Blog of Bad Virus: Chaos um die Soforthilfe des Bundes für MusikerInnen
MusikerInnen sind in diesem Moment in einer schwierigen Situation: Einerseits hat die große Mehrheit der Musizierenden in diesem Lande sicherlich großes Verständnis für die momentanen Ausgangsbeschränkungen, auch wenn dies bedeutet, dass sie keine Konzerte in öffentlichen Räumen geben können. Niemand will das Publikum und sich selbst unnötig gefährden, das versteht sich von selbst.
Andererseits sind sie wie andere Selbstständige auch auf die Einkünfte aus der freiberuflichen Tätigkeit angewiesen. Und diese Tätigkeit hört auch zu Corona-Zeiten nicht auf: Als MusikerIn kann man nicht plötzlich einfach aufhören zu üben oder Konzertprogramme vorzubereiten, genauso wenig wie Sportler plötzlich aufhören können, zu trainieren. Auch wollen die Arbeits- bzw. Übungsräume weiterhin bezahlt werden, ebenso die Instrumente, die vielleicht teuer geliehen sind, oder Wartung und Pflege brauchen.
Anders als bei „normalen“ Selbstständigen ist das aber alles schwer in einheitliche Regelungen zu fassen, da man meistens keine Büros oder Mitarbeiter hat, und Bund und Länder – die jeweils unterschiedliche Regelungen getroffen haben – sind hier, was viele Erfahrungsberichte bezeugen, beim Umgang mit dieser Frage sichtlich überfordert.
Aber es gibt auch viele, die sich dankenswerterweise engagieren: Die Barockviolinistin Fiona Stevens z.B. hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich in dieser Thematik nicht nur für die KollegInnen in NRW einzusetzen. Auch die Vereinigung Alte Musik in Deutschland hat einen Text verfasst, der bewusst so gehalten ist, dass er nicht nur für die Alte-Musik-Szene spricht (der Text wurde verfasst von Ina Stock, Ulrike Neukamm, Moni Fischalek, Markus Müller und Ilja Dobruschkin)
Hierin fordert die VAM die Politik auf: „…das Soforthilfeprogramm nachzubessern und die Zuschüsse auch für uns freischaffende Musiker*innen und Kulturschaffende zugänglich zu machen. Konkret bedeutet das, dass nicht nur Betriebskosten, sondern auch wegen des Veranstaltungsverbots ausgefallene Einnahmen kompensiert werden müssen. Und das so lange, bis wieder Konzerte und Kulturveranstaltungen stattfinden dürfen.“
Bisher fühlten sich selbstständige MusikerInnen in NRW nämlich repräsentiert durch folgenden Absatz bei der Beschreibung der Soforthilfe (unter „wofür darf der Zuschuss genutzt werden?“) der hieß:
“Der Zuschuss kann insbesondere genutzt werden, um finanzielle Engpässe, wie z.B. Bankkredite, Leasingwagen, Mieten usw., zu bedienen. Der nach Prüfung des Antrags elektronisch übermittelte Bewilligungsbescheid kann auch bei der Bank vorgezeigt werden. Er gilt als Nachweis, dass das Land den Zuschuss auszahlen wird.
Soloselbständige im Haupterwerb beziehen ihren Lebensunterhalt aus ihrer selbständigen Tätigkeit und müssen daher auch ihr eigenes Gehalt erwirtschaften, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sofern der Finanzierungsengpass beim Soloselbständigen im Haupterwerb dazu führt, dass er sein regelmäßiges Gehalt nicht mehr erwirtschaften kann, dient die Soforthilfe auch dazu, das eigene Gehalt und somit den Lebensunterhalt zu finanzieren.”
Am 1.4. war dieser Absatz aber plötzlich von der Website der Soforthilfe-Infos verschwunden, was viele verunsichert. Je nach Bundesland ist es unterschiedlich geregelt, wie das „Gehalt“ von „Solo-Selbstständigen“ betrachtet wird. Wie verwirrend und anstrengend es sein kann, sich um die Soforthilfe zum Beispiel in Berlin zu bewerben, beschreibt die Barockharfenistin Luise Enzian in diesem tatsächlich sehr unterhaltsamen und komischen persönlichen Erfahrungsbericht für Radio Fritz:
Fiona Stevens würde sich daher gemeinsam mit ihren MitstreiterInnen wünschen, dass bundesweit einheitliche Regelungen zur Unterstützung von selbstständigen MusikerInnen eingeführt werden, die der speziellen Situation unseres Berufs gerecht werden.
Schon Mitte der Woche, also Morgen, soll für NRW entschieden werden, wie es in NRW weitergeht. Daher wäre es jetzt sehr wichtig, wenn MusikerInnen in ganz Deutschland ihre Stimme erheben und PolitikerInnen anschreiben, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Fiona Stevens hat hierfür eine Art Blankobrief entworfen, den jeder verwenden kann, gerne veröffentlichen wir ihn hiermit im Blog und sind dankbar für Links in den Kommentaren, an welche PolitikerInnen dieser Brief zum Beispiel geschickt werden könnte.
Hier der Text, der frei kopiert und verbreitet werden kann:
Lieber/Sehr geehrter
Ich schreibe Ihnen heute, um Hilfe in der Diskussion um den Verwendungszweck der Soforthilfe-Mittel des Bundes für Solo-Selbständige zu erbitten.
Der Bund und die Länder haben finanzielle Hilfe versprochen, um Solo-Selbständige während der Coronakrise zu helfen. Dies ist ein sehr positives Zeichen, dem wir dankbar entgegensehen.
Im Moment herrscht auf politischer Ebene jedoch Uneinigkeit darüber, wofür wir das Geld verwenden dürfen. NRW, Baden Württemberg und Berlin haben ursprünglich die Lebenserhaltungskosten in Form eines an sich selbst zu zahlendes Gehalt mit eingeschlossen (Beispiel BW: https://assets.baden-wuerttemberg.de/pdf/200325_Richtlinie_Soforthilfe-Corona_BW.pdf Fußnote 2), andere Länder haben dies ausdrücklich untersagt.
Ich bin mir sicher, dass die Politik den freischaffenden Musikern unter den Solo-Selbständigen wirklich helfen möchte, und möchte hiermit zum Ausdruck bringen, dass die Antwort auf die Frage, ob wir uns von der Soforthilfe ein Gehalt auszahlen können oder nicht, über das Gelingen dieser Hilfe entscheiden wird.
Ich zitiere aus dem Positionspapier der VAM (im Anhang):
„Wir als Solo-Selbständige Musiker*innen haben aber kaum Liquiditätsengpässe in Bezug auf Betriebskosten. Wir haben selten Büros, wenn überhaupt vereinzelt Probenräume, keine Firmenautos und zur Zeit entstehen uns durch das Tätigkeitsverbot noch nicht einmal Reisekosten.“
Dies gilt genauso für mich: meine Arbeitsräume beispielsweise befinden sich in meiner Wohnung, ich kann sie als Betriebsausgaben nicht steuerlich geltend machen aber muss sie dennoch finanzieren. Darüber hinaus verzeichne ich aktuell persönlich über einen Zeitraum bis Ende Juni einen Verlust von 34% meines Jahresumsatzes – also noch einen Monat länger als die von der Politik angegebene Bemessungsgrenze.
Es wird darauf hingewiesen, dass wir ALGII beantragen können. Im Positionspapier der VAM (im Anhang) steht näheres dazu, warum die Richtlinien dafür auch ungünstig für uns sind. Ich möchte an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, dass hier aus meiner Sicht zu unserem Nachteil mit zweierlei Maß hantiert wird.
Die Gewerkschaft Ver.di versucht zu erwirken, dass das Kurzarbeitergeld auf 90% bzw. 95% des Gehalts aufgestockt wird (https://musik.verdi.de/themen/nachrichten/++co++fddced96-73ff-11ea-8355-525400f67940 ). Das Kurzarbeitergeld dient zur Absicherung der Arbeitnehmer aber auch zur Entlastung der Arbeitgeber. In dieser Krise arbeite ich weiter, auch wenn ich keine Auftritte habe – ich nehme an, das gilt genauso für meine Kollegen, weil wir es uns nicht leisten können, 3 Monate nicht zu üben, um dann noch eine angemessene Leistung auf der Bühne zu bringen. Ich habe also immer noch Arbeit und bin somit weiterhin mein eigener Arbeitgeber, nur wird mir keine Entlastung meines Betriebes vorgeschlagen, wie es im Sinne des Kurzarbeitergeld geschieht, sondern ich werde auf ALGII hingewiesen. Dies bedeutet eine klare Benachteiligung für meinen Betrieb gegenüber denen, die Kurzarbeitergeld beantragen können.
Bis zum 1.4. war die Lösung in NRW, Baden-Württemberg und Berlin eine, die dieser Tatsache Rechnung trug, und somit eine Lösung, die uns freischaffenden Musikern wirklich helfen würde.
Ich würde mich sehr freuen, wenn diese Argumente in die aktuellen Diskussionen um die Soforthilfe einfließen könnten: für uns hat die Entscheidung bezüglich des Verwendungszwecks der Mittel, die für die kommende Woche angekündigt ist, existentielle Ausmaße.
Herzlichen Dank im Voraus für alles, was Du/Sie in dieser Sache unternehmen kannst/können,
Die folgenden persönlichen Hilferufe mögen als Beispiel und Ansporn dienen:
„Liebe alle, diese Situation mit ALG II ist wirklich nicht gut. Sie zahlen nur die Miete, die Krankenversicherung (also der Rentenversicherung Teil von der KSK nicht), das Telefon, und ansonsten 432€ pro Monat. Wir dürfen Geld noch verdienen, aber nur bis 100€ oder so ohne Strafe. Wenn es mehr ist, bekommen wir weniger ALG. Ich darf meine Instrument Leihe, Rentenversicherung, und VIELLEICHT meine Steuerberater (deutsch wahrscheinlich, amerikanisch wahrscheinlich nicht) absetzen. Ich habe aber zwei andere monatliche Rechnungen, die über 200€ kosten. Wie kann man damit gehen??? Sie geben mir nicht genug Geld, meine Ausgaben zu zahlen, aber wenn ich Geld verdiene oder bekomme durch Spenden oder was, bekomme ich weniger ALG. Ich habe noch ein zusätzliches Problem mit meiner Aufenthaltserlaubnis. Ich darf nur als eine freiberufliche Musikerin arbeiten. Ich sehe keine gute Lösung hier.“
„Ich habe mich für Soforthilfe in Bayern auch beworben. Seit dem 20.3. keine Antwort bekommen. Die Soforthilfe bezahlt für meine monatliche Zahnkosten und meine Kreditkarte aber bestimmt nicht. Hoffentlich aber für die Steuerberater und Saiten oder was? Ansonsten muss ich meine private Rechnungen von dem 432€ +100€ zahlen. Ich habe auch andere medizinische Kosten in Höhe von 30€ monatlich und meine Zahnzusatzversicherung. Also am Ende habe ich 250€/Monat fürs Essen und andere Kosten.“
Moritz Eggert
Komponist