„Bäcker hören auf, Brot zu backen. Automechaniker legen ihr Werkzeug weg und blasen Luftballons auf. Schriftsteller hören auf, literarische Texte zu schreiben sondern publizieren stattdessen Kochrezepte.
Solche Assoziationen kommen einem beim Besuch der diesjährigen Münchener Biennale für Neues Musiktheater, zumindest was die Rolle der Komponisten angeht.
In zahlreichen „Arbeitsgruppen“ und Teams, bei zahlreichen „Projekten“ zum Thema „Private Matters“ wurden hier brav die Hausaufgaben der Festivalmacher Manos Tsangaris und Daniel Ott abgearbeitet, die alles mögliche wollen und anregen, aber anscheinend an der Musik selber keine Freude mehr empfinden, denn ihr wird grundsätzlich und überall misstraut in diesem Festival.
Daher sieht man Verrichtungen und geschäftige Installationen, „Tischlerarbeiten“, nur eines nicht: Musiktheater. Man besucht Privatwohnungen, lässt sich in Badewannen bespaßen, steht in Bühnenbildern herum, die wie bestellt und nicht abgeholt irgendwo aufgebaut wurden, und lauscht endlosen Textmonologen von Schauspielern. Nur eines ist all dies nicht: Musiktheater.“
junger Kritiker: Halt, halt! So haben wir aber nicht gewettet! Da bin ich aber ganz und gar nicht Ihrer Meinung! Wieso so negativ?
alter Kritiker: Ich dachte, wir sollen eine Kritik schreiben?
junger Kritiker: Ja gut, aber es gab doch durchaus richtiges Musiktheater! In „Alles klappt“ von Ondrej Adamek wird doch die ganze Zeit gesprochen, geraschelt und gesungen und es es gibt einen echten musikalischen Verlauf! Auch wenn das heute ja eigentlich nicht mehr angesagt ist, denn über Musik alleine kann man nur schwer Kritiken schreiben, über Konzepte dagegen schon…
Und vergessen Sie nicht: „Liminal Space“! War das nicht geil? Da haben die jungen Studenten der Musikhochschule gezeigt, dass sie auch Oper können, das war eine aufwändige Produktion mit starken musikalischen Momenten, rückschrittlich natürlich, weil es die ganze Zeit Musik gab, aber…
alter Kritiker: Ausnahmen bestägigen die Regel.
eifrige Dramaturgin: (beschwichtigend) Ich finde wir sollten jetzt erst einmal unsere verschiedenen Standpunkte sammeln, um dann zu einem produktiven Diskurs zu kommen…
alter Kritiker: Diskurs my ass. Ich dachte, ich sollte einfach anfangen, eine Kritik zu schreiben? Und genau das mache ich!
nervöser Komponist: Ich weiß immer noch nicht, was ich hier soll. Ich kann doch keine Kritik über eine Oper mitschreiben, die ich noch gar nicht geschrieben habe!
alter Kritiker: Das hätte den Vorteil, dass man die Kacke dann nicht mehr anhören muss.
junge Komponistin: Wie bitte? Ich verbitte mir solche Kommentare! Immerhin bin ich auch beteiligt! Und wesentlich talentierter als der andere da!
eifrige Dramaturgin: Ich bitte Sie, ich bitte Sie…bleiben Sie doch ruhig! Wir hören uns jetzt erst einmal weiter an, was der Kollege zu sagen hat.
alter Kritiker: (grinst süffisant) Ich leg ja erst richtig los: „Wie erfolgreich wäre ein Gemüsehändler, der sein Obst und Gemüse nicht so nennt, sondern es als Gartenzubehör verkauft? Genau dies passiert aber hier – Etikettenschwindel mit dem Begriff „Musiktheater“, die komplette Abschaffung musikalischer…“
junger Kritiker: Herr Kollege, das kann man so einfach nicht sagen. Das Musiktheater entwickelt sich, wir haben es hier mit vollkommen neuen Formen zu tun, denen man einfach eine Chance geben sollte…
eifrige Dramaturgin: Es klingt hart, aber lassen Sie ihn reden. Danach können Sie Ihren Standpunkt doch darlegen. Und am Ende hat immer der Recht, der die Fördergelder bekommt, ist doch ganz einfach!
junger Kritiker: Ich weiß nicht, ob ich noch Lust habe. Dieser alte frustrierte Kollege verdirbt einem doch die gute Biennale-After-Party-Laune! Außerdem: wo ist denn die Premierenfeier nachher? Ich glaube ich habe Hunger…
alter Kritiker: (holt tief Luft, dann:)
„Komponistinnen und Komponisten werden verheizt, die wahrscheinlich Besseres könnten und zum Teil noch nicht einmal aus eigenem Impuls heraus mit den ganzen Horden von Konzeptmachern, Dramaturgen, Textschraubern – und Kollagisten, Performern, Programmierern und Installateuren zusammengearbeitet hätten, mit denen sie zusammengewürfelt wurden, wie in den Werkstattgesprächen immer wieder zwischen den Zeilen zu hören ist. MIt großem Aufwand, mit Goethe-Institut-Koproduktionen und enormem technischen Pipapo wird hier letztlich…Kleinkunst inszeniert, nur dass die richtige Kleinkunst meistens viel unterhaltsamer, witziger und inspirierter ist.
So quetschen sich täglich wenige Menschen in eine winzige „Tonhalle“ vor der Bayerischen Staatsoper, um…irgendwas zu erleben, man weiß es nicht so genau, da jede Vorstellung mit einer Handvoll Besuchern schon ausverkauft ist. Im Programmheft können sie dann nach der Vorstellung nachlesen, dass so sich nun in einem „ungeahnt heiteren Zustand der Uneindeutigkeit befinden…erlöst von dem Zweckdienlichen, wehrhaft gegen Unvorhergesehenes“, was auch immer das bedeuten mag. Dagegen wirkt die protzige Staatsoper wie ein Fanal der erfreulichen Eindeutigkeit, denn da sieht man wenigstens, was es kostet.“
junger Kritiker: Aber die „Tonhalle“ war sowas von geil! Lustig, spritzig, unterhaltsam! Was reden Sie da für einen Schwachsinn! Waren Sie überhaupt drin?
alter Kritiker: Ne, aber das tut nichts zur Sache. Ich will halt meckern!
„In „Wir aus Glas“ erfüllen wackere Musiker des Opera Labs (Berlin) den feuchten Traum jedes Dramaturgen – die vollkommene Zweckdienlichkeit der Musik im Dienste einer cleveren Inszenierung eines „Konzeptes“ um eine drögen Pärchen-WG aus dem Ikea-Katalog (in der guten Regie von David Hermann). Die Musiker spielen nicht mehr, weil es eine musikalische Notwendigkeit, sondern weil es eine SZENISCHE dafür gibt. Resultat sind seltsam uninspiriert wirkende „Klangaktionen“ , deren witzigste Momente noch die Imitationen von Zahnputzgeräuschen auf den hohen Saiten der Geige sind. Man hört förmlich, wie der Komponist Yasutaki Inamori unter dem strengen „Konzept“ leidet und sich nach Kräften bemüht – mit manchem Oboen-Multiphonic zu viel. Da gibt es laut Libretto einen „traurigen Mann“ in der WG, der mit all dem nichts anfangen kann und sich angeblich auflehnt, aber der hat nur nölende Sprech-Monologe, die wenig Leidenschaft erahnen lassen, wogegen die angeblich so langweiligen Mitbewohner wenigstens singen dürfen. Irgendwann wird er dann von einem bärtigen Hipster ersetzt, und man ist fast erleichtert, dass der „traurige Mann“ nun stumm ante portas schmollt.“
eifrige Dramaturgin: Äh, da habe ich doch die Dramaturgie gemacht! Und das hat Ihnen nicht gefallen? Unterstehen Sie sich! Sie sind einfach nur ein ungehobelter Rüpel, Sie, Sie…
junger Kritiker: Moment, der demontiert sich doch gerade selber…
alter Kritiker: (weiternölend:) „Überhaupt ist der Verzicht auf einen der Kerninhalte des Operngeschäftes – nämlich Emotionen – das Tragischste an dieser Biennale, die ansonsten frei von Tragik (oder überhaupt frei von irgendeiner Emotion) ist. Statt Geschichten und Stücken gibt es „Konzepte“, statt musikalischen Einfällen ihren eigenen Raum zu geben, werden diese mit dem Schuhlöffel irgendwo hineingequetscht bis es passt. Oder sie werden einfach weggelassen, wenn sie nicht passen. Braucht man ja eh nicht, diese doofe Musik, versteht ja eh keiner.“
eifrige Dramaturgin: Wir wissen doch schon lange, dass Komponisten eigentlich gar keine Ahnung von Theater haben! Dafür sind wir Dramaturgen doch da: es ihnen zu erklären!
alter Kritiker: (sich in Rage redend): „Manche Komponisten behelfen sich mit den inzwischen schon völlig standardisierten Geräuschkompositionen, die dieses Jahr den Siemens-Preis trist dominierten. Andere geben sich völlig auf und liefern kleine belanglose Klavierstückchen, die gerade mal noch so als apart sparsam eingesetzte Bühnenmusik durchgehen würden, würde man sie in einem normalen Theaterstück verwenden.
So wie das „e“ im Biennale-Titel abgeschafft wurde, hat die Biennale selber die Musik abgeschafft, oder so sehr zu einer „private matter“ gemacht, dass sie keinen mehr etwas angehen muss.
Ich möchte nicht im Privatleben anderer Menschen herumschnüffeln. Mich interessiert es nicht, dem sicherlich großartigen Countertenor Daniel Gloger in seinem in „Up Close and Personal“-Projekt dabei zuzuschauen, seine „“ICH-Zeit“ zu optimieren“ (Programmheft), weil das für mich ein typischer Dramaturgenprosabegriff ist, der alles und letztlich gar nichts ausdrückt. Ich frage mich nur, warum Daniel Gloger dafür laut Programmheft einen „Choreografen“ braucht, einen „Videokünstler“ und eine „Mentorin“, wenn es doch nur um ihn selber geht. Oder ist das vielleicht alles schon geniale Verweigerung von Sinn? Parodie?
Ich will nicht mehr in Badewannen steigen und in ominöse „Erinnerungsräume“ eintauchen. Ich will nicht wie ein Pfadfinderlein zum Starnberger See pilgern, um dort ein „audio-sensibles Überwachungssystem namens „Nomictic Solutions“ zu bewundern. Ich will auch niemandem bei seinen Privatverrichtungen zugucken und auch kein Geld dafür ausgeben, Manos Tsangaris zuzuhören, wie er mir die lustigsten Geschichten aus seiner Männer-WG erzählt (im „Salon des Wunderns und der Pflichten“ auch noch), weil ich das lieber bei einem Bier mit ihm hören möchte, aber nicht so. Ich will nicht den Neuen Vocalsolisten bei „Lektüre, Daphne, Fußbad und Kindergeburtstag“ dabei helfen, eine Oper zu komponieren, aus „den Begegnungen im täglichen Entstehen und Versiegen privater Dialoge“, weil so zwar alles mögliche entsteht nur keine Oper. Ob das Ganze nun dennoch was geworden ist, wird auch nie jemand erfahren, denn das Ergebnis erfährt man nur, wenn man „persönlich“ dazu eingeladen ist, also sprich die Freunde der Mitwirkenden. Und wahrscheinlich die Dramaturgen und „Konzeptmacher“ der Freunde der Mitwirkenden, denn ohne die geht heute gar nichts mehr. Ich kann mir schon keinen Drink im Muffat-Café bestellen, ohne dass ich vorher vom Biennaleprogrammheft erklärt bekomme, was für ein weltbewegend „privates“ Ereignis das ist, und ich jetzt irgendeinen neuen verfickten „ICH“-Space oder irgendeinen anderen Pseudoscheiß damit erfahre. Ich…ich….ich mag nicht mehr!!! Ich kann nicht mehr….! Und jetzt fällt mir nix mehr ein, Ende Gelände! (er sackt zusammen).
eifrige Dramaturgin: Was ist mit ihm?
junger Kritiker: Ich glaube, er ist ohnmächtig geworden. Er hat zu viel schlechten Wein bei der Trond Reinholdtsen – Aufführung getrunken, weil er dazu ausdrücklich aufgefordert wurde.
mysteriöser Gurkenperformer: And_rs ist m_in Quatsch ja auch nicht auszuhalt_en! Hihi! (er fängt an mit Mickymausstimme zu singen): Schl______chter W_in! Schl_____cht_r W_in!!!!! Aus Norw______g____n!!!! Trinkt!!!! Trinkt, alle!!!!!!
junger Kritiker: Schade, das war jetzt gar kein Hegel-Zitat. Aber dennoch genial! Wer kommt auf so geile Ideen wie dieser Trond!
eifrige Dramaturgin: Ich glaube, ich bin ein bisschen in ihn verliebt. Und in Sie auch!
nervöser Komponist: Ich glaube ich weiß jetzt, wie wir unsere Oper anfangen können.
junge Komponistin: Genau: Es fängt an mit….der totalen musikalischen Verweigerung: Stille! Danach: weiter Stille! Es tritt auch keiner auf und singt! Niemand dirigiert, niemand spielt irgendwas! Niemand nervt mehr! Kein Bühnenbild, nix! Noch nicht einmal ein Raum! Es gibt auch kein Publikum, das Publikum wird komplett ausgeladen! Die totale Negation der Oper! Stattdessen kocht mein Freund der Körperklaus ein Omelette, und das nehmen wir auf und übertragen es als Video auf dem Königsplatz, während wir dort Opernpartituren als Klopapier benutzen! Und danach gibt es Schnittchen und eine schöne Diskussion!
Die Tür geht wieder auf und Manos Tsangaris und Daniel Ott springen herein, eine Wunderkerze in der Hand: Gratulation, ihr habt den Auftrag!
Mr. Lee: ä国ä很快将ä宰ä界!!!!
alter Kritiker: (röchelt verzweifelt)
junger Kritiker: Das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft! (er küsst die eifrige Dramaturgin)
(Ende des Dramas)
(Moritz Eggert)