Dosenschlagen in New York Teil 2: Mr. Met

Das World Financial Center ist ein riesiger Gebäudekomplex das wabenartig von Geschäften und Verkaufspassagen durchzogen ist. In der Mitte des Gebäudes gibt es einen großen Innenhof, der theatralisch von einer großen Freitreppe gesäumt ist. Dies ist der „Winter Garden“, der Ort des Bang on a Can – Marathon. Theoretisch gibt es hier Platz für 2000 Menschen. Oder für zwei amerikanische Autos, nebeneinander geparkt.

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Heute gibt es Soundcheck: Das folgt einem streng durchorganisierten System unter extremen Zeitdruck, doch alle bleiben nach außen hin cool. Man kriegt ein Schildchen umgehängt: „hier ist der Green Room für die Künstler (in dessen Klo das Licht nicht funktioniert), hier ist dein Sicherheitsausweis zum Umhängen, hier geht es auf die Bühne“.
QNG (Quartet New Generation) sind zuerst dran – tapfer blasen sie in ihre Blockflöten in allen erdenklichen Größen bis Susanne Fröhlich die Flöte absetzt und schüchtern fragt „Hört man uns überhaupt?“. Nicht wirklich – denn obwohl alle Instrumente verstärkt werden, verliert sich alles in dem kathedralenartigen Klang des Winter Gardens. Hinzu kommt, dass ständig Touristengruppen durch die Halle geführt werden, deren Führer lauthals das Geschehen auf der Bühne kommentieren: „This is a kind of music festival. Oh yes, it’s a different kind of music. You can hear that, can’t you?“. Die Touristengruppe zieht weiter, verwirrt.
Sruly von Bang on a Can ist ein großer Deutschland-Fan: “Letztlich kommen wir Komponisten doch alle ständig zu euch, weil bei euch so viel los ist”. Ich versuche ihm zu erklären, dass in Deutschland auch nur vieles im eigenen Saft kocht. „Really? That’s sad…I thought we were the ones that sucked“.
Beim Soundcheck von QNG gibt es plötzlich ein heftiges Feedback. Ohrenschädigend, wie sich später herausstellen sollte. Später versuchen wir in einem Salon des Hotels Michiel Mensinghs sehr schönes Stück für Blockflötenquartett und Klavier zu proben – als viel schwieriger als die Musik gestaltet sich das Abschalten der dröhnenden Muzak in dem Ballsaal, in dem der Flügel steht.

Schließlich, nach einem live angeschauten Baseballspiel (Mets gegen Twins, die Mets spielen desaströs trotz abgebildetem Maskottchen „Mr. Met“) und einem nicht live angeschautem Fußballspiel (Ghana gegen USA, die USA spielen desaströs trotz mitgebrachtem Maskottchen Bill Clinton), sitze ich mit Freunden im Financial District in einem mexikanischen Restaurant. Plötzlich knallt es zwischen den Wolkenkratzern, ein Wummern wie von schrecklichen Explosionen. Alle sind kurz beunruhigt. Dann riecht es nach Schiesspulver. Es war nur ein Feuerwerk.

David Lang in seinem Interview: "The World is looking for answers"

David Lang in seinem Interview: "The World is looking for answers"

Moritz Eggert

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4 Antworten

  1. peh sagt:

    schöne reportage. und wessen ohren sind geschädigt?

  2. eggy sagt:

    Beim Soundcheck gab es einen plötzlichen Feedbackton, der eine der QNG-Ladies mit einem Pfeifton im Ohr hinterliess. Diesen versuchte sie dann mittels ärztlicher Hilfe in den Griff zu bekommen, bekam aber in diversen Apotheken keine Verchreibung. Es wurde dann aber wieder besser.
    Der komplette Marathon-Bericht wird noch ein bißchen dauern, 12 Stunden Musik sind nicht so leicht zu komprimieren…

  3. peh sagt:

    lieber moritz,

    versuch’s doch mal hiermit
    http://www.zeit.de/2004/03/Kompaktierung

    zur not muss ein pokémon ran:
    http://www.pokewiki.de/Komprimator

  4. querstand sagt:

    @ eggy Proben mit Führungen – das erinnert mich an diverse Konzerte in Museen. Bei hiesigen Einrichtungen dieser Art ist es oft üblich, dass mitten in die stressigste Probe, die schon so während dem Publikumsverkehr stattfindet, eine Führung hereinplatzt, die dann ausführlichst und kräftigst – der Leiter der Gruppe versucht die Musik, und seien es Blechblas- und Schlaginstrumente, lauthals zu übertönen – die ausgestellte Kunst geschildert bekommen, der oder die Schildernde sich über die Musik beschwert, die hier jetzt nichts zu suchen hätte. Ein ganz eigener Eiertanz, in knapp kalkulierter Probenzeit, damit man eben nicht den Besichtigungsbetrieb stört – und dieser noch unter besonderen Beschuss!

    Fast möchte man dagegen die Führer im „Winter Garden“ ganz altdeutsch „artig“ nennen, wie sie leicht indigniert mit professionell antrainierter Höflichkeit auf die ungewohnten Klänge hinweisen.

    Generell allerdings amüsiert mich Daheimgebliebenen, dass selbst eine so neue Immobilie wie diese Glashalle zwischen den Gebäuden des WFC nach kürzester Zeit zur touristenwürdigen Attraktion wird. Hier müssen neue Kästen erst uralt und denkmalgeschützt bzw. abrissbedroht werden, um durch einfache Stadtführungen geadelt zu werden, auch wenn sie zuvor schon mal für „public viewing“ herhalten durften. Immerhin kann man so nur unter normalen Besucherandrang leidend oder sich freuend dort proben. Die Folge davon ist allerdings, dass kaum jemand den neuen Ort kennt und so dann das Konzert auch mal besucherärmer sein kann als im Alltagsverkehr.

    Kurzum, in Europa muss ein Ort steinalt sowie weit und breit bekannt sein, um Publikum anzulocken, dass sich dort Neue Musik anhören möchte. Oder dieser Ort wird gerade durch diese Performances allmählich bekannter, aber so langsam, dass die Neue Musik darin steinalt wird.

    In den Staaten ist anscheinend jede grössere Mall eine Attraktion, so dass sie es sofort in das lokale Tourismuskonzept schafft. Bevor dieser erste Hype dann nachläßt, darf selbst Neue Musik sich mal hereintrauen. Und bevor dann jemand „steinalt“ zum Gebäude oder der Neuen Musik dort sagen kann, ist der „Winter Garden“ oder jede x-beliebige Mall schon wieder durch was Neues ersetzt worden. Also ganz einfach: in den Staaten zeigt man einer breiten Masse besonders Stolz das Neue, in Europa eigentlich nur das Alte. Das läßt doch tief blicken: natürlich lieben die Amerikaner besonders unsere älteren Attraktionen, wobei diese auch oft mehr als max. 200 Jahre auf dem Buckel haben, so dass der US-Bürger es immer noch der eigenen Heimatgeschichte zuordnen kann.

    Besonders stolz ist er der Amerikaner aber doch eigentlich immer auf das Neueste, was er zeigen kann, was er oder zumindest seine Generation geschaffen hat. Wir freuen uns zwar auch beim Betrachten spektakulärer zeitgenössischer Architekturen und Kunstwerke. So richtig wohl fühlen wir uns aber erst, wenn wir vom Keltengrab hinten im Wald am Stadtrand schwärmen können! Wir sind immer besonders auf die Leistungen unserer Vorfahren, also anderer Menschen als wir es selbst sind, stolz.

    Nur lässt diese Lust der Amerikaner auf das Neue die Neue Musik im europäischen Sinne, also verkürzt auf postmodern-geräuschlich-spektral-komplexistisch-neueinfach, alt aussehen. Er erfreut sich doch lieber an Produkten, die maximal minimalistisch dröhnen und im Tran eher an „Nessun dorma“ oder „Summertime“ denken als an unser „Jawohl, Herr Hauptmann“ oder „Marie fortgelaufen“ oder „eSSSS W W WaRRRR eiNNNNMaLLL L“. Doch halt! Die von den Amerikanern geliebte Musik ist eigentlich gar nicht so alt, sondern wieder „some stuff“, der nicht älter als 200 Jahre alt ist bzw. trotz jungen, lebenden Schöpfer eben doch so ähnlich brummt, als sei es ein tönendes Neuschwanstein ohne Lohengrin und ein Hofbräuhaus ohne original besoffene Oberlandkapelle, also Neue Musik im breitesten amerikanischen Sinne. So vergessen die Staaten ihre Cages, Partchs und Feldmans, wie unsere Neue europäische Musik in den Staaten studierenden Freunde und Freundinnen auch eben jene unbeachtet lassen.

    Trotzdem macht einem dann doch die Höflichkeit und die generelle Neugier auf das Neue die Jungs und Mädels aus Amerika einem wieder sympathisch. Man will sie ja gar nicht zur europäischen Avantgarde bekehren. Man kann sich aber vorstellen, dass sich die breite Masse hierzulande auch offener für das Neue zeigt. Und die Spezialisten nicht Alles anhand unserer uralten neuen wie alten Tradition sofort einordnen. Der Fluch dabei ist allerdings, dass selbst die Spezialisten oder jene, die sich dafür halten, uns europäische Neue-Musik-Menschen nur verstehen können, wenn sie eben gerade den alten Kanon kennen, auf den sich jeder von uns dann mehr oder weniger trotz Sehnsucht auf das Neue wieder beruft bzw. berufen muss.

    Und die Amerikaner, die ein Faible für unser Verständnis von Neuer Musik haben, sind dann oft viel dogmatischer und härter im Urteil, als es selbst die schärfsten Europäer sind. Eine wunderbare Zwickmühle! Wie könnte man das lösen? In dem wir uns immer wieder den „einfachen“ amerikanischen Touristen vor Augen halten, seine Freude und Neugier auf die jungen europäischen Altertümer der letzten 200 Jahre uns zu eigen machen, wenn wir an unsere eigenen Neuheiten denken, die wir gerade zu Papier bringen wollen. Und nicht so sehr an die hohen Bildungslatten der hiesigen Neue-Musik-Freunde denken, auch wenn wir diese Latte dann wieder mal unmerklich etwas höher für jene legen, die Neugier unsereins aber auf die „einfachen“ neugierigen Hörer überspringen lassen.

    Denn bei uns in Europa ist es zwar immer anstrengender zwischen weniger Geld und mehr eingeforderter Relevanz bzw. Breitenwirksamkeit (so unterschiedlich beides sein mag, es wird oft parallel als unauflösliches Paar verlangt) nicht auch ständig „I thought we were the ones that sucked“ zu denken und sprechen. Die Möglichkeiten aber für Musik, die nicht nur in Malls passt oder so gerne „einfach und verständlich“ als Attitüde vor sich herträgt, also „harter Toback“ ist hierzulande immer noch in grösseren Konzerten zu hören, als an den Universitätsnischen in den Staaten. Wann aber werden sich grosse Orchester zu Open Airs mal an eine „Lulu-Suite“ oder an die „Gruppen“ heranwagen? Man müsste viel öfters gerade in diesen massentauglich gestimmten Rahmen einfach das Programm nur zu einem Teil ankündigen! So könnte man „Oper für Alle“ auch mal mit dem Vorspiel zu den „Soldaten“ versehen, so ganz aus Versehen…

    Die letzten Tage wurde ich einmal live wie via TV Zeuge von Klassik-Open-Airs. Live merkte ich, dass es manchen doch eher um die Sicht als das Hören oder das Sandwich und den harten Kieselsteinsitzplatz geht als die Musik. Das kann man noch überleben. Was mich aber im TV, auf 3Sat die Übertragung des Waldbühnenkonzerts der Berliner Philharmoniker, störte, waren die bevorzugten Publikumsablichtungen, wenn sich zwei Menschen in den Armen lagen, also das „Emotionale“ betont wurde. Dazu war aber auch das vielstückige Programm angetan, was nicht mal ein bisschen Traute zu Dissonanz aufwies. Da hielt es Kent Nagano auf dem Platz vor dem Münchner Nationaltheater schon strenger mit seinem Publikum: Debussy, sehr leise und selbst in La Mer nicht so knallend, sehr introvertiert und auf neue Formen weisend. Dann der Knaller Alpensinfonie, der aber ausserhalb der Höhepunkte Tonnen mehr Dissonanzen aufweist als die verwehteste Föhnfrisur von Rene Fleming. Dazu im Gegensatz zur Waldbühne Alles kostenlos!

    Also, ein japano-amerikanischer Dirigent bringt mehr Mut mit als die anglo-amerikanische Sängerin mit dem angeblich besten deutschen Berliner Orchester, dass aber krassere Klänge im öffentlichen Raum scheut, wie der Teufel das Weihwasser. Da gibt es also nur noch einen Wunsch: Möge das Berliner Henze-Musikschul-Orchester doch mal ein Hupkonzert auf der Waldbühne und im Winter Garden in New York geben! Und unbedingt Nagano mal heimlich statt Debussy und Strauss sich an das „Soldaten“ Vorspiel wagen…

    Aus der Ohrenwerkstatt,
    Euer Alexander Strauch