DAS PODCAST UFO – Die E-Musik-Transkripte 3

Alles, was Florentin Will und Stefan Titze in ihrem seit Ende 2014 ausgestrahlten Podcast „DAS PODCAST UFO“ über klassische Musik gesagt haben und sagen, schreibe ich hier ab. Rückwirkend! Und zwar – mit Ausnahme der Ersetzung von „äh“s durch „…“ – exakt so, wie es die beiden ehemaligen Böhmermann-Autoren formulierten.

Werbung

Nach der ersten und zweiten Ausgabe dieser Serie, in denen die Podcast-Folgen Nr. 1 und Nr. 8 teiltranskribiert wurden, wurde der „Gegenstand klassische Musik“ bei Will und Titze wieder in Folge 12 Thema.

Folge 12 (20. März 2015)

Vor der hier abgebildeten „Klassik“-Stelle bekommt Stefan eine Email, löscht sie – und wird dabei von Florentin ertappt. Dann geht es weiter um verschiedene Film-Themen, um Film-Figuren, die eigentlich nicht vorkommen sollten, um die Idee, dass Regisseure doch vermehrt Freunde in Geldnot in ihre Filme einbauen könnten. Dann kommt die Sprache auf den Pseudo-Sponsor des Podcasts – Booster Energy Drink – und es folgt eine plötzliche Pause von sieben Sekunden, die sogleich analysiert wird. Daraufhin folgt noch eine fünfsekündige Pause, die auf besondere Weise von Stefan „abmoderiert“ wird.

(…)

[Minute 28.07]

Stefan: Das war John Cages 4′33″. …Ke… …ganz kurz für die Hörer. Das ist wirklich spannend. …John Cage ist ein… …Musiker, Künstler, der… …ganz tolle Ideen immer hat… Und zwar… …hat er… …das nervt so! (unverständlich; offenbar wird Stefan von Florentin geärgert; wie und mit was ist aber nicht klar)

Florentin: Stümperhafteste Zusammenfassung des Lebens eines Künstlers!

Stefan: [hustet]

Florentin: [unverständlich] „Wolfgang Amadeus Mozart: der hatte immer relativ gute Ideen.“

Stefan: [unterbricht mit etwas Unverständlichem, redet gleichzeitig mit Florentin, unverständlich, dann folgt:] …och Mann, ey, ich bin wie so ein ADHS-Kind. Jetzt fällt mir was zu Mo… …Mozart ein. …ich habe echt… [nuschelnd] Mozart hat zum Beispiel einmal ein Lied gehabt, muss ich kurz sagen: „Leck mich im Arsch“ heißt das. Das war der Punk der damaligen Zeit, also ganz kurz. Es stimmt wirklich.

Florentin: [etwas skeptisch und aus dem Hintergrund] Ja.

Stefan: Jedenfalls: John Cage…

Florentin: [unterbricht] …auch so ein… [am Ende des Satzes genuschelt] …so ein TV-Total-Nippel später dann…

Stefan: Back to John Cage. John Cage ist jemand, der… …hatte ganz interessante Ansätze, um an Musik zu gehen. Und hatte auch ganz neue Ansätze. [Florentin spricht etwas Unverständlich dazwischen, aber Stefan fährt fort] [Unverständliches von Stefan] Einmal hatte er… [hier reagiert Stefan offenbar auf den – allerdings nicht verständlichen – Witz, den Florentin zuvor gemacht hatte, dazwischen redet er kurz mit Florentin gleichzeitig] …oh, der beste Gag der… [lacht] …des Podcast-Ufos [Florentin lacht ebenfalls] geht aaaaaaan: R2-D2!

Florentin: [gleichzeitig mit Stefan] Ba-ba-ba!

Stefan: …jedenfalls… …hat er ein Stück, das heißt 4′33″. Das wird mit Orchester inszeniert. Und dann kommt er… …er ist [nuschelt] quasi der Dirigent… …kommt nach vorne, fängt an, anzuzählen, ein ganzes… …Orchester hat vorher die Instrumente gestimmt. Muss man sich vorstellen: alle in Erwartungshaltung – „Oh, John Cage präsentiert sein neues Stück 4′33″, was ist es? Klingt spannend!“ [wieder macht Florentin einen unverständlichen Witz, doch Stefan spricht weiter] Er zählt an… …er zählt an, und es passiert: [Kunstpause] nichts. Niemand spielt vier Minuten dreiunddreißig lang genau. Spielt niemand!

Florentin: [leise] Mh.

Stefan: Der Dirigent dirigiert aber trotzdem. [lachend] Er dirigiert die Pausen. Vier Minuten dreiunddreißig lang passiert nichts. Und er blättert auch sogar die… …Notenblätter um – und alle… …irgendwann… …irgendwann kippt auch die Stimmung des Publikums so langsam, wenn nichts mehr passiert. Und was viele jetzt nicht sehen: Florentin ist der schlechteste Co-Moderator. Er zeigt mir die ganze Zeit an, dass ich die Geschichte bitte zum Ende bringen soll… …weißt du was: Fick dich!

Die musikwissenschaftliche Analyse: „Leck mich im Arsch“ KV 231 (382c) von Wolfgang Amadeus Mozart ist kein Lied, sondern ein Kanon.

Süß und schön das Interesse und die Begeisterung, mit der Stefan über John Cage spricht. Allerdings scheint es mir nicht in Cages Sinne zu sein, am Beginn des Werkes tatsächlich den Taktstock zu heben (ich kenne keine seriöse Interpretation, bei der eben dieses passiert wäre). Überhaupt sind mehr oder weniger alle Musiker, die ich schätze, von Scherzen über Cages berühmtestes Stück genervt. Diese Genervtheit war letztes Jahr Ausgangspunkt für einen Text, indem ich die „lustigen Scherze“ der (meist überaus ernsten und völlig ironie- und humorbefreiten) Klassikwelt zu zerficken trachtete. Ich veröffentliche diesen Text (meiner Erinnerung nach nicht zum ersten Mal) – quasi als „Korrektur“.

Über 4′33″
Es ist vielleicht das legendärste avantgardistische Musikstück aller Zeiten: 4′33″ von John Cage. Das Stück, über das jeder klassisch ausgebildete Musiker mindestens einmal in seinem Leben bereits einen Witz gemacht oder zumindest gehört hat. Unzählige Musikstudenten haben schon darüber nachgedacht, ob die Wahl dieses berühmtesten Werkes von Cage als „zeitgenössisches Werk“ beispielsweise bei einer Abschlussprüfung, innerhalb derer eine Komposition aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Pflicht sein kann, zulässig sein könnte.
Denn der Interpret – die Besetzung ist frei wählbar – spielt während der Dauer von vier Minuten und 33 Sekunden (das Werk wird meist mit einer Stoppuhr aufgeführt) keinen einzigen Ton. Für die drei Sätze – die Form dieses 1952 notierten Stückes ist also im Grunde sehr traditionell und keineswegs avantgardistisch – hat der Komponist „Tacet“ vorgeschrieben. Die Anweisung „Tacet“ (lateinisch für: er/sie/es schweigt) erscheint sonst meist in den Noten von Orchestermusikern, die beispielsweise während eines einzelnen Sinfoniesatzes nichts zu spielen haben (die Harfe ist dabei ein relativ beliebtes Tacet-Opfer).
Zu der Komposition des Stückes wurde Cage durch den Besuch eines schalltoten Raumes angeregt, dessen Nicht-Widerhall von eigenen und fremden Geräuschen ihn nachhaltig beeindruckte. Bei der Uraufführung durch den Pianisten David Tudor im Spätsommer 1952 in New York kam es zu dem erwarteten Skandal, dessen Restwind noch heute dann und wann zu spüren ist, wenn das Werk vor einem Publikum aufgeführt wird, das von diesem Stück Stille noch nichts wusste.


Über das Werk von Cage lässt sich trefflich philosophieren. Doch durch ohnehin nur rhetorisch gemeinte Fragen wie „Ist das noch Musik?“ – ein enger Verwandter des eigentlich unwitzigen und ultrakonservativen „Ist das Kunst – oder kann das weg?“ – wird die Diskussion oft verdeckt; ja, die Rezeption von Cages bekanntestem Werk scheint in den letzten Jahren im reinen Slapstick angekommen zu sein. Denn die eigentlich interessanten Fragen sind doch: Warum provoziert dieses Stück noch heute? Haben wir in der durchdigitalisierten 24/7-Erreichbarkeitsgesellschaft das gemeinsame Genießen von Stille verlernt? Wird uns als Musikliebhaber im Konzertsaal klar, wie laut – und wirklich störend, ja, in der Tat kein bisschen komisch – Husten während eines zerbrechlichen Stücks Musik wirken kann? Ist die scheinbare Unmöglichkeit wirklich gemeinsamen Schweigens im Konzertsaal denn tatsächlich ein gesellschaftliches Phänomen? Oder hängt diese Unmöglichkeit mit der Situation zusammen, in der wir uns mit anderen, nämlich fremden Konzertbesuchern befinden, so dass wir uns auf die fast erotische Intimität des Nicht-Erklingens jeglicher Geräusche nicht einzulassen imstande sind? Schließlich sagt man doch, dass menschliche Beziehungen dann besonders glücksverheißend seien, wenn beide Partner auch mal gemeinsam schweigen können. Aber warum nutzen wir nicht einfach diese oft verlachte – in Wirklichkeit ernste, ja: existenzialistische – Komposition von Cage, um eine ganz besondere Erfahrung zu machen?

(Arno Lücker, 4. März 2017)

Liste(n) auswählen:
Unsere Newsletter informieren Sie über Neuigkeiten im Badblog Of Musick. Informationen zum Anmeldeverfahren, Versanddienstleister, statistischer Auswertung und Widerruf finden Sie in unserer Datenschutzbestimmungen.

Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.