Indiskrete Intendantin: Nike Wagner/Peter Ruzicka und die Missachtung des Briefgeheimnisses.
Ich bin eigentlich jemand, der das klassische Musikgeschäft eher gegen Verschwörungstheorien verteidigt, vor allem wenn es um angeblich „linksversiffte“ Seilschaften geht, oder darum, wie Angela Merkel angeblich die Spielpläne sämtlicher deutschen Opernhäuser und Theater komplett unter Kontrolle hat (zusammen mit allen Rundfunk- und Fernsehanstalten natürlich).
Das ist natürlich Quatsch.
Aber jeder, der in der Musikszene zu tun hat, weiß, dass es durchaus Gruppen gibt, die durch dick und dünn zusammenhalten, und das auch wider bessere Vernunft.
Eine Intendanz ist ein verantwortungsvoller Posten, und integres und korrektes Verhalten ist daher eigentlich Grundvoraussetzung für den Job, da man Gelder anderer Menschen ausgibt, um Kultur zu ermöglichen. Vornehmlich das Geld von Steuerzahlern, aber auch von Förderern und Sponsoren. Würde man jemandem solche Gelder anvertrauen, wenn man weiß, dass diese Person nicht integer ist, nicht verschwiegen ist, gar mit verurteilten Straftätern kooperiert? Vermutlich nicht. Aber genau dies hat Nike Wagner, Intendantin des Beethovenfests Bonn, getan – mit gezielter Indiskretion einem befreundeten Straftäter geholfen. Und das ohne Not und ohne Druck.
Die Leser dieser Seiten werden sicherlich die Skandale um den ehemaligen Präsidenten der Münchener Musikhochschule – Siegfried Mauser – mitbekommen haben, der inzwischen rechtskräftig wegen sexueller Übergriffe verurteilt wurde (ein weiteres Urteil mit Gefängnisstrafe ist noch in der Revision) und auch nach momentanen und noch nicht rechtskräftigem Urteil nach Ansicht des Gerichts Gelder an den Freistaat zurückzahlen soll, die er sich durch hoch dotierte Lehraufträge und Sonderzahlungen als Präsident selber zukommen ließ. Ein Unschuldslamm sieht wahrscheinlich anders aus.
Nichtsdestotrotz hält seine Freundin Nike Wagner zu ihm, durch dick und dünn. Das muss man ihr erst einmal nicht übelnehmen, auch wenn sich Bonner Bürger dann doch vehement über von ihr geplante Auftritte von Mauser in Bonn beschwerten, die Nike Wagner dann auf öffentlichen Druck absagen musste. Ihr Ärger hierüber resultierte dann wiederum in folgendem Statement von ihr, getätigt anlässlich einer öffentlichen Diskussion – Schuld an der ganzen Misere um ihren Freund Sigi sei in Wirklichkeit eine „böswillige Intrige“ Münchener Hochschulangehöriger. Man kann sich zu Recht über so ein Statement wundern, vor allem da Nike Wagner vermutlich rein gar nichts über die Münchener Musikhochschule weiß außer dem, was ihr Freund Siegfried Mauser ihr darüber berichtet hat. Sie greift zudem phantastische Elemente der Verteidigung von Mauser auf, die inzwischen schon dreimal vor Gericht widerlegt wurden. Dass die Musikhochschule München über solche Statements nicht sehr erfreut war, beweist dieser kritische offene Brief an Nike Wagner, verfasst von unserem Präsidenten Bernd Redmann.
Auch ich war sehr verärgert, und schrieb daher an Nike Wagner – mit der ich einmal ein nett verlaufenes berufliches Gespräch hatte (und sie daher als vermutlich Einziger der Musikhochschule tatsächlich persönlich kannte), um sie um ein klärendes Gespräch zu bitten. In meiner Mail äußerte ich Verständnis für ihre Solidarität zu Mauser, bat sie aber auch, nicht unhinterfragt Legenden zu verbreiten, da jegliches Urteil über einen Sachverhalt auch die andere Seite kennen sollte, bevor man Partei ergreift.
Diese Mail vom 29.11.2018 schrieb ich ohne cc an irgendjemanden an Nike Wagners private Mailadresse, denn ich sprach sie hier als Privatperson an, nicht etwa als Intendantin des Beethovenfestes. Ich bekam keine Antwort.
Umso erstaunter war ich, als mir etwas über 2 Monate später ein Schreiben der Anwälte Mausers ins Haus flatterte, die mich anlässlich meiner privaten Mail an Nike Wagner nun zum Schweigen zwingen wollen. Und noch erstaunter, als ich die Weiterleitung von Nike Wagner im Anhang las. Mit den verschwörungstheorietechnisch ominösen Worten „Lieber Sigi, Wie ausgemacht. Ich habe Eggert nicht geantwortet. gez. Nike Wagner, Intendantin (sic!)“ hat Nike Wagner allen Ernstes ihren offiziellen Account als Intendantin des Beethovenfestes dazu benutzt, um Siegfried Mauser zu Hilfe zu eilen.
Man muss sich das mal vorstellen: man schreibt eine private Mail an die Privatadresse einer Person, die zufällig auch ein Amt inne hat. Und plötzlich schwirrt diese Mail anstatt auf dem Privatcomputer dieser Person innerhalb derer beruflichen und von Steuergeldern finanzierten Wirkungsstätte herum, wird womöglich auch noch von deren Sekretärin und anderen Mitarbeitern fröhlich gelesen, und an einen rechtskräftig verurteilten Straftäter weiterverschickt. Man kann also allen Korrespondenten, Bekannten und Freunden von Nike Wagner nur raten, all ihre Mails an sie nur so zu verfassen, dass man sie auch als Flugblatt an die Bonner Bürger verteilen könnte.
Ich möchte das private Verhältnis von Nike Wagner zu Siegfried Mauser nicht bewerten – es interessiert mich persönlich nicht, so lange es ihre Privatsache ist. Aber in dem Moment, in dem sie sich als Intendantin eine fragwürdige Agenda zu eigen macht und zudem auch noch das Briefgeheimnis bewusst verletzt (was juristisch in jeder Beziehung suspekt ist), streift sie genau die Neutralität und Integrität ab, die man als Intendantin von ihr verlangen kann und vor allem verlangen muss. Oder anders gesagt: will man eine Intendantin, der man nicht vertrauen kann? Und die sich ohne genaue eigene Prüfung Verleumdungen zu eigen macht, anstatt – was besser gewesen wäre – einfach neutral zu bleiben im Rahmen ihres öffentlichen Wirkens? Dazu wäre sie in ihrem Amt eindeutig verpflichtet gewesen, denn zur Schau getragene Klüngelei bringt auch immer den Vorwurf der möglichen Bestechlichkeit ins Spiel – das gilt in Politik wie Kulturpolitik. Die Kritik, die Bonner Bürger an ihrem Festhalten an Mausers Auftritten in Bonn aussprachen, bekommt hiermit noch einmal eine ganz andere Unterfütterung: Für ihren Freund Sigi tut Nike Wagner tatsächlich anscheinend alles, auch wenn sie das Briefgeheimnis verletzen muss!
Dass Nike Wagner nicht die einzige ist, die so handelt, zeigt der Fall Peter Ruzicka. Als die ersten Anzeichen für einen Skandal an der Münchener Musikhochschule hochkochten (im Februar des Jahres 2016), schrieb Peter Ruzicka – mit dem ich mich gut bekannt wähnte – mir scheinbar besorgte Mails, um sich nach dem Stand der Dinge in München zu erkundigen. Er gab diesem von ihm initiierten Mailverkehr den Namen „Die Causa“ – ein Titel, den ich als im Gegensatz zu Ruzicka Nichtjurist nie gewählt hätte. Dass ich ihm antworte, ist auch durch den Betreff „AW“ kenntlich. Ich gab ihm nach meinem damaligen Wissensstand Auskunft, natürlich wieder an seine private Mailadresse. Erst anderthalb Jahre später erfuhr ich, dass Ruzicka meine Mails ebenfalls prompt weitergeleitet hatte, direkt an Siegfried Mauser. Dieser leitete sie dann an seinen Freund Hans-Jürgen von Bose weiter, bei dem es damals eine Hausdurchsuchung gegeben hatte, und der momentan (nach wie vor ohne Prozesstermin) wegen Vergewaltigung angeklagt ist. Die Anwälte Boses versuchten dann gegen mich vorzugehen, anhand u.a. dieser und anderer weitergeleiteter Mails.
Man muss Ruzicka immerhin zugute halten, dass er anders als Nike Wagner nicht seine offizielle Intendantenadresse für diese absichtliche Indiskretion benutzte, und dass zu diesem Zeitpunkt noch keine Urteile gesprochen und keine SPIEGEL-Artikel erschienen waren, aber dass er als Jurist eine solche Indiskretion – eine gezielte Missachtung des Datenschutzes – überhaupt beging, wirft schon Fragen auf. Wie soll man es finden, wenn man jemandem im privaten Mailverkehr nicht trauen kann, weil er einfach alles weiterleitet, was man ihm vertraulich schreibt?
Was man aus diesen Fällen lernt, ist zumindest eines: Alte Seilschaften sind dicker als Blut. Und Weisheit und Besonnenheit sind auch in der klassischen Musik keineswegs selbstverständlich. Und dass genau solche Seilschaften dafür sorgten, dass ein Weinstein oder Levine so monströs lange ungestört wirken konnten, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Noch nicht mal ein Briefgeheimnis – aber das gilt ja heutzutage anscheinend nichts mehr.
Moritz Eggert
Komponist
Dass Frau Wagner mit „Intendantin“ unterschreibt, private Mail auf offiziellen Intendantin-Account umlenkt, zeugt schon einiges an Antrieb in der Sache. Letztlich macht sie sich damit vollkommen lächerlich, wie sie ungeschickt ihre Rollen vermengt. Hoffe, dass die Stadt Bonn und das Land NRW ein paar Fragen dazu an sie haben, wenn die öffentlich-rechtliche Funktionsträgerin des Beethovenfestes einen öffentlich-rechtlich, im Namen des Volkes Verurteilten mit ihren öffentlich-rechtlich zur Verfügung gestellten Arbeitsmitteln, wie es ein Mail-Account darstellt, unterstützt.
Lieber Moritz,
das sind ja wirklich schockierende Neuigkeiten.
Wenn Du solche Indiskretionen mehrfach erlebt hast, ist es sicher gar nicht einfach, sich nicht überall verfolgt und beobachtet zu fühlen. Wir hoffen, das Du Dir Deinen Glauben an normale menschliche oder kollegiale Beziehung erhalten kannst!
Viele liebe Grüße aus Weimar,
Laura & Daniel
Frau Wagner, Frau Wagner. Sie haben eine private Mail Eggerts privat erhalten und über Ihren Intendantinnen-Account des Beethovenfestes darüber mit Dr. Mauser kommuniziert. Kennen Sie eigentlich die auch für Sie gültigen Regeln des Datenschutzes Ihres Festivals? „Wir, die Internationale Beethovenfeste Bonn gGmbH, nehmen den Schutz Ihrer persönlichen Daten sehr ernst und halten uns strikt an die Regeln der Datenschutzgesetze. Sofern innerhalb des Internetangebotes die Möglichkeit zur Eingabe persönlicher oder geschäftlicher Daten (E-Mail-Adressen, Namen, Anschriften) besteht, so geschieht dies ausschließlich auf freiwilliger Basis des Nutzers. In keinem Fall werden die erhobenen Daten verkauft oder aus anderen Gründen an Dritte weitergegeben.“ (https://www.beethovenfest.de/de/datenschutz/) Sofern Herr Eggert nicht ausdrücklich von Ihnen gefragt wurde, hätten Sie das demnach nie weitergeben dürfen. Wie sagte schon Augustinus: tolle et lege. Nun, Ihre Datenschutzregeln haben Sie vielleicht gelesen, aber mindestens vergessen. Wie erbärmlich¡
Das überrascht mich jetzt nicht. Leider. Es scheint mir ein Standardprogramm zu sein.
Wenigstens hat das etwas Gutes: die Beteiligten können sich nicht später herausreden, dass sie von nichts gewußt hätten.
Spätestens jetzt sollte auch klar sein, warum Betroffene von sexuellen Übergriffen an Hochschulen sogar Angst davor haben, sich an die Gleichstellungsbeauftragten zu wenden. Das Opfer fragt sich, wer vertrauenswürdig wäre, wer mit der Information gut umgehen könnte (oder wer es zwar gut meinen aber alles noch schlimmer machen könnte), wer auf die Seite des Täters stellen könnte, bei wem eine Outing negative Folgen haben könnte usw. Das begünstigt die Schweigekultur und schützt die Täter.
„Und dass genau solche Seilschaften dafür sorgten, dass ein Weinstein oder Levine so monströs lange ungestört wirken konnten, ist schon lange kein Geheimnis mehr.“
Bei Levine hieß es 1997 in einem Spiegel-Artikel noch: „Seitdem der Name Levine im Münchner Gerede ist, schnüffeln selbsternannte Sittenwächter unter der Gürtellinie des Dirigenten und streuen ihre unappetitlichen Ondits, feiger noch und frecher als die Holzköpfe im Rathaus ihre Vorbehalte.“
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8812247.html
#Metoo hat das Bewußtsein doch um einiges geändert, aber manche sind noch in der veralteten Mentalität stecken geblieben.
Die Reaktionen von Nike Wagner und Peter Ruzicka zeigen auch auf, dass Missbrauch an einer Musikhochschule nicht nur ein internes Problem dieser Hochschule ist. Es geht auch um städteübergreifende Netzwerke zwischen Hochschulen und um branchenübergreifende Kontakten und „Freundschaften“ in Festivals, Opernhäusern, Verlagen, Klavierbauunternehmen, Medien, Stiftungen, Gesellschaften usw. Ein Musikprofessor ist nie nur an einer Hochschule tätig.
Das Perfide dabei ist, ist, dass solche Fälle von sexuellen Übergriffen die Angehörigen der jeweiligen Gemeinschaft spalten, weil sowohl das Opfer als auch der Täter aus eigenen Reihen stammen. Jede/r muss für sich überlegen, ob und inwieweit er/sie Farbe bekennt, auf welche Seite er/sie sich stellt, ob er/sie lieber neutral bleibt. Die Situation ist für alle anstrengend, für viele auch überfordernd, auch deshalb schauen so viele lieber weg, blendet alles aus oder reagieren aggressiv auf den „Verursacher“, nämlich auf den, der geredet hat. Hätte er doch schweigen sollen, dann hätte man sich mit dem Problem nicht beschäftigen müssen.
Bis vor #metoo galt es sogar auch eher als zivilisiert, sich auf die Seite des Beschuldigten zu stellen. „Rechtsstaat“ und so. Man dürfe nicht wegen eines bloßen Vorwurfes die Existenz des Beschuldigten ruinieren. Es gäbe auch Falschbeschuldigungen.Und außerdem müsse man Kunst und Mensch trennen. Auch ein verurteilter Sexualtäter hätte ein Recht auf Resozialisierung, das deutsche Strafrecht sei nicht ausgelegt auf Rache oder Vernichtung. Mit der Strafe sei alles abgegolten. In der Kunstszene herrschte häufig auch die Ansicht, dass die künstlerische Potenz auch mit der sexuellen Potenz zusammenhängen würde – große Künstler seien nun mal in vielerlei Hinsicht potent, da könne es auch mal vorkommen, dass er über die Stränge schlägt.
„Eine Intendanz ist ein verantwortungsvoller Posten, und integres und korrektes Verhalten ist daher eigentlich Grundvoraussetzung für den Job, da man Gelder anderer Menschen ausgibt, um Kultur zu ermöglichen. Vornehmlich das Geld von Steuerzahlern, aber auch von Förderern und Sponsoren.“
Doppelt Schwierig wird es hier, wenn auch Förderer und Sponsoren auch zu den „Seilschaften“ gehören. Weil der Vorstand, die Intendanz und der große Künstler sich kennen und die gleiche Sprache sprechen. Weil die Förderer auch ihre eigenen Interessen haben, wenn sie sich als Mäzene tätigen. Sie wissen, dass ohne ihr Geld nichts läuft, das gibt ihnen sehr viel Macht. Auch diese Macht kann missbräuchlich eingesetzt werden (um Missverständnisse vorzubeugen: ich will damit natürlich nicht alle Förderer und Sponsoren über einen Kamm scheren! Die, die hier nicht gemeint sind, sind aber auch in der Pflicht, hinzuschauen).
Bereits in die Medien angekommen ist z.B. der Fall in Erl, das Prinzip ist gleich:
https://derstandard.at/2000097351917/Umstrittenes-Comeback-von-Dirigent-Gustav-Kuhn-in-Erl
(Ich persönlich verstehe nicht, warum Loebe und Fassbaender überhaupt in dem Umfeld arbeiten wollen und können.)
Keiner wird heute ernsthaft behaupten, dass er Grapschen und Vergewaltigungen in Ordnung finden würde. Wenn es in konkreten Situationen im eigenen Umfeld passiert, tut man sich aber doch schwer.
Traurig ist es, wenn Missbrauchsfälle zu Spaltungen und Feindseligkeiten auch zwischen den Nicht-direkt-Betroffenen führen.
Nach einer Tat oder nach dem Bekanntwerden einer Tat sollte eigentlich nicht die Konstellation „Opfer vs. Establishment“ entstehen. Das System muss sich hier dahingehend ändern, dass man gemeinsam gegen Machtmissbrauch vorgeht.