Volker David Kirchner – kein Nachruf (Gastbeitrag von Roman Czura)

Am 4. Februar verstarb Volker David Kirchner, ein Komponist, der sicherlich als eine der faszinierendsten „Außenseiter“-Figuren der deutschen zeitgenössischen Muksikszene bezeichnet werden kann. Definitiv nie ein Teil des Mainstreams (was sich in den zum Teil sehr distanziert klingenden Nachrufen in den größeren Printmedien niederschlägt) hat Kirchner dennoch viele Komponisten unterschiedlicher Generationen beeindruckt durch seine eigenwillige und die Tradition nie negierende musikalische Haltung, die auf jeden Fall einen genaueren Blick wert ist.
Dies ist der erste von zwei dem Bad Blog als Gastartikel zugesandten Nachrufen, die ich hiermit gerne veröffentliche. (Moritz Eggert)

Roman Czura: „Volker David Kirchner – kein Nachruf“

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Am 4. Februar ist der große deutsche Komponist Volker David Kirchner von uns gegangen.

Ich kann kaum von mir behaupten Volker David Kirchner wirklich gekannt zu haben, dazu haben wir uns leider viel zu sporadisch gesehen, zuletzt nur noch alle 1-2 Jahre. Trotzdem gab er mir immer das Gefühl in ihm einen Freund zu haben – menschlich uns künstlerisch. Unsere Treffen liefen meist nach einem gewissen Ritual ab – zunächst noch in der Mainzer Villa Musica, aber bald vor allem in Volkers seinerzeitigen Stammlokalen, vor allem in seiner Geburtsstadt Mainz, am Ende auch in Wiesbaden. Ein oder zwei Stunden saßen wir bei einem Café zusammen, Volker trank immer Espresso – und gab sich seinen Zigaretten hin. Dabei erzählte er bereitwillig von seinen aktuellen Vorhaben und gab auch Einblick in seine teils schwierigen Lebensumstände. Sehr oft war mein Vater, der Maler und Filmemacher Marian Czura, bei unseren Treffen mit von der Partie. Zusammen schwelgten sie in Erinnerungen an die gemeinsame wilde Zeit der 1970er Jahre, das Ensemble 70, die Arbeit an Volkers erstem szenischen Werk Riten, und äußerten Verwunderung über den Fortbestand einer dogmatisch-fortschrittsgläubigen Geisteshaltung der sog. Avantgarde. Zu diesem Thema gibt es ein schönes und aufschlussreiches Zitat von Volker: „Ich habe mich immer gefragt – Avantgarde heißt Vorhut – wann kommt das Eigentliche? Ich möchte mich nicht ein Leben lang damit zufrieden geben, immer nur die Vorhut von etwas zu sein. Also die Vorhut von was? Wann kommt das Eigentliche? Und das Eigentliche ist, was mich interessiert hat.“

Damit stand Volker oft allein auf weiter Flur im Neue-Musik-Land Deutschland, in dem alles, was nicht experimentell oder verkopft ist, sofort kritisch hinterfragt wird. In einer Zeit der Experimente wandte sich Volker früh wieder der Tradition und Elementen der Tonalität zu. Er nahm dabei den Weg vieler herausragender Komponisten seiner Generation, die nach einer gewissen Phase der experimentellen Versuche nach Lösungen fahndeten, Synthese suchten. Beispiele finden wir im Werdegang der polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki und Henryk Mikolaj Górecki, des Letten Pēteris Vasks, ebenso bei Einojuhani Rautavaara. Bei Volker nimmt die Auseinandersetzung mit der Tradition einen zentralen Raum im Schaffen ein, Zitate und Anspielungen auf die Werke anderer Komponisten finden sich in den meisten seiner Werke, die Hommage zieht sich wie ein roter Faden durch sein Schaffen, viele Stücke hat er befreundeten Interpreten gewissermaßen auf den Leib geschrieben. Auch mit seiner Sprache knüpfte er bewusst an Schubert, Schumann oder Mahler an, immer hatte man das Gefühl, dass da einer komponiert-kommuniziert, mit uns, seinen Zuhörern, und jenen Meistern – seinen musikalischen Ahnen und Freunden, mit Herz und Hirn, durchdacht und spontan gefühlt. In einem Nachruf habe ich gelesen, Volker sei ein zorniger Menschenfreund gewesen, hundert Jahre zu spät geboren. Dem möchte ich ausdrücklich widersprechen. Seine Musik ist durch und durch Musik unserer Zeit, undenkbar ohne die bitteren Erfahrungen des 20. Jahrhunderts. In seiner vorletzten Oper, Gutenberg, geht er auf kritische Distanz zur digitalen Welt. Zornig? Aufrichtig, unverbogen, im Reinen mit seiner Kunst, immer auch politisch in seinen Themen, Sujets – und seinem Handeln. So verweigerte er 1990 im Rahmen eines großen Konzertes zur Uraufführung seines Requiems Messa pro pace dem ewigen Vorsitzenden des sowjetischen Komponistenverbandes Tichon Chrennikow den Handschlag, jenem Stalin-hörigem Feind der Moderne und darob sozrealistischen Peiniger von Schostakowitsch, Prokofiew, Weinberg, und vielen anderen herausragenden Komponisten und Musikern.

Ein Menschenfreund war er allerdings, Inbegriff von ungekünstelter Herzlichkeit und mit einem warmen, bellenden Lachen gesegnet. Seine Freigiebig war wohl bekannt. Die Lachfältchen um die wachen Augen blitzten auf, als er einmal berichtete, wie sich der charismatische Menschenfänger und ganz absolute Avantgardist Helmut Lachenmann in einem neuen Klavierstück plötzlich der reinsten Tonalität auch nicht mehr verweigern konnte. Auch Hans-Werner Henze wäre da sicher happy gewesen. Anders als Henze wählte Kirchner aber nicht das Exil, die Flucht in ein anderes Land, sondern blieb, nach ersten großen Erfolgen im rechtsrheinischen Wiesbadener Staatstheater, tief in der Region verwurzelt.

Trotz prekärer materieller Situation und Problemen mit der Sehkraft blieb er immer kompositorisch aktiv, schuf mit Bleistift und Papier, lange Zeit im Komponierstübchen in der Villa Musica, in deren Beirat er mit der Gründung berufen wurde und die dann letztlich vom Land sträflich unterfinanziert wurde, der wachsenden Unkultur zum Opfer gefallen, ähnlich wie die zwangsverheirateten wunderbaren Orchester des SWR. Sein innerer Antrieb kann jungen Menschen nur zum Vorbild dienen. Etwas-unbedingt-wollen, alles-dafür-tun, das sind die Grundvoraussetzungen für wahre Kunst. Für mich selbst war die Begegnung mit ihm eine Art Rettungsanker. Müde von zermürbenden Diskussionen mit meinem damaligen Kompositionslehrer Cord Meijering (von dem ich, das möchte ich betonen, nichtsdestotrotz sehr viel gelernt und mitgenommen habe), irritiert von den verbohrten Positionen eines Darmstädter Theorielehrers, der auf die Frage eines Kommilitonen nach Tonalität in zeitgenössischer Musik geantwortet hatte, dass sei erlaubt, aber nur, wenn man es auch gut verstecke und nicht heraushören könne, fiel mir Ungläubigem Volkers moralische Unterstützung wie vom Himmel.

Nach einem Konzert im Forum des HR-Sendesaals wagte ich mich, Grüße von meinem Vater, dem Freund aus lang vergangener Zeit, zu überbringen und mich bei Gelegenheit als Jungkomponist vorzustellen. Bald waren wir eingeladen Volker in der Villa zu besuchen – und ich werde nie vergessen, wie er die Treppe zu uns hinunterkam und mir, meine Sonata für Violoncello und Klavier in der Hand, mit seiner ersten Bemerkung tatsächlich Talent und Potential zusprach. Fortan insistierte er, sich immer treu zu bleiben, nicht blind der Mode oder anderen Einflüsterern zu folgen. Nach all den Kabbeleien und heftig streitenden Diskussionen mit meinem Lehrer, war die wahrhaftige, ehrliche Anerkennung dieses bekannten Komponisten ein unerwartet positiver Schock für mich. Volker war nie mein Lehrer, aber er gab mir die nötige Kraft und Energie, das Quäntchen Selbstvertrauen, dass man doch braucht, um seinen Weg zu gehen. Ein Stück, dass er für das Ensemble Villa Musica vor Jahren bei mir in Auftrag gab, kam auf Grund der negativen Entwicklung um die Villa nicht mehr zur Aufführung. Bei unserem letzten Treffen bemerkte ich, dass dies vielleicht ganz gut sei, das Stück wohl nicht viel wert, von gestern. Dem widersprach er umgehend, meinte, mit gewissem Abstand würde ich sicher anders darauf blicken. Und tatsächlich, später zu Hause, am Instrument, die Partitur durchspielend, war da sicher kaum Gold, aber auch nicht alles wertlos. Als mich gestern die Nachricht von seinem Tod erreichte, konnte ich es nicht recht fassen. Volkers Unterstützung, ausgedrückt bei recht wenigen Treffen, in wenigen Worten, war immer eine Art Anker. Aber sie war auch ein Ausgangspunkt, dafür, wo ich jetzt bin, wer ich jetzt bin. Er bestärkte mich darin unbedingt Komposition zu studieren, Komponist zu sein. So wie die Musik der größten Meister in seinem Schaffen resonierte, wird seine Musik und Person gewiss auch in mir ihren Widerhall finden.

31.12.2018 – nach unserem letzten Treffen in Wiesbaden, mit meinem Vater Marian Czura.

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