Glückliches Österreich

Lokaltermin in Linz mit Franzobel. Wir treffen den Intendanten des Theaters Linz, Rainer Mennicken. Zuerst ist unklar, wo genau eigentlich – im neuen Haus oder im alten Haus (in dem Adolf Hitler angeblich durch das Hören von Wagners monströsester Oper „Rienzi“ zum Dritten Reich inspiriert wurde). Ist das neue Theater in Linz jetzt eigentlich schon fertig? Man hat irgendwie gar nichts gehört.

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Eine zufällig auf der Straße angesprochene Frau sieht nicht aus wie die typische Opernbesucherin, weiß aber sofort wo wir hin müssen und weist uns den Weg. Direkt in Bahnhofsnähe ragt das imposante felsenartige neue Opernhaus in den oberösterreichischen Himmel. Überall im Haus herrscht Betriebsamkeit – Handwerker schleppen Kabel, Bauarbeiter tragen Zementsäcke, aber die Intendanz ist eingezogen, das Opernhaus ist fast schon in Betrieb. An der Pforte werden wir herzlich, fast enthusiastisch begrüßt. Man merkt: alle freuen sich über das neue Haus.

Wir treffen den Intendanten  im Aufzug – Spontan beschließt er, uns durch seine neue Oper zu führen. Stolz zeigt er uns die Bühne: „Sehen Sie diese kreisförmige Linie? Das ist eine Drehbühne“. Aha, haben ja viele Opernhäuser. „Und sehen sie diese weitere Linie?“ Er zeigt auf eine quasi schon gerade Linie, die um das gigantische Areal der Bühne komplett herum läuft, und von der die eben gezeigte Drehbühne nur ein kleiner Teil ist. „Das….ist unsere GROSSE Drehbühne“. Unsere Kinnladen klappen herunter. „ Wir können auf dieser Bühne – es ist eine der größten der Welt – mehrere Bühnenbilder gleichzeitig aufstellen und blitzschnell zwischen Aufführungen wechseln.“ Es ist in der Tat imposant.

Wir gehen in den Zuschauerraum, der schon komplett fertig ist und wie die Kommandozentrale eines Raumschiffs wirkt. An der Decke hängt eine gigantische ringförmige Lichtskulptur, die dem Raum eine magische Ausstrahlung gibt. „Die verbirgt gleichzeitig unsere hochmoderne Beleuchterbrücke – wir können sie in mehreren Farben leuchten lassen“. In den Rückenlehnen der Stühle sind rechteckige Ausbuchtungen, aus denen Kabel hängen. „Hier kommen lauter ipads der neuesten Generation rein“, sagt Mennicken. „Die Zuschauer können hier während der Vorstellung das virtuelle Programmbuch anschauen, ihre Tische im Restaurant vorbestellen, oder wikipedia-Artikel sowie Untertitel der aktuell laufenden Oper anschauen“. Ich denke mir im Stillen, dass allein schon die ipads eine Menge Geld kosten müssen. Wahrscheinlich mehr als der Jahresetat des Theaters Görlitz.

Ein Mitarbeiter testet den neuen roten Vorhang, der gerade erst eingetroffen ist. Mennicken begutachtet ihn fachmännisch und gibt ein paar Tipps für die bessere Hängung. Der Vorhang sieht fantastisch aus. Ich erkundige mich, wie viel er gekostet hat – „Ich schätze Mal so um die 30.000,-EUR“. Ich frage mich, wie man einen solchen Vorhang überhaupt transportiert – Geheimnisse der Theaterwelt!

Aber das ist erst der Anfang der Führung. Der Intendant zeigt uns das gigantische Foyer, das sich über mehrere Ebenen erstreckt, nahtlos in ein Restaurant und Café, eine Bühne für experimentelles Musiktheater (wird eröffnet mit einer Achim Freyer-Produktion) und eine Black Box übergeht. Durch eine Tür betreten wir den neuen Probenraum des Brucknerorchesters – ein fantastischer Kontrabassist übt so, dass es wie ein Cello klingt. Der Raum ist riesig, quadratisch und hat goldene Wände. Es klingt phänomenal.

Gleichzeitig mit uns ist eine große Führung mit knapp 20 Besuchern unterwegs, die sichtlich staunen und begeistert sind. Es handelt sich um Linzer Bürger, die sich ihr neues Haus anschauen wollen. Obwohl  hier und da noch Kabel rumliegen, macht das Ganze schon einen fast fertigen Eindruck. Ganz anders als in Berlin oder Hamburg, denke ich. Die festliche Eröffnung ist im April, natürlich mit einer Uraufführung, Philip Glass und Peter Handke haben ein neues Stück geschaffen

„Ich will, dass dieses Haus immer offen ist – die Leute sollen sich dort gerne aufhalten. Das Café ist von morgens bis abends geöffnet. Es ist ein Experiment – das hat noch nie jemand so versucht“. Er zeigt uns einen Seitenraum: „Hier können Sie in 3D die Entstehung einer Oper sehen, auf sich bewegenden Wänden.“. Es gibt eine Art virtueller Bibliothek, in der man sich über Orchestration informieren kann. Aber nicht nur das: für eine Art gigantische Musikmaschine, die das Foyer überragt, kann jeder selber Musik komponieren. Entweder live auf einem digital angekoppelten Bandoneon oder mittels Datenübertragung. „Was sagt die AKM dazu?“ frage ich (Die AKM ist die österreichische „GEMA“). Mennicken lacht.

Wir gehen auf eine lange Wand zu: „Hier werden Sie einen Überblick über die gesamte Operngeschichte sehen – von Monteverdi bis Henze. Wir benutzen modernste digitale Videotechnik, die auf Bewegungen reagiert. Sie nähern sich der Installation, und plötzlich fängt die Callas an zu singen und auf Sie zuzugehen!“. Das Ganze ist Teil einer frei verfügbaren virtuellen Musikbibliothek, die jedermann offen ist und ständig aktualisiert wird, damit es nach Henze auch weitergehen kann.

Inzwischen ist Dr. Heribert Schröder zu uns gestoßen, der Künstlerische Direktor des Brucknerorchesters (aktuell geleitet vom umtriebigen Dennis Russell Davies, der sich stets für zeitgenössische Musik einsetzt). „Wissen Sie, wenn ich meinen Kollegen in Deutschland erzähle, was wir hier machen, können sie es nicht fassen! Sie fragen mich: Wie könnt ihr das alles finanzieren? In Deutschland wäre all das, was wir hier machen, inzwischen unmöglich“. Mennicken ergänzt: „Es wurmt uns schon, bei aller Freude – wir haben hier ein ganz seltsames Publicityproblem: In Hamburg und Berlin klappt nichts, und alle schreiben darüber. Bei uns dagegen: Wir sind immer im Bauplan geblieben, das Land stand finanziell stets hinter uns, es gab keine größeren Katastrophen oder Fehlkalkulationen, die Architekten und Konstrukteure haben gute Arbeit geleistet, alles wird so, wie wir es uns wünschen. Und niemand schreibt!“

Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Was hier in Linz geschieht, ist natürlich gut und richtig – ein Opernhaus für die Stadt, für die Bürger, für die Welt. Und es ist noch nicht einmal eine sehr große Stadt – Linz hat unter 200.000 Einwohner. Aber das neue Opernhaus (das schon jetzt bis zum Ende des Jahres ausverkauft ist) wird natürlich Besucher in Scharen anziehen, Touristen aus aller Welt werden die Bruckner-Stadt besuchen und sich eine Aufführung anschauen. Davon wird auch das Tourismusgewerbe profitieren, ebenso die Restaurants, Bars, Hotels und Cafés der Stadt. Wie überall wo es ein schönes Theater im Zentrum einer Stadt gibt, wird der Stadtkern belebt – anstelle eines anonymen Multiplexkinos steht dann ein Bauwerk in der Mitte der Stadt, das alle kennen, wo man sich treffen und flanieren kann, wo man sich den ganzen Tag über aufhalten kann. Davon profitieren auch Menschen, die nie dieses Theater betreten werden – die Stadt wird reicher an Inhalt, an Kultur, an Lebensqualität.

Während es in Deutschland immer mehr um andere Dinge geht, besinnt sich Österreich schlicht und einfach darauf, dass es sich bei ihrer Kultur um einen ihrer wichtigsten Exportartikel handelt. Und das ist – wie man hier sehen kann – kein Fehler.

Glückliches Österreich.

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3 Antworten

  1. peh sagt:

    zwei drehbuehnen! in stuttgart soll es ein haus geben, dessen neueroefnnung bereits mehrfach verschoben werden musste, weil eine, die einzige drehbuehne nicht funktioniert hat …

  2. Teleskop sagt:

    Also, für 6,8 Milliarden sollte man eigentlich meinen, daß im Bahnhof dort mehr als nur eine Drehbühne drin sein sollte…

  1. 7. Februar 2013

    […] Moritz’ Linzer Musiktheater-Beitrag nur dort zu kommentieren, hier ein paar Anmerkungen zu weiteren Hintergründen: Wir, von den […]