Musik als Folter

mabuse_traum

Neulich las ich einen Artikel über eine Tagung in Göttingen („Geräusch, das quält, schmerzt und tötet“, Tomasz Kurianowicz, FAZ 11.5.2011), in der allein über die Benutzung von Musik als Foltermethode gesprochen wurde.
Das Themenfeld war weit gefasst: angefangen von Orchestern in Konzentrationslagern (umgekehrte Musikfolter: gute Musiker wurden gezwungen, ihren Leidensgenossen Märsche vorzuspielen) bis zu Musik als Folterinstrument in chinesischen, griechischen, argentinischen Gefängnissen, und natürlich….in Guantánamo. Wer weiß, vielleicht wurde das entscheidende Geständnis das zur Auffindung von Bin Laden führte durch Verwendung einer Melodie aus der „Sesamstraße“ erpresst? Deren amerikanischer Hauptkomponist – Christopher Cerf – fand nämlich heraus, dass besonders seine Melodien für die Sesamstraße den Häftlingen in hoher Lautstärke vorgespielt wurden, und diese in den Wahnsinn, bzw. ins Geständnis trieb.

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Musikalische Folter ist sicherlich noch längst nicht ausgeschöpft. Sie beginnt im Alltag und hat viele Gesichter. Sie begegnet uns überall, z.B. in der Warteschleife eines Call-Centers, im Fahrstuhl eines Kaufhauses, in einem Café, in einer Werbesendung im Fernsehen. Selbst der musikalisch offenste Mensch wird irgendwann einmal auf Musik stoßen, die er/sie einfach nicht ausstehen kann. Und der man dann nicht ausweichen kann.

Dies kann übrigens auch Musik sein, die man mag. In München z.B. kämpften Liebhaber klassischer Musik jahrelang erfolglos darum, dass man die Haltestelle Giselastraße (eine der wenigen „problematischen“ Haltestellen im U/S-Bahnbereich München mit hoher Kriminalitätsrate und Drogenkonsum) doch bitte nicht mehr mit Tschaikowskys wunderschöner „Serenade für Streicher“ beschallen sollte, bei aller Liebe zu diesem Stück. Irgendwelche Psychologen hatten nämlich herausgefunden, dass diese Musik „obdachlose Herumlungerer“(Polizeijargon) wunderbar vertreiben würde – diese würden nämlich soviel schöne Musik gar nicht aushalten und könnten dann nicht einschlafen.
Auch die von einem selber am meisten geliebte Musik würde einen ziemlich nerven, würde sie in großer Lautstärke in der Wohnung unter dem eigenen Schlafzimmer gespielt.
Es ist klar: Musik ist situativ, an eine bestimmte Situation gebunden, in der man für sie offen ist. In einer anderen Situation (z.B. in einer Gefängniszelle in Guantánamo bei Schlafentzug) wirkt sie störend. Alex, dem Held aus Anthony Burgess‘ „Uhrwerk Orange“, wird sogar die von ihm am meisten geliebte Musik (Beethovens 9.) zum Fluch, nachdem sie ihm unter der „Ludovico“-Methode endlos zu Gewaltvideos vorgespielt wurde.

Wie steht es mit Neuer Musik? Bisher wurde sie für Foltern noch nicht entdeckt (außer dies geschieht in nordkoeranischen Gefängnissen und wir wissen einfach nichts davon), aber der Gedanke liegt nicht fern. Beispiele würden einem genug einfallen.
Richard Wagner war vielleicht einer der ersten die erkannten, dass Konsequenz in der musikalischen Sprache manchmal wichtiger ist, als dass es stets für den Hörer ein Genuss ist.
Bayreuth ist eine Art Vergnügungs-Guantánamo für die zur „Jüngerschaft“ deklarierte Zuhörerschaft des Wagnerschen Gesamtkunstwerkes. Ein Hauch Masochismus muss dabei sein – die Bänke sind hart (auch Kirchenstühle sind es), die Verzückung (Läuterung) muss hart erarbeitet werden. Wagner wurde in gewisser Weise erfolgreicher, je langweiliger und schablonenhafter seine Musik wurde – sie wurde aber damit gleichzeitig für die Jünger fassbarer und verständlicher. Wenn ein Leitmotiv zum tausendsten Mal wiederholt wird, quasi in den Kopf des willfährigen Folteropfers gehämmert wird, versteht es auch der weniger musikalische Hörer.
Menschen lieben Folter – so lange sie sich ihr freiwillig unterziehen. Ein bisschen Lust an der eigenen Folter kann auch in einem Neue-Musik-Konzert aufkommen. Im richtigen Kontext ist es tatsächlich weder wichtig, ob ein Stück „schön“ oder „unterhaltsam“ ist. Wenn es weh tut, „extrem“ ist, Kontroversen auslöst, Gesprächsstoff liefert, ist es „gut“. Das heißt aber nicht, dass sich irgendeiner der Konzertbesucher die selbe Musik freiwillig zu Hause anhören würde. Da wird dann lieber Bob Dylan aufgelegt (der wiederum für mich die schlimmste Folter ist).

Es kommt also auf den Moment an. Erfolgreich sind Komponisten, die die Anforderung des Moments in seiner Gänze begreifen und das „richtige“ dafür abliefern. Hält mir Dror Feiler in der Mitte der Nacht einen Lautsprecher mit einem seiner lauten Orchesterstücke ans Ohr, hasse ich ihn. Höre ich dasselbe Stück in einem musica viva – Konzert, hasse ich ihn vielleicht auch, aber das wird aufgewogen dadurch, dass man nachher dufte darüber reden kann und sich irgendwie eines mit den „armen Palästinensern“ oder so fühlt. Jedem Tierchen sein Pläsierchen, bzw. sein eigener Gaza-Streifen.

In Theorie, in Tönen, in Gedankengebäuden kann man gerne mal ein bisschen mitleiden, ohne Gefahr für Leib und Seele zu riskieren. Schließlich schauen wir ja auch gerne Horrorfilme, in denen Morden und Gemetzel zu einer Art Katharsis führt, warum also nicht auch ein vierstündiges Streichquartett von Feldman durchhalten? Am Ende wartet die Läuterung.

Das Problem ist nicht, dass es so ist. Ich selber mag Horrorfilme und manchmal auch Feldman. Das, was man durchlitten hat, liebt man oft am meisten. Nicht umsonst ist der Geburtsschmerz Teil der Mutter-Kind-Bindung. Das Problem ist nur, wenn die Pose des „Schmerzhaften“ fast nur noch dominiert, und das andere quasi nicht mehr existiert, wenn also das Lustvolle an der Musik verloren geht, weil sie Exerzitium, Mittel zum Zweck geworden ist. Ein Großteil zeitgenössischer Kunst will vor allem Denkanstoß, eine Diskussionsgrundlage sein, will „weh tun“. Irgendwann stumpft aber auch das „Radikale“, die „Verweigerungshaltung“, die „Kritik eingefahrener Denkmuster“ ab, selbst wenn sie so einen so richtig geil abquält.
Es gibt allein eine Erklärung, warum das Quälen, nicht das Unterhalten, nach wie vor in der ambitionierten Kunst so dominant ist: Wer gequält wird, fühlt sich so richtig schön lebendig. Aber sind musiklische Grenzerfahrungen (und nach denen sehnen wir uns) nicht auch auf andere Weise möglich?

Diese Möglichkeiten zu erforschen, wäre doch mal interessant. Musik die weder so dumpf ist, dass sie in Guantánamo quälen kann, aber auch nicht so selbstquälerisch, dass sie den Lebensdurst auf besonders verquaste Weise befriedigt, nämlich durch die komplette Negation alles Lebendigen und dessen Amalgamierung als Antithese.

Moritz Eggert

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5 Antworten

  1. querstand sagt:

    Angesichts Guantanamo und der dortigen Musikfoltereien sollte man bei Neuer Musik den Vergleich mit Folter vermeiden. Wie Moritz sagt, unterzieht man sich in Konzerten doch mehr oder minder freiwillig dem Getöse, wird darauf hingewiesen, ist es aus dem Kontext eines Konzert mit „kritischer“, „aufrüttelnder“ Musik heraus zu erwarten. So war Skandalon Dror Feiler bei der musica viva samt einmal erfolgter Stückabsetzung wieder ein typischer Sturm im Wasserglas. Dass die Musik als laut angekündigt worden wurde, war eher noch das i-Tüpfelchen einerseits für Musiker, die endlich mal die EU-Lärmschutzrichtlinie aus welchem Frust auch immer ausser dem Feilerstück auf sich ultimativ, musikzensierend auf sich angewandt wissen wollten. Dazu natürlich der ganze Radau um Feilers Einstellung zu Nahostthemen. Eine herrlich Ur-, besser Unsuppe. Letztlich war es in der Wirkung wie ein Crossover-Projekt. Statt kreuzbraver Softrock und Rattle samt Berliner Schönklangharmoniker zu sein war es Hardrock mit Wichtigtuer-Headbanging aller Couleur vor Konzertbeginn. Die Musik selbst war Alles andere als Folter, nicht mal deren Lautstärke.

    Schaut man nochmals an all die Weltecken, wo Musik zur psychischen Demütigung und Zerstörung eingesetzt wird, sei es in Kerkern oder an Politsystemendemarkationslinien, ist es die Lautstärke, der echte physikalische Lärm, der eingesetzt wird. Der Inhalt kommt zwar auch dazu – so kann man Gläubige mit aller Art sexueller Freizügigkeit belasten oder einen Anhänger von FKK mit lebenslangem Burkatragen belärmen. Das Hauptmittel zur Menschenvernichtung ist und bleibt der Lärm.

    Denkt man an unbewaffnete Schiffe vor Somalia, war doch eine Zeit lang der Einsatz von gerichteten Lärmquellen als Verteidigung im Gespräch, der natürlich genauso schädigend ist wie jede andere Körperfolter. So ähnliche Klänge vernimmt man übrigens immer wieder in Bankfoyers, die damit Dauergäste wie z.B. Obdachlose vertreiben wollen, nachdem die Türen dieser Eingangsbereiche offen sind, nicht mehr mit der Bankkarte geöffnet werden müssen. Übrigens sind die klassischen U-Bahn-Stations-Musiken derart schlecht in der Tonqualität, werden die zum Teil über die Alarmsirenen eingespielt, sind immer eine Nuance zu laut, so dass es eben nicht die Klassik an sich ist, nein, es ist wieder der Lärm. Ein paar Dezibel leiser und es wäre schnurzpiepegal, was da herausschallte, würde der zugedröhnteste Discoheimkehrer keinen Anstoss daran nehmen.

    Spannend auch die Frage, warum sich inzwischen ganze Generationen mit Lärm, als extrem laut abgespielter Musik, freiwillig schädigen. Es ist nicht nur Sound, es sind ja auch Piercings, Brandings und sonstige Körpermodifikationen wie Botoxspritzen, Silikonimplantate, ja Metalleinpflanzungen. Irgendwann diente es wohl dem Protest gegen die „Bürgerlichkeit“, mancher stösst sich heute noch daran. Dennoch sind diese Dinge doch „angekommen“. Ob Tattoo oder Botox, jede „peergroup“ ob „alternativ“ oder „pseudobourgeois“ trotz ihren Angehörigen körperlichen Schmerz ab. Nur kann man bei den meisten Veränderungen des Körpers trotzdem noch gut riechen, tasten, schmecken und sehen. Mit der Lärmmusik wird es aber ernster, geht es fast ein wenig in Richtung Drogen, die genauso im Kopf irreversible Nervenveränderungen hervorrufen können.

    Wobei bewusst erlebter Lärm auf Tanzevents oder auch mal am Kopfhörer nicht sofort zur Hörverschlechterung führen müssen. Allerdings wohl über einen längeren Zeitraum als einfach gegeben, somit unbewusst erlebt, von Tag zu Tag, führt zu Hörproblemen, die man aber billigend in Kauf nimmt, das Hörverhalten kaum ändert. Als eingefleischter Klassikfan muss ich selbst gestehen, dass lautaufgedrehte Musik in den Kopfhörern einfach schöner ist als ein Ohrengesäusel, das immer noch Umgebungsklänge durchläßt. Höhere Lärmpegel denn je in der Geschichte gehören heute wohl einfach dazu, um anderen, für einen selbst ungeordneteren Lärm zu ertragen, sei es Verkehr, sei es die Musik und das Gefeiere anderer Leute. Manchmal erwischt man sich doch dabei, mit Musik oder TV-Geräuschen besser einschlafen zu können als bei feinster Stille.

    Nochmals zur „Neuen Musik“ und ihrem Lärmverdacht. Hier ist es doch immer die Inhaltsebene oder Zuspielungen, die so scheppern, dass sie an die U-Bahn-Sirenen erinnern. Nach mehrmaligen Hören gewöhnt man sich aber auch daran. Neue Musik kann wohl doch zuerst einmal unbequem sein, ob löwenlaut oder mäuschenstill, wenn sie die berühmten Hörgewohnheiten untergräbt. Dann ziehen Klassikfans wie Hardrockfreunde gegen sie vom Leder. Wenige Zeit später findet man sich supercool, wenn man vor Anderen darüber prahlen kann, doch dabei gewesen zu sein, sofern natürlich das Neue-Musik-Ereignis überhaupt Partygesprächsstoff wird. So kann es Mode werden, jene Musik im Schrank oder auf dem PC zu haben, wie es Ligeti im Gefolge Kubricks geschah oder wie es gerne auch mal KollegInnen widerfährt, die in Elektrogefilden wildern, wie plötzlich ganze Generationen sich vor einigen Jahrhunderten in Korsagen quetschen liessen, es heute sogar wieder tun…

    Und was ärgert mich? Lustig, wie Clockwork Orange immer wieder im Bereich der Musikfolter auftaucht. Hier liegt aber der Fall vor, dass einem ultimativen Beethoven-Fan, der ihn wohl besonders von der totalitären Einvernehmung dessen zu lieben scheint, sein höchstes Musikgut zur Qual wird. Wie gesagt, bei mir bisher bekannten Foltermethoden spielt man den Opfern Musik vor, die sie als besonders verachtenswert empfinden. Es ist schon interessant, wie im Gefolge dieses Filmes unter den Populärmusikfreunden ein expliziter Beethoven- und Klassikhass in die Welt gesetzt wurde, wie sich diese Hasser mit Alex im Einklang fühlen, der doch solch ein Beethovenverehrer ist. Dabei geht der Film doch einigermassen klüger mit der Kontextualisierung von Musik ins Gericht, zeigt deren Doppelbödigkeit, als jene selbsternannten Kubrickfans dann Beethoven und die gesamte Klassik verteufeln, statt den Gebrauch von Musik, wie man es an Beethoven erleben kann: nur scheint im Sinne eines allgemeinen Bildungsverlustes dieser Film einer differenzierten Beethovensicht mehr geschadet zu haben als jeder Missbrauch seiner Musik durch die Nazis wie die Sowjets. So erzeugt der eine Gedankenmüll den nächsten Lärmunrat, natürlich nur den im Sinne psychologisierender Kontexte…

    Gruß,
    A. Strauch

  2. Sebastian Hess sagt:

    Na, dann lob ich mir mal die Leitmotivtechnik bei JW/Star Wars :-)

  3. Sebastian Hess sagt:

    Na, dann lob ich mir mal die Leitmotivtechnik bei JW/Star Wars :-)

  4. Erik Janson sagt:

    Na, ich geb erst mal nicht meine persönliche Liste mit meinen Foltermusik-Favourits bekannt.

    Buona notte,
    Erik

  5. strieder sagt:

    @Moritz: Ich bin ja eigentlich nur deshalb erwachsen geworden, um der Folter durch Kinderlieder und Disney zu entgehen … ;)

    @Alexander: Clockwork Orange wird meiner Meinung nach von Moritz einwandfrei erläutert. Ich meine da übrigens andere Parallelen zu entdecken. So kenne ich Leute, die den Pierrot Lunaire mit Kakerlaken, Blut und Schlachthaus assoziieren. Und das nur wegen eines billigen Films von O. Herrmann zur Musik. Auch sonst scheinen viele Menschen Dissonanzen usw. mit Horror zu assoziieren, und das nur weil sie ähnliche Klänge zum ersten mal in Horrorfilmen hörten. Ich erinnere mich just an eine Doku über einige Komponisten (u.a. Rihm, Boulez und Berio), die Musikbeispiele waren mit Videos aus dem Themengebiet Wasser/Meer unterlegt. Bei einer schönen Stelle aus Berios „Formazoni“ wurde das ermorden von Walen gezeigt, blutgefärbtes Wasser …

    Viele Grüsse!

    Nachtrag: À propos Neue Musik und EU-Lärmschutzrichtlinie. Anlässlich der neuen Lärmschutzrichtlinien im Jahre 2007 war Zubin Mehta im Fernsehen zu sehen und gab zu Protokoll (aus dem Gedächtnis zitiert): „Wir können viele Werke aus der Spätromantik nicht mehr spielen, und wir können überhaupt keine Neue Musik mehr spielen.“