Eine kurze Geschichte der Panik (und andere Coronamissverständnisse)
Eine kurze Geschichte der Panik
Vor wenigen Wochen schrieb ich noch „Ich brauche das Internet“. Inzwischen würde ich gerne das Internet für immer abschalten, die vielen zunehmend fanatischen Stimmen, die Sekunde für Sekunde um meine Aufmerksamkeit ringen, mit ihm zusammen für immer begraben, am besten in der Wüste Gobi, wo niemand es je wiederfindet.
Auch wenn die Vernunft in diesem Land nach wie vor die stärkste Kraft ist, ist doch eine Verschärfung der panischen Stimmen zu verspüren, die zunehmend Freundschaften und Familien spaltet. War es am Anfang noch möglich gewesen, mittels von Argumenten verständlicherweise ängstlichen KollegInnen den Ernst der Lage geduldig zu vermitteln, scheint dies nun angesichts der grassierenden „Hygiene-Demos“ und immer dreisteren Missachtungen des gesunden Menschenverstandes und den Grundregeln der Wahrheit immer hoffnungsloser. Inzwischen fühle ich mich fast wie in einem Film über eine Invasion der Körperfresser, wenn ich mit Freunden telefoniere, die ich schon lange nicht mehr gesprochen habe. Vorsichtig tastet man sich heran, versucht erst festzustellen, ob das Gegenüber nicht vielleicht schon längst ein Außerirdischer oder ein zu Ken-TV Konvertierter ist, fragt sich zitternd, ob jetzt gleich etwas von 5G oder Bill Gates kommt…dann, irgendwann, die Erleichterung: gottseidank, er/sie ist noch…normal geblieben. Noch nicht „übernommen“. Aber nicht immer gibt es diese Erleichterung.
Man ist auch oft überrascht – ich spreche einerseits mit KollegInnen, denen es in Corona-Zeiten durch das Wegbrechen aller Einkünfte richtig dreckig geht, die aber mit unglaublicher Tapferkeit nach vorne schauen und versuchen – wie wir alle – das Beste aus einer globalen Notsituation zu machen. Diese sind oft (zu Recht) kritisch, wenn es um zum Beispiel finanzielle Nothilfen für freischaffende MusikerInnen geht, aber sie haben nicht den grundsätzlichen Glauben an eine Gesellschaft verloren, der sie sich nach wie vor zugehörig und verantwortlich empfinden.
Dann gibt es andere, denen es den Umständen entsprechend eigentlich noch richtig gut geht, die vielleicht sogar Beamtenstatus genießen, und die nun so tun, als sei ihr ganzes bisheriges Leben eine einzige Lüge gewesen, als sei ihnen erst jetzt die Augen geöffnet worden, in was für einem Unrechtstaat und in was für einer furchtbaren Diktatur wir leben. Man fragt sich dann ein bisschen, wie sich dieses große Leid für sie vorher ankündigte, während sie mit Stipendien, Staatsförderpreisen und einer größtenteils kostenfreien Ausbildung beschenkt wurden. Wie sehr sie darunter leiden mussten, in großzügig subventionierten Konzertsälen und Opernhäusern aufzutreten.
Aber diese Frage trifft nicht den Kern der Angst und der Sorge, die diese Menschen umtreibt. Damals war halt die Welt noch in Ordnung, man kannte apokalyptische Szenarien nur aus „The Walking Dead“ und anderen Fernsehserien, man hatte noch genug Toilettenpapier und zu wenig Zeit, um sich mit den Verschwörungstheorien von C-Promis auseinanderzusetzen.
Das alles kündigte sich leider schon an, mit dem schlimmsten Slogan aus den Anfangstagen von Corona: „Die Panik ist schlimmer als das Virus“.
What? Welche Panik?
Einer der Gründe, warum Deutschland im internationalen Vergleich so gut in der Pandemie dasteht ist nämlich tatsächlich, dass wir (bis jetzt!) vergleichsweise ruhig und besonnen, fast pedantisch reagiert haben. Das ist in so einer Situation von Vorteil!
Viele EntscheidungsträgerInnen haben sich in den letzten Monaten vor allem dadurch profiliert, dass sie im Grunde sehr, sehr nüchtern und ohne jegliche Übertriebenheit agierten. Wer je eine Pressekonferenz des Robert-Koch-Instituts gesehen hat, weiß, von was ich spreche. Die größte zur Schau getragene Emotion war hier vielleicht maximal ein leichtes Hochziehen der Augenbrauen von Herrn Wieler, ansonsten wurden Statistiken und trockene Forschungsergebnisse präsentiert, verbunden mit höflichen und stets eher zurückhaltenden Bitten an die Bevölkerung.
Die Rede der Kanzlerin war ernst und der Lage entsprechend, aber weder verlogen „es wird alles wieder gut“ noch hysterisch „wir werden alle sterben!“. Es war – wie so oft, wenn es vor allem um Inhalte geht – eigentlich eine eher langweilige Rede, aber ganz ehrlich, ich bin sehr froh, dass ein Moment wie dieser eben nicht benutzt wurde, um sich eitel in Szene zu setzen, sondern dass stattdessen einfach Tacheles geredet wurde.
Ebenso die zu Unrecht von Idioten verteufelte Podcast-Sendung „Corona-Update“ mit Christian Drosten. Wer diese Sendung als „Panikmache“ empfindet, hat sie ganz sicher noch nicht gehört. Zermürbt von Morddrohungen und Anfeindungen, aber dennoch dem wichtigen Impuls folgend, in Zeiten des dummen Geschwurbels so etwas wie eine seriöse Diskussion komplexer wissenschaftlicher Fakten zu versuchen, sich dabei auch noch ständig selbst hinterfragend und korrigierend (etwas, das kein einziger der Verschwörungstheoretiker je auch nur ansatzweise versucht), trägt der arme Drosten Sendung für Sendung nicht nur zur simplen Allgemeinbildung der deutschen Bevölkerung bei, sondern ist dabei auch noch ein bewundernswertes Fanal der Nüchternheit. Meine Kinder verstehen wenig von dem, was Drosten sagt (ich höre die Sendung oft beim Kochen für die Familie), finden ihn aber „langweilig“, weil er nie seine Stimme erhebt, und immer ruhig und langsam redet. Von „Panik“ nicht die Spur. Die findet nur in BILD-Schlagzeilen statt, nicht in der seriösen Presse, die sich stets um Ausgleich und Bedacht bemüht.
Wer aber je (so wie leider ich) eines der vielen Verschwörungsvideos von zum Beispiel Ken Jebsen gesehen hat, weiß, wie manipulativ Panik erzeugt wird. Man muss nur wie Ken Deppsen leicht an der Kamera vorbeigucken, dabei möglichst schnell und sich überschlagend reden, geschickt Schlagwörter wie „globale Eliten“, „Diktatur“ und „Lüge“ unterbringen, um ganz gezielt Panik zu erzeugen. Und diese Panik scheint zu funktionieren bei denen, die (verständlicherweise) momentan von Sorgen geplagt werden und die in einer Form von kleinbürgerlichen Paranoia dann auch ein Sprachrohr für diese Panik suchen, das eine einschläfernde seriöse Pressekonferenz nicht bieten kann.
Zeiten wie diese gab es in der Geschichte schon oft. Wer sich eine besonders irre Geschichte der Panik antun will, der beschäftige sich mit dem Aufstand der Täufer in Münster um 1530, vieles was damals geschah, ähnelt den heutigen Mechanismen, und stürzte eine ganze wohlhabende Stadt in den Untergang, sogar ohne dass es dafür irgendeine äußere Not gegeben hätte.
Die Geschichte der Panik ist keine logische. Sie kennt keine klaren Verknüpfungen von Ursache und Wirkung, sie hat kein klares Ziel außer der Profilierung ihrer Erzeuger (die erst richtig aufdrehen, wenn sie Aufmerksamkeit bekommen), ihre Feindbilder sind austauschbar. Mal sind es die Juden, mal sind es Hexen, oder es sind (so wie heute) „internationale Finanzeliten“, die mittels 5G, Bill Gates und Impfzwang in einem der idiotischsten und sinnlosesten Verschwörungsszenarien in der Geschichte der Menschheit die Menschen speziell in Deutschland unterwerfen wollen, aus welchem Grund auch immer.
Wir alle wissen ja: der 15. Mai wird kommen und gehen, und die ganzen dummen Sabbler, die irgendetwas von der Abschaffung des Grundgesetzes schwafelten, werden keineswegs endlich ihren Rand halten, sondern schnell ein neues Horrorszenario erfinden, mit dem sie wieder Panik auslösen können. Und so war es auch in Münster – kaum war eine Prophezeiung irgendwie durch, weil sie sich nicht erfüllte, wurde sie gleich in die nächste Prophezeiung umgedeutet. Dieses Spiel lässt sich tatsächlich endlos spielen, und das Internet bietet dafür – anders als Stammtische früher – eine gigantische Bühne.
Das Schlimme an der panischen Reaktion ist, dass sie die konstruktive Kritik von Maßnahmen (die es ja geben darf und geben soll in einer Demokratie) überlagert, sie assimiliert und vereinnahmt. Auf den Hygiene-Demos marschieren nun panisch verwirrte Menschen mit Gestalten, denen sie vorher noch nicht einmal mit einer Kneifzange begegnet wären, schlimmsten Nazis, Extremisten, Antisemiten und Schlägern. Und merken noch nicht einmal, dass das ein Problem ist.
Ich würde sagen, dass die momentane Situation aus diesen Gründen wirklich gefährlich und eine größere Herausforderung für unser Land ist, als man zuerst ahnen wollte…
Auch als Künstler beschäftigt es mich, denn ich habe das Gefühl, dass gerade jetzt Kunst unglaublich wichtig wäre, um die verengten Perspektiven wieder zu erweitern. Aber Kunst geht im Moment nur eingeschränkt, wofür aber niemand etwas kann.
Ich habe aber auch keine Lust als Tausendster in das Horn der Panik zu stoßen. Wir müssen hoffen, dass der eitle Veitstanz der Panikverbreiter irgendwann zur Ruhe kommt, und wir müssen dann auch hoffen, dass man gnädig genug sein kann, um zu vergessen, was viele Freunde und Bekannte gerade so von sich geben.
Aber es wird sehr, sehr schwer sein.
Komponist