Aus dem Leben eines Komponasten (3)
26.6.-2.7.2017
MONTAG
Kurzurlaub mit meiner lieben Frau am Eibsee. Was auffällt – die Zugspitze scheint der Haupttouristenort für arabische Touristen zu sein, die mit ihren ganzen Familien anreisen. Haufenweise verschleierte oder ganz verschleierte Frauen, Kinder, Omas, Opas….Warum zieht es sie ausgerechnet nach Garmisch? Unsere Theorie: die Landschaft hier ist der größtmögliche Gegensatz zu ihrer Heimat. Dort: Wüsten, Flachland, Oasen. Hier: Berge, Wälder, Bergseen.
Sehnen sich Menschen also immer nach dem, was sie nicht kennen?
Dann müssten uns die Zuhörer bei der Neuen Musik die Bude einrennen, denn einen größeren Kontrast zu dem. was so als Mainstream-Musik im Angebot ist, kann man sich nicht vorstellen. Passiert aber nicht.
Die Neue Musik ist ein bisschen wie das ganz hippe mega-Insider-Hotel, das in keinem Reiseführer steht, weit ab vom Schuß. Dieses Hotel macht keinerlei Werbung, und man muss jeden Morgen ganz früh aufstehen, damit man überhaupt etwas zum Frühstück bekommt. Und dann muss man schuften, wie in einem Shaolin-Kloster. Oder meditieren, schweigen oder sonst irgendwas machen, das gestresste Manager in ihren Ferien tun wollen und dafür ganz viel Geld bezahlen. Die gehen ja auch ins Kloster oder lassen sich ohne Nahrungsmittel und Kompass mitten im Dschungel aussetzen. Zu uns muss man mühsam aufbrechen wie einst Leonardo di Caprio zur „Beach“ (erinnert sich noch jemand an diesen Film?). Vielleicht wäre das ein gutes Werbekonzept: Nur die ganz, ganz Harten dürfen zu uns? Di Caprio musste dann glaube ich irgendwie bei der Drogenherstellung helfen oder so….
DIENSTAG
Wieder einmal Lesen in Harry Lehmanns „Digitaler Revolution“. Als ich dadurch angeregt kürzlich hier über die „akademische Blase“ schrieb, bekam ich von akademischen Kollegen eins auf den Deckel, von den nicht-akademischen sehr viel Lob. Wem kann man es recht machen? Wenn ich akademische Institutionen von außen kritisiere, wird diese Kritik innerhalb der Institution als Gestammel eines Ahnungslosen abgetan und mehr oder weniger ignoriert. Kritisiere ich aber die Akademien von innen, bin ich „Nestbeschmutzer“. Diese gewachsene Veränderungsresistenz vom Institutionen zu überwinden ist nicht ganz einfach, aber sollte man deswegen lieber schweigen? Das mag mir nicht einleuchten. Wie auch immer: ich denke, dass wir uns damit beschäftigen müssen, wie akademische Institutionen in einer Welt der zunehmenden digitalen Demokratisierung neue Ausrichtungen finden können. Was aber nicht bedeutet, dass wir sie abschaffen müssen. Über den Sinn von etwas nachzudenken heißt nicht, diesem Sinnlosigkeit zu attestieren. Die Rolle der Institutionen ändert sich, daher werden sich auch die Institutionen ändern müssen. Das ist ein natürlicher Prozess.
Tatsache ist: zunehmend bekommen wir in der Kompositionsabteilung Bewerbungen von Studenten, die im Grunde nur klassische Kompositionsstile lernen, aber eigentlich gar keine Künstler sein wollen. Oft wird das Kompositionsstudium als eine Art Ersatzstudium für Filmmusik gesehen. Ich bekomme tatsächlich zahlreiche Bewerbungszuschriften wie: „Eigentlich will ich Musik für Film und Medien studieren, aber ich fühle mich dafür noch nicht weit genug, daher würde ich gerne bei Ihnen klassische Kompositionstechnik studieren“. Früher war es andersherum.
Komponieren allein als „Technik“ zu begreifen hat für mich etwas schreckliches. Technik ist Mittel zum Zweck, kein guter Komponist wird sich weigern, sich mit Technik und Handwerk auseinanderzusetzen. Aber es ist kein Selbstzweck. Es reicht einfach nicht, sich als Komponist allein mit vorgefertigten Lösungen zu beschäftigen, wie z.B. „Komponieren im Stile von Schönberg“. Wer nichts zu sagen hat, dem helfen keine Regeln und keine Systeme.
Dies spiegelt sich durchaus in Veränderungen innerhalb des Lehrplans wieder. So war es zum Beispiel in München früher notwendig, zum Kompositionsdiplom eine Doppelfuge im strengen Bachschen Stil zu schreiben. Inzwischen ist es erwünscht, dass sich die Komponisten auf individuelle und freiere Weise mit dem Thema „Fuge“ auseinandersetzen, was originellere Lösungen anregt.
Kompositionsklassen sollen das kreative Herz einer Hochschule sein, von dem Impulse für die Musikästhetik der Zukunft ausgehen, keine Beschäftigungswerkstätten für Musikhandwerker. Wir brauchen mehr Individualismus und neue Ideen, weniger Reproduktion. Dasselbe würde für mich auch für Komposition für Film und Medien gelten.
Studieren vielleicht viele Künstler inzwischen gar nicht mehr bei uns?
So sagt z.B. Heiner Goebbels, von Lehmann in seinem Buch zitiert: «Es gibt vor allem noch eine Grenze, die es einzureißen gilt, und die liegt bei der klassischen akademischen Musikausbildung. Es wäre sicher für alle von Vorteil, die Kompositionsklassen auch zu öffnen für Talente mit einer anderen musikalischen Kultur. Viele der besten Performer und Kollegen, mit denen ich in den letzten zwanzig Jahren arbeiten durfte, können vielleicht nicht einmal Noten lesen (ich darf jetzt keine Namen nennen …), ihr Blick auf die Musik scheint aber wesentlich kreativer als so vieles, was aus den klassischen Werkstätten kommt.»
Ganz unrecht hat Goebbels nicht, auch wenn hier vielleicht ein bisschen romantisches Außenseiter-Wunschdenken mitschwingt. Es gibt aber diese Talente, von denen er spricht. Das Problem ist nur: diese Talente würden an keiner Musikhochschule die Aufnahmeprüfung bestehen und wären auch mit dem akademischen Betrieb nicht kompatibel. Gleichzeitig braucht unser Betrieb bestimmte Bewertungskriterien – einerseits um eine gesunde Konkurrenz zu etablieren, andererseits um mit bewerteten Abschlüssen auch einen Studienwert zu erzeugen. Ohne diese Kriterien ist es auch schwierig, Talente „fassen“ zu können. Ist das ein unlösbares Problem? Immer wieder lehnen wir als Institution hochtalentierte Studenten ab, weil sie bestimmten Prüfungskriterien nicht entsprechen, was meistens an mangelnder musikalischer Allgemeinbildung liegt. Man kann aber musikalisch allgemein gut gebildet und dennoch eher untalentiert sein, echtes Talent dagegen ist aber „wild“, nicht immer bewertungskompatibel und sucht sich unkonventionelle Wege.
Wir haben an den Musikhochschulen zahlreiche Studenten, die sowohl wirklich talentiert als auch musikalisch gut gebildet sind, was ein Glücksfall ist. Aber die wilden Talente entgehen uns oft. Diese kommen zum Beispiel aus Ländern, die einen anderen Ausbildungsstandard haben. Oder es sind Talente die in allem gut und großartig sind, nur nicht in den einem kleinen Nebenfach, bei dem sie in der Prüfung scheitern. Wäre es aber nicht schön, diese auch bei uns zu haben?
Ich kenne viele begabte Komponisten, die noch nie eine Musikhochschule von innen gesehen haben, von denen ich mir aber dezidiert wünschen würde, dass wir sie als Studenten hätten. Da es ihren (und unseren) Horizont erweitern würde. Und das kann doch nie schaden.
MITTWOCH
Die neue Werbung für „Fritz-Kola“ ist ja tatsächlich sehr lustig: die mächtigsten Politiker sollen beim G20-Gipfel mittels „Fritz-Kola“ aufwachen, was ja nicht das Schlechteste wäre. Aber ob man ihnen mit dem dadurch entstehenden Zuckerschock etwas Gutes tun würde? Ich habe ja seit einiger Zeit dem Zucker mehr oder weniger abgeschworen – keine zuckrigen Limonaden, Fruchtdrinks, Milchshakes, keine gesüßten Speisen mehr, keine Smoothies….Ja, auch ich habe dieses Buch gelesen und mich überzeugen lassen. Fanatisch bin ich damit nicht, aber es ist schon interessant am eigenen Leib zu erfahren, dass man dieses ganze süße Zeugs sehr schnell überhaupt nicht vermisst und sich auch generell rundum ohne Zucker besser fühlt.
Coca Cola hat übrigens angekündigt, seinen Zuckergehalt um 10% zu reduzieren, was ungefähr so effektiv ist, wie in der Sahara einen Stein mit ein bisschen Wasser einzureiben. 90% von viel zu viel zu viel Zucker sind immer noch viel zu viel zu viel Zucker. Aber dass wir alle süchtig sind, ist eine Tatsache. Und dass viel zu wenig dagegen getan wird auch, denn riesige Konzerne leben von unserer Sucht. Man kann schon etwas Widerstand leisten, ohne gleich zum Mönch zu werden. Versucht es doch auch Mal!
Bei Cocktails mache ich übrigens gelegentlich eine Ausnahme…
DONNERSTAG
Letzte Vorstellung „Freax“ in Regensburg. Ich bin traurig, aber man muss davon ausgehen, dass nach nun 12 Vorstellungen alle Menschen in Regensburg das Stück gesehen haben, die es sehen wollen. Einige sind sogar mehrmals reingegangen, was mich besonders freut.
Schön zu sehen, wenn Sänger und Musiker bei der letzten Vorstellung noch einmal alles geben, weil es halt (vorerst?) das letzte Mal ist. Daher gab es sehr viele besondere Momente auf der Bühne, die mich sehr berührt haben. Inszenierung und Produktion haben sich gut gehalten, unterstützt von einem enthusiastischen Regensburger Publikum. Nachher sitzt man zusammen und feiert, was mit diesem besonders netten Team sehr schön ist. Dann verabschiedet man sich etwas hastig und nervös, da man Angst hat, sich nicht wiederzusehen. Man tut es aber dann meistens doch.
Danke euch allen – ihr wart wunderbar!
FREITAG
Für mich nach wie vor eine der wunderbarsten Sätze von Wilhelm Killmayer, zitiert von Enjott Schneider in seinem schönen Artikel in der neuen NMZ („Vom Wunder der Reduktion“):
„Da mir meine Assoziationen lieb sind, ist das ästhetisch Anrüchige für mich reizvoll. Das Sentimentale, das Hübsche, das Unordentliche, das Triviale, das Freche, Nette, Geschmacklose, das Unberechenbare, aus dem der Blitz kommt oder das Hergelaufene“ (Wilhelm Killmayer)
Wenn ich das lese wird mir wieder klar, wie sehr mich dieser große Komponist geprägt hat und wie viele wichtige Anregungen ich ihm zu verdanken habe. Dieses Jahr wird er 90, und ADEvantgarde und die Musikhochschule München (wo er lange wirkte) werden Veranstaltungen für ihn organisieren.
Moritz Eggert
Komponist