. In Leipzig nahmen alle an Umfragen teil, hier knapp unter 30%. Die Aussagen der Zuseher sind zudem rein gefühlt. Angesichts der symptomlosen höchsten Ansteckungsgefahr bei Covid 19 kann niemand zu 100% selbst sagen, wo er sich ansteckte. Eine viertelbesetzte Oper wird er als sicher empfinden. Doch Nachlässigkeiten sind nicht ausgeschlossen, es gibt den Weg hin zu Oper. Und derzeit die hohe Nichtrückverfolgbarkeit. Das wird in dem Positionspapier mit einem Federstrich weggewischt. Es geht nur um den Ärger der eigenen Zunft, um falsches Wording der Politik. Das blendet Corona vollkommen aus. Daher: das ist sogar mehr als nur unethisch, das ist massloser neoliberaler Egoismus zu dessen Untermauerung man ausgerechnet Wolfgang Kubicki heranzieht – also 200% egoistisch und neoliberal. Wären die Zahlen unten, würden nicht reihenweise frustrierte Künstler dem jetzigen Klageansinnen applaudieren, hätten wir in München nicht diese Demo hart an Querdenken vorbeigeschrammt oder dieses grässliche selbstbezügliche, totengedenkenfreie Mozart-Requiem, wäre es etwas Anderes. Die moralischen Massstäbe wichtigster Künstler funktionieren nicht mehr, man nimmt sich wichtiger als das Recht auf Leben und Gesundheit anderer in den volllaufenden Kliniken: ja, die sind langsam überbelegt bzw. deren Personal am Ende. Reisst man nun die Häuser auf, befüllt sie bei Inzidenz 180-190 mehr als bisher in der Krise, sind das schlechte Zeichen. Dann kommen die Zoos, die Bergbahnen, die Gastronomie – denn es sind alle relativ ähnlich schlecht behandelt. Dann hoffe ich, dass alle Ärzte kündigen! Nur soviel: ich hörte tatsächlich privat in die Leitung des Klinikums der TUM – das wird in der Pilotstudie angeführt – rein: ja, auch dort laufen die Stationen voll, hat das Personal peu a peu mehr denn je zu tun. Mein Tipp: die Klage einfach auf einen Zeitpunkt mit Inzidenzen um 50-100 verschieben. Nun redet man aber schon von Druck durch Presse, ganzseitige Anzeigen, etc. Liebe Künstlerschaft: bitte zieht die Notbremse! Aber ich denke: das wird nicht geschehen, denn jetzt heisst es: ICH, ICH, ICH, ICH, ICH!

    • Sonia G.Y. sagt:

      Die Relation der Coronainfizierten zwischen München und Salzburg liegt aktuell bei 10: 1 Und Salzburg ist Österreich zugehörig. Der Bürgermeister von Salzburg ist verpflichtet, seine Leute vor möglichen Virenüberträgern aus München zu schützen, indem er sie in Quarantäne hält.

  3. Winterreise sagt:

    Guten Abend lieber Herr Strauch, da ist mir wirklich ein n hineingerutscht, vollkommen richtig, ethisch. Keine Ahnung, was in mir ethnisch dachte, sorry um die falsche Wiedergabe.
    Erlauben Sie mir zu antworten, denn es ist spannend, in Ihrem Artikel beziehen Sie sich auf die Meldung, die ich auch gelesen habe.
    Die Kernaussage reichte als Grund für Ihren ausführlichen Artikel, was mich dazu brachte, zu antworten, vielleicht sollten wir auf den Montag warten. Dann wissen wir mehr. Das führt vielleicht zu einem Dialog. Sonst werden die Gräben immer tiefer, wenn wir uns nicht mehr anhören. Eine Meldung reicht schon, um ethisch abzuurteilen. Wow. Bezeichnend beenden Sie Ihren Artikel mit 5x ich, dazu groß geschrieben. In einem Gespräch wäre dann das geschriien, das möchte keiner. Übrigens bezüglich meiner Haltung zu der Klage, ich weiß dazu noch zu wenig, mir liegt auch nicht das Postitionspapier vor. Warum Sie im Artikel davon nichts erwähnen, dass Sie dieses anscheinend kennen, ist für mich nicht nachvollziehbar.

    Zug und Theater, an diesen Vergleich habe ich gar nicht gedacht. Wenn etwas gefährlich ist, wie das enge beisammen sitzen in einem Zug, dann gilt das für Traunstein – Salzburg wie für München – Hamburg. Warum ich einmal in Quarantäne soll und einmal nicht, das verstehe ich nicht. Wenn etwas gefährlich ist, möchte ich mich dem nicht aussetzen und ausgesetzt werden. Das wollte ich damit sagen. Eine Grenze zwischen Deutschland und Österreich hält den Virus nicht auf. Dann sollten wir vielleicht globaler denken und jegliches Reisen minimieren.

    ‚Ich gebe zu, dass es für mich ein perverses Entertainment ist, ab und zu Mal den Telegram-Kanal von Adolf Attila Hildmann zu lesen, einfach nur, weil es interessante Einblicke in eine schwere psychische Krankheit gibt (Denn anders kann man es nicht nennen … ‚ das ist das Zitat von Moritz Eggert. Das habe ich nicht gesagt und würde es auch so nicht sagen, ich weiß nicht wie Sie darauf kommen. Es gibt sicher gute Gründe Herrn H. zu kritisieren. So auf jeden Fall nicht. s.o.

    Zum Requiem fällt mir gleich die Rede von Wolfgang Hildesheimer ein. Sie kennen Sie sicher. Herr, gib ihnen die ewige Ruhe nicht.
    Darüber kann man diskutieren und nachdenken.

    In einem möchte ich Sie wirklich beruhigen. Trotz Klage werden die Konzert- und Opernhäuser sicher nicht gleich aufgemacht, wenn darin Ihre Angst vor einer Ansteckung liegt. Und das meine ich wirklich so.

    Was den Taxifahrenden Solisten, der 1. Klasse anreist, angeht, dazu haben Sie gar nichts geantwortet, vielleicht gut so, dass ist so ein Klischee, welches längst überdenkt werden muss, weil es nicht mehr stimmt, und sicher nicht Ihre Argumentation stützt, warum der dann nicht klagen soll, darf. Und das interessiert mich. Wirklich. Dann sind wir in Dialog.

    Und wenn Winterreise nicht reicht als Anrede, dann gerne Herr Winterreise.

    • k. sagt:

      Ich denke eher, dass – wenn die Klage Erfolg haben sollte, weil die Bayerische Verordnung die Schließung nicht gut genug begründet hatte, was durchaus passieren kann – die Verordnung dann nachgebessert wird und werden müsste.

      Letztendlich sind ja die Theater nicht deswegen geschlossen, weil es dort gefährlich ist oder weil man dort eine Infektion nicht ausschließen kann. Denn nach diesem Argument müssten ganz andere Dinge geschlossen werden.

      Und man kann mir nicht sagen, dass ein Gottesdienst mit Musik weniger gefährlicher ist, als ein Kirchenkonzert unter gleichen Bedingungen. Wenn eine Geigenlehrerin privat mit der Nachbarin zum Kaffee trifft, ist es nicht weniger gefährlich als wenn sie der Nachbarin Geigenunterricht gibt, zumal mit Maske und Abstand. Ich möchte nicht als hysterisch bezeichnet werden, wenn ich das so sage.

      In politische Entscheidungen fließen aber nicht nur epidemiologische Argumente hinein. Die Theater sind eben zu, weil die Schulbildung und die Entwicklung der Kinder wichtiger ist, und weil es wichtig ist, dass Menschen zur wichtigen Arbeit, zum Arzt kommen können.

      Selbst wenn Theater und Konzertsäle öffnen würden, sollte das Erkenntnis da sein, dass es in der Corona-Zeit immer noch ein Luxus ist, wenn das Zürcher Kammerorchester extra nach Hamburg reist, um dort Mozarts Eine Kleine Nachtmusik zu spielen. Das sind auch Aspekte, die unter dem Gesichtspunkt der Pandemiebekämpfung (Mobilität), wichtig sind.

      Liebe Herr Winterreise, man muss nicht – auch als Künstler nicht – in München in ICE setzen und stundenlang durch Deutschland fahren, nur weil man das gesetzlich darf. Darum geht es. Vielleicht wäre es sogar sinnvoll, in Quarantäne zu gehen, wenn Sie aus bestimmten Regionen Deutschlands zurückkehren, wer weiß?

      Ich denke, es ist schon so, dass wenn die deutsche Bevölkerung zwischen spanischen Verhältnissen und deutschen Verhältnissen wählen müsste, und zwar als Anwohner und nicht als Urlauber, man dann doch lieber die deutsche Variante nehmen würde. Und auch wenn ich die Maßnahmen teilweise auch nicht fair finde, und jedenfalls schmerzhaft (und mich wundere, ob Politiker überhaupt wissen, wie Kultur funktioniert), so wundere ich ab und an schon auch, ob vor allem prominente Künstler überhaupt wissen, wie das Leben der meisten Bürger funktioniert. Für die meisten ist es doch viel wichtiger, dass der Toilettenabfluss funktioniert als dass es ein Live-Konzert gibt.

      • Sonia G.Y. sagt:

        “ Für die meisten ist es doch viel wichtiger, dass der Toilettenabfluss funktioniert als dass es ein Live-Konzert gibt.“
        Das denke ich auch:-) Ihre Ausdrucksweise gefällt mir.

    • Wie gesagt und umrissen: mir liegt das Positionspapier vor, es beruhigt mich keineswegs. Es geht um Öffnung zu einem der kritischsten Momente in der Pandemie. Das ist und bleibt bizarr. Kommt das durch, weckt das andere Branchen. Statt jetzt eher für konsequentes Kontaktminimieren einzutreten, Theater/Säle bis Ende Januar, gar Februar geschlossen zu halten, regt man sich lieber noch über die letzte Woche angekündigte Verlängerung und deren Zustandekommen bis 10.1.21 auf. Ganz klar: bei Inzidenz 50 stellt sich die Politik momentan erst wieder Lockerungen vor. D.h.: es kann sogar März werden. Ich für meinen Teil zweifle ziemlich an der Vernunft eines Gros der Klassikszene. Man regt sich über jede in Aussicht gestellte Finanzhilfe nur noch auf, so z.B. die von Scholz für 2021 ins Gespräch gebrachten Geistertickets. Die Erregung, manchmal gar der Hass: das ist weder kreativ noch schürt das mehr Verständnis in der Bevölkerung für die Probleme der Künstler. Jetzt applaudiert man vor Klageeinreichung in Vielzahl. Dabei ist eines klar: nach den Papieren können Theater, Konzertsäle nicht klagen. Also schickt man die Einzelkünstler vor. Wenn die Klage wegen der aktuellen Infektionslage abgewiesen wird, hat sich jemand schlichtweg individuell vor den Institutionskarren spannen lassen, war alles umsonst. Wie gesagt: Timing und Dramaturgie ist jetzt vollkommen falsch und wirkt angesichts der medizinischen Not unethisch. Kommt es zur Güterabwägung, ist Art. 2. Abs 2 Satz GG (Recht auf Leben) im Vorrang vor Art. 5 Abs. 3 Satz 1 (Kunstfreiheit) und Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit). Aktuell allemal. Und ob man sie dafür hält oder nicht: die anzufechtende VO hat eine Begründung, gegen die man mit dem Verlangen nach Sonderweg kaum durchkommt oder dann eben die VO-Begründung erweitert wird. Es gibt da nichts zu gewinnen. Das Positionspapier ist das Papier nicht wert.

      • k. sagt:

        Naja, ich finde, dass man schon kritisieren kann, dass was groß als Finanzhilfe angekündigt wird, für viele Solokünstler letztendlich gar keine Hilfe sind (weil sie durch den Raster fallen), sondern ihre Lage wegen der Wettbewerbsverzerrung innerhalb der Branche weiter verschärft. Und das ist ja, was auch frustriert, nämlich, dass offenbar nicht bekannt ist(?), auch bei den eigenen Funktionären, wie die Berufswirklichkeit vieler Künstler aussieht, sondern man sich nur an traditionellen Geschäftsmodellen von etabilierten Häusern und Stars orientiert, weil diese gehört werden.

        Und ich finde auch nicht, dass man unbedingt dafür eintreten muss, dass alles bis Februar geschlossen bleibt. Insbesondere in kleinen Rahmen geht es nicht um die Maximalgröße, sondern z.b. ob eine Veranstaltung mit insgesamt 5 Personen erlaubt ist.

        Das Problem mit der Klageeinreichung ist eher, dass keiner ernsthaft will, dass die große Häuser jetzt sofort mit großen Vorstellungen beginnen. Und es ist auch nicht so, als ob die Kultusminister nicht öffnen wollen, sie suchen schon nach Wegen, sie machen einen tollen Job.

        Und da wo es in der Gesellschaft momentan eher darum geht, ob man die Oma zu Weihnachten besucht, ob die Schule aufbleibt, ob der Weihnachtspaket ins Ausland dort überhaupt ankommt, wann man die Verwandten wiedersehen kann, ob die Krankenschwester-Mama gesund durch den Winter kommt, wie man illegale Glühweinparty verhindern kann, usw. usw. mit Theateröffnung zu kommen, das löst entweder nur Kopfschütteln aus (wie doof sind die Künstler – und da werden dann wieder die ganzen Künstler in eine Schublade gesteckt) oder Applaus von den falschen bekommen (die Corona-Maßnahmen sowieso doof finden).

        • Moment liebe k. – ich habe nicht gesagt, dass es falsch ist, z.B gegen Finanzhilfen zu klagen. Da stimmt Vieles nicht. Ich führte die gestrige Ankündigung an, dass der Finanzminister Scholz bei nicht lohnender Befüllung des Saales mit Publikum aufgrund von Einschränkungen da ein Programm zum Ausgleich auflegen will. Quasi Geistertickets. Das wurde mit Freuden vor 2 Monaten aus Künstlerkreisen gefordert. Jetzt wird es schon schlecht gemacht, da es von Scholz kommt.

          Und es ist so, dass die Künstlerschaft derzeit an den KunstministerInnen eben kaum noch ein gutes Haar lässt. Da wurde im Sommer mancherorts zu wenig mehr gefordert von den Regierungskollegen. Nur wird ja auch schon minütlich gegen Sibler und Co. geschossen. Wie gleich gegen Scholz.

          Den Frust über die Finanzhilfen habe ich ja auch zudem im Blog konkret erwähnt. Und eben mein Verständnis für diverse Formen des dagegen Klagens.

          Jetzt aber geht es um Lockerung, am besten in diesem Monat noch. Man bemüht Madrid, man stellt in dem Papier in Abrede, dass die 75% Nicht-Nachverfolgbarkeit ein Grund sei, wie Sibler das erwähnte, dass man Theater nicht für so sicher erklären kann im Moment wie vielleicht im Spätsommer.

          Man rekurriert dann auf die deutsche Vergangenheit, weil eben auch Werke von NS-Verfolgten derzeit nur in veränderten Fassungen erklängen: “ ist auch während des Lockdown light nicht gewährleistet worden im Unterschied zu Österreich, da durch die deutschen Orchester- und Chorabstände ein Großteil des Repertoires nicht spielbar ist, darunter auch von den Nationalsozialisten verfolgte Komponisten.“

          Oder unter Verkennung der Möglichkeiten des Probens, Konzipierens und eben leider auch nervenden aber möglichen Streamens, behauptet man, dass da die Kunstfreiheit unvollständig sei: „da die Kunstfreiheit zu den Kommunikationsgrundrechten gehört, muss eine ausreichende Anzahl von Personen die Kunst überhaupt erleben dürfen.“

          Also schliesst man: „Jetzt ist das Publikum komplett auf 0 gesetzt und daher ist die Kunstfreiheit in den Kultureinrichtungen derzeit de facto außer Kraft gesetzt.“

          Dann erwähnt man tatsächlich Bücherverbrennung, Probleme in der DDR, um zu enden: „Deutschland hat da auf Grund seiner geschichtlichen Erfahrungen mit zwei kunstfreiheitsfeindlichen Regimen eine besondere historische Verantwortung!“

          Dann geht man gegen u.a. die Nicht-Rückverfolgbarkeit vor: klar, die Namen sind bekannt. Nur verkennt man eben wohl, dass es ja um das Kommen und Gehen, das Drumrum, nicht um den Saal selbst geht. Also regt man sich auf, dass bei Demos und Gottestdiensten, die beide stattfinden dürfen, keine Listen geführt werden müssen. Dann, dass Madrid durchspielte – wie gesagt, da protestierte mal das Publikum im Haus wegen der Platzierung… etc. Daher müsse man also klagen.

          Puh.

          • k. sagt:

            Vielleicht wäre es fürs Verständnis hilfreich, wenn zumindest Sie präzisieren würden, wen man mit „Künstlern“ oder „Künstlerschaften“, „Kulturschaffenden“, „Kultur“ in einer bestimmten Diskussion genau meint. In den Medien wird es gerne so präsentiert, als wäre es ein Kollektiv.

            Ich glaube z.B. dass die Idee von Scholz vor allem ein Segen für große Pop- und Rockveranstalter ist. Dass die staatlichen Klassik-Bühnen Hilfen bekommen, da gibt es ohnehin keine Zweifel. Wenn man aber sagt, dass man Künstlern helfen will, müsste man aber eben auch bei kleinen Veranstaltungen schauen, von kleinen Privatbühnen, Dorfkulturvereinen, Museen, wo es darum geht, dass unter Corona-Bedingung man statt 100 Leute nur 10 Leute reinlassen kann oder oder statt 50 Leute nur 3. Oder an Orten, wo Künstler schon vor Corona auf „Eintrittsbasis“, „Spendenbasis“ oder gar als „Eigenveranstaltung“ spielen mussten.

            Die Argumentation mit der Kunstfreit ist so gesehen auch ein zweischneidiges Schwert – praktisch besteht in der Kulturszene ja nie „Kunstfreiheit“, in dem Sinne, dass Künstler alles bekommen, was sie wollen. Nicht jeder Sänger bekommt die Möglichkeit, an der Staatsoper zu singen, nicht jede Sängerin bekommt die von ihr ersehnte Rolle, nicht jeder Komponist bekommt sein Werk von seinem Wunschorchester aufgeführt.

            In einer Sache stimme ich Ihnen unbedingt zu: ich glaube kaum, dass die Aktion von der breiten Masse der Bevölkerung gut angenommen wird. Diese Künstler, die jetzt klagen, leben nicht prekär, man schiebt ja sogar ihre Prominenz in den Vordergrund. Es wird eher als kindische Ego-Aktion von „auf den Wolken lebenden“ Künstlern wahrgenommen, die nicht gescheit denken können. Und dieses Image schadet auch den kleinen Künstlern, die mangels Verehrungskomponent eher gesagt wird, dass sie doch was Gescheites hätte lernen sollen.

  4. Winterreise sagt:

    Also das mit dem Positionpapier, das ist schon interessant, es liegt Ihnen vor, doch zitieren wollen oder dürfen Sie nicht. Öffentlich scheint es noch nocht zu sein, also warum nicht einen Tag warten, ich meine, warten wir doch einfach mal morgen ab, dann wissen wir alle mehr, bevor Sie heute exklusiv schon jemanden Hirn und ethisches Verständnis absprechen wollen, wenn ich Sie da richtig verstanden habe.
    Die bayerischen Staatstheater haben bis Ende Jänner den Vorstellungsbetrieb abgesagt in Absprache mit Minister Sibler.
    Diese Information scheinen Sie noch nicht zu kennen, doch das müsste Sie jetzt beruhigen, ich hoffe.
    Es gibt bisher nur Information zu einer Pk mit der Klageabsicht. Ob die eingereicht wurde ist doch nicht bestätigt. Also einfach mal warten, Und Gerichte prüfen das. Und das ist gut so. In Ruhe. Darauf vertraue ich. Auch wenn es schwer fällt, die Möglichkeit, eine Klage einzubringen ist eben für jeden und jederzeit möglich. Nicht immer versteht man es.

    Übrigens Erregung, die sie den Künstlern, – welche meinen Sie eigentlich, Sie sind doch auch einer – lese ich auch sehr deutlich bei Ihnen, auch da, sollten wir nicht erst wieder unsere Dialogfähigkeit stärken und nicht den erste Klasse reisenden Künstler oder sogar das Gros der Klassikszene gleich Unvernunft vorwerfen?

    Erinnern Sie sich an den Fall Gäfken? Er klagte gegen die Folterandrohung, er bekam 3000 Euro plus Zinsen. Timing, Dramaturgie und seine begangene Tat, mir fehlen bis heute die Worte. Schrecklich. Und doch sagt mein Hirn, das musst du aushalten, er hat das Recht zu klagen, das Gericht urteilt darüber, aber nicht über die Beweggründe.

    Und wenn das Positionspapier das Papier nicht wert ist, Sie kennen es ja, dann ist es doch noch einmal leichter, lassen Sie die klagen, Sie wissen, wie ich Ihrer rechtlichen Einschätzung entnehme, dass man damit nicht durchkommt. Also warum die ganze Aufregung?

    • Warum die Aufregung? Weil es eben jetzt schon zig Künstler begeistert. Also ist es auch richtig, sich dazu zu positionieren. Wie gesagt: angesichts der überlaufenden Krankenhäuser ist der Zeitpunkt jetzt unethisch, gerade, wenn man eineGrundrechtsklage führt. Dann muss man sich eben auch den besagten Art. 2 Abs. 2 GG vorhalten lassen. Da nun Gäfken einzubeziehen – Mannomann, wie melodramatisch sind Sie denn? Das mit dem leise sein und abwarten – genau das beabsichtigt man ja. Es soll eine fette Kampagne Pro-Öffnung werden. Es soll über die Presse Druck auf die Kulturpolitik ausgeübt werden. Nun: Lederer in Berlin sprach ja, dass man wohl bis März warten müsse. Vielleicht sollte man nochmals diesen Zeithorizont erwägen als morgen die Klage einzureichen und sein Pulver zu verschiessen. Apropos: in der Antwort auf k. paraphrasiere ich ein wenig. So und nun Gute Nacht – fragen Sie bei renommierten Kritikern nach, dann erhalten Sie ggf. den Link zur Pressekonferenz morgen um 12 Uhr.

  5. Winterreise sagt:

    Übrigens schätze ich es sehr, dass Sie meine Gedanken hier zulassen. Ihr Kollege Moritz Eggert machte das damals nicht. Mein Kommentar wurde nie veröffentlicht. Also vielen Dank. Das verstehe ich unter Dialog.
    Eine Frage, war da nicht eine weitere Antwort von Ihnen Herr Strauch? Sehr ausführlich, ich hatte sie überflogen und wollte in Ruhe antworten. Warum haben Sie das gelöscht?

  6. Winterreise sagt:

    Die zig begeisterten Künstler lasse ich mal so stehen, das klingt sehr aufgeregt, wie die fette Kampagne vor der Sie warnen wollen. Aber danke. Ich hoffe, Sie beruhigen sich bis morgen und wie gesagt, die bayerischen Staatstheater spielen bis Ende Jänner nicht. Das ist fix.
    Und da das Papier eh nichts wert ist, müssten Sie doch ganz gelassen einschlafen.
    In diesem Sinne. Und das ganz melodramtisch, gute Nacht.

  7. Winterreise sagt:

    Druck aufzubauen, eine Klage zurückzuziehen, ist bekannt, dass das auch andersherum gemacht wird, scheint neu.

    Und ich frage sicher nach dem link, dann weiß ich, dass die Kritiker, die ich kenne, renomierte sind.

    • k. sagt:

      Die Klage war und ist doch noch gar erhoben, es geht erstmal nur um eine mediale Ankündigung über ein Vorhaben. Es geht also erstmal vielmehr um die Presse als um eine gerichtliche Entscheidung an sich.

      Mir ist immer noch nicht klar, was die Gruppe machen will, falls sie Erfolg mit der Klage haben sollte (davon geht man doch aus, wenn man klagt).

      Mir ist auch nicht klar, ob der Gruppe bewußt ist, welche Signalwirkungen an die Gesellschaft solche Medienberichte haben werden, insbesondere wenn die Gruppe aus prominenten Künstlern besteht. Oder gehen sie davon aus, dass die Menschen dann denken würden, dass sie Theater besuchen aber sich in anderen Bereichen weiterhin oder sogar noch mehr zurücknehmen. Denkbar ist doch viel mehr, dass die Menschen denken, dass wenn schon Theater offen sind, sie auch Glühwein trinken, shoppen gehen und feiern können.

      M.E: haben wir jetzt auch diese Lage mit hohen Inzidenzen, weil die Botschaft zu widersprüchlich ist. #WirBleibenZuHause aber sollen #SupportYourLocalBusiness. Man soll Schaustellern helfen und Schmalzkuchen kaufen, aber die Bude steht in der Fussgängerzone mit Maskenpflicht.

      Ich spiele und unterrichte, habe also mit Musikern und Nicht-Musikern zu tun. Unter Musikern sehe ich schon die Tendenz (nicht bei allen), dass man es als gut findet, wenn „die Show goes on“, man sich also die Mühe gibt, was stattfindet, egal zu welchem Preis, auch wenn Menschen dabei sterben, egal auch wenn andere wichtige Bereiche leiden – und dass man es als persönliche Niederlage oder Affront gegen die Kunst sieht, wenn man dabei gestoppt wird. Die Nicht-Musiker-Familien haben trotz der Kulturaffinität (sie sind nicht diejenigen, die sagen, dass Künstler andere Jobs suchen könnten) meist andere Prioritäten, z.B. dass die Kinder in die Schule können und ihre Freunde sehen können.

      Natürlich sollen Künstler spielen, mir geht es auch so. Aber einiges empfinde ich doch als überprivilegiert, weltfremd. Warum kommt kein prominenter Sänger und sagt: Leute, wir verzichten auf unsere liebste Beschäftigung und gedulden uns noch paar Monate, um Leben zu retten und damit wir gut und schnell durch die Pandemie kommen, tut Ihr bitte auch Gleiche. Ist das zu „staatsnah“, klingt das zu sehr nach Kriegspropaganda?

      Mich persönlich stört bei der Diskussion um Weihnachten/Silvester ohnehin, dass man nur über Feiertage und Feiern redet. Ja, ich verstehe das, und ich sehe auch die Wichtigkeit, ich vermisse auch Kontakt mit so manchen lieben Menschen. Aber warum denkt keiner, wie zynisch das Ganze ist für Menschen, die gerade einen lieben Menschen verloren haben und sich nicht mal ordentlich zusammen trauern dürfen. Damit andere zu den Feiertagen fröhlich sein können. Oder ist es so gemeint, dass trauernde Menschen jetzt endlich zwischen den Feiertagen zum gemeinsamen Trauern versammeln können?

      Und ich muss sagen, dass ich als Mensch das aktuell viel wichtiger finde als dass ich ein Konzert spielen darf (auch wenn ich mich natürlich darüber auch freuen würde).

  8. Winterreise sagt:

    Hallo Frau K. Genau das meinte ich, Montag abwarten, Klage ist noch nicht mal eingereicht. Und siehe da, das ist dann auch so geblieben Die fette Kampagne unterstützt von zig Künstlern ist ausgeblieben. Der Bariton fährt diese Woche nicht mit dem Taxi an das wieder geöffnete Nationaltheater und singt Wolfram vor einem lauschenden Publikum. Und Herr Strauch muß sich auch keine Gedanken machen, was sein Vater dann gemacht hätte. Wie hätte er sich verhalten? Wäre er im Chor gestanden und traumversunken den Pilgerchor gesungen? Was hätte er gemacht, wenn man mit einem Flüsterstreik protestierte ? Wobei das war ja der Meistersinger …

    • k. sagt:

      Warum aber dann die Pressekonferenz und Ankündigung einer Pressekonferenz, nur um anzukündigen, dass man eine Klage vor hat? Anstatt einfach eine Klage einreichen. So entsteht der Eindruck, dass es eher um eine mediale Kampagne ist, wo das Klagevorhaben ein Vorwand ist.

  9. Ich frage mich ernsthaft, was aus unserer Gesellschaft werden würde, wenn etwa ein noch viel aggressiveres, mutiertes Virus auftreten würde. Oder etwas wie Ebola. Im Video wird genial die Frage gestellt, was aus einer (naiven) Spassgesellschaft, einer Schönwetter- oder Spassdemokratie werden kann, wenn echte, schwerste Krisen auftreten.https://www.youtube.com/watch?v=OYZrN0y6V6c
    Heute wieder aktueller denn je.

  1. 7. Dezember 2020

    […] Kommentar zu Klageabsichten in Bayern gegen die Schliessungen der Theater und Konzertsäle Am Freitag war auf dem Onlineauftritt von BR-Klassik zu lesen, dass am folgenden Montag (7.12.20) eine Gruppe um den Sänger Christian Gerhaher und den Dirigenten Hansjörg Albrecht vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof München auf Aufhebung der „pauschale(n) Schließung von Konzert- und Opernhäusern zur Bekämpfung der Corona-Pandemie“ klagen will. Auf einer Pressekonferenz wollen sie das ebenfalls am Montag konkretisieren. Allerdings ist die Kernaussage so deutlich, dass man sich jetzt schon Gedanken dazu machen kann. Neue Musikzeitung/nmz.de […]