Mythos und Fakten: CIA, Darmstädter Ferienkurse und ihre Komponisten

Einleitung
Konrad Boehmer gab 2010 der Süddeutschen Zeitung ein Interview, in dem es um die Gründung der Darmstädter Ferienkurse und die kulturelle Implementierung ihrer wichtigsten Protagonisten im Bewusstsein der Öffentlichkeit ging. Mancher las das wohl so, als seien die Ferienkurse selbst durch den CIA gegründet und finanziert worden. Wer genau liest, merkt die Differenzierung, um die es mir hier geht: „Boehmer: … Unsichtbar im Hintergrund: die CIA. SZ: Bitte? Die CIA? Boehmer: Na klar. Mit einem adornitisch-manichäischen Weltbild: im Westen das Gute, im Osten alles Schlechte. Die ‚Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik‘ waren eine Initiative der amerikanischen Militärregierung. Der Congress of Cultural Freedom, eine CIA-Organisation, veranstaltete schon 1954 in Rom einen Kongress, um Avantgarde-Musik zu promoten. SZ: Die CIA? Großartig. Boehmer: Der Komponist Nicolas Nabokov war bis 1963 der Generalsekretär.“ (SZ, 17.5.2010)

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Der Congress of Cultural Freedom (CCF) war tatsächlich CIA-finanziert, veranstaltete große Festivals zur Förderung westlicher, zeitgenössischer Künste, um im frischen Kalten Krieg ein Gegengewicht zu den internationalen Kulturaktivitäten der UdSSR zu schaffen und diese Künste ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit zu bringen als es Spezialistentreffen wie eben den Darmstädter Ferienkursen je vermocht hätten. Dazu weiter unten.

Fehlinformationen und Mythos der CIA-Finanzierung der Darmstädter Ferienkurse
Der Mythos der CIA-Finanzierung scheint sich vor allem in der experimentellen Popmusik zu halten und wird sogar durch eine wissenschaftliche Publikation behauptet: „In 1950, it hosted the Congress of Cultural Fredom funded by the CIA to counteract the prominent, international congresses of the Soviet Union’s World Peace Movement. The CIA also became the main funders of Darmstadt’s ‚New (non-aligned) Music‘ which took the form of the pure abstraction of serialism and electronic, encouraged initally by the American military through the creation of seven regional radio stations“ (Shryane, Jennifer „Blixa Bargeld and Einstürzende Neubauten: German Experimental Music: Evading Do-Re-Mi“, 2011, S. 30). Shryane stellt in den folgenden Sätzen richtig dar, dass die neuen öffentlich-rechtlichen Sender mit Sendungen, Aufträgen und Konzerten die Neue Musik promoteten, ein Fehler unterläuft ihr aber, indem sie behauptet, die Sender seien staatsfinanziert statt gebührenfinanziert. Woher sie die Information hat, dass die CIA die Ferienkurse finanziert hätte, ist nicht verifizierbar. Weder die davor angeführte Fussnote zu Janik, Elizabeth, „Recomposing German Music: Politics And Musical Tradition in Cold War Berlin“, 2005, noch die nach der CIA-Finanzierungsbehauptung als zu Stockhausen unmittelbar auf Janik folgende Fussnote zu Service, Tom, „Stockhausen: Music Matters, BBC 3, Sendung der Reihe „Music Matters“ vom 15.12.2007, verlieren darüber ein Wort.

Die US-Militärbehörden
Damit hat sich das Gerücht einer Finanzierung der Darmstädter Ferienkurse durch die CIA erledigt. Was allerdings stimmt, ist die aufmerksame Begleitung ihrer Gründung im Jahre 1946 und eine Ko-Finanzierung von 1949 bis 1951 durch die Kulturabteilung der US-Militärregierung in der amerikanischen Besatzungszone (OMGUS), zuständig für Hessen. Für Vertreter der falschen CIA-Finanzierungsthese ist vielleicht allein schon die Erwähnung der Darmstädter Schule in Frances Stonor Saunders „The Cultural Cold War: The CIA and the World of Arts and Letters“ Grund genug, um an ihrer Fehlinterpretation festzuhalten. Saunders schreibt, die Ferienkurse seien „a bold initiative of the American military government“ (Stonor Saunders, Frances, „The Cultural Cold War: The CIA and the World of Arts and Letters“, 1999, S. 20). Also keine Sache der CIA, aber durchaus eine Sache unter den Augen der OMGUS.

Die Rolle Wolfgang Steineckes bei der Gründung der Ferienkurse
Wer wann genau die Idee hatte, die Ferienkurse ins Leben zu rufen, ist nach wie vor unklar (s. Iddon, Martin, „New Music at Darmstadt, Nono, Stockhausen, Cage and Boulez“, 2013, S. 23): „While the above gives a sense of who the major figures in Darmstadt’s early years were, whose initial idea the Darmstadt New Music Courses were remains unclear.“ Die Hauptfiguren waren der Bürgermeister Ludwig Metzger und der aus Essen, der dort als Musikjournalist gewirkt hatte, stammende Kulturreferent Wolfgang Steinecke. Beide wurden im Zuge der Entnazifizierung als unbelastet eingestuft, wobei Steinecke erstaunlicherweise kein formales Entnazifizierung durchlief, sondern sein ausgefüllter Fragebogen trotz mancher Ambivalenz (z.B. 1938 seine Rezeption von Friedrich Blumes „Musik und Rasse“ oder seine inhaltlich ungeklärte Tätigkeit für die Terra-Filmkunst, die Heinz Rühmann Filme wie „Quax, der Bruchpilot“ und „Die Feuerzwangebowle“ produzierte) direkt von der OMGUS bearbeitet wurde.

OMGUS & HICOG: zuerst bescheidene Sachleistungen, bis 1951 20 Prozent des Gesamtetats
Auch wenn dieser Schleier um die Idee der Ferienkurse irgendwann genauer gelüftet werden mag, so sorgte Kulturreferent Steinecke für die Aufführung von Musik des im Dritten Reich exilierten Paul Hindemith, kam mit dem von der OMGUS noch als belastet eingestuften, seit Ende des Krieges in Darmstadt privat Zwölftonmusik lehrenden Wolfgang Fortner zusammen, was beide vielleicht auf die Notwendigkeit der Stillung des Nachholbedarfs durch die Gründung der Ferienkurse brachte. Dazu musste der Bürgermeister die Zustimmung der Amerikaner einholen, die diese gewährten. So notierte der zuständige Kulturbeauftragte William Dubensky der OMGUS am 25.07.1946: „A public instructional course on contemporary music is taking place in Darmstadt’s Schloss Kranichstein under the sponsorship of the Darmstadt cultural authorities. It is intended to give a concise panorama of the contemporary music scene for those individuals who find it of importance for their profession and will spread this knowledge in their own circles“ (vgl. Beal, Amy C., „New Music, New Allies: American Experimental Music in West Germany from the Zero Hour to Reunification, 2006, S. 37). Dies zeigt, dass hauptsächlich die Stadt Darmstadt selbst die Finanzierung der ersten Ferienkurse leistete, abgesehen von vereinzelten Sachleistungen, wie z.B. einen Steinway-Flügel oder Partituren aus dem Ausland.

Die Situation änderte sich 1948 mit der Kontaktaufnahme zwischen Steinecke und Evrett Helm, der vor seiner Tätigkeit bei der Wiesbadener Kulturabteilung von OMGUS u.a. in den USA als Komponist und Autor arbeitete. Im Jahre 1948 gab es erstmals ein Grußwort seitens OMGUS: „The American military government welcomes and supports the development of these courses…“ (Iddon, S.20). 1949 erhielt der „Patenring“, der Förderverein der Ferienkurse, 4000 DM für Kursstipendien. Am gewichtigsten war in den drei Jahren von 1949 bis 1951 die anteilige Finanzierung der Ferienkurse durch Helms Abteilung mit 20% des Gesamtetats. Das zwang das neue Bundesland Hessen seinen Ferienkurszusschuss auf 10000 DM zu verdoppeln. (s. Iddon S. 20-21). Ganz offen als Co-Konzertveranstalter trat OMGUS mit zwei Konzerten („Sonderveranstaltung der amerikanischen Militärregierung) am 02. und 05.07.1947 in Erscheinung mit Musik u.a. von Roussel, Hindemith, Schoenberg, Barber und Ives (s. Borio, Gianmario / Danuser, Hermann (Ed.): Im Zenit der Moderne. Die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt 1946-1966. Geschichte und Dokumentation in vier Bänden. Freiburg 1997, vol. 3, p. 513 ff.). Als Helms Abteilung ihre Arbeit einstellte, wurde er später sogar selbst Dozent für US-Musik in den frühen 50ern für die für Ferienkurse. Ähnlich John Evarts, der dann bis 1951 der Ansprechpartner für die Ferienkurse und die finanzielle Unterstützung durch die US-Militärbehörden, in dem Falle dann die US-Seite der Alliierten Hohen Kommission (HICOG) (s. Beal, S. 40). Damit endete das finanzielle Engagement der USA für die Ferienkurse.

Congress of Cultural Freedom
Ganz anders sieht es mit dem Congress of Cultural Freedom (CCF) aus. Dieser wurde durch den CIA Agenten Michael Josselson geleitet und durch die CIA finanziert. Der CCF wirkte von 1950 bis 1967 und wurde dann enttarnt. Allein durch seine vier Jahre spätere Gründung 1950 als die der Darmstädter Ferienkurse (1946) konnte er zeitlich nicht ihr Gründer und erster Förderer sein. Der CCF hatte Büros in 35 Staaten, davon mehrere in der Bundesrepublik und West-Berlin, unterhielt 20 Magazine und veranstaltete eine Reihe großer Festivals und Ausstellungen, um – wie oben schon angerissen – als weiche Waffe im Kalten Krieg gegen den Ostblock US-amerikanische und westliche zeitgenössische Künste breit zu promoten (s. Saunders, S. 1 ff.). Der schillernde Nicolas Nabokov, Exilrusse, Komponist und Cousin des berühmten Schriftstellers Wladimir Nabokov, war der Leiter der Festivals und Ausstellungen des CCF. Das erste bedeutende Festival fand im Mai 1952 unter dem Motto „L’Œuvre du XXe siècle“ in Paris statt. Mancher marginalisiert heute gerne noch die Rolle der jungen Komponisten im Rahmen der Festivals des CCF, die Anfang der 50er Jahre auch massgeblich für die junge Generation in Darmstadt standen: neben Karlheinz Stockhausen und Hans Werner Henze, waren das Bruno Maderna, Luigi Nono und am prominentesten Pierre Boulez. Natürlich führte der CCF mehrheitlich etablierte Komponisten auf, die vor dem Zweiten Weltkrieg die Avantgarde bildeten.

Neue Musik im Fahrwasser Älterer für ein breites Publikum
Das hatte seinen speziellen Grund: Denis de Rougemont, ein Manager des CCF, schrieb, dass „the ’new necessities of music‘ invoked by a Pierre Boulez or a John Cage are necessities only to the ear and intelligence of a very small group of men acquainted with the whole history of musical technique.“ Dadurch habe sich ein Spalt zwischen dem breiten Publikum und den Komponisten geöffnet. Den sollte der CCF wieder schliessen: „The more new music is played, the more the public will become contemporary…“ Zuletzt meint de Rougemont: „In May 1952… more than 100 symphonies, concertos,… were performed… Not a measure of music before the year 1900 was heard – and every night the auditoriums were full. What could be more encouraging for the organisers of European Festivals which seek to offer the ’new‘ – that is to say, to rejoin their century?“ (Carroll, Mark, „Music and Ideology in Cold War Europe“, 2006, S. 174).

Neben den Älteren Strawinsky, Britten und Dallapiccola, etc. waren Jüngere wie Lou Harrisson, Giselher Klebe, etc. (Carroll, S. 169) dabei, waren drei Konzerte der kontrovers dirskutierten musique concrète von Pierre Schaeffer gewidmet (Carroll, S. 9) und last but not least wurde ausgerechnet ein ikonographisches Werk des Serialismus von Pierre Boulez, CIA-finanziert, am 07.05.1952 (die Uraufführung soll drei Tage zuvor in Paris stattgefunden haben) im Rahmen des CCF-Festivals aufgeführt: die „Structures 1a“ für zwei Klaviere (Carroll, S. 1). Erst 1955 erklangen sie auf den Darmstädter Ferienkursen. Wie de Rougemont ausführte, wurde somit Boulez Musik einem breiteren Publikum bekannt, als es je durch die Ferienkurse hätte erreichen können. Somit trug der CIA-finanzierte CCF dazu bei, dem Serialismus in Frankreich, wohl auf ganz Westeuropa ausstrahlend, musiksoziologische Relevanz zu verleihen. Sehr unangenehm für alle eingefleischten Verfechter der seriellen Tradition der Neuen Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, wie es in dessen Nachfolge und Transformation z.B. die Musik Brian Ferneyhoughs und seines Kreises darstellt.

Rom, Nono und Boulez‘ Wut über die verlorene Förderung?
Doch es blieb nicht bei dem Festival 1952. Um den Kreis mit Boehmer zu schliessen: 1954 fand das nächste CCF-Festival zwei Wochen im April statt. Hier gab es neben vielen herausragend Aufführungen von Luigi Nono, ausgerechnet er mit seiner Musik im finanzierten Rahmen eines kapitalistischen und Kommunisten jagenden Geheimdienstes wie der CIA, Lou Harrison, etc. Was die wahren Hintergründe des Schmähbriefes an Nabokov waren, werden wohl unbekannt bleiben, z.B. ob er sich darüber aufregte, nicht mit von der Partie zu sein. Wobei er in seinem ersten Konzert der später berühmten Konzertreihe Domaine versuchte, den Fokus weniger streng zeitgenössisch als Nabokov abzustecken, indem er Bach und Strawinsky Stockhausen, Webern und Nono gegenüberstellte (Carroll, S. 138). Laut Saunders rüpelte Boulez, dass das Rom-Festival des CCF eine Folklore der Mittelmäßigkeit sei, junge Komponisten wie Harrison und Klebe mit Preisen überhäufe und das nächste Mal besser die Rolle des Kondoms im 20. Jahrhundert untersuchen solle, worauf Nabokov meinte, dass Boulez Brief hoffentlich niemals in einer Flaschenpost in der Zukunft gefunden werde und er ihm bitte nie wieder schreiben möge (Saunders, S. 188). Auch wenn sich Boulez hier über den Geldsegen und die Massenwirkung der CCF-Veranstaltungen mokiert, hat er doch dessen Methoden der Geldbeschaffung und breiten Programmierung für sich selbst entdeckt und entsprechend perfektioniert, wie seine durch den Staat Frankreich finanzierten Reihen, Ensembles und Institutionen unter Beweis stellen.

Finale: Berliner Treppenwitz
So ist eine der Lehren aus der Miliär- und Geheimdienstfinanzierung Neuer Musik, dass sie die öffentlichen Fördermechanismen immer wieder neu anzapft und bei Bedarf sogar neu erfindet. Und dass der Kampf um die besseren Fördertöpfe menschlich und ideologisch mit aller Unfreundlichkeit durchgefochten wird. Ein Treppenwitz der Geschichte ist übrigens, dass Nabokov von 1964 bis 1967 die Berliner Festspiele leitete, die heute z.B. unter ihrem Dach die MärzMusik durchführen, in gewisser Weise in bester CIA-Tradition, auch wenn deren Aktivitäten in Bezug auf Kulturförderung offiziell 1967 zu Ende gingen, genau in dem Jahr, in welchem Nabokov die Berliner Festspiele wieder abgab. Da wäre nun Platz für neue Mythen. Zwar wurden die Ferienkurse in Darmstadt erwiesenermassen nicht durch einen Geheimdienst gegründet und gefördert. Ihre wichtigsten Adepten erhielten aber durchaus in ihrer Anfangszeit durch die CIA-Förderung des CCF eine Aufmerksamkeit und kultursoziologische Bedeutung, die sie sonst viel schwieriger gegen etablierte Personen wie Britten und Strawinsky erreicht hätten, in deren Fahrwasser sie Dank der Nabokovschen Programmierung, die auch für heutige Massentauglichkeit von zeitgenössischer Musik Massstäbe setzen könnte, durch eine große Hörerschaft und leserstarke kritische Rezeption große Bekanntheit erreichten.

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Eine Antwort

  1. Mathis sagt:

    Tolle Recherche über eines der blumigsten Narrative der Neuen Musik! Zunächst dachte ich, „ach wie schade“, aber dann bleibt der Kern der Geschichte ja aber doch gültig.
    Danke für die ausführliche Forschung und genaue Darstellung!
    LG Mathis