Donaueschinger Musiktage 2019 Nr. 3 – Fragen, Erinnerung, Existenz, Frauen

Ein paar grundsätzliche Gedanken zu Relationalität und Positionierung von Neuer Musik noch anhand des erstens Abend, bevor es zum zweiten Tag geht. Wie ich schrieb, bin ich von Simon Steen-Andersens TRIO ziemlich eingenommen. Die Gegenschnitttechnik von Orchester, Chor, Big Band und Filmmaterialien und dessen materialtechnische sowie ausgehörte oder „ausgesehene“ Organisation beeindruckt extrem, das Publikum reagierte hingerissen. Mir war allerdings auch klar, dass es eben die nostalgischen Momente mit Sergiu Celibidache, Carlos Kleiber und netten Situationen aus Unterhaltungsmusiksendungen waren mit ihren verbalen Kommentaren, die kontextuell gegeneinander gesetzt eine heimelige Wärme ausstrahlten. Die Temposteigerungen sowie die beiden chromatischen Bewegungen des Film- und Live-Materials erzeugten einen simplen, aber sehr wirkungsvollen Sog. Aber was war die Aussage? Die war wohl: wir lieben das Fernsehen unserer Eltern und Großeltern, als noch vorwiegend ältere, männliche Dirigenten mit schwarz-weißen Hemden und Fräcken so würdevoll in das schwarz-weiße Fernsehen passten, eben die gute, alte Zeit. Das Familienalbum. Mehr war es eng ausgelegt nicht.

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Auch Matthew Shlomowitz Musik handelte von Glücksgefühlen. Michael Pelzel drückte seine Faszination über die Glockenwelt der indischen Stadt Varanasi aus. Shlomowitz arbeitete auch mit Derivaten bekannter Musiksituationen in langsameren Schnitten als Steen-Andersen, Pelzel mit einer anspruchsvollen elektronischen und räumlichen Klangkonstellation. Alle drei setzten über die Live-Musik hinausgehende Hilfsmittel ein, um sich relational zu ihrem Material zu verhalten und ihren Kontexten Deutlichkeit zu verleihen, Pelzel nicht so sehr wie die anderen beiden, im weiteren Sinne des Lehmannschen Begriffes von relationalen Komponieren aber doch auch wieder.

Aber Relationalität bedeutet auch, dass man vor lauter Kontextualisierung und hübscher, sarkastischer oder witziger Aufbereitung nicht auf den Punkt kommt. Es ähnelt dem inhaltlichen Abwägen und Ausdifferenzieren aus der Presse- und Literaturwelt, der medialen Betrachtung politischer und sozialer Ereignisse und Entwicklungen. Das versucht alle Haltungen und Meinungen zu integrieren. Es scheitert aber in dem Moment, wo starre Gegenmeinungen den Zusammenhalt der ausdifferenziert und sich kritisch spiegelnden Gesellschaft fundamental gefährden. Relationalität funktioniert bestens, wenn man das mediale Verhalten und Fragen des eigenen oder fremden Gebrauchs von Medien medial aufbereitet. Da kommt es zu hübschen, lustigen und sarkastischen Momenten, besonders wenn das damit kritisierte Element wie ein animated Gif oder eine auf der Stelle rasende Comicfigur wirkt. Hinterfragt wird damit eher die Erscheinung als die direkte soziale und politische Wirkung des fokussierten Sujets bzw. Person. Neue Musik wird so zur Satire. Das ist unterhaltsam, aber tritt damit selbst auf der Stelle wie diese Comicfigur. Oder es wird ein nettes Familienalbum. Und befasst sich am liebsten mit internen Fragestellungen der Musik, der Medialität.

Existentielle Kraft verpufft, man verkauft sich aber hervorragend. Man wird zum Dieter Nuhr oder Mama Bavaria der Neuen Musik. Das ist lieb und nett, aber nicht existentiell. Es geht mir nicht darum, Musik einen grauen Bart und brahmssche Melancholie oder Nono-Expression zu verordnen. Es geht mir darum, dass unsere Welt um uns herum aktuell alle bisherigen Gewissheiten in Umwelt, Politik und Gesellschaft verliert, die Diversität und individuelle Freiheit durch rückschrittliche und nationalistische Kräfte in den Demokratien sehr erfolgreich ausgehebelt werden sollen bzw. schon werden. Diversität und individuelle Freiheit feiern sich zwar in den relationalen Musikwerken, machen aber zumindest in der Kunst unserer wichtigen Namen wie Steen-Andersen, Shlomowitz und auch ein wenig momentan bei Kreidler und Prinz um aktuelle und fundamentale Bedrohungen einen Bogen, es sei denn, es geht vielleicht um eine Bedrohung der medialen Freiheit.

Wo wir wieder bei den gelingenden Werken der Relationalität sind, die sich medial mit Medien und ihren medialen Fragestellungen auseinandersetzen. Weitere Menschenrechte und Umweltfragen finden hier dann v.a. ihren Platz, wenn sie in diesen Kontext passen. Darüberhinaus fast gar nicht, da es schlicht an fremd einsetzbaren Audio- und Bildmaterial mangelt. Oder es sich aus humanen Gründen nicht zeigen lässt. Damit fällt pure Existentialität, die v.a. sprachlich und denkerisch aber nicht originär bildlich existiert hinten runter. Hier versagt die konzeptuelle Postermoderne. Schnitt.

Mit Erinnerungen an erste Musikeindrücke, vor allem Kinderlieder, arbeitet Gordon Kampes „Remember me“ für Streichorchester und Zuspielungen. Er ließ die Musikerinnen und Musiker des Ensembles Resonanz, das engagiert unter Bas Wiget dieses Werk uraufführte, ihre ersten musikalischen Erinnerungen einsingen und nutzte obendrein eigene Aufnahmen von Seniorensingkreisen, die sich ihrerseits an ihre Jugendschlager wie die Caprifischer erinnerten. Das ist auch grundsympathisch wie das Filmmaterial Steen-Andersens. Im Gegensatz zu Steen-Andersen setzt Kampe erheblich mehr eigenes Material dagegen. Da gibt einmal die elegische, Terzen auspendelnde Bratsche und auf der anderen Seite wild kratzende und aufgeregt hüpfende Streichereinwürfe, die die Erinnerungsnostalgik recht einfach, aber wirksam aushebeln. Es entsteht punktuell ein Mobile widerstreitender Emotionalität, das in dieser Anordnung beglückt ohne überwältigen zu müssen. Also herrschte beste Stimmung zur Pause im Konzert des Ensembles Resonanz, das diesen Abschnitt mit Sepulchre von Nicole Lizée eröffnet hatte. Die Kanadierin war leider nicht selbst präsent, ihre durch Trashelektronik aufgerauhte Minimalistik war der Aufwecker nach dem Klangforum Wien und dem Mittagessen.

Nach der Pause gab es Mark Andres „rwh 1“ für Streichorchester, ergänzt um Klavier, Schlagzeug und Akkordeon. Anfangs mit geriebenen Styroporscheiben wirkte es wie eine Lachenmannnostalgie. Das war aber nur der Einstieg. Andre reduzierte sich auf geräuschliches und tonhöhen-gefärbtes Auf und Abbewegen seines Materials. Das steigerte sich bis zu wuchtigen Schlägen, die per elektronischen Nachhall an Deutlichkeit nichts zu wünschen ließen. Der Nachhall der ruhigeren Momente des Aufs und Ab ließ sehr einfach, aber sehr effizient ein Nachhören des Materials zu, das einem schier den Atem verschlug. Dazu benutzte Andre Aufnahmen von zart ausatmenden Orgelpfeifen, was dann wie in den besten Werken von Francesco Filidei in eine andere Realität führte und tatsächlich irgendein Geist, ein Spirit durch den Raum streifte und in der Luft einen Abdruck seiner unsichtbaren oder andersdimensionalen Existenz hinterließ. Bin ich z.B. beim mir zu prätentiösen Klarinettenkonzert vor ein paar Jahren sehr kritisch eingestellt gewesen, war ich jetzt nur noch überwältigt, hier passte alles von Material, Länge, Klarheit, Einfachheit und auch der allgemeinverbindlichen Aussage jenseits der Gläubigkeit des Komponisten.

Vor diesem Konzert wurde ganz kurz ein Snippet aus dem Kindermusikprojekt „Das Festival“ eingespielt: ein Moment für drei Pauken von Kathrin Denner, kurz, knapp, aber wirkungsvoll. Überhaupt sind in diesem erzieherisch wichtigen, aber künstlerisch kleinen Projekt die meisten Frauen der Musiktage versammelt, durch das Kuratorenteam des Projekts, nicht durch das Leitungsteam der Musiktage gecastet. Heute wird es zwar zwei Frauen im Abschlusskonzert und eine im Konzert des Ensemble Intercontemporain geben, sowie wirkte eine Frau neben zwei Männern im algorithmisch programmierten Klavierprojekt mit. Eine höhere Präsenz von Komponistinnen in den prominenten Konzerten wäre dennoch was Feines.

Natürlich ist es auch wichtig, Konzerte nicht nur paritätisch zu gestalten, sondern einer Künstlerin oder einem Künstler allein Platz zu geben wie Alberto Posadas „Poética del espacio“ mit dem Klangforum Wien mit Sylvian Cambreling. Das Klangforum war zuerst hinten und vorne im Saal aufgeteilt positioniert. Die Musikerinnen und Musiker am hinteren Ende wanderten peu a peu allein oder als Duos, Trios nach vorne und nahmen dort ihre Plätze neben dem Dirigenten ein und wanderten zum Teil dann z.B. als Blechbläser noch weiter nach hinten. Das Werk dauerte über 90 Minuten. War aber streckenweise sehr kurzweilig, da Posadas nie permanent auf das Tutti setzte, sondern auf kleine und mittlere Ensemblegruppen aus der Gesamtbesetzung. Das Material an Quasi-Bisplingandi von normal gespielt/multiphonics war sehr eng gesetzt, was manchmal ein wenig auf der Stelle trat, manchmal extrem in seiner Spielfreude und hohen Virtuosität aller Spielenden des Klangforums begeisterte. Als dann zuletzt aus dem hinteren Saal die Flöte vorne angekommen war, hätte das Stück konzeptuell enden können. So inspiriert dann der Schluss selbst war, hätte er auch unmittelbar hier schon sein Ende finden können, denn die Flöte wirkte in ihrer exaltierten Virtuosität so, als würde sie dem Rufen und all den wunderbar partnerschaftlichen Klangkonstellationen im Raum der vorigen Teile ausweichen wollen und am Ensemble vorbeiziehen wollen. Ein sehr verschenkter performativer Moment. Dennoch einhellige begeisterte Einstimmigkeit und auch ein wenig Erleichterung am Ende im Publikum.

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