Als der Jazz in Dresden starb – Ein Nachruf auf die Jazztage Dresden.
Ach, Jazz, Du wunderbare Musik…Du entsprangst dem Blues, der auf amerikanischen Baumwollfeldern von Sklaven erfunden wurde, die ihrer Heimat beraubt waren und mittels oft selbstgebauter Instrumente ihr Leid in Musik verwandelten. Du erlebtest Deine erste Blüte im New Orleans der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, als aus der Verbindung von Blues und Ragtime etwas völlig Neues entstand, das die Musik auf der ganzen Welt dauerhaft verändern sollte. Zahlreich die Heroen und Heroinnen, die Deinen Ruhm über die folgenden Jahre mehren sollten, die Dich mit immer neuen Ansätzen am Leben erhielten, Dir immer wieder neue Ideen einspeisten.
Ach, Jazz, Du Wunder auch der Völkerverständigung, wo plötzlich schwarze und weiße Musiker auf Augenhöhe zusammenkamen, um die unsäglichen Verbrechen der Sklaverei und des alltäglichen Rassismus zu überwinden. Jazz, Du Stimme der Freiheit, als in den schlimmsten Zeiten der Barbarei des Zweiten Weltkriegs Menschen zahlreiche Menschen während der Nazidiktatur heimlich vor den Radioempfängern hockten, um die wunderbarste und von den Schlächtern als „entartet“ deklarierte Musik zu hören, da sie es ermöglichte, von freieren und schöneren Zeiten zu träumen.
Dann die große Erleichterung nach dem Ende des Krieges, als die vielen großen Künstler endlich wieder Europa bereisen durften und vor allem von Europa gefördert wurden. Eine Phase der unendlichen Kreativität, die ganze Jahrzehnte prägte. Jazz, Du überwandest auch den Eisernen Vorhang, wurdest geliebt und geschätzt von den Menschen des Ostblocks, in Russland, in der DDR, überall gab es Menschen, die Dich hörten und vor allem spielten. Keine kommunistische oder faschistische Diktatur konnte Dich dauerhaft unterdrücken, denn die Sprache der Musik ist stärker als die Sprache der Unterdrückung.
Endlich, im Jahre 2000, konntest Du Dich auch in Dresden offiziell geliebt fühlen, in diesem Jahr fanden nämlich zum ersten Mal die „Jazztage Dresden“ statt, damals noch im Stadtteil Unkersdorf. Leider wähnte Dein Leben in Dresden nur kurz.
Am 25.10.2020 starb der Jazz in Dresden – noch nicht in voller Gänze erblüht – im jungen Alter von nur 20 Jahren.
Denn an diesem Tag trat der bekannte Verschwörungsguru und Kuschelpartner der rechten bis rechtsradikalen Szene, der „Historiker“ und Publizist Daniele Ganser, gleich zweimal im Programm der Jazztage Dresden auf, und hielt einen Vortrag mit dem Titel „Geostrategie – Der Blick hinter die Kulissen der Macht“. Nicht, dass dieser Vortrag irgendetwas mit Jazz oder gar überhaupt Musik zu tun hatte. Aber anscheinend war es den Veranstaltern der Jazztage Dresden (Kilian Forster und Tanja Grandmontagne) wichtig genug, einen Vortrag dieser Art nicht nur am 25.10.2020 zuzulassen, sondern sogar schon im Jahr vorher, angeblich da sich Ganser durch eine ominöse „SIPER AG“ eingekauft hat (so die Jazztage Dresden in einer Stellungnahme als Reaktion auf einen offenen Brief des Jazzverbands Sachsen, beide zu lesen hier). Leider verschweigen Forster und Grandmontagne elegant, wer der Inhaber dieser Firma ist, nämlich Ganser selber. Und ich habe noch nie von einem Festival gehört, dass sich dazu zwingen ließe, etwas ins Programm zu nehmen, das ihnen nicht gefällt. Man kann also definitiv davon ausgehen, dass Forster und Grandmontagne voll hinter Daniele Ganser stehen. Und das ist ein Skandal, denn das bedeutet, dass sie seine Ansichten teilen und gleichzeitig Jazzkonzerte für ein großes Publikum organisieren. Wer es aber ok findet, solchen Leuten ein Podium zu bieten, kann kein Jazzer sein, denn die Geschichte des Jazz steht für etwas völlig anderes. „It is no wonder that so much of the search for identity among American Negroes was championed by Jazz musicians. Long before the modern essayists and scholars wrote of racial identity as a problem for a multiracial world, musicians were returning to their roots to affirm that which was stirring within their souls.“ (sagte Martin Luther King). Aber ein Daniele Ganser hat damit nichts zu tun. Daniele Ganser trifft sich lieber zum Interview mit dem Rechtsextremisten Karl-Heinz Hoffmann, Gründer einer gleichnamigen „Wehrsportgruppe“. Und das bei seinen Coronaleugnenden Kumpels vom Compact-Magazin. Das hat mit Jazz ungefähr soviel zu tun wie Donald Trump mit Mutter Teresa.
Zu Daniele Ganser könnte man viel sagen. Er ist bekannter Verschwörungsideologe, dessen Karriere hier mit vielen Links und Belegen dokumentiert ist. Ganser spielt auf der ganzen Klaviatur der Szene, trifft sich mit Rechtsextremisten, leugnet den 11. September und dass islamistische Attentäter beteiligt waren, leugnet den Anschlag auf „Charlie Hebdo“ (Zitat Ganser: „Für mich ist der Terroranschlag auf «Charlie Hebdo» ungeklärt. Sicher ist, dass der militärisch-industrielle Komplex davon profitiert.“), steht der inzwischen aufgelösten Psychosekte VPM nahe und natürlich auch den „Querdenkern“ – wie sollte es auch anders sein, wenn man schon Mal an Schwurbeln ist und regelmäßig KenFM empfiehlt.
Nun könnte man noch gnädig irgendeine gespielte „Weltoffenheit“ der Veranstalter als Entschuldigung für diesen programmatischen Fauxpas annehmen, die sie rührselig hilflos in ihrem Statement bemühen. Dagegen spricht aber, dass sich die Jazztage Dresden nicht nur als Podium für Aluhüte präsentieren, sondern anscheinend auch noch selber von Aluhüten geleitet werden, denn nicht nur der Auftritt von Ganser sorgte für (wenn auch bisher zu geringe) Erregung, sondern auch das präsentierte „Coronakonzept“.
Das von zahlreichen Kritikern als „unethischer Menschenversuch“ bezeichnete Konzept, bestand mehr oder weniger aus dem lustigen Versuch, das Publikum in angeblich „freiwilligen Infektionsgruppen“ zusammenzupferchen: „Mit dem Kauf Ihres Tickets neben anderen Personen erklären Sie sich mit der Platzierung innerhalb der Infektionsgruppe einverstanden“ (Zitat der Veranstalter). Man hätte auch schreiben können: „Mit dem Kauf Ihres Tickets unterstützen Sie uns als Covidioten und außerdem das Engagement eines Verschwörungsideologen, vielen Dank und schönen Tag noch!“. Während sich zahlreiche ehrenhafte Veranstalter nach bestem Gewissen bemühen, unter den momentanen schwierigen Umständen Konzerte sicher für ihr Publikum zu machen, ist diese „Querdenker“-Strategie der Veranstalter der Dresdner Jazztage nicht nur höchst peinlich, sondern auch noch frech menschenverachtend und verantwortungslos. Und auch eine schlimme Blamage für alle Dresdner Ämter, die so etwas angeblich zugelassen haben.
Ich bleibe dabei: für mich ist der Jazz in Dresden mit dieser Aktion gestorben. Was die Veranstalter hier treiben steht so diametral gegen alles, für das Jazz steht, dass der Jazz hier nicht nur zu Grabe getragen wird, man tritt und spuckt auch noch auf die Leiche. Und alle, die dabei mitmachen, müssen sich allen Ernstes fragen, ob sie überhaupt verstehen, für was Jazz steht.
Dass nicht alle Künstler sich hier wie Schafe stillschweigend einer dubiosen Privatagenda unterordnen wollten, macht zumindest ein wenig Hoffnung. Hut ab daher vor der argentinischen Sängerin Lily Dahab und ihrem Pianisten Bene Aperdannier, die schnell reagierten, und ihr Konzert sofort absagten, als sie vom Engagement von Ganser erfuhren.
Ich hoffe für den Jazz, dass sie nicht die einzigen bleiben, die sich von der Ermordung des Jazz in Dresden distanzieren. Die Jazztage laufen noch bis zum 23.11., noch ist Zeit!
In Memoriam Manu Dibango, Wallace Roney, Ellis Marsalis Jr. und Lee Konitz (Corona-Opfer 2020)
Moritz Eggert
Komponist
Vollständigkeitshalber müsste man hier auch die (Cancel)CancelCulture Diskussion erwähnen, angeführt vom „Appell für freie Debattenräume“, dessen Initiator auch im Programm steht. Das ist m.E. noch brisanter.
Was sollte an freien Debatten problematisch sein?