Kit Armstrong als Komponist

Ich gebe zu: ich bin nur hingegangen, weil eine Freundin mich einlud, denn ich interessiere mich nicht für den High-End-Klassikbetrieb. Vor dem Konzert informierte ich mich auf Wikipedia. Dort las ich, dass Kit Armstrong für Alfred Brendel die größte musikalische Begabung sei, der er in seinem ganzen Leben begegnet ist. Ich war enttäuscht, dass Alfred Brendel sich zu einer solchen Aussage hinreißen ließ. Natürlich war ich jetzt gespannt auf das Konzert, vor allem auch, weil Kit Armstrong, der vor allem als Pianist bekannt ist, auch Komponist ist und in diesem Konzert ein Stück von ihm uraufgeführt wurde, „Toccata“ für Klarinette und Orchester. Es spielte das hervorragende Zürcher Kammerorchester unter Paul Meyer in der Alten Oper Frankfurt. Nach einer niedlichen Sinfonietta von Albert Roussel kam dann Mr Armstrong etwas schlacksig-steif auf die Bühne, der, ja immerhin schon 19 Jahre alt, noch aussieht wie ein unbedarfter 13-Jähriger. Es gab Bach, Klavierkonzerte BWV 1055 und 1058, ich konnte mich nicht daran gewöhnen, es auf einem modernen Flügel zu hören, aber das ist wohl Geschmackssache. Ich konnte mich, abgesehen davon, dass der Charakter eines modernen Klaviers meiner Meinung nach Bach nicht gerecht wird, auch ansonsten nicht mit dem Spiel anfreunden. Es wirkte kalt, zwar nicht arrogant, aber unnötig introvertiert. Das Orchester musste sich bemühen, nicht den Pianisten zu übertönen.

Werbung

Dann kam Kit Armstrongs „Toccata“. Ich verharrte während des ganzen Stücks in der Schwebe zwischen Gleichgültigkeit der Musik gegenüber und Mitleid mit Kit Armstrong, der ein sehr merkwürdiges Leben führen muss und dann noch langweilige Musik komponiert. Es ist unnötig, auf Details einzugehen, es genügen folgende Schlagworte: semi-tonal, tonale Gestik, moderne angelsächsische Romantik.

Es war ein bisschen wie „Kinder-Wetten-dass?“. Ein kleiner Junge zeigt, was er kann. Er kann viel, sicher mehr als viele andere (ältere), aber gerade was sein Stück betrifft blieb der Eindruck, dass da einer etwas zeigen muss, was noch nicht reif ist. Es war völlig offensichtlich, dass es seine Jugend ist, die da vom Betrieb ausgebeutet wird. Denn wo er sich als Pianist vielleicht nicht mehr entwickeln muss, da muss er als Komponist noch viel lernen.

Ja, es lag eine schwermütige Gleichgültigkeit über dem Konzert. Irritierend, man müsste meinen, ein 19-Jähriger wollte vielleicht wenigstens auch ein bisschen die Welt anzünden. Kein Furor, kein Aufbegehren, kein gar nichts. Dafür wieder einmal bildungsbürgerliche Leistungsschau. Natürlich wurde Bravo gerufen, für etwas, das leer war.  Das unheimlichste daran ist aber, dass Mr Armstrong sich so dem Geschehen hingibt, seinem eigenen Tun völlig unreflektiert gegenüber zu stehen scheint. Warum komponiert er? Was bedeutet ihm Musik? Was IST Musik? Oder: was könnte sein Beitrag zur Definition von Musik sein? Über so etwas denkt er nicht nach, genau wie die Zehntausende, die ihn jährlich auf den Bühnen der Welt hören. Wir werden hohl gemacht. Selbst ein hyperintelligenter Kit Armstrong ist davor nicht gefeit, das macht mir Angst.

8 Antworten

  1. juancho sagt:

    Danke für diesen Eindruck. Werde den Wunderknaben im Januar solo hören: Bach und Liszt, h-Moll-Sonate. Bin schon sehr gespannt. Ähnlich ratlos machte mich übrigens vor einiger Zeit ein Solo-Abend mit Martin Stadtfeld (Toccaten von Bach, Schumann und Prokofiev); er wirkte ausgelaugt und abwesend. Vielleicht auch das frühe Verschleißerscheinungen.

  2. Elf Aquitaine sagt:

    Vielleicht dämmert ja Herrn Stadtfeld und Herrn Armstrong in einsamen Stunden, dass sie wie viele andere Reproduktionskünstler dazu verdammt sind, die nächsten 40 Jahre ihres Künstlerlebens mit den immer gleichen, überschaubaren und bereits tausend mal umgegrabenen Werken von Neunkirchen bis Bad Wildsee touren müssen.
    Dabei ein zunehmend vergreisendes Publikum vor sich, das nichts anderes als „seinen“ Bach-Mozart-Beethoven etc. hören möchte. Hinter der Bühne warten dann die eilfertigen Manager der verbliebenen Klassiklabel, die eine Vorsteuer-Rendite von mindestens 8 Prozent erwarten, sonst fliegen die Hochglanz-Künstler nämlich aus dem Katalog.

    Das gesamte, überkommene Großkünstlertum aus dem 19. Jahrhundert funktioniert doch nur noch so und ist letztendlich ein trauriges Schicksal.

  3. querstand sagt:

    Wann gibt’s endlich im privaten TV exklusiv die Suche nach dem alljährlichen Superpianisten? Jeder der schwarze Tasten trifft, malt sich sein eigenes Stadtfeld-Dasein aus, die Jugend greift sinnlos in die Tasten, Katzenklavierkonzerte in jeder zur Halfpipehalle umfunktionierten Philharmonie…

  4. Michael H. Gerloff sagt:

    Daß „Reproduktionskünstlern“ die Wiederkehr des Ewiggleichen drohe, mag für die (nicht negativ gemeinte) Masse zutreffen. Aber dennoch bleibt ihnen auch der eigene Weg. So, wie ihn Gulda oder Brendel oder Bartoli gegangen sind bzw. gehen. Indem sie ihr Repetoire mit Unbekanntem erweitern. Und damit auch durchaus jüngeres Publikum erreichen.

    Die Öffentlich-Rechtlichen haben ja schon gezeigt, daß sie auch „Privat“ können und die Superoper und den Supermusiker gesucht – und gefunden. Auch der Echo zeigt, daß man keine Angst vor den Privaten hat und kein Niveau zu tief, daß man es nicht erreiche.

    Aber das alles kann mich nicht erschüttern, so lang es solche Sendungen wie die „Interpretationen“ oder zur Neuen Musik im ÖR gibt. (Und nachdem ich gestern acht Stunden Ausschnitte aus „DSDS“ gesehen habe, bin ich eh geläutert und freue mich über meinen kleinen Garten, den ich mit eigenen Früchten bestellen kann.)

  5. eggy sagt:

    @Elf Aquitaine:
    Yeah!
    @Mathias:
    Die Geschichte wiederholt sich immer wieder – auf den ersten CD’s der jeweils aktuellen Piano-Wunderkinder finden sich durchaus immer wieder mal Eigenkompositionen, damit soll werbetechnisch gezeigt werden, dass es sich hier um neue Mozarts etc. handelt, die – man staune – auch komponieren können. Sobald dies im Bewusstsein der Leute verankert ist, kann man das dann auch lassen, denn es belastet nur die Konzertveranstalter (selbst das harmlose Stückchen von Armstrong will bei der GEMA bezahlt werden und gefällt eventuell nicht allen Spießern im Publikum). Ich prophezeie: in wenigen Jahren wird man keinerlei Kompositionen von Armstrong mehr hören, außer er hat so viel Charakter und Willensstärke wie Gulda (der aus dem Betrieb ausbrechen konnte).
    Ach, wo sind sie, die Exzentriker von heute….seufz!

    Moritz Eggert

  6. querstand sagt:

    Hoffnung: Vielleicht zieht er seine “Toccata” eines Tages genauso zurück wie seine erste Sinfonie. Liest man das folgende Zitat übrigens aus dem Zusammenhang gerissen, folgen besserverdienende Alleinerziehende Armstrongs Mutter, dann drohen doch DSDSp-Zeiten. Kitty, äh Kit, ist wohl doch nicht eine “cat”:
    “Irgendwann schenkte sie ihm ein Keyboard, auf dem komponierte er mit sieben Jahren seine erste Sinfonie, Celebration, die kurz darauf vom Pacific Symphony Orchestra uraufgeführt, von ihm selbst aber mittlerweile verboten wurde: ‘Ich mag sie nicht mehr’, sagt er, ’sie reizt die Möglichkeiten eines Orchesters nicht aus.’ ” Aus einem SZ-Magazin-Interview.
    Klangen die weniger virtuosen Stellen seiner Toccata allerdings so, wie jenes “Catcerto”, drohen uns doch noch “Mein-Erstes-Keyboard-Stars” samt “Halfpipe-Philharmonien”. Die Kirchen wracken ja schon schleichend leerstehende Kirchen ab, die Kommunen dann, die Litauer jenes Catdings als Vorbild nehmend…
    Oder Cat, äh, natürlich Kit the Kid Armstrong lässt das komponieren und wird zu einem Domino-Benjamin-Button, also jung-jünger-jung, etc. und spielt Bach immer wie als Achtjähriger.
    Aber Hoffnung: nachdem der heutige Mensch gerne noch im höheren Alter ein Aufblühen hinlegen kann, wo er sich früher unter das Gras legte, könnte Mister Armstrong doch noch Wege nehmen, die Brendel letztlich recht behalten lassen, bzw. was ist eigentl. an einem auf dem Flügel, zurückhaltend gespielten Bach einzuwenden? Ein Streit um des Kaisers Bart, wenn letztlich die Interpretation mit den gewählten Mitteln konform geht bzw.: ich bin dem Pianisten erstmal wohlgesonnen, ihm Zeit zur weiteren Reife wünschend, warum nicht dem Komponisten irgendwann auch? Aus meiner egozentrischen Warte stehe ich meinen Sachen mit 19 Jahren genauso kritisch gegenüber wie Armstrong jetzt schon seiner Sinfonie, sieht man später Jugendsünden selbst wieder etwas milder, könnte man Armstrong in seinen Salonpetitessen (www.youtube.com/watch?v=ekDPrwtqJPA) doch als begabter einschätzen als die frühen Rihm-Romanzen…

  7. querstand sagt:

    linknachtrag: Kit als 8-jähriger mit Bach, catcerto. Viel Grusel und ein wenig Spass, Querstand alias A. Strauch

  8. olehuebner sagt:

    habe den namen kit armstrong erst vor etwa zwei monaten das erste mal gehört, als er in hannover eigene werke konzertierte. hat mich nicht wirklich interessiert. dass er 18 ist, erfuhr ich erst heute. gegoogelt und gleich mal erschreckt über die vielfalt bildungsbürgerlich orientierter „künstlerfotos“, die, i.m.o., eher nach managerprofil auf xing aussehen. jedenfalls nicht nach komponist, der was zu sagen hat. überhaupt, wer so als klaviervirtuose karriere macht, sollte nicht komponieren. was dabei rauskommt, ist ja klar, denn ein interpret, der sich in den dienst quasi-romantischer virtuositätsgeilheit in verbindung mit kommerziellen bestrebungen der ihn ausnehmenden musikindustrie stellt, wird auch dementsprechend komponieren. im ernst, eher sollte man noch justin bieber hören. da kann man zwar musikalisch auch das hirn ausschalten, aber der wiederum ist 1. vital und nicht stiff, 2. keiner wird auf einem konzert von ihm vor lauter klangwellness einschlafen weil man da eher ein bisschen abgeht, 3. er ist immerhin ein bisschen geeignet um eltern zu provozieren. oder man hört einfach nicht auf alfred brendel, sondern z.b. auf sebastian berweck, der ist nämlich viel cooler.