Gedanken über Christoph Schlingensief

Danke an Patrick für seinen kurzen Nachruf – ich hatte aber das Bedürfnis, auch noch etwas über Christoph S. zu schreiben. Es ist eine persönliche Sicht (man möge dies verzeihen), die natürlich von meiner Begegnung mit ihm geprägt ist.

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Ich muss ehrlich sein: Ich habe bei meiner Zusammenarbeit mit Schlingensief („Freax“, Oper Bonn/Beethovenfest, 2007) gelitten wie ein Schwein. Gelitten an der Indifferenz eines Menschen, den ich eigentlich schätzte und auf dessen Arbeit ich mich freute. Gelitten an den Lügen, die er im nachhinein über unsere Zusammenarbeit verbreitete, gelitten an seiner Behauptung ich hätte verboten, dass Behinderte in unserer Oper „Freax“ auftreten, wenn in Wirklichkeit genau das Gegenteil der Fall war: Seine Truppe bettelte darum, auf der Bühne mitmachen zu dürfen (und ich hatte mir nichts lieber gewünscht), verbieten tat er es, nicht ich. Über die absurden Geschehnisse während der Probenzeit in Bonn könnte ich viel erzählen, aber über Tote soll man nicht schlecht reden. Trotz allem habe ich den Menschen Schlingensief immer gemocht und respektiert.

Natürlich soll man Nachrufe schreiben und sich an interessante Menschen würdig erinnern. Doch wenn ich das alles was im Moment so über ihn geschrieben wird lese, wünschte ich mir ein paar differenziertere, vielleicht auch mal ein bißchen kritischere Stimmen. Dass ihn nun genau die Boulevardpresse umarmt, gegen die ein Teil seiner frühen Aktionen gerichtet war, ist eine grausame Ironie.

Das Tragische an Schlingensief: Als Homunkulus, als Geschöpf, als künstlicher Frankenstein des Feuilletons wird er nun von eben diesem Feuilleton mit wahrlich „narzisstischer Geste“ (Zitat wechselstrom) zu Grabe getragen, wobei sich alle an Superlativen übertreffen wollen („wichtigster Künstler der letzten Jahrzehnte“).

Als Schlingensief WIRKLICH interessant war, in seinen frühen Aktionen, Filme und Happenings, die gleichsam frech und intelligent waren, aber komplett außerhalb des geweihten Kunstbetriebes z.B. auf MTV stattfanden (das war das eigentlich Radikale und Interessante daran, dass sie vom Feuilleton NICHT greifbar waren) wurde er von genau den Leuten verhöhnt und bespuckt, die sich jetzt an posthumen Lob ab morgen in endlosen Artikeln gegenseitig überbieten werden.
Als er – spätestens seit Bayreuth – im Establishment angekommen war, trauten sich aber auch die Spießer, ihn gut zu finden. Seine künstlerischen Themen wurden weihevoller aber auch vager, taten nicht mehr so weh. Ab diesem Moment wurde ihm alles mögliche zugetraut, das er aber nicht schultern konnte. Mal ehrlich: Wer von uns hätte der Falle, die ihm von seinen eifrigen Bewunderern gelegt wurde, an seiner Statt widerstanden? Am Ende wollten sich alle mit ihm schmücken: „Ja, auch wir sind mutig, auch wir lassen ihn in unser/e Opernhaus/Museum/Biennale/Jury, etc.“. Das scheint mir ein Mut der eigentlich Mutlosen gewesen zu sein. Dennoch: er hatte viele Freunde, die ihn ehrlich mochten, aber auch immer wieder an ihm verzweifelten.

Leider wird weniger bleiben, als man gemeinhin meint – sein Charme, seine entwaffnende Überzeugungskraft hat vieles getragen, was eigentlich ohne Inhalt war, es brauchte immer seine eigene Person, sein eigenes Charisma, um zu funktionieren. Zur Zusammenarbeit mit Anderen war er nicht wirklich in der Lage – hier konnte er zum Teil eine bemerkenswerte Grausamkeit und Gleichgültigkeit gegenüber seinen Mitarbeitern und künstlerischen Partnern an den Tag legen, über die man vielleicht mehr sprechen sollte, denn gerade diese Mitarbeiter hatten einen größeren Verdienst an seinem Erfolg, als man allgemeinhin annimmt. Hier entstand eine fast schon sektenartige Gruppenkunst, die sich im Dienste von Schlingensiefs Namen untertänig deindividualisierte, genau den Prinzipien des bedingungslosen Individualismus widersprechend, die er eigentlich vertrat. Dies wurde ihm glaube ich zunehmend bewusst, daher sein Wunsch, vermehrt als Philantrop zu wirken, vielleicht auch aus einem schlechten Gewissen heraus, oder unter dem Schatten seiner schrecklichen Krankheit. Ganz authentisch war sein Wunsch, geliebt zu werden. Ich war erstaunt, wie sehr er als vermeintlich abgehärteter Provokateur unter jeder negativen Bemerkung über ihn litt, zum Teil die Journalisten persönlich anrufend, um Dinge richtig zu stellen.

Letztlich wird man sich am meisten an seine Fähigkeit erinnern, Menschen für vollkommen absurde Aktionen zu begeistern (Chance 2000, Burkina Faso, etc.), und damit einen Hauch von Anarchie in eine zunehmend anarchiefreie und kontrollierte Welt zu bringen. Das war frisch, so lange es trug, und ich glaube er meinte es ernst, allerdings auf sehr naive Weise.
Ob es wirklich große Kunst war, darüber werden wir in ein paar Jahren erneut reden müssen, wenn der Kopf frei ist.

Ich glaube: noch nicht. Interessant wäre der reife, alte, nicht mehr vordergründig naive Schlingensief geworden, der all dies erkennt und mit seinem eigenen Klischee bricht. Das hätte sehr spannend werden können, leider werden wir es nicht mehr erleben. Ich hätte es ihm von Herzen gewünscht.

Moritz Eggert

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55 Antworten

  1. wechselstrom sagt:

    „Letztlich wird man sich am meisten an seine Fähigkeit erinnern, Menschen für vollkommen absurde Aktionen zu begeistern“

    Absurd waren sie allesamt nicht.
    Auf Schlingensiefs Homepage
    http://www.schlingensief.com/
    ist über die Aktion „Begnadete Nazis“, die mir auch heute noch lebhaft in Erinnerung ist leider kein Bild- oder Filmmaterial zu finden, deshalb mein, 15 Jahre verspäteter Bericht der Premiere (insgesamt gab es damals nur 2 oder 3 Vorstellungen):

    Alles begann vor dem Eingang einer stillgelegten Wiener Straßenbahnremise. Die ZuschauerInnen, fast alle selbst Theatermacher aus der Wiener Off-Szene, begrüßten sich gegenseitig mit den üblichen Ritualen, lustige Gespräche setzten ein, man musste warten, da die Eingangstür zunächst verschlossen blieb. Etwa 15 Minuten nach angekündigtem Vorstellungsbeginn öffnete sich die Türe, Schlingensief erschien mit seiner Truppe, bestehend aus gehandicapten Darstellern/Laiendarstellern (damals sagte man noch „körperlich“ oder „geistig behindert“) und hielt eine kurze improvisierte Ansprache, darüber, dass die Vorstellung leider nicht in der gewohnten Weise stattfinden könne, da die amtierende Wiener „Kulturstadträtin Ursula Pasterk, oder Pasternak oder wie immer die heißt“ (Gelächter im Publikum) die versprochenen Subventionsgelder zurückhalten würde, was auch den den kolportierten Tatsachen entsprach.
    Schlingensief hatte es im Vorfeld geschafft, die bürgerlichen Wiener Gemüter kräftig anzuheizen, u.a. stand auf der Einladungskarte „Germania, mit wem hast du geschlafen, dass Österreich entstehen konnte“.
    Die Truppe, mit ihm als Leiter/Moderator/Animateur, die anderen im Stile der 30er Jahre kostümiert, einer hatte eine Hakenkreuzbinde um, marschierte zielstrebig, die Zuschauermassen teilend zur Straße hin, Schlingensief selbst schubste unterwegs einen zufällig dastehenden Zeitungsverkäufer mit ausländischem Aussehen in den Dreck, so dass diesem alle seine Zeitungen aus der Hand fielen, dann drehte Schlingensiefs Truppe zum Eingang hin um, das Publikum gemessenen Schrittes hinterher, und die eigentliche Vorstellung begann.
    Man sah verschiedene, teils grauenhafte Videos (bspw. eine echte Leichenöffnung) dann aber auch heitere Videos über Afrika, wo Kinder zu sehen waren, die im Schulunterricht lernen, dass man zuerst eine kleine Grube gräbt, in diese seine Notdurft verrichtet, und dann die Grube wieder zuschüttet. Dann gab es eine Folge von Szenen: Schlingensief fordert einen in seiner Truppe auf einen Text vorzulesen, was dieser, kaum des Lesens mächtig, nur stotternd fertig brachte. Im späteren Verlauf wurde ein berührend intimes Interview mit einer echten Prostituierten geführt (das mit der echten Prostituierten war auch schon im Vorfeld bekannt geworden), danach durfte sich ein „Freiwilliger“ aus den Zuschauerreihen mit dieser in einem Wohnwagen „amüsieren“, (mehrere meldeten sich).
    Einer der Truppe (mongoloid und mit Schwarzhemd und Hakenkreuzbinde kostümiert) musste ein Lied auf seiner Gitarre begleitend singen. Er konnte nur ein eintöniges „lei-lei-lei“ intonieren. Immer wieder wurde der Ablauf der Szenen durch laute Musikeinspielungen bekannter Schlager unterbrochen. Eine Szene war vorne, im nächsten Augenblick waren alle in der Mitte oder im hinteren Teil des Raumes, ein ständiges hin und her. Immer wieder fragte Schlingensief, mit Mikro in der Hand ins Publikum, ob jemand zu der gerade gesehenen Aktion etwas sagen möchte (man wartete ab) …

    — Snipp —

    Nachdem ich, von der Eingangsszene irritiert, nachschaute, was wohl mit dem armen Zeitungsverkäufer passierte sei (er war verschwunden), und seine Zeitungen, die noch im Dreck lagen betrachtete, um festzustellen, dass es abgelaufene Tageszeitungen der vergangenen Woche waren, stellte ich mir die Frage, wo die im Performancetitel versprochenen „begnadeten Nazis“ zu sehen seien.

    —Snipp —

    Und dann kam auch schon die nächste Szene:
    Schlingensief griff sich einen älteren Mann (ca. 55) aus dem Publikum, hielt ihm das Mikro vor den Mund und begann ihn zu interviewen — und, welch´ „genialer“ dramaturgischer Zufall, es war ein echter Theaterkritiker!
    „Sie sind also Kritiker – für welche Zeitung schreiben Sie“
    „Für den Kurier“ (alles andere als ein linksintelektuelles Blatt – Unmutsäußerungen im Publikum)
    „Sie schreiben also für den Kurar oder Kurier oder wie noch mal? Und Sie sind da, um diese Theateraufführung zu besprechen?“
    Jemand im Publikum zeigt auf: „Für die Frankfurter Allgemeine schreibt er auch!“ (Publikum: Hah! Gelächter)
    „Für die Frankfurter schreiben Sie also auch – wer ist die Frau neben Ihnen?“
    „Das ist meine Frau“
    Einer von Schlingensiefs Truppe kommt mit Mikro und schiebt es der Frau unter den Rock
    Kritiker: „Lassen Sie das, das ist eine Unverschämtheit!“
    Mann mit Mikro geht ab, Publikum gröhlt.
    Schlingensief: „So, jetzt werden wir etwas ganz anderes machen…“ Er greift dem Kritiker an den Hosenschlitz und öffnet diesen. Lautes Gröhlen, Szenenapplaus.
    Kritiker: „Sie sind ein unverschämter Kerl, das was Sie da machen ist überhaupt kein richtiges Theater!“
    Schlingensief wendet sich ab, geht zu einer Tafel, zeichnet eine, in einem Pfeil mündende Wellenlinie, die ihr Ende an einem senkrechten Balken findet, und erklärt: „Ja, das ist immer so, irgendwann kommt man nicht mehr weiter, irgendwann stößt man an.“ (Applaus und johlendes Gelächter) – und zu den Zuschauern: „Möchte jemand dazu etwas sagen?“

    Später wurde ein Teil der Zuschauer animiert ins Burgtheater zu gehen, um Claus Peymann (damaliger Chef) die Meinung kundzutun – man landete aber nach kurzer Busfahrt um mehrere Häuserblocks in einem nahe gelegenen Vorstadtgasthaus, von wo eine Video-Liveübertragung, eine Art Konferenzschaltung in den Hauptsaal eingerichtet war. Es fanden wiederum Interviews statt, so wurde eine Zuschauerin befragt:
    „Sind Sie alleine da oder mit jemandem gekommen?“
    „Ich bin mit meiner Freundin hier“
    „Und wo ist Ihre Freundin?“
    „Sie ist in der Remise zurückgeblieben“
    „Wie heißt ihre Freundin?“
    „Anna“ kurze Pause und Rückfrage des Interviewers an die Basisstation, dann zur Zuschauerin gewandt.
    „Ich erfahre gerade, dass eine Anna was ziemlich schreckliches passiert – könnte das ihre Freundin sein?“
    “Weiß nicht“
    „Und wenn es jetzt Ihre Freundin ist, was wollen Sie tun?“
    „Hm, keine Ahnung.“

    und so ging das weiter

    — Snipp

    Nach der Performance saßen viele in einem Gasthaus zusammen und diskutierten die eben gesehene Aufführung. Auch ich verabredete mich mit Bekannten/Freunden, darunter Schauspieler, ein Mitarbeiter der Wiener Festwochen und eine Journalistin:.
    Ich führte eine denkwürdige Diskussion, nach der ich alle der damaligen Bekannten und Freunde verlor:
    Es wurden die einzelnen Szenen noch einmal erzählerisch durchgespielt, dazu lobende Stimmen für das gelungene und spannende Experimentaltheater, graniert mit der üblichen Kritik an herrschender Kulturpolitik und am etablierten Theater im allgemeinen. Irgendwann sagte jemand unter allgemeiner Zustimmung:
    „So muss Theater heute sein, ich war direkt neben dem Kritiker – sooo (er machte eine schüttelnde Handbewegung) hat er gezittert – hmm (und dazu eine anerkennende Kopfbewegung)“. Ein anderer: „Wenn ich die Subventionsgelder zugesprochen bekommen hätte, da wäre noch viel mehr drin gewesen, das kann ich euch sagen, man hätte das noch viel schärfer machen müssen.“

    Ich wandte irgendwann ein, dass man das auch im Theater doch nicht machen sollte, die Leute auf diese Art bloßzustellen, teilweise auch zu demütigen.
    „Ja, aber das ist doch Theater!“
    „Aber der Mann war doch wirklich den Tränen nahe“
    „Das war doch ein Kritiker“
    „Aber das ist doch auch ein Mensch“
    „Ja schon, der steht aber in der Öffentlichkeit, hat die Zeitungsmacht hinter sich, haut uns Theatermacher in die Pfanne, oder ignoriert das, was wir machen, und überhaupt, was hätte man denn deiner Meinung nach tun sollen“
    „Na ja, vielleicht einschreiten.“
    „Und wie, hä?“
    „Oder wenigstens einen Buh-Ruf absetzten“
    „Das ist überhaupt nicht üblich“
    „Hab ich schon selbst gemacht, zuletzt in der Staatsoper“
    „Aber nicht bei einer Premiere, denn da ist das unüblich“
    „Bei der Premiere des letzten Th.-Bernhard-Stücks haben Leute sehr viel gebuht.“
    „Das war nicht die Premiere, das war sicher eine der Folgevorstellungen, und dann: es war ja gar nicht klar, und das ist das geniale gewesen, was gespielt und was echt war, das ging alles so schnell, da kann man einfach nichts machen, vielleicht war der Kritiker ja auch nur ein Schauspieler, gell?“
    „Mag sein, auch ich bin mir da nicht ganz sicher. Wichtig ist aber, was man im Augenblick der Szene glaubte, wovon man felsenfest überzeugt war, und da hatte ich schon den Eindruck, dass 99 Prozent fest glaubten, dass es ein echter Kritiker ist, der so gedemütigt wurde.“
    Und zur Journalistin gewandt fragte ich: „Sag mal, du bist doch vom Fach, war das jetzt ein Schauspieler oder nicht?“
    Achselzucken
    „Jetzt lass´ es schon raus, die Wiener Zeitungslandschaft ist doch übersichtlich, ihr kennt euch doch untereinander, also wer war es wirklich, war es ein Kollege von dir?“
    Schweigen

    Man ging schließlich fast schweigend auseinander. Ich habe fast alle Leute von damals, obwohl man sich sympathisch verbunden fühlte, über 10 Jahre nicht mehr gesehen. Zu einem habe ich zögerlich wieder Kontakt bekommen, er hat in der Zwischenzeit seine Schauspielkarriere (wir waren durch Aktivitäten in der gleichen Theatergruppe befreundet) beendet und widmet sich der Landwirtschaft. Andere, die ich ab und zu auf der Straße treffe sind kurz angebunden, wenn sie überhaupt grüßen.

    Schlingensief hat uns allen einen heilsamen, ich möchte fast sagen kathartischen Schock versetzt.
    Dadurch, dass er seine Rolle über Jahrzehnte durchhalten musste, nicht nur bei Inszenierungen, auch bei Interviews, Talkshows, ja sobald er aus der Tür trat, daduch, dass er diejenigen vor den Kopf stoßen musste, die in seine Falle tappten (und das waren die, die seinem Theater grundsätzlich positiv gegenüber standen, es aber nicht ver-standen), war er ein Getriebener und Angetriebener zugleich. Es ist ihm gelungen, seine Person zu einem echten Medium zu machen, das unsere inneren Widersprüche schmerzhaft ausleuchtet. Dadurch war auch fast jede Kritik an ihm ein potentielles Missverständnis. Das tragischste ist aber, dass er wohl als sehr einsamer Mensch sterben musste. Sein Vermächtnis ist das unfertige Afrika-Projekt, ein schöner Anknüpfungspunkt, um seine Arbeit weiterzuführen.

    Beste Grüße aus dem Labor

    – wechselstrom –

  2. wechselstrom sagt:

    Ich muss ehrlich sein: Ich habe bei meiner Zusammenarbeit mit Schlingensief (”Freax”, Oper Bonn/Beethovenfest, 2007) gelitten wie ein Schwein.

    Hätte eine schöne Produktion werden können – hätte … können.

    http://www.youtube.com/watch?v=WBYAl0tBBIY&NR=1
    und
    http://www.youtube.com/watch?v=adH-hA0GOUc&feature=related

    THX to Louis Gentile

    Grüße aus dem Labor

    – wechselstrom –

  3. wechselstrom sagt:

    noch ein Videotipp:

  4. Federika sagt:

    Habe ihn nicht persönlich gekannt, aber erlebt in der kunstakademie mit chris dercon. einer seiner letzten auftritte, der erschütternd war. ich denke er war zum schluß nicht mehr „herr seiner selbst“, da zu sehr mit sich selbst und seiner krankheit und seinem nahen tod beschäftigt, siehe sein buch: „so schön wie hier kanns im himmel gar nicht sein“. Ich weine, trauere, warum? weiß ich nicht.
    gruß
    federika

  5. kiki sagt:

    ich habe bei kunst und gemüse mit ihm gearbeitet.
    Die behinderten Menschen – sie lieben ihn. Sie sind abhängig von ihm gewesen. sie stürzten ab, sobald wir nicht mehr auftraten.
    das war beängstigend.
    Ich bin sicher, dass er mit einer großen Menschenliebe ausgestattet war. Aber in der Arbeit ging es natürlich um das, was ER sagen wollte. Das, was er ausdrücken wollte, seine Hysterie, seine Wut (die ich nur allzugut nachvollziehen kann) hat ihn sehr getrieben. Er hat etwas zu sagen gehabt. Dazu brauchte er auch die anderen.
    Philantrop hin oder her –
    Schlingensief war ein Künstler, der mich sehr tief berührt hat.
    Sein Tod hat bei mir direkt körperliche Schmerzen ausgelöst. Was so schmerzt ist zum einen der Verlust eines solch radikal kämpfenden Menschen – in der Kunst, im Leben und um das Leben. Er steht für tausend andere.
    Er hat seinem Schmerz Ausdruck verliehen, er hat sich gehäutet. Und Narzissmus hin oder her – ich finde, er hat damit viel in Bewegung gesetzt. Er hat auch die Wunden unserer Kultur entlarvt.

  6. Erik Janson sagt:

    Kiki, ein toller, bewegender Nachruf! Endlich mal einer hier im „badblog“, der es zu schätzen weiß, wenn sich Menschen in der Kunst aufreiben, für ihre innere Idee und auch kompromisslos kritisch, tabulos, aufrüttelnd kritisch-schockierend etc. dabei sind. Diese Menschen sterben nun leider aus bzw. sterben nacheinander weg, so scheint es… So wird gesagt…. uns eingeredet.
    Zumindest kann man bei unserer „Komponistenzunft“ zuweilen sehr diesen Eindruck bekommen. Leider kannte auch ich ihn nicht persönlich und kenne – muss ich gestehen – fast nichts von ihm und seiner Arbeit und war da ja selbst „Theatermuffel“ und betriebsblind auf beiden Augen, muss ich zu meiner Schande gestehen.Aber habe nun mit einigen Youtube-Watches begonnen mein Defizit auf zu frischen.

    Es ist nie zu spät. Denn: der Mann lebt ewig weiter. Kunst, die aufrüttelt, die was Substantielles zu sagen hat, ist immer ewig. Die andere erringt Autorenpreise oder sonstwas und ist dann wieder vergessen.

  7. Ich glaube mein Nachruf hätte NOCH kritischer sein müssen – hier liegt mir eindeutig zu viel Weihrauch in der Luft.

  8. wechselstrom sagt:

    @Moritz

    Gelitten an den Lügen, die er [Schlingensief]im nachhinein über unsere Zusammenarbeit verbreitete, gelitten an seiner Behauptung ich hätte verboten, dass Behinderte in unserer Oper “Freax” auftreten, wenn in Wirklichkeit genau das Gegenteil der Fall war: Seine Truppe bettelte darum, auf der Bühne mitmachen zu dürfen (und ich hatte mir nichts lieber gewünscht), verbieten tat er es, nicht ich.

    Eine kritische Auseinandersetzung sollte, soll sie glaubhaft sein, von außen kommen und muss sich in jedem Fall an den Tatsachen orientieren:

    Wie das Video von Louis Gentile
    deutlich zeigt, war auch von Schlingensief beabsichtigt, seine Truppe der Gehandicapten mitspielen zu lassen.

    Natürlich ist die Musik, wie du sie schreibst (Hörproben aus „Freax“ auf deiner Homepage u.a.
    http://www.moritzeggert.de/index.php?reqNav=music&start=60
    )
    alles andere, als zum Schlingensief´schen Ansatz passend. Der durchwegs lustige/lustvolle Duktus, gepaart mit einer guten Portion Schelmhaftigkeit, befördert das Thema genau dorthin, wo vielleicht auch du es nicht haben wolltest: in den Zirkus, Missbildungen als bizarre Sensationen ausstellend.
    Das wollte Schlingensief sicher nicht und in den Probenvideos sagt er das auch ganz deutlich und zwar
    in:
    http://www.youtube.com/watch?v=WBYAl0tBBIY&NR=1
    bei Minute 3:40

    Natürlich ist es für einen Komponisten schmerzhaft, seine Musik durch Fremdeinspielungen (Wagners Tristan) und Fremdtexte (Schlingensief (?)) überformt zu sehen/zu hören, aber es war die einzige Lösung, dein Werk zu retten und zu einer Inzenierung, die auch in deinem Sinne gewesen wäre zu führen.

    Beste Grüße aus dem Labor

    – wechselstrom –

  9. querstand sagt:

    Mal wieder typisch – schalte ich mich erst ein, wenn die Suppe bald überkocht…

    Es hat allerdings ein wenig gedauert, sich durch Nachrufe und Videos durchzuarbeiten. Längere Zeit davor habe ich sowieso nichts mehr von Schlingensief angetan, weil mir eigentlich das ganze Gesumms um ihn und die Streitereien mit ihm seit Bayreuth, auch seit der Freax-Geschichte geärgert haben.

    Wie gesagt, ich bin kein Experte hier, kenne eigentlich nur die „Ausländer Raus“, „Chance 2000“ und ein wenig „U 3000“. Was ich z.B. an rein bildnerischen Arbeiten von ihm sah, fand ich grenzwertig, als Opernregiesseur hat er wohl faszinierende Bilder in Bayreuth erzeugt.

    Problematisch schien es allerdings zu werden, wenn es um Operneuschöpfungen ging.
    Ich muß gestehen, daß ich Via Intolleranza im Münchner Festspielzelt hätte sehen können. Es muß wohl trotz dem „Ausverkauft“ im Internet doch noch reguläre Karten vor Ort gegeben haben. Eine musikbegeisterte Dame meines kleinen VHS-Orchesters wagte und gewann, schien ganz unvoreingenommen, was ich wohl nicht gewesen wäre, von der Bilderflut überwältigt gewesen zu sein.

    Ich also voreingenommen! Warum? Gelinde gesagt fand ich den Gedanken unerträglich, daß „Via Intolleranza“ ganz frei mit Nonos Werk umgegangen wäre. Es scheint dann gar nicht wirklich Nono darin verwendet worden zu sein. Da bin ich wohl zu religiös. Vielleicht wäre Nono sogar ganz toll gewesen, sogar umgestellt, andere Briefe anderer zu Tode gekommener aus letzter Zeit, ja warum nicht Texte von aktivierter passiver schweizerischer Sterbehilfe, Urnen aus dem Zürichsee, Texte aus den USA, Iran, China, aus der Pol-Pot-Okratie, etc. Und dazu die ganze Bilderflut Schlingensiefs. Es ging dann wohl eher um Afrika, nur seine Krankheit – vielleicht verenge ich da auch. Ich hatte also genug Gründe, ihn als total überschätzt zu empfinden, mich vor ihm zu fürchten. Vielleicht hätte Nono sogar mit Freuden zugestimmt, daß zu seiner Musik Wagner eingespielt würde, oder das Adagietto aus der Fünften, frei nach der Assoziationskurve Nono=Venedig=Tod in Venedig=Schlingensief ringt mit Tod und Venedig=Viscontis Filmmusik=Mahler. Maßlos ungehörig, es so zu sagen, wo alle R.I.P. verkünden. Aber wie gesagt, vielleicht hätte es auch Nono gefallen können…

    Beim posthumen youtuben stieß ich auf unendlich Vieles, unendlich Schönes, erstaunlicherweise unendlich dann schöne, wenn er von seiner Krankheit spricht, oder immer schon zuvor, vor der Diagnose, wenn er die Kraft am Leben aus der Annahme seiner eigenen Endlichkeit heraus definiert, wie er die Vitalität seiner Menschen mit Behinderung ohne Peinlichkeit anzapfen kann. Wobei man im Netz natürlich auch nur das sieht, was man sehen soll… Man hätte wohl Moritz zu Proben begleiten sollen, man hätte Mäuschen andernorts sein sollen, um sich ein wirkliches Bild zu machen.

    Ich stieß also auf „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“. Leider ist im 9. Video mal wieder eine Sperre wegen Sony-Music-Content darauf, so daß ich das Finale nicht sehen konnte. Ich sah mir das Ganze zweimal an. Mittendrin viel über Afrika, Bayreuth, Zürich, Kettensägen, Wien gesehen. Am interessantesten war allerdings ein Audiovortrag, den er zu Allan Kaprow, Doppelbelichtungen und Wagner hielt. Besonders die Doppelbelichtungen! Frühe Zufallsexperimente, ähnliches bei Bunuel, das scheint ihn daran begeistert zu haben. Im Prinzip wirken seine vollgerümpelten Bühnen – ganz das Gegenteil der heute immer noch gepflegten Entrümpelung seit den 50ern des 10. Jhds! – mit den immer wieder zugezogenen, geöffneten Zwischenvorhängen und den Video- und Lichtprojektionen wie eine Dauerdoppelbelichtung, eine ständige Unschärfe von Vorder- und Hintergrund im Visuellen, Auditiven wie im textlichen Assoziationsfeld. Es wird ständig selbst und fremdzitiert, immer etwas anders als das Original vorgibt, immer etwas daneben im doppelten Sinne, immer 3D-Assoziationstiefe auf den genannten Ebenen. Allerdings oft auch etwas platt. Wenn allerdings seine Kraft aufkommt, ein kleiner Wirbelwind auftritt oder eine Doppelung zu grosse Ernsthaftigkeit wieder in Komik umstürzt, letztlich die reine Energie der Person Schlingensief, nicht des Künstlers, ins Spiel gebracht wird, menschelt es unglaublich, gerade wenn dann das Urheberrecht besonders gemeuchelt wird.

    Ich konnte mich vor einiger Zeit mal mit einem Musiker austauschen, der Schlingensiefs Musiken einstudierte, koordinierte. Der fand es für sich gerade spannend, daß sein Auftritt an Volksbühnenabenden nie vorhersehbar war, daß er mit seinem kleinen Ensemble während der 2 Stunden Aufführung jederzeit hätte drankommen können oder auch mal nicht! Das stelle man sich mal in einer Oper rein betrieblich vor, das betrachte man unter der Maßgabe des Urheberrechts! Zwar werden auch Uraufführungen mächtig gekürzt, gibt es z.B. einen szenischen Prolog vor dem Prolog im Prolog – so krass wird sich aber keiner von uns im Normalfall zerschnippelt vorfinden, gerade wenn man ein Stück genau durchkomponiert hat. Bei Nummernopern, wie Mozarts, leiden auch die Menschen, die um die tonhöhengebundenen Anschlüsse wissen…

    Zurück zu dem o.g. Vortrag: Schlingensief freute sich gerade in seinen ersten Filmchen über Anschlußfehler, freute sich über Materialfremdverwendungen, etc. Ein kleiner Fehler unterlief im dann doch mit Bunuels Andalusischen Hund: er behauptet, daß über einer tangotanzenden Menge Wagners Tristan erklingen würde. Das ist kaum zu finden. Man hört allerdings immer Tango und Tristan hintereinander. Tristan wird so auch wieder in „Eine Kirche der Angst“ verwendet. Überhaupt kommt es zu ständigen Hör-Doppelbelichtungen: zwei Sopranistinnen singen immer leicht verzerrt nebeneinander, egal ob Schönberg oder Wagner, da ein „falschsingender“ Kinderchor dazu, oder Mahlers „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, ja dazu dann noch der schwarze Schauspieler/Musiker, der in den Parsifaleinblendungen den Gral trägt, der auch singt – ein köstliches, sehr anrührendes Chaos, wenn dazu noch die kleinwüchsige Schauspielerin als Bischof verkleidet dirigiert, am rührendsten dann, wie sie zum Mädchenchor sagt „zurück ins Körbchen“.

    Das ist natürlich ein Theater jenseits des direkten Textes, der direkten Bildes, der direkten Musik, also einer direkten Auffassung dessen, was jene drei Ebenen aussprechen möchten. Das konnte Schlingensief Alles nur dann für sich verwenden, wenn er jederzeit und am Besten auch noch während der Aufführung spontan darüber verfügen konnte. Das kann man eigentlich nur mit seiner eigenen Truppe durchhalten, das bringt jeden Betrieb an den Rande des erträglichen, das geht eigentlich sonst nur im Film, das geht fast nicht in dieser Radikalität auf der grossen Opernbühne, auf Studiobühnen oder ausgelagerten Spielstätten sind dazu die Opernhäuser noch am ehesten bereit.

    Das kollidiert natürlich auch maßlos mit dem Werkbegriff eines zeitgenössischen Komponisten. Gerade wenn das Stück dann in sich feinausziseliert selbst die musikalischen Assoziationsebenen aufschlägt, ein Wechselspiel mit dem Libretto eingeht, trotz der eigenen Offenheit dann dennoch eine geschlossene Struktur ist, dann kann die Produktion nur scheitern, wenn Schlingensief den Laden übernehmen wollte. Da ist es ja auch nicht verwunderlich, wenn dieser sich aus den Probenprozeß immer wieder zurückhielt, um dann plötzlich doch aufzutauchen und das Kommando zu übernehmen. Ich entnehme den von Theiler zitierten Videos v.a. dies als Metatext. Ich würde da auch zu Weißglut auflaufen, denn „Absprachen“, „Koordination“ sind so nicht möglich, es sei denn, man zieht sich zurück, wie Richard Wagner und schon Nono konnten: indem man am Besten „toter Hund“ spielt. In Bayreuth wurde Schlingensief massiv ausgebremst von einem gewieften, leider auch verstorbenen Intendanten, der mit seinen ganz einfachen Mitteln wie Zuckerbrot und Peitsche Schlingensief überrumpelte. Ganz klar entnimmt man einem Video, wie sich Schlingensief 2004 mokierte, nicht mal seine Proben filmen zu dürfen.

    Ehrlich gesagt, hätte dies bei Freax eigentlich auch der Fall sein müssen. Dann hätte es weder den Film mit dem Tenor noch den Schlingensiefs als Fremdverstümmelung gegeben, hätte in Bonn ein Leitungswunder wie in Bayreuth wirken müssen. Oder von Anfang an klar sein müssen, daß zwar die Musik von Eggert stammt, aber eigentlich ganz offiziell der Name Schlingensief über Allem thront, so wie bei „Via Intolleranza“, bei „Mea culpa“, „Eine Kirche“. In solch einem Pasticchio-Theater, wie dem Schlingensiefs, hat man als Komponist sonst keine Chance. Das Libretto hätte schon zusammen entstehen müssen. Ich kann mir allerdings da auch nicht vorstellen, wie das mit Schlingensief hätte gelingen sollen, der selbst in seinen Filmproduktionen immer improvisatorischer geworden ist. Selbst wenn eine Crew Alles festgelegt hätte, wäre es oder war es sogar einfach ein Spielplatz für ihn, auf dem er seine Figuren bewegen kann, selbst mal in Erscheinung treten kann, wenn es nötig würde.

    „Oper“ klingt für solch ein Spartenzerstören erstmal auch wie „Spielplatz“. „Oper“ ist aber eine „Spielwiese“, eigentlich viel ungeordneter als ein schon gemachter Platz mit einem leicht abgenutzt scheinenden Inventar, wie des Verstorbenen Bühnenbilder. Also ist Oper eigentlich noch ungebändigte Natur, ohne Assoziationsrahmen ausser eben dem der „Natur“. Um es diese Wiese zu gestalten müssen nun Sparten zusammenkommen, die sich sonst nicht zueinander verhalten. Jede muß Abstriche hinnehmen, muß aber auch seitens der Anderen voll akzeptiert werden. Dann kann die Wiese mit was auch immer kultiviert und sei es, daß man genau die Wiese nachbaut. Dann spielen die Formen zusammen, öffnen ihre Grenzen, reissen sie aber auch nicht ein, lassen sich von Inhalt durchdringen, sei es sogar als Zitat. Aber so kann man selbst Zimmermann oder Nono doch auf Opernbühnen bekommen. Das fasziniert dann immer wieder, eigentlich stärker als jeder andere neue, wenn auch so ersehnte ausseröperliche Spielplatz. Den gerade der Wahnsinn der Bändigung, diese Fastselbstkastration, macht es spannend. Da kann dann die Musik selbst Disparatestes an Sparten zusammenfassen. Es ist ja bei Schlingensief auch immer die Musik, die die Rührung erzeugt, auch wenn es mal unbändig wird und Alle durcheinander singen. Da wäre vielleicht ein Ansatz gewesen.

    Wie gesagt, die Bilder Schlingensiefs passen zu jeder Musik, die anrühren kann. Und Parsifal zeigte, daß es auch ohne fremdverstümmeln gegangen wäre. Zumal – die stärksten späteren Bilder verdankt Schlingensief ja gerade seiner Wagnerbändigung. Da hätte er sich auch Moritz unterwerfen müssen, dessen Musik auf sich wirken lassen. Wie man zur Technik Moritz‘ stehen mag, ist das eine. Grundsätzlich hätte aber seine verschiedenartige Musik auch ein Tableau geboten, von dem aus man sich als Bildgeber entwickeln hätte können. Selbst chaotisches Mitsingen hätte wunderbar sein können, wenn die Regie sich da mehr auf die Musik eingestellt hätte, solche Wünsche unter Eigenaufopferung auch früher geäussert hätte. Vielleicht war das aber Alles auch nicht möglich, da in der Zeit sich Schlingensief auf seine Krebsdiagnose zubewegte, wohl garantiert sich schon etwas ankündigte, was in seiner Ahnungslosigkeit den Menschen wie Künstler Schlingensief noch unkalkulierbarer machte als sonst. Am einfachsten wäre gewesen, ihm wohl zur Gänze das Feld zu überlassen, aber das sagte ich ja schon, was eine ganz andere Entscheidung schon von vornherein seitens des Beethovenfestes verlangt hätte.

    Hat Schlingensief nun den Musiktheaterbegriff verändert oder doch nur Allan Karpow näher an die Musik herangebracht? Letzteres denke ich mir mal lieber selbst. Uns aber zeigt sein Schaffen, daß man wohl auch mal wirrköpfiger, allgemein weniger strukturiert an seine Musik rangehen kann. Daß man eigentlich noch viel mehr bereiter sein muß, seine eigene Musik zu verteidigen, gleichzeitig aber auch mal zu opfern, wenn man in Kooperationen wirklich Platz haben möchte und nicht die Musik über Allem auf der Bühne herrscht. Daß man mit Menschlichkeit und Wärme vielmehr erreichen kann, als mit Zahlenspielen, die dem kaufmännischen Erbsenzählen so ähneln. Er hat uns aber auch gezeigt, daß verschiedene Assoziatonsebenen, besonders das Zitieren einfach zum heutigen Baukasten aller Künste gehören, daß sich da das Urheberrecht ändern muß, weniger strikt, aber auch wohl viel komplizierter als jetzt sein wird, wenn man nutzen und genutzt werden will, man sich da generell öffnen muß, andererseits aber auch wappnen sollte, um nicht ganz die Kontrolle zu verlieren.

    Lustig ist nur, daß ich unmittelbat vor Schlingensiefs Tod einen Regiesseur traf, mit dem ich weniges machte, aber noch soviel vor hatte. Ich kam kurz vor 2000 irgendwie auf den Trichter, meine Musik strenger, klarer gestalten zu müssen, weniger Bauch, mehr Hirn, nachdem das rein freie Schreiben mich ziemlich Kraft gekostet hatte. So faszinierte ich mich für Zahlen, wollte daraus Theater machen. Anfangs fand der Regiesseur wie ich es auch interessant, den Sänger mal nur Zahlen als Text zu vertonen. Irgendwann kam dem Regiesseur aber das Menschliche zu kurz. So herrschte er mich am 20.8. an, ich solle mich zwar schon auf meine Musik konzentrieren, ihm aber auch noch Raum lassen. Das wurde dann sehr mystisch, da er durchaus bei mir Fähigkeiten des Menschelnden sah, die ich wohl allzu gern vernachlässigte. Mir war das Menschelnde natürlich sofort wieder suspekt. Darin sah er aber gerade die Macht der Musik, dieses banale über alle Grenzen hinweg Fremdes zu einen. Er hatte übrigens im Gegensatz zu mir den Kluge-Hasen Schlingensiefs im Parsifal gesehen, darüber sprachen wir erst kurz zuvor. Und dann das Hasenselbstzitat beim youtuben in „Eine Kirche…“ – das rührte mich zu Tränen, ganz selbstbefangen.

    Es bleibt also diese einzigartige Kraft und der Mut, Grenzen zu überschreiten, aber eben wegen dem so einfachen wie uns oft zu banalen Faktor, simpel geliebt zu werden, gerade im tiefsten Egozentrismus. Das verursacht beim Widerpart Schmerzen, ist aber einem selbst wie dem nicht immer zu ersparen. Also, Lust auf Egoismus, weil man diese Selbstliebe, die Liebe zum Nächsten erst ermöglicht, unbedingt braucht. Aber vielleicht doch weniger verletzend. Und bei aller Lust auf Assoziation einfach mal wieder mehr selbst machen, mehr Respekt vor den anderen Sparten, auch wenn man diese allzu oft fast negiert, wie ich das mit Schlingensief tat.

    Oder ganz banal und fast schon unangenehm, aber meinerseits ungeheuchelt: Lieber Moritz, es ist wunderbar, dass Du Freax überlebtest. Du warst wohl ein richtig grosser Stolperstein auch für Schlingensief, so dass er filmisch sich darüber selbst delegitimieren musste. Und wie schön und wunderbar, daß Du das auch sagst, auch wenn man jetzt nur R.I.P denken sollte. Aber ganz im Sinne Schlingensiefs, der sich aus dem Tod auch schon vor seiner Krankheit definierte, ist es jetzt eben angebracht, das Genialische zu erfassen, zu kopieren, anzuzapfen, wie er es mit den Toten und Lebenden tat. Also sich aus dem Tode heraus zu benennen. Nochmals, wie gut das Du überlebt hast und mit voller Lust weiterschaffen kannst und Du hier mit aller Freude in Verwunderung Deine Wunden zeigst und Dir neue schlagen läßt. Also nicht R.I.P, sondern ich als Parsifal rufe Dir zu „Amfortas, die Wunde!“ – wie schön, daß es uns Alle noch gibt!!!!!!

  10. querstand sagt:

    Jens Joneleit – dessen METANOIA wäre die nächste Premiere Schlingensiefs gewesen! Nun entnahm ich dem KIZ der NMZ, daß die geplante UA unverändert stattfinden soll. Überlegt man nun die Arbeitsweise des Verstorbenen, die trotz eigenen oder fremden Festlegungen am Ende immer anders aussehen wird, offenbart sich hier schon wieder einmal die Promiskuität der Premierenszene. Es geht einfach weiter wie gehabt. Man schnürt Namen zusammen, egal ob deren Kunstansätze zusammenpassen, man macht business as usual und lernt nichts aus den Problemen in Bayreuth und Bonn.

    Höchstwahrscheinlich bleibt Jens Joneleit gerade wegen des Fehlens des Regiesseurs sein Werk als Einheit gewahrt, sofern er nicht von vornherein tatsächlich Öffnungen eingebaut hat. Wie gesagt, ich erzählte schon mal von den Worten des Frankfurter Intendanten Loebe anläßlich der Joneleitschen Biennaleoper in München, daß er in Joneleit einen Künstler sieht, der sich von den Notwendigkeiten eines Opernbetriebs durchaus auch mal überzeugen lasse, sinngemäß „sich was sagen läßt!“. Der wäre nun auf jemanden gestossen, der sich vom Betrieb auf gar keinen Fall etwas sagen lassen wollte. Diese Kontrastbegegnung mag nun ein betriebliches Experiment sein, was mancher Opernverantwortliche garantiert schon als wichtiger denn das künstlerische Ergebnis, gar Experiment sieht, da es ihm, ob nun mit Regiesseur oder Komponist, in Teilen oder je allein präsent oder absent, auf alle Fälle Beachtung einbringen wird, wie auch hier im Falle des Verstorbenen, an dessen Nachruhm man so gleich mitbastelt und v.a. mitsaugt!

    Wenn nun Joneleit seine Oper von vornherein auf alle Eventualitäten eingestellt hat, also es ihm egal sein mag, ob das Stück ganz, in Teilen, vertauscht, verschnitten mit anderer Musik zur Schau gestellt wird, dann ist es auch egal, ob es nun nach Skizzen, die ggf. doch am Ende anders ausgesehen hätten, oder gar nicht oder nur halb oder doch von jemanden anders in wessen Namen auch immer inszeniert wird. Das kann ich mir aber nicht wirklich gut vorstellen, bei jemanden, der sein Schaffen, Rihm ähnlich, auch als work in progress denkt, dennoch an einem relativ kompakten Zwischenergebnis mit gewiss leichten Konzessionen, wie Strichen, Uminstrumentierungen oder ähnlichem, interessiert sein dürfte.

    Oder hypet man sich und die anderen einfach so zu Tode, sogar nach diesem? Ich verstehe die Begeisterung für interessante Kombinationen oder neue Gesichter, da man nach Begabungen sucht und der Entdecker sein möchte. Man vergisst dabei aber allzu oft die moralische Verantwortung, die man als Förderer hat. Es wird darin zu oft einer kurzweiligen Entflammung gefolgt und man vergisst eine gesunde Abwägung. Aber was schimpfe ich auf Berlin! Man kann damit in München bei der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, der Musikhochschule, der Biennale, dem Rundfunk gleich beginnen! Ich meine nicht nur einen, ich denke da an viele Verantwortliche. Schade nur, daß sich in Berlin an diesen Strippenziehern schneller mal was ändert, als hier, wo die südlichere Sonne wohl eine gewisse Verkrustung und Austrocknung eher begünstigt als in der nördlicheren Stadt Berlin, wo Metanoia am 3.10.10. über die Klinge springen wird, deren Seen sich auch den Schabgletschern der nördlichsten finnischen Seen verdanken, bzw. der märkische Sand eher mal ins Rutschen kommt als unsere öde Schotterebene – nur die Isar vermag dies! Dafür müßte Bally Prell wieder auferstehen und ein anderes Isarmärchen anstimmen… Aber mögen die Toten ruhen und bleiben wo sie sind, wir müssen unser Zeug selber hinkriegen!

  11. Erik Janson sagt:

    Ich glaube mein Nachruf hätte NOCH kritischer sein müssen – hier liegt mir eindeutig zu viel Weihrauch in der Luft.

    ??? Wieso? Es darf doch jeder hier seine eigene, auch positive Meinung von Schlingensief haben.

  12. Martin Torp sagt:

    Moritz‘ kritische Töne haben mich aufatmen lassen. Ich fand die an Vergötzung grenzenden Nachrufe auf Schlingensief allerorten als unerträglich einseitig. Auf mich hat der Verstorbene zwar MENSCHLICH auch einen durchaus sympathischen Eindruck gemacht – allerdings fast nur in seinen Interviews, also wenn er keine „Kunst“ machen wollte. Ich glaube, dass seine Aktionen, Filme, Inszenierungen etc. eben deshalb fast allesamt verunglückten, weil er unbedingt KUNST machen WOLLTE. So wurde seine „Kunst“ zu „Wullst“. Hinzu kam, dass er unter der Hand mit einem üblen messianischen touch a la Beuys alles greulich verkitschte. Im übrigen wundert mich, dass es kaum jemand gemerkt zu haben schien, dass Schlingensiefs „Kunst“ handwerklich und inhaltlich völlig ins Beliebige und Substanzlose tendierte und oftmals reichlich „gurke“ war – ein zahnloser Neo-Dada oder Neo-Fluxus, Recycletes aus zweiter oder dritter Hand. Eines haben aber doch immerhin Viele zumindest geahnt, nämlich dass es ihm eigentlich immer nur um ihn selbst ging. Die Schlingensiefsche Pseudo-Kunst war also Egomanie in potenzierter Form – und dadurch im Grunde auch wieder vollkommen harmlos (gesellschaftlich/politisch komplett wirkungslos).

    Anhand von Braunfels‘ Oper „Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna“ wurde ich am 27. 4. 2008 in Berlin Zeuge, wie Schlingensief schließlich auch nicht davor zurückschreckte, die szenische Uraufführung eines von Hitler mit Berufsverbot belegten und nachhaltig verdrängten (bis heute noch nicht wieder voll durchgesetzten) Komponisten kaputt-zu-inszenieren. Walter Braunfels‘ Sohn Michael (selbst Komponist/Pianist und trotz seiner 93 Jahre immernoch kristallklar im Kopf) und Frithjof Haas (der während der Komposition der Oper, zur Zeit des Berufsverbots, Braunfels‘ einziger Schüler war und die Intentionen des Komponisten daher genau kannte) waren entsetzt und EMPÖRT über Schlingensiefs „Inszenierung“. Sie äußerten dies auch öffentlich im Rahmen eines Braunfels-Symposiums, das kurz vor der DE in der Deutschen Oper Berlin 2008 stattfand. Leider kam dieser Protest zu spät und wurde zudem von den Presseleuten (die an einem Braunfels-Symposium kein Interesse zu haben schienen) nicht wahrgenommen. Und so lief Schlingensiefs Narrentheater ab wie geplant und sorgte mit einem chaotischen Overkill an optischen Reizen und reichlich Bühnengetrampel dafür, dass man sich kaum noch auf die Musik konzentrieren konnte. Braunfels‘ kompakte Klangsprache braucht aber sogar noch mehr Aufmerksamkeit des Hörers als etwa die von Richard Wagner. Dass es sich bei Braunfels‘ Johanna-Oper tatsächlich um ein MEISTERWERK und eine der bedeutendsten Opern des 20. Jahrhunderts handelte, habe ich erst kürzlich gemerkt. Da gab mir jemand den Mitschnitt der Stockholmer Uraufführung dieser Oper, die einige Jahre vor der Berliner DE stattgefunden hatte. Erst beim Hören dieser CD konnte ich Braunfels‘ Werk gut durchhören und voll verstehen. Ich war BEGEISTERT – mein Eindruck der Musik war bei der Berliner DE noch ein eher diffuser gewesen …. Wagners „Parsifal“ konnte Schlingensief freilich nicht schaden, da das Werk seit langem voll durchgesetzt ist. Das war bei Braunfels anders. In etwa 10 Rezensionen, die ich nach der Berliner Braufels-DE gelesen habe, war kaum etwas über die Musik zu lesen, aber viel absurdes Lob über „everybody’s darling“ S. Den meisten Kritiker war noch nicht mal Schlingensiefs Gleichsetzung einer rituellen Hindu-TOTEN-Verbrennung (auf Video in Nepal) mit der Verbrennung einer LEBENDEN (Jeanne d’Arc) aufgestossen …

  13. wechselstrom sagt:

    @ Martin Torp,

    als Kritik im Sinne einer ästhetischen Auseinandersetzung kann man das, was Sie schreiben kaum bewerten.
    Schon im Ansatz sind nur Töne des Hasses herauszuhören.
    Es muss Ihnen ja nicht gefallen – keine Frage, no Problem – aber Leuten, die sich seit Ihrer Kindheit mit künstlerischen Dingen auseinandersetzen, ein, jedermann zustehendes Mindestmaß an Respekt zu verwehren, indem man das Wort Kunst ständig in Anführungszeichen setzt, das liest man sonst nur in irgendwelchen Krawall-Blättern.

    Hier dürfen Sie lesen, was Braunfels Enkel über die Inszenierung sagte.

    http://www.merkur-online.de/nachrichten/kultur/architekt-stephan-braunfels-ueber-johannaoper-seines-grossvaters-296782.html

    Ihre Hasstiraden hat Braunfels Musik nicht verdient und auch nicht nötig.

    Grüße aus dem Labor

    – wechselstrom –

  14. Barbara sagt:

    Ich frage mich, wem dieser „kritische Nachruf“ etwas bringen soll außer demjenigen, der aus welchen Gründen auch immer seiner Kränkung und seiner Wut auf den Verstorbenen Luft machen möchte. Der große Haken daran ist nämlich, dass der Kritisierte tot ist und nichts erwidern kann. Deshalb hätte diese Kritik noch zu Lebzeiten Schlingensiefs erscheinen sollen.

    Als intelligenter und reflektierter Mensch sollte man aushalten können, dass Menschen, die man für angreifbar hält, Verehrung und Anerkennung zuteil wird, auch wenn man dies persönlich vielleicht ungerecht findet.

    Nachrufe sind eine Form der Gesellschaft gemeinsam um jemanden zu trauern und ihm Respekt zu erweisen. Dabei ist Weihrauch und alles, was den Schmerz lindert, erlaubt. Alle, die keine Trauer verspüren, sollten sich aus Mitgefühl und Pietätsgründen zurückhalten bzw.: hätten mal lieber vorher die Klappe aufgerissen.

    Nachtreten ist keine vertretbare Vorgehensweise.

  15. querstand sagt:

    @ all: Zu Trauer kann neben Trauer um den Verlust auf die Wut über Ungelöstes treten. Das Beschweigen ggf. kritischer Punkte post mortem wird gerne als ungeschriebenes Gesetz gesehen. Das erzeugt dann wieder Wut, Verdrängung. Also sollte man Verärgerung auch einen Platz einräumen. Klar, diese wird bei Moritz als erstes sichtbar, allerdings auch klar daß bei seinem Casus damals die Öffentlichkeit sich auch nicht scheute, das Scheitern mehr oder minder ihm zuzuschreiben bzw. aus den Äusserungen Schlingensiefs so herauszulesen, der besonders diese Kritiken dann auch auf seiner Homepage kumulierte. Also kann man, kann besonders Moritz den Eindruck empfinden, daß da nicht ganz wertfrei ihm die Alleinschuld nachgesagt worden ist, was er nun auch noch „Lüge“ nennt. Wie gesagt, das verbirgt Moritz nicht, das schreibt er ganz offen.

    Man sollte aber auch nicht übersehen, daß er grösste Sympathie für das Frühwerk und Respekt für das Engagement bzgl. der politischen Aktivitäten hierzulande wie in Afrika empfindet, nicht nur verpackungshübsch konzediert. Also versucht selbst Moritz zu differenzieren, wo es ihm fast unmöglich ist.

    Das Problem der öffentlichen Wahrnehmung ist hier, daß mit den o.g. Rezeptionsvorgängen zu „Freaxx“ für Moritz der Zug eigentlich abgefahren ist, er kaum eine Chance hat, das danach und hier korrigieren zu können. Für Schlingensief mag in der Uraufführungssituation rein persönlich auch der Zug abgefahren sein, da natürlich die Komposition aufgeführt worden ist entsprechend dauerte und ihm mit seinem Film nur noch Pausenfüllerqualitäten blieben. Das mag seine Wertung der Vorgänge erklären, seine sublime Stigmatisierung Eggerts, die dann wie o.g. zu einer Chancenlosigkeit Eggerts führte. Man muß nur damals die Kritik Manuel Brugs lesen, der die Warte Schlingensiefs einnahm und über das Projekt hinaus, am stärksten, andere aber nicht unähnlich, versuchte, Moritz als Person wie Künstler zu desavouieren.

    Grundsätzlich ist bei dieser ganzen Nummer die künstlerische Seite in Allzumenschliches abgerutscht, was aber auch kein Wunder ist, wenn Menscheln und Menschlichkeit verwoben werden und so unglücklich scheitern, dazu die beiden sehr emotionsbetonten Kontrahenten. Ob nun allein die Stoffwahl schon das Unglück war, schwierig. Was stimmt, worin Schlingensief natürlich Recht hat, ist, daß Menschen mit Behinderung von vornherein keine Entwicklungschance in solchen Stoffen bekommen, sich zu verändern bzw. ihre reine Existenz zu weiteren Unglücken führt, an denen sich das Theaterpublikum mehr als an Vergehen Nichtbehinderter ergötzt, siehe in der Tradition Rigoletto, der Zwerg, etc. Allerdings stellt Theater eigentlich immer zur Schau, z.B. in den Soldaten, in Wozzeck, in Lulu werden Menschen mit sozialen wie psychischen Problemen seziert, führt deren Verhalten und die Reaktion der Umwelt, natürlich dieser besonders, zum Unglück. D.h. aber auch, daß diesen Menschen keine andere Chance als der Tod eingeräumt wird, es sei denn, die Gesellschaft würde sich ändern. Dazu rufen jene zitierten Stücke aber auch nicht direkt auf, implizieren dies vielleicht, können aber auch mit der reinen Rührung ganz gut leben. Solch laues inhaltliches Treiben kann eigentlich nur durch eine starke, antithetische Regiearbeit gebrochen werden.

    Also ist die Wahl eines Künstlers wie Schlingensief für solch ein Projekt wie „Freaxx“ oder auch die Braunfels-Oper gar nicht so falsch, natürlich gibt auch der Braunfels-Enkel ein gewisses „Schockempfinden“ dabei zu. Das mag das Publikum spalten, letztlich ist es aber bei toten Komponisten eigentlich egal, solange Grundkonturen der Musik erhalten bleiben, der Inhalt nach heute kommt. Wobei natürlich auch das handwerklich sehr gut gemachte Rührstück überzeugen kann, entsprechend zeitlose Botschaften in den Vordergrund gerückt werden. Würden wir z.B. jetzt mal wieder all unsere Theater lange geschlossen wissen oder gar zerstört, kann diese reine Rührung sogar das Elixier sein, was man braucht. Wenn allerdings die Gesellschaft unterbrechungslos so prosperiert wie seit den letzten 60 Jahren, muß man ganz andere Mittel anwenden als zu Zeiten der blanken Not oder der Stückentstehung.

    Freaxx nun ist auch kein reines Stück der Jetztzeit, es spielt v.a. in der Welt der Jahrmärkte und Kinematografen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eins zu eins nach heute übernommen kann das natürlich entwürdigend wirken, wie Leute einfach zur Schau gestellt worden sind. Mit den Augen der damaligen Zeit und Mittel sollte man aber auch das kleine Quäntchen Aufklärung dahinter nicht vergessen. Damals gab es eben Reisemöglichkeiten nur für reiche Profiteure des Kolonialismus, war die Welt weder hier noch in den damaligen Kolonien durch unsere Väter oder gegen unsere Väter „befreit“. Die „Zurschaustellung“ hat ja heute eine ganz andere Qualität durch TV, Internet und dgl. erreicht. Trotz heutigem 3D würde die für uns grausig anmutende Jahrmarktspräsentation haptischer gewesen sein als jede Animation es je sein kann. So pervers es klingt: trotz des Profits für den Schausteller konnten ggf. die Ausgestellten immerhin selbständig ihr Leben fristen, ohne staatliche Hilfe, aber eben auch nur fristen! Wenn man von der damals wie heute wieder implizierten Unveränderlichkeit solcher ärmlichen Lebensumstände ausgeht, dann hat das durchaus eine gewisse Würde.

    Kann man das, muß man dies nun heute brechen, wenn man in „Freaxx“ eigentlich nur Sänger auftreten läßt? Beliesse man es bei einer Aufführung „über“ statt „mit“ Menschen mit Behinderung, könnte man ganz gut fahren, vielleicht auch jenseits reiner Rührung, wenn man den Voyeurismus des damals dargestellten wie heutig anwesenden Publikums offenbart, gleichsetzt, wie auch immer.

    Wenn man nun das Experiment beginnt, tatsächlich richtig, heute lebende Betroffene, als existierende Menschen mit Behinderung spielen zu lassen, wird es eigentlich fast wieder unmöglich den Voyeurismus zu unterbinden. Der spielt dann sofort einfach mit, egal ob im Vorder- oder Hintergrund. Nun kann man darauf auch ständig hinweisen, oder man fasziniert ganz ohne Zeigefinger, präsentiert den Menschen einfach als Menschen, mit oder ohne Behinderung.

    Schlingensiefs Problem war nun, daß seine Lösung in diesem Kontext auch dem Voyeurismus freien Lauf gelassen hätte, gerade wenn man die „Unvollkommenheit“ des laienhaften Gesanges der schauspielerisch höchst professionellen Darsteller mit Behinderung erlebt hätte. Im Vergleich zu ausgebildeten Sängern kann jeder Schauspieler wie ein Gesangslaie wirken, bei Menschen mit Behinderung wird das dann noch potenziert, gerade wenn die Profisänger wie eine Prothese neben die Darsteller mit Behinderung als Anleitung gestellt worden wären. Dem Respekt vor der formidablen Leistung der Menschen mit Behinderung wäre so immer ein Hinweis auf Unmöglichkeit beigestellt worden, wäre Rührung oder Voyeurismus über die unausgebildeten Talente der Menschen mit Behinderung geblieben.

    Dabei wäre doch gerade die musikalische Revue der ideale Tummelplatz für Talente aller Coleur! Hier singen Schauspieler, sprechen Sänger, heben sich die Mängel der einen mit der anderen Sparte auf, ohne daß man akademisch ständig auf diese Mängel hinweisen müsste, wie es Schlingensief ggf. unterlaufen wäre, hätte man seine Begleitlösung umgesetzt. Vom stand der Proben wäre es aber auch nicht anders gegangen, da die Arbeit an ihr mit den Sängern schon abgeschlossen war, diese eben im Notfall sofort hätten einspringen müssen. Hätte man nun den Sängern die erst später dazukommenden Darsteller mit Behinderung einfach so zur Seite, gar stumm stellen können? Sicherlich wäre das bei dieser Zeit- und Probenkonstellation das Einfachste gewesen, vielleicht auch ausreichend. Natürlich wäre das nie so wirkungsvoll gewesen, wie mit den Unvollkommenheiten der anderen Lösung die Musik zu übertünchen! Zugegeben, bei allen Projekten Schlingensiefs mit toten Komponisten, auch wenn erst jetzt deren Opern geboren werden wie bei Braunfels, wäre dies sogar die mitunter ehrlichste Lösung, die Oper einfach aufzulösen.

    Bei „Freaxx“ aber hat die Revue, die wohl auch die heftigsten Eggert-Kritiker hörten, das Opernkorsett schon durchdrungen. Am ehrlichsten wäre es also mit der oben beschriebenen Offenheit der Revue gewesen, die Menschen mit Behinderung von vornherein mit aller Vorsicht von Anfang an komplette Gesangspartien zu geben. Das ist natürlich eine Frage des Arrangements zwischen Veranstalter, Komponist und Regiesseur. Wenn man den gewohnten Weg geht, erst die Musik zu proben und die Menschen mit Behinderung erst später als Bestandteil der Regie zu starten, jene Regie, die diese Menschen vielleicht auch gar nicht frühzeitiger „freigeben“ wollte, dann wäre nur die unspektakuläre stumme Möglichkeit für diese Darsteller geblieben, was der Regie wieder zu schwach war. So versuchte Schlingensief in letzter Minute die Übermalung und konnte sich dann in diesem weitfortgeschrittenen Prozeß nur noch herauskatapultieren. Er ließ ja auch immer die Möglichkeit einer zweiten Produktion durchschimmern, gab also auch der Musik eine Chance, vielleicht wäre das auch eine Weg geworden. Verbarrikadiert hinter den Kritiken gegen den Komponisten war es dann später doppelt verunmöglicht, mußte Eggert vollkommen verunglimpft werden.

    Nur wäre in einer zweiten Produktion vielleicht der Probenprozess gemeinsam gestartet worden, sogar bei der Komposition nochmals eingehakt worden zu einer änderungsfähigen Probenvorzeit, wäre dies schon bei der ersten geschehen, dann hätten wir vielleicht ein stichhaltigeres Erlebnis gehabt und hätte sich weder der Regiesseur damals für seine Versäumnisse oder der Komponist für die nachfolgenden Unterstellungen exkulpieren müssen. Eigentlich sind beide im Sinne einer Absolutheit der Kunstfreiheit von vornherein schuldlos. Es ist die Verantwortung der Produzenten und der Rezeptionsverbreitenden selbst Gescheitertem eine zweite Chance einzuräumen. Ich kann mir durchaus selbst ganz andere gescheiterte Musiktheater in einer revidierten Neuauflage vorstellen. Das wäre sowieso interessant, da alle Parteien sich dann doch in einer entspannteren Atmosphäre nochmals neu an den Start könnten. Ich habe dies nicht mit einem Werk aber dem gleichen Textautor mal versucht und erntete beim erneuten Male viel differenziertere Meinungen als zuvor. Es besteht eben beim Feuilleton immer die Tendenz vorschnell einer Partei die „Schuld“ zu geben, je pressewirksamer oder berühmter die andere ist, um so unhinterfragter werden deren Argumente übernommen, werden Mauern errichtet wo vorher nur Donner herrschte! Ich hätte Eggert und Schlingensief eine zweite Chance gewünscht! Gefährlich aber auch ehrlich, daß er hier und jetzt sein Empfinden äusserte, natürlich muß auch jene Seite den Überschwang der Nachrufe der anderen ertragen können, wenn man zum Schwert greift. Allerdings sind all die anderen Nachrufe einfach nur hehr und unkritisch, was selbst Unbeteiligtere wie Arno Lücker aufstossen ließ! Eigentlich sollte man demnächst keine Lebensläufe mehr abgeben sondern nur noch selbstverfasste Nachrufe, am Besten sarkastisch und böse gegen sich selbst. Aber leider wollen die Medien nur die lesen, die unverbindlich Ehrungen aufzählen und nicht zu genau Auskunft über das Hier und Jetzt der Standpunkte des Künstlers geben, nur ein Verlauf, nicht der Lauf der Dinge ist gefragt…

    Alexander Strauch

  16. JJ sagt:

    Zum Andenken an Christoph Schlingensief

    In diesen Tagen wollte Christoph Schlingensief mit den Proben an meiner Oper METANOIA beginnen. Dazu kommt es nun nicht mehr. Christoph ist tot. 

    Ich habe Christoph erst über die gemeinsame Arbeit an METANOIA kennen gelernt. Dabei stand von Anfang an fest, dass seine Mitwirkung gefährdet war. Ich habe ihn für die Kraft und die Tapferkeit, mit der er seine Krankheit bekämpfte, sehr bewundert: wie er bewusst jeden Tag als Geschenk annahm und trotz allem weiter an seinen Visionen arbeitete. Ich bin dankbar, dass dieses Projekt uns zusammenführte und ich Christoph darüber kennenlernen durfte. 

    Komponist und Regisseur stehen in einem natürlichen Spannungsverhältnis: die Partitur entsteht über Monate in einem einsamen Schaffensprozess und legt den Ablauf des Stücks präzise fest; die Inszenierung integriert spontane Einfälle und Aktionen aller Beteiligten. Darüber hinaus hatte Christoph den Anspruch, nicht nur seine eigene Lesart, sondern – wie ein Autor – auch seine eigenen Geschichten zu vermitteln. Die Zusammenarbeit mit ihm war daher schon im Vorfeld nicht einfach. Für mich bleibt entscheidend, dass wir immer ehrlich mit einander umgegangen sind. Auch für seine Schonungslosigkeit habe ich ihn bewundert.  

    Seine Sichtweisen und Interventionen sind in die Partitur eingegangen. Vor allem hat er mich mit den Texten von René Pollesch konfrontiert und damit eine mir selbst bis dahin völlig unbekannte Musik provoziert. Dieses Aufspüren des Unbekannten hat ihn fasziniert, und darin fühle ich mich ihm verbunden. Anstatt mich der Texte von René Pollesch mit meiner Musik zu bemächtigen, habe ich mich darauf eingelassen, dass die Texte zuerst mich und meine Musik durchdringen, dass alle Klänge aus dem Text herausgearbeitet werden. Im „Abarbeiten“ an Christophs Forderungen schuf ich mit METANOIA nicht nur ein Werk, sondern auch ein Werkzeug, das – jenseits irgendeiner „Werktreue“ – offen für seine Auslegung sein konnte. Es entstand im Gespräch mit ihm, und in ihm kommt daher auch er zum Sprechen.   Jens Joneleit

  17. Martin Torp sagt:

    an „wechselstrom“ und Barbara:

    In der Sache habe ich nichts zurückzunehmen, gebe aber zu, dass der Tonfall meines obigen Beitrags ziemlich harsch war. Auf jeden Fall war er offensichtlich zu scharf für diese Bad-Blog-Community. Daher konnte das Mißverständnis entstehen, ich würde Schlingensief hassen oder sei von ihm persönlich gekränkt worden. Es ist nur so, dass ich in puncto Formulierung gern mal „scharf koche“. Aber ein Koch, der gern mit Pfeffer und Paprika würzt, ist ja deswegen auch noch lange kein zorniger oder haßerfüllter Koch. Auch betrachte ich meine Funktion in dieser Blog-causa als vergleichbar mit der des Kindes in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Dieses spricht seine schlichte Einsicht ja auch ohne Zorn oder Gekränktheit aus – und verfolgt im übrigen mit seinen Äußerungen keinerlei persönliche Interessen.

    Was den MENSCHEN Christoph Schlingensief angeht, so kann ich nur wiederholen, dass er auch auf mich sympathisch gewirkt hat. Und da ich an ein Weiterleben der Seele (nicht des Egos) nach dem irdischen Tod glaube, wünsche ich seiner Seele, dass sie nun den Frieden dauerhaft finden möge, den er in unserer Welt anscheinend nur selten fand.

    Was Stephan Braunfels‘ Interview (Merkur, 22. 4. 08) angeht, so entnehme ich seinen Äußerungen, dass er die Inzenierung der Braunfels-DE garnicht soviel anders beurteilt als ich. Er ist nur wesentlich diplomatischer und pragmatischer. Man darf auch nicht vergessen, dass er zum Zeitpunkt des Interviews lediglich Proben-AUSSCHNITTE kannte. Er sagt sehr deutlich, dass er sich Nikolaus Lehnhoff als Regisseur gewünscht hatte (was in diesem Fall sicher auch eine ideale Lösung gewesen wäre). Die Intendantin Kirsten Harms hat das aber offenbar abgelehnt und den ihr spektakulärer erscheinenden Schlingensief zur Bedingung gemacht. Die Rechnung ging insofern für sie und die Deutsche Oper Berlin auf, als die Presse fast durchgehend zustimmend bis euphorisch auf die Inszenierung der Schlingensief-Mannschaft reagierte. Walter Braunfels und der Rezeption seiner Johanna-Oper hat dieses Chaos-Theater aber eindeutig geschadet. Übrigens saß ich nach der Premiere mit den Gesangs-Solisten zusammen. Fast alle lobten Braunfels‘ Musik – und schimpften auf Schlingensief & Co. …

    Und schließlich: Meine Bemerkungen vom 29. 8. waren nicht eigentlich gegen Schlingensief gerichtet, den ich ja nun ohnehin nicht mehr treffen kann. Sie waren vielmehr eine Reaktion auf Äußerungen von Leuten wie Elfriede Jelinek, die nach seinem Tod verkündete: „Schlingensief war einer der größten Künstler, die je gelebt haben.“ Ob es besser gewesen wäre, dem schon zum Zeitpunkt der Berliner Braunfels-DE schwerkranken Schlingensief noch zu Lebzeiten mit meiner Kritik zu belästigen, wage ich zu bezweifeln. Jetzt kann er sich zwar nicht mehr selber verteidigen; aber es gibt genügend andere Leute, die das gerne für ihn erledigen. Ich habe ihn nach meinem Schlingensief-Schlüsselerlebnis 2008 in der Deutschen Oper sehr bald verdrängt und vergessen. Aufgeweckt haben mich aber nun die Äußerungen von Jelinek & Co. Das rief geradezu nach einem Kontrapunkt.

  18. querstand sagt:

    @ Jonleit/Torp/“Barbara“ (wer sind Sie, tragen Sie Rhabarber-Bart?)/Eggert/Janson/Theiler: Auch wenn Sie Herr Torp, mich nicht mit Ihrem Beitrag meinten, antworte ich dennoch. Zu „scharf“ war Ihr Beitrag nicht! Im Prinzip schilderten Sie erstmal „die andere Seite“, so wie es Moritz Eggert hier anschlug. Daß man sich seitens der Deutschen Oper nicht für Lehnhoff entschieden hat – man weiß ja auch nicht, was da hervorgekommen wäre. Ich denke, daß Frau Harms der Name „Braunfels“ vielleicht doch als so riskant erschien, dass sie ein Spektakel auf der Regie-Seite als berühmten Namen setzen zu meinte. Was die „öffentliche“ Meinung, also das Feuilleton angeht, schien ihre Entscheidung aufzugehen. Die Frage ist natürlich, ob sich jemand Zweites trauen wird, das Stück mit einem unspektakuläreren Konzept umzusetzen, der Hammer hängt in der Kritik natürlich jetzt hoch oben, egal ob das mit Braunfels selbst oder seinen Erben im Einklang zu bringen ist.

    Ich muß natürlich entgegen meinen letzten Äusserungen Ihnen schon zugestehen, daß eine Erstaufführung eines unbekannten Werkes eines relativ vergessenen Komponisten eine exemplarische musikalische Wiedererweckung benötigt und die Regie erstmal dabei unterstützt denn total umdeutet. Aber vielleicht ist ja gerade dazu Schlingensief doch gut gewesen, mag seine Version auch etlichen das Werk auf eine ganz eigene Weise erschlossen haben. Wenn nun kein so extrem aus seiner eigenen Existenz schöpfender Mensch eine Inszenierung wagen sollte, muß die dann aber doch weit über „Stadttheaterniveau“ – nichts gegen diese ehrwürdige Institution – an Qualität aufweisen. So mag man Schlingensiefs Interpretation genial oder als Bärendienst empfinden, letztlich könnte dies Braunfels vielleicht genutzt haben, wenn sich meine Befürchtung des nun zu hoch hängenden Hammers doch nicht bewahrheiten sollte.

    Letztlich könnten Sie aber auch Recht haben, daß jetzt erstmal Schlangenlinien um Braunfels gezogen werden. Ich hoffe auf den Schlingensief-Zug!

    Ach ja, und daß Sänger mit dem einen oder anderen Regiesseur mal so oder nicht ihre Probleme haben, na ja. In dem Fall sollte man nicht vergessen, daß die Person Schlingensief gar nicht so stark vor Ort ins Geschehen eingreifen konnte, wie sonst bei persönlicher Anwesenheit, mag das Team auch so sehr mit ihm in der Ferne kommuniziert haben. Höchstwahrscheinlich führte diese Absenz erst Recht zu Unwillen und Störungen im Betrieb, die er persönlich hätte kollidieren und/oder auflösen können, so daß sich die Befindlichkeiten aufgelöst hätten.

    Aber was soll es! Wichtiger ist jedenfalls, daß bei toten Komponisten, egal ob bekannt oder neu zu entdecken mit gleichem Maß gemessen werden sollte. Und wenn es da zur Sache geht, warum nicht ein ganz freier, gnadenlos individualistischer Zugang durch die Regie? Ich würde sie bevorzugen, wenn sich was Plausibles daraus ergibt. Und so sehr ich die Probleme eines lebenden Komponisten in Bezug auf das Scheitern mit Schlingensief verstehe und dabei auch bei jenem ein Gutteil an Verantwortung versuchte nachzuweisen, teilweise vielleicht etwas fragwürdig, ob der gerade wegen seines Umgangs mit behinderten Menschen angefragte und deshalb wohl auch gerade deshalb zugesagt habende Künstler Schlingensief da nicht unverantwortlich vorging, entgegen seinen Äusserungen im youtube-Beitrag zu seiner Freax-Arbeit, also diese heikle Frage zu stellen wagte, die man stellen muß, wenn man über den Vorwurf persönlicher Befindlichkeiten, die sich nicht nur bei Eggert, sondern gegen Eggert auch besondern beim genauen Hinsehen auf die Gewichtungen seitens des Verstorbenen sehen lassen, hinaus zu einer Antwort in der Kollision und dem Auseinanderdriften zweier ernsthafter Künstler finde möchte, ohne Eggert oder Schlingensief zu verdammen, aber letzteren gerade jetzt in einem kritischen Licht zu betrachten, wo er nebulös verklärt wird, so sehr bezweifle ich die Rechte eines toten Komponisten geschweige denn seiner Erben an einer absoluten Deutungshoheit, gerade wenn es keine Aufführungsrezeption gibt. Man konnte schon konzertant durchstarten, so nun die szenische und provokante Herangehensweise, die dann doch für einen Gegenwartstransport sorgte. Ich sehe schon die Kraft in Schlingensief dafür angelegt, zumindest konnte ich diese mit meiner bescheidenen Recherche vorfinden, sogar bei der Fremdverstümmelung 2007! Schade, wenn es wirklich soviel Trampellärm gab. Vielleicht hätte man da auch musikalisch radikaler werden müssen, mehr verstärken, sogar rabiat Uminstrumentieren, da ist mir sowieso viel zu viel „heilig“ im Betrieb, zu viel Universität und Musikwissenschaft in der Opernbude, die dann nicht die Folie sondern den Vordergrund bildet.

    Warum selbst nicht Wagner uminstrumentieren? Sogar bei der Neuen Wiener Schule? Lulu gibt ja Ansätze, Moses und Aron. Selbst bei B.A. Zimmermann könnte man radikaler sein – was sind denn die elektronischen Einspielungen dort des Bühnenschlagzeugs anderes? Mag es noch so echt klingen, Elektronik ist eine Verfremdung! Also eine kleine Uminstrumentierung, Umstrukturierung, nur als Platzkompromiss, aber vom Komponisten eigentlich nicht gewollt. Und was sind heutige Aufführungen von Opern verstorbener nichts anderes als Kompromisse? Selbst ca. 1910 hat man auf dem höchsten Stand der Spieltechnik „Erwartung“ anders intoniert, phrasiert als man es heute macht! Was sind „historisch informiert“ musizierte Klassiker, Frühromantiker anderes als Bearbeitungen? Damals klang es anders, wurde auch schon erweitert, gekürzt. Und warum soll der Willen des Komponisten immer so im Mittelpunkt einer Jetztzeitumsetzung stehen als der Willen des Heute? Warum immer diese komischen Cembali oder Hammerklaviere in Secco-Rezitativen? Warum nicht E-Gitarren?

    In der Oper geht es nicht nur um die Musik des Meisters, es geht um das Musik- und Szeneermöglichen von heute. Da könnte es statt auf der inszenatorischen auch mal auf der musikalischen Seite jenseits von Traumstimmen, Weltorchestern und Stardirigenten spannend werden. So wichtig exemplarische musikalische Umsetzungen sind, es braucht auch da mehr Ideen als Perfektion und „Werktreue“, die die Szene ganz neu herstellen möchte, die Musik bewahren will. Daß nun die Regie heute auch so ihre Probleme hat, ja genau diese nur leise moderat modernisierenden wie Lehnhoff beleben erst recht nicht die Kraft der Entstehungszeit, wo man das Stück garantiert auch nicht so verstand, wie wir uns anmassen als erste Generationen die Opern adäquat zu wissen. Jede Premiere muss so knistern wie die Uraufführung. Und die überlebenden Stücke provozierten alle, und wenn es nur die Störung einer Bühnenkonvention war – selbst der angeblich bourgoise Rosenkavalier mit zwei Frauen im Bett war doch eine Provokation, wurde untersagt, werden diese zwei Frauen heutzutage im Bett kleinbürgerlich genossen… wehe die Regie entlarvt die Freuden der gaffenden Opernglasbeamten an diesem Pseudo-Lesbismus, dann tönt es wieder nach Werktreue – dabei liegt sie genau vor Augen…(Wie wäre ein DB-Freiticket für jeden, der keine GEZ mehr zahlen muss? Dann gäbe es vielleicht wieder mal Rosenkavalier-Sonderzüge zu Opernaufführungen, sogar zu Metanoia, statt der TV-Hypnose, die man nur für angebliche Werktreue mal abstellt…)

    Da kann man von Schlingensief tatsächlich lernen, ohne ihn unbedingt kopieren zu müssen – auf die Lehren aus ihm ging ja von Ihnen/Euch noch keiner ein, ausser im Nachruf stecken zu bleiben? Wo sind Eure Ideen? Ich schmeisse mit Dreck um mich und entdecke dabei erst Recht Schlingensiefs Möglichkeiten für Komponisten!

    Und ich wünsche auch DIR, JENS JONELEIT, eigentlich nur das Beste, meinen Unkenrufen zum Trotz! Dazu gehört aber eine starke szenische, operatische Musik (das ist bei Dir garantiert was Anderes als bei mir), auf dass v.a. und zuerst die Intendanten sich was von Dir sagen lassen (ich erlebte selbst, wie sie einem Ratschläge geben, wie man schon versteht, warum sie Spannungsverluste fürchten, sie aber partout die falsche Stelle meinen, gerade die man zuerst mal musikalisch richtig umgesetzt wissen möchte…).

    Aus Deinen Darstellungen aber entnehme ich, daß Du Dich da nochmals im Vergleich zum Piero mächtig entwickelt haben wirst, was wirklich ein Gewinn wäre! Ich drücke die Daumen und wünsche ToiToiToi!!

    Ihr/Euer
    Alexander Strauch

  19. querstand sagt:

    Meine natürlich „Joneleit“!!

  20. querstand sagt:

    @ all: Es ist Alles noch schlimmer!

    Der Regiebetrieb wird mir immer sonniger, wenn ich den neuen, agenturgesteuerten Opern-Komponisten-Markt sehe.

    Der unter dem Namen „Joneleit“ gepostete Nachruf könnte von ihm persönliche stammen, einige Statements darin werden es wohl sein. Merkwürdig doch, wie sich die darin äussernde Person kein Quentchen auf die vorigen Beiträge hier direkt bezog. Die anderen Kollegen und Kolleginnen – wenn ich Sie trotz vieler Gegensätze mal so betiteln darf – reagierten emotional, direkt oder so spitz, daß der Kontext sofort klar offensichtlich ist. Ich erlaubte mir mal wahllos die Sätze „(…)Die Zusammenarbeit mit ihm war daher schon im Vorfeld nicht einfach. Für mich bleibt entscheidend, dass wir immer ehrlich mit einander umgegangen sind(…)“ in die meistgehasste und doch meistgenutzte Suchmaschine zu kopieren, hier der Link dazu.

    Unter den ca. 83.300 Ergebnissen sticht der erste sofort heraus, das ist das hiesige Posting. Das zweite und das sechste verweisen auf einen gleichlautenden Beitrag eines Ekkehard Wolfs, ein Autor der hessischen Offenbach-Post, dessen Artikel auch in einem „myspace-Schlingensief-Blog“ – das sechste Suchergebnis – verwendet wird. Ich bleibe bei der Offenbach-Post! Denn trotz all der Nachruferei, der Neue-Opern-Betrieb ist und bleibt promisk, geht fremd, ohne Skrupel, je nach PR-Bedürfnis, bar jeder persönlichen Note! Hätte ich, lieber Jens, die jenseits der wohl durchaus ernstgenommenen Textbausteine und Deiner Musik auch irgendwie direkt anknüpfend in Deinem Statement hier gefunden, hätte sich mir der unpersönliche Zusammenhang zu hier,so ernst der Nachruf auch sein mag, nach mehrmaligen Lesen erschlossen, ich würde jetzt schweigen. So tut sich ein weites, ein noch traurigeres, existenzbedrohendes Feld auf.

    In dem Offenbach-Post-Online Beitrag des Herrn Wolf wird also in Teilen wortwörtlich der gleiche Text verwendet, der bei uns als getarnter Nachruf nur schnöde Eigenwerbung ist. Und in dem ach so lokal auf Joneleits Herkunftsgemeinde beschränkten Beitrag wird über die Verwaisung des Regiestuhls räsoniert, wird der hier wie da verwendete Pressetext wie ein persönliches Gespräch verpackt – deshalb kann man es sich wohl sparen, hier im Blog direkt zu uns zu sprechen. Also, man liest, daß es an der Regie mangelt, traurig genug, wie man im KIZ der nmz nachlesen konnte, wird die Arbeit wohl eine Assistentin beenden. In der Offenbach kein Wort davon, was einiges klarstellen könnte, in moralischer Hinsicht. Was passiert: trotz dem Regieproblem, daß in jenem Kontext NICHT gelöst ist, wird auf die Uraufführung verwiesen, die ausverkauft sei, werden richtig schön teure Karten zu 28 und 82 (schöner Zahlendreher!) für die Folgevorstellungen angepriesen. Das nimmt doch jedem Nachrufansatz die entsprechende Würde. Selbst Massennachruffe, so z.B. Katharina Wagners, wurden in jeder wichtigen Zeitung angefragt und zitiert und durchaus unterschiedlich klingend, wenn auch das gleiche meinend verbreitet. An welchen Avatar habe ich nun mein „ToiToiToi“ gerichtet – ich meinte es trotz ziemlich kontroverser Sicht auf das Metanoia-Projekt im jetzigen Zustand eigentlich ehrlich, will für meine anderen Beiträge dazu gar nicht geliebt werden, bin seit Löbes Premierenworten auf der Münchner Biennale und dann meiner wiederbelebten Bayreuther Choralerinnerungen (1992!) ultraskeptisch im Bezug auf Joneleits Karriere, sehe ein zu grosse Naivität bei ihm dem Betrieb gegenüber, der ihn gnadenlos für seine Bedürfnisse einnimmt, aber nicht auf seine Musik wirklich hört, die durchaus Dimension hat, sondern in Bezug darauf nur ihre Selbstbestätigung in den Bereichen „Genie“ und „es gibt noch Neue Musik, die wie diese klingt und die wir kennen“, statt auf die eigentliche Sprengkraft zu hören, die vielmehr auf Alan Patterson als Lachenmann verweist!

    Und nun höchstwahrscheinlich seitens seiner Agentur „Karsten Witt“ solche Textbausteine. Abgesehen davon wird die ganze Netzrecherche noch abgründiger!!

    Liebe Kollegen, vergesst ab sofort, Euch persönlich an der Berliner Staatsoper zu bewerben! Einzig wenn Barenboim Euch hören sollte, habt Ihr eine Chance, oder sonstige widrige Beuteraster erfüllt sind. Der Grossteil der Neue Musik Premieren diese Saison 2010/11 wird durch Komponisten bestritten, die durch Karsten Witt vertreten werden. Also zuerst Joneleits Metanoia, dann Matsukaze von Toshio Hosokawa. Henze ist mit seiner Phädra auch dabei, als Wiederaufnahme. Die anderen Namen Pauset, Sciarrino und Maxwell Davies werden wohl durch andere vertreten, Henze ist unerheblich. Wenn man nun Hosokawa, durchaus sehr berühmt inzwischen und Joneleit als schwächste und neueste Kollegen in dieser Kette sieht, dann weiß man sofort, wie chancenlos man ist, nicht bekannt zu sein und nicht stark gemanagt zu werden.

    Warum diese Manager? Liest man bei der Karsten-Witt-Agentur die Biografien der Mitarbeiter, wird da von grossartigen, internationalen Hochschulabschlüssen berichtet, gleichzeitig, bis auf wenige Ausnahmen echter musikalischer Professionalität, wird mit verschmitztem, vollkommen überflüssigen Augenzwinkern auf die laienmusikalischen Erfahrungen hingewiesen. Merkwürdigerweise fehlt in Komponistenbiografien fast immer ein Hinweis auf die Hobbies. Ach ja, das Hobby Komposition dient angeblich dem Broterwerb. Dann fehlen nie die Stipendien, davon lebt man ja nicht -oder? Wenn Komponisten tatsächlich von ihrer Kunst allein leben, dann als akademisches Personal oder durch Stipendien abgesichert. Oder ein anderer musikalischer Brotberuf.

    Wenn man wirklich mal an das teure Leben hierzulande denkt, wird doch klar, dass selbst die stipendiengesegneten Kollegen von ganz einfachen Tätigkeiten leben oder fast noch öfters am Futternapf ihrer Familie hängen. Wie soll man sich noch trauen darauf hinzuweisen oder auf die echten Jobs im Schweisse des Angesichts deuten, was man selbverständlich bei normalen Berufsbewerbungen vornimmt. Ich traute mich das bisher nicht. So werden die Lücken mit „viel Kunstarbeit“ kaschiert, die im Moment des Entstehens nicht die Geldquelle ist.

    Wenn nun Opern Aufträge vergeben, an denen zugleich noch Agenturen verdienen, könnte man stammtischhaft sagen, dass diese öffentlich-rechtlichen Subventionen zu einem Promillteil durch die Steuergelder der brotjobabhängigen Agenturfreien, durch wie auch immer in Stiftungen umgelegte Urheberrechtstantiemen der Gleichen mitfinanziert werden, wobei diese Leichtgewichte nicht mal ermässigte Karten erwerben können, es sein denn man kennt die Dramaturgie oder einen Mitwirkenden.

    Eine Gelegenheit gibt es nun schon, diese Agenturen und deren Schäfchen nicht mitzufinanzieren und trotzdem an ermässigte Karten zu kommen! Und nun wird es wirklich traurig: als Hartz-VI-Empfänger, wenn das Theater dafür Kontingente, natürlich nicht zur Premiere überhaupt vorsieht.

    Und nun eröffnet sich das ganze Feld an Abgründigkeit: die meisten Kollegen sind tatsächlich durch ihre Familien und Eltern abgesichert. Diese Kollegen können es sich leisten, auch ohne Stipendien und Aufträge Kunst zu produzieren. Natürlich kämpfen da viele auch um ihr täglich Brot, um den Angehörigen ihre Unabhängigkeit zu beweisen, dass man nicht Kurator oder Jurist oder gleich Beides im Kulturbetrieb sein kann. Dennoch sind es aber diese im Zweifelsfalle doch jenseits der Sozialhilfe abgestützen Kollegen, die aufgrund ihrer persönlichen weitläufigen Familienverhältnisse am ehesten die Förderung einstreichen. Das ist natürlich Alles nicht wirklich Statistik, aber auch ein klein wenig Berufserfahrung der letzten 14 Jahre.

    Ich selbst verdiene meinen Unterhalt in der Wohnungslosenhilfe, meine Eltern sind einfache Musiker, dahinter eine lange Familientradition. Aber unterstützen können sich mich nur sehr gering. So richtig ernst wird es sogar bei Kollegen, die selbst den Rom- oder Siemenspreis innehatten. Deren Väter sind Komponisten, beide sind selbst eigentlich herausragende Leute, weit talentierter als ein Pintscher oder selbst ein Joneleit! Vielleicht sind beide deshalb gerade nicht bei Agenturen, wie ich selbst, da die Musik immer schon, selbst im Bauche ihrer Mutter, rundherum zum Leben gehörte. Der erste hat immerhin eine musizierende Frau, die ihn in harten Zeiten stützt, der zweite jobbt hart, war selbst auf Hartz-IV mal angewiesen.

    Irgendwie tut sich da doch die ganze Perversität des Systems auf! Diese natürlich vereinfachende Einteilung meinerseits zeigt doch, wie eklatant das Neue-Musik-System sich in „Bedeutung“ nicht nur im ästhetischen Sinne, sondern wortwörtlich im materiellen Sinne ergeht. Das mag schon immer so gewesen sein, gerade aber im Bereich der so hehren, freien Kunst herrscht gerade bei reinen Komponisten, die höchsttalentiert sind und tatsächlich auch diese „Genialitätsbeweise“ erhielten, zeigt sich, wie wichtig „Herkunft“ in der Musikszene ist, sofern man kein Instrumentalist.

    Die Menschen, die sich vieles aneignen mussten jenseits der Muttermilch, aber dennoch nicht um das nackte Überleben kämpfen müssen – sofern man Sozialhilfe hier so definiert – , diese haben immer die besseren Chancen. Statt Jurist oder Arzt werden sie Künstler, machen ihr Daunenbett zum Problem ihrer Existenz. So verwirklichen sie sich gefahrlos ein Künstlerbild, was laienhaft gesagt immer noch gut zum nickelbrilligen Schubert passt, derweil die, die diese Brillenform als ihren Namen tragen – da versteckt sich einer der beiden o.g. Musikvatermuttermilchler – müssen. Da simulieren sich einige eine Existenz, die sie aber nicht wirklich erleiden, da sie ihre angelernte Netzwerkfähigkeit immer weiter nach oben trägt. Man kann sich als Kind von Musikern nur wünschen, dass einige der Schüler, die Schubert mit der Knute strafte, wenn er während seiner Lehrverpflichtung als Hilfslehrer eigentliche die Lieder schrieb, Nachkommen haben, die jetzt vorgeben, so wie Schubert sein zu wollen, aber doch immer einen Rettungsanker versteckt haben, den Schubert nicht hatte. Möge Schubert seine Knute recht fest geschwungen haben! Vielleicht kommt dies ja mal in einem esoterischen Werk zum Vorschein.

    Ich will nun keine Knute, ich will aber mehr Offenheit! Und die sollte man hier unbedingt zeigen, jenseits von Textbausteinen und Agenturen. Oder sind die Vertragsklauseln so freiheitszerstörend? Was hilft eine innere künstlerische Freiheit, wenn man sie ausserhalb seiner Werke nicht zeigen darf? Was hilft es, wenn sogar Künstlerinnen heute immer wieder ihre Mutterwerdung verheimlichen müssen, um weiterhin Jobs zu kriegen? Was hilft es, die Kunstfreiheit im Grundgesetz zu wissen, aber sich letztlich im grossen Geschäft in einer engeren inneren Emigration zu befinden als Anton Webern während der Nazizeit? Warum trauen wir jüngeren und jungen Komponisten uns nicht, auch nur einen Bruchteil der Provokation der Regiesseuren auszuleben? Was ist denn an Rockmusik in der Neuen Musik wirklich so provokant, worauf jetzt so viele setzen? Wo schlagen wir unsere Dickschädel wirklich blutig denn an Ikeaschreibtischen und Macbooks? Warum sind dann selbst die meisten unserer künstlerischen Äusserungen immer so brav hochkulturell oder poetisch diffus? Wir hoffen immer auf die grosse Entdeckung nach dem Tode, wenn wir das Leben von hinten definieren oder lassen ein Scheitern vor dem Scheitern im Fragment scheitern. Und gerade wenn wir nichts aussagen, als dass wir nichts direkt aussagen können, dann haben wir Erfolg, belohnt uns das System, klopft auch mal eine Agentur an. Woraufhin wir uns dann noch weniger trauen, als zuvor! Mögen die Textbausteine ernstgemeint sein, mögen sie aber auch in dem Fluss dahingleiten, in dem hoffentlich bald nicht mehr so schnell steigen müssen! Wann beginnt endlich mal unser Seelenrafting? Ruhe die ganze Unfreiheit der Neuen Musik doch endlich sanft und möge uns Schlingensief in seiner ganz eigenen Kraft eine Warnung wie Vorbild sein. Amen.

    Gute Nacht,

    Euer Alexander S.

  21. @querstand/Alexander
    Deine kritischen Bemerkungen unterstütze ich voll, allerdings würde ich die Bedeutung von Agenten bei der Beschaffung von Kompositionsaufträgen oder Aufführungen nicht als so hoch einschätzen, da dürften andere Mechanismen (gewachsener Bekanntheitsgrad, Kontakte, genereller „Ruf“) wesentlich wichtiger sein, zumindest bei Komponisten (bei Interpreten, vor allem Sängern, ist die Bedeutung von Agenturen wesentlich höher).
    Jens Joneleit läuft bei Karsten Witt wohl so ein bißchen als Experiment (vielleicht waren die unter seinem Namen verfassten Beiträge auch ein Experiment), aber natürlich kann ein erfahrener Mann wie Witt dem eher wortkargen Joneleit manche Verhandlung besser führen, wer weiß?
    Bestes Beispiel fürs Gegenteil ist der wohl meistaufgeführte deutsche Komponist, Wolfgang Rihm, der meines Wissens nie mit einem Agenten zusammengearbeitet hat, und auch seine Kontakte komplett selber pflegt. Henze war lange „der“ Henze bevor er jetzt, in hohem Alter, mit Agenturen arbeitet, um seine Kontakte zu pflegen. Auch die Bedeutung von Verlagen ist anders als oft eingeschätzt: Henze erzählte mir mal, dass er bei seiner ganzen Zeit bei Schott kein einziges Mal einen Kompositionsauftrag durch diese vermittelt bekam.

    Ich fürchte, dass Dein Kommentar auf andere Weise schrecklich wahr ist: Wir Komponisten sind größtenteils einfach zu uninteressant für die großen Agenturen, da wir zu wenig Geld für zu viel Arbeit einbringen, außerdem ist es viel schwieriger, Aufträge zu vermitteln als Konzerte an Land zu ziehen. Dies mag sehr wohl Ausdruck für die fallende Bedeutung Neuer Musik in der generellen Musikpolitik sein, da hilft auch kein Scelsi am Bahnhofsgleis.
    Moritz Eggert

  22. erik janson sagt:

    Was hilft eine innere künstlerische Freiheit, wenn man sie ausserhalb seiner Werke nicht zeigen darf? Was hilft es, wenn sogar Künstlerinnen heute immer wieder ihre Mutterwerdung verheimlichen müssen, um weiterhin Jobs zu kriegen? Was hilft es, die Kunstfreiheit im Grundgesetz zu wissen, aber sich letztlich im grossen Geschäft in einer engeren inneren Emigration zu befinden als Anton Webern während der Nazizeit? Warum trauen wir jüngeren und jungen Komponisten uns nicht, auch nur einen Bruchteil der Provokation der Regiesseuren auszuleben? Was ist denn an Rockmusik in der Neuen Musik wirklich so provokant, worauf jetzt so viele setzen? Wo schlagen wir unsere Dickschädel wirklich blutig denn an Ikeaschreibtischen und Macbooks? Warum sind dann selbst die meisten unserer künstlerischen Äusserungen immer so brav hochkulturell oder poetisch diffus?

    Bravo querstand! Dem ist nichts hinzu zu fügen.

    Erik

  23. erik janson sagt:

    @ Aufträge, Preise, Beziehungen, Wettbewerbe etc. pepe:

    Das Grundübel/Hauptproblem ist doch weiterhin, und da drehen wir uns immer wieder im Kreis:
    gefördert und protegiert wird zu oft Substanzloses,
    ignoriert wird dagegen allzu oft Gehaltvolles, Kritisches, Aufrüttelndes in unserer Branche. Unabhängig von Managern Agenturen oder wer einen Manager hat oder braucht. Qualität, inneres kritisches Ringen um Qualität etc. zählt fast nichts mehr. Geburt, Herkunft und Zugehörigkeit zu akademischen Eliten und Jugend als Ideal (nicht älter als 30, 35 oder 40 – um sich bewerben zu dürfen, z.B: Musikrat-CD in deren Jury auch Rihm sitzt..) dagegen doppelt und dreifach und immer mehr.

    Das Kunstsystem in Zeiten des globalen Neoliberalismus ist da tw. längst unbarmherziger und ungleicher, ungerechter geworden als andere Systeme (Wirtschaft, Wissenschaft, ja Politik) bzw. immer mehr wird es so, weil es eben am Tropf der letzteren hängt.

    Das Problem der Neuen Musik, ihres Zersetzungsprozesses ihres immer schwierigeren Überlebenskampfes (Ringen um Aufmerksamkeit, Legitimation ihrer Förderung) und auch der Neuen Musik im Besonderen werden wir nur lösen, wenn die zunehmenden Probleme der Globalgesellschaft und -kulturen kritisch und unmittelbar IN DER KUNST/ IN DER MUSIK diskutiert werden, dort viel mehr einfließen, dort ausgetragen werden im Diskurs. Und zwar in der musikalischen Form, im Ringen um die Werke, um Aussage, Ausdruck. Sonst verkommt unsere Musik zur bedeutungslosen Tafelmusik. Zum Wegwerf-Luxusartikel für ein paar reiche Gönner, ein paar verbleibenden Stiftungen in die immer weniger Leute aus den globalen Eliten ihre Brosamen einzahlen, von diesen abhängig; unverstanden andererseits von massenmedial manipulierten immer breiten, verarmenden Bevölkerungsschichten, die – um zu funktionieren – mit immer Niveauloserem/Oberflächlicherem und konsumistischerem „Kulturgut“ zu gemüllt werden und dadurch allein schon davon abgehalten werden, sich mit komplexeren, geistig nicht sofort zugänglichen Dingen zu beschäftigen. Diese Menschen müssten unser Klientel sein eigentlich (Stichwort: Vermittlung Neuer Musik für sogenannte „bildungsferne Schichten“, wie es so oft und schön heißt – welch zynischer Begriff in Zeiten der zunehmenden Ungleichheiten, nicht minder zynisch und diffamierend als die jüngsten Zumutungen eines Sarrazin – wenn plötzlich „in den GENEN“ alles an Übel/Schwächen sein soll, was in Wahrheit die Gesellschaft zu verantworten hat).

    Was früher zur Beethovenzeit (frei nach P. Schleunings Buch – und nun tw. Zweitausendeins-Outseller (der neue „Bildungsbürger“-ALDI, sag ich immer) – das Motto
    „Der Bürger erhebt sich“ war (in Zeiten des Niedergangs der Aristokratie bzw. Geburt der Demokratien, das wird vielleicht mal, wenn einmal alles in diesem ganz normalen Wahnsinn zusammengebrochen ist, ein „Der Künstler erhebt sich“ (unabhängig von seiner Herkunft/Status) werden. So zumindest meine Hoffnung.

    Darum: WO sind die SChlingensiefs der Neuen Musik?
    Wo sind die Provokateure, die jedoch NICHT provozieren, um primär ihr Ego bekannt zu machen, sondern die ihren Mut/ihre Provokation, ihre Ausdruckskraft in den Dienst der Gemeinschaft stellen?

    Und: einmal einen Sounding D-Zug (bei guten Ansätzen, Ideen) reicht da, fürchte ich, leider nicht aus.
    Da müsste jeden Tag ein Sounding D-Zug fahren, von Ost nach West und West nach Ost (an statt dass die Bahn Prestigeprojekte wie „stuttgart 21“ verbricht, gegen den Willen der Bürger!), wobei alle Regionen und auch lokalen Initiativen mehr Möglichkeiten und Mittel und gerechter erhalten müssten, um Musik/Neue Musik wirklich auch den breiteren Schichten vermitteln zu können.

    Musik der Zukunft/Vision der Zukunft:
    Neue „Eroicas“, gespielt von und/oder geschrieben für Hartz-IV-Empfänger.
    Opern für Verachtete, Diskriminierte, Excludierte
    Durchbrechen der Stille(n), des Stille-Terrorismus, der Beliebigkeiten, des „Blupps Blupps“, des Anti-Dramaturgischen, des Anti-Künstlerischen in der Musik und der Substanzlosigkeiten, jener gewollten (oder ungewollten) „Knute“ (um querstand mal aus dem Zshg. raus zu zitieren), die die Neue Musik sich selbst verordnete,
    auf dass alles beim „Alten“ bleibe.

  24. querstand sagt:

    @ erik: d’accord, auch wenn ich nicht jede Taste Deines Akkords so treffen würde, aber im Grossen und Ganzen, JA! Was mich gerade an mir selbst nervt, ist diese Larmoyanz, die ich in meinen Sätzen beim tagespäteren Nachlesen doch stärker vorfinde, als ich es einfliessen lassen wollte. Allerdings fand ich diese Avatar-Situation und diese sehr indirekten Nachruf-Eigenwerbungspostings recht schwierig, um darauf richtig zu reagieren. Gewiss habe ich den guten Jens Joneleit hier etwas arg gequetscht, dann auch noch bei solch einer heiklen Sache wie „Nachrufe“, wobei dies hier eben selbst darin der „badblog“ bleibt!

    Ein Gedanke: wir zerteilen Komponisten hier gerade besonders nach ihrer Herkunft, unterstellen Personen aus Nichtmusikerhaushalten, aus bessergestellten Verhältnissen zwar Kunstliebe, trotzdem eine Kunstferne, selbst wenn sie selbst in der Kunst stecken, aus dieser aber immer einen Notausstieg haben können, wenn es mal gar nicht mehr finanziell weitergehen mag. Das ist hart, das ist selbstspalterisch. Wenn aber weniger der Kunsterwerb- und Konsum Luxus ist, was er natürlich jenseits eines Abonemments schnell sein kann und für finanziell Schwächere immer mehr ist, als vielmehr die Ausübung der Kunst als Berufung und zeitgleich als Beruf, dann ist es im Kulturbereich nochmals krasser als im „normalen“ Berufsleben, richtig gesehen!

    Nun kann man natürlich Menschen, denen die Musik, das Komponieren förmlich in den Schoß gefallen ist, nämlich schon in dem Schoß vibrierte, aus dem sie in die Welt geschleudert worden sind, unterstellen, dass sie sorgsamer und zielstrebiger mit ihrer Veranlagung umgehen sollten. Das tun sogar die meisten, was zum Beispiel ihr Handwerk, ihr Formgefühl, ihr Tonhöhenempfinden betrifft. Das sind so schöne Dinge, dass man sich in ihnen vollkommen verlieren kann, total in der Musik lebt, auch wenn man Taxi zum Lebenserhalt fahren muss. Dieser Broterwerb kann aber gerade solche Menschen extrem knebeln, gepaart mit dem Frust, der entsteht, wenn Leute an ihnen vorbei plötzlich von ihrer Kunst leben können, die den familiären Geldrückhalt und entsprechende Netzwerkfähigkeiten mitbringen.

    Man kann Kunst lernen, man auch „netzwerken“ lernen – in einem weiten Grad macht das heute eigentlich jeder, selbst kleine Förderungen, mit denen man mal seitens der Kommune gerade mal die Musiker bezahlen kann, nicht die Partitur, erfordern eine ungeheure Netzwerkerei. Eigentlich kann man immer wieder nur auf Professoren, Funktionäre oder erfolgreichere Kollegen setzen, mit denen man dann mitschwimmt, wenn man über den lokalen Rahmen herauswachsen möchte. Dies hat aber Alles nichts mit den Kernfähigkeiten zu tun.

    Nun mag man tatsächlich hier und da von manchem in einer Nische versteckten Kollegen mehr Aussernwerbungsengagement erwarten. Das ist oft allerdings mit solche immensen Anstrengungen verbunden, dass diese Menschen nach mehreren vergeblichen Versuchen das sein lassen. Wie sollen sie aber wahrgenommen werden, selbst wenn mal Netzwerke mehr als ein anderes Mal finanzielle Mittel, Konzerte, etc. zur Verfügung stellen, selbst wieder Kontakte zur Absicherung knüpfen, oft aber mit diesen Zusatzmitteln das eigene Überleben ermöglichen müssen? Da spriesst dann ein eigens Umfeld, das kontaktet, selbst aber nur auf kontaktbegabte oder -versehene Menschen reagieren kann?

    Die Netzwerke müssen unbedingt mehr an die Kunstschaffenden in den Nischen heran, diese auch mal prioritär vor den anderen immer schon geförderten ins rechte Licht bringen. Damit ist jetzt nicht Jugend- und Nachwuchsförderung gemeint! Da wird eigentlich fast schon zuviel getan. Nein, gerade diejenigen, die in dunkleren Ecken festsitzen müssten an der Hand genommen werden. Sehen wir das doch mal so: stillere Komponisten, wie z.B. Kurtag, Pärt, Gubaidulina, Killmayer, Hübler und beide Hubers, selbst Lachenmann wären in einem System wie dem heutigen einfach untergegangen, wären gar nicht aufgefallen, da sie viel zu sehr Komponisten sind! Sie waren zuerst keine Selbstdarsteller, keine Netzwerker, keine sich selbst spielen könnende Musiker, erstmal keine grossen Redner. Diese Fähigkeiten haben sie dann wohl im Laufe der Jahre erworben bzw. musste man ihnen einfach mal zuhören. Heute muss man aber diese Sekundärtugenden eigentlich vor dem kompositorischen Primärhandwerk erlernen, bereits vor Studien- oder Berufsbeginn erworben haben. Daß da die Kunst auf der Strecke bleiben muss, gerade dann auch, wenn man sich über Sozialhilfeniveau ernähren möchte und auch muss, denn als Sozialfall hat man noch weniger Chancen!

    Also drehen wir den Spiess doch mal um: wer Tonnen von Förderungen erstellt, muss diese dann nicht nur bewerben, er oder sie muss sich direkt an den Künstler heranbewegen, herantrauen! Mancher wird wie jetzt schon von ganz alleine auf den Topf zuschwimmen, die Anderen muss man aber selbst heranholen. Und das geschieht viel zu selten! Das wird zwar nicht das grosse Problem der neuen Musik lösen, es wird aber mehr Qualität hervorbringen als jetzt und diese Qualität wird sich allemal besser vermarkten und verkaufen lassen als die dem Kulturmanagement sowieso naheste Kunst. D.h., man mag gerne mit Zügen durch das Land reisen und die Neue Musik unters Volk gewöhnen. Man sollte aber dann vor Ort auch den Wanderstab in die Hand nehmen und sich zu den Komponisten herantrauen! Eigentlich muss man nicht ständig das Publikum an die Neue Musik heranziehen, man muss vielmehr und genauer der Kunst direkt als sich so oft nur selbst zuzuhören. Also nicht noch mehr Verneigkurse für Künstler, mehr Traute, sich denen zu nähern, vielleicht auch mal auf Konzerten und Prmierenfeiern offener sein, nicht immer nur mit seinesgleichen plaudern, sondern auch mal die stillen Leute in den Ecken befragen.

    Meine lieben Netzwerker, gell, das traut Ihr Euch nicht? Sonst fallt Ihr aus Euren Netzen? Ihr redet von der Menschlichkeit der Kunst, seid aber selbst nur human zu denen, die Ihr kennt oder die Euch kennen. Nur Mut – so scharf wir hier schreiben, wie beissen nicht und formulieren manches im Gespräch garantiert phantasievoller, stellen es mit unserem ganzen Leib dar, als die Fotos androgyner, unterernährter Kollegen in Hochglanzprogrammheften es schaffen, ganz ohne Einführungstext lesen, einfach uns nur zuhören! Apropos: warum lesen eigentlich so viele Kulturmanager immer in Programmheften, wenn die Musik ertönt, von der sie leben? Das wäre so, als würde ein Galerist immer in den Werkbeschreibungen des Künstlers lesen, wenn er dessen Bild betrachtet! Lustigerweise formulieren aber die Galeristen doch die Texte zu den Bildern. Also hört und zu und schreibt Ihr die Texte. Vorher aber, wie gesagt, traut Euch zu den stillen in den Konzertpausen und während der Premierenfeiern? Wer lädt mich ein?

    Gute Nacht,

    A. Strauch

  25. erik janson sagt:

    Nun mag man tatsächlich hier und da von manchem in einer Nische versteckten Kollegen mehr Aussernwerbungsengagement erwarten. Das ist oft allerdings mit solche immensen Anstrengungen verbunden, dass diese Menschen nach mehreren vergeblichen Versuchen das sein lassen. Wie sollen sie aber wahrgenommen werden, selbst wenn mal Netzwerke mehr als ein anderes Mal finanzielle Mittel, Konzerte, etc. zur Verfügung stellen, selbst wieder Kontakte zur Absicherung knüpfen, oft aber mit diesen Zusatzmitteln das eigene Überleben ermöglichen müssen?

    RICHTIG querstand! Kernproblem ist: Der Broterwerb für diejenigen, die keinen finanziell-existentiellen Rückhalt (Eltern/Verwandte mit Geld (vielleicht winkendes Erbe, das sie dann im Rentenalter wenigstens vor Armut oder gar Obdachlosigkeit rettet)und/oder Beziehungen aus dem Metier etc. pepe) haben (wie ich auch z.B.)- und auch keinen berühmten Professor, der in X einflussreichen Gremien sitzt, zu X Konzerthäusern einen besten Draht hat und alles für seine Schüler tut, sie – wo es nur geht – hinein pusht.. -, dieser Broterwerb tw. mit Dingen, die nicht unmittelbar (nur Lebenserfahrungsmäßig – aber nicht zu unterschätzen!) mit dem Komponieren (als Handwerk, Notenschreiben etc.) zu tun haben die können einfach nicht so sorglos arbeiten. Das sollte mal nicht vergessen werden (wer immer dies liest). Und man wird nicht jünger. Es kostet schon enorm viel Kraft: Lebensunterhalt, Komponieren, dann wieder Projekte organisieren für Initiativen, durchführen und dann die eigenen Kontakte pflegen bzw. welche aufbauen (Musiker, Runfkunkleute etc.).

    Das hab ich ja schon verschiedentlich guten „Freunden…“ oder Bekannten vor buchstabiert, diese Misere, diese Frustration. Die „trösten“ einen dann meist damit, dass sie sagen: “ ja, aber dadurch, dass Du aber Dir alles selbst erarbeiten musst dadurch bleibst Du ja „unabhängig“
    (was ja nicht stimmt, denn mit Brotjob-Abhängigkeiten im Nacken und im täglichen Überlebenskampf ist man abhängiger
    als Leute, die wo Professuren, Stipendien etc haben).
    Oder: „Guck mal, der und der hat zwar viele Stipendien/Preise/eine Professur etc. und ist auch nicht glücklich…“
    Freu dich doch, dass Du „unabhängig“ vom Akademischen Betrieb bist etc.
    Oder die andere Leier: „Du musst geduldig bleiben …“
    „Du gehst den richtigen Weg, weiter machen, irgendwann kommt die Anerkennung, auch existentiell-materiell spürbar…“
    Etc. pepepe

    Na toll! Was nützt einem das? Musik, die nicht überregional oder institutionell/kulturpolitisch gefördert und wahrgenommen wird, die ist nun mal nicht existent. Man lebt ja im JETZT und nicht im Irgendwann…

    Aber das ist leider alles nichts Neues. Was hilft es noch hier darüber zu bloggen und zu lamentieren. Eher noch vielleicht nimmt das den noch „jüngeren Unbekannteren“, hier mit lesenden den Mut – oder vielleicht lachen auch einige von ihnen (vielleicht zu Recht) über dieses „Gejammere“ von uns unzufriedenen Mit-vierzigern…

    Während ich dies schreibe kann ich wieder Besseres tun: weiter komponieren, Demo CDs brennen, auf FB mal kurz darüber „flirten“… oder aber – besser – den PC ausschalten und zum Griffel greifen. Rigides Zeitmanagement ist alles, was da noch hilft aus der Misere, und die Kehrseite: dabei geht wieder einiges an Spontaneität und Freiheitsgefühl flöten und es bleibt dennoch – trotz des Sich-Zusammennehmens und Sich-Nicht-Unterkriegen-Lassens – das Gefühl zurück, dass man trotz allem viel zu wenig Zeit zum Komponieren hat im Ggs. zu manch anderen.

    Die Netzwerke müssen unbedingt mehr an die Kunstschaffenden in den Nischen heran, diese auch mal prioritär vor den anderen immer schon geförderten ins rechte Licht bringen. Damit ist jetzt nicht Jugend- und Nachwuchsförderung gemeint!

    RICHTIG! Aber das wird wohl ein Wunschtraum bleiben, denn z.B. Konzepte wie „Schlüsselwerke der Neuen Musik“ etc. und immer wieder dieselben Namen die man doch überwiegend bei Netzwerkprojekten liest (gerade bei denen hier im Westen), das spricht schon eine andere Sprache – bei allen Ansätzen mancherorts und bei manchen Projekten, die auch mal nicht nur Stockhausen, Cage und Co. zum 100. Mal ab feiern. Darum bin ich geradezu froh, wenn das Netzwerk
    IN DIESER FORM von der Kulturpolitik nach 2011 nicht mehr weiter gefördert wird.

    schönen Tag allen,

  26. querstand sagt:

    @ erik, all:

    Im Prinzip total recht! Problem nur, daß wir aufpassen, zuviel zu „lamentieren“, das kommt bei manchen natürlich so an. Aber wir zählen eigentlich nur mal wieder „Fakten, Fakten, Fakten“ auf. Unwohlgesonnene denken jetzt garantiert: soll doch diese Bagage in eine Gruppe eintreten, wie die im „Bewegten Mann“ und statt Fakten…, „F*****, F*****, F*****“ mantraartig wiederholen. Getrost kann ich behaupten, dass ich dies sowieso schon immer mache,mal in Gruppe (sind 2 schon eine?), mal alleine, damit meine Bedürfnisse wie „liebt mich Alle“, wie „der Betrieb kann mich“ bis zur 1:1 Anwendnug abarbeite. Papier ist geduldig, Komponieren macht Spass und regt zu direkter wie indirekter Kompensation an. Also fällt das Gedöhns mal weg!

    Es ist überhaupt spannend zu wissen, dass so manche Lehrer sich umfassend mit dem Leben ihrer Schüler auseinandersetzen, weit über wie schleimt man sich ein, wie schreibt man Noten auch ohne diese, etc. Man spricht viel öfters über andere Künste, über gutes Essen und dieses o.g. Bedürfnis. So betrachtet ist Komponieren recht lustig! Neben endlos a***fixierten Tabellenabarbeiten, was auch Spass machen kann (wie klingt zehnstündige Rechenarbeit, wie klingts besser, etc.), macht instrumentieren tierisch Spass, Text vertonen ebenso, Szenen entwerfen, Singstimmen verstricken. Das macht sogar erstmal ohne Aufführungen, ohne Geldleistung Spass. Nur muss man leider ein Dach über dem Kopf haben! In Gemeinschaftsunterkünften komponiert es sich nur als Bediensteter gut, wenn nix passiert, oder als Nachtportier, Bestatter, etc., bis auf letzteres ALLES erlebt. So kann der Spass auch schnell mal aufhören, ist das Gefühl des Zukurzkommens, auch Neid genannt (Lösungsvorschläge an „den Betrieb“ ja an „die Manager“ adressiert, selbst bei bester Eigenreflexion irgendwann unerträglich, oder ewiges ehrenamtliches Konzertorganisieren, egal ob ganz eigennützig für sich selbst oder in bester Kollegialität für Andere.

    Man würde sich freuen, wenn man nicht nur bei kleinem oder mittleren Publikum Erfolg hat, sondern darüberhinaus auch alle 4 bis 6 Jahre mal ein grösserer Auftrag winkt, oft genügt dies ja auch, man denke an Webern, man denke an Berg, man denke aktuell an den Schweizer Dieter Ammann, alles sehr überschaubare Oeuvres, eher 1-3 als 7-10 Werkzyklen pro Jahr! Das wird z.B. seitens der Urhebergesellschaften berücksichtigt, findet aber ausserhalb von Stipendien keinen Widerhall. Wie wäre es eigentlich, einen Hartz VI Sachbearbeiter nicht mit Umschulungs-, Ich-AG-Anträgen oder Bewerbungsnachweisen zu traktieren, sondern mit dem Hinweis innerhalb der letzten sechs Monate drei Stücke geschrieben zu haben und leider nur erfolglos oder ohne Geldleistung zur Aufführung gebracht zu haben? Das ist ein Problem des Bemessungsmassstabs! Man wird es nur als Vermögen einsetzen können, wie z.B. eigene Bilder eines Malers, der nicht zum Verkauf dieser gezwungen werden kann, eigentlich…

    Ich spreche hier nicht von Anfängern! Ich rede hier von Menschen, die bereits ausserhalb der Akademien Aufträge, prominente Residenzstipendien erhalten haben, etc. Hier muss was geschehen. Und zwar nicht seitens der Sozialverwaltungen oder auch Kulturverwaltungen. Es geht um die „Dritten“, um die Privaten, die Stiftungen, die Funktionärsorganisationen, die freien Träger, die v.a. das Kulturmanagement auffangen, das sich dann gerne selbst pflegt und zu wenig an die Basis geht (ich sagte ja schon, „nehmt den Wanderstab“ (Reisespesen ;-) )).

    Selbst bin ich mit meinem grundsätzlichen Lebensentwurf eigentlich zufrieden, werde auch hoffentlich demnächst wieder mehr Zeit für Projektanträge haben, Ideen sind genug vorhanden! Erik, Du sprachst vom Zeitmanagement: das stimmt! Man kann als z.T. unselbständig Angestellter diese, muss sie sich sehr, sehr gut einteilen – jenseits so manchem Nachkonzertgezeche mit KollegInnen und anderen des Betriebs. Erstaunlicherweise führt dies bei mir dann zu mehr Arbeit mit Chören, mit Orchestern als Übungsleiter, zu mehr Aufträgen, Alles, wofür man eigentlich keine Zeit hat! So komme ich auf Arbeitstage, dreimal die Woche, alle zwei Wochen viermal, die um 6:30 Uhr mit aufstehen beginnen, um 17, eher 18 Uhr mich frühestens wieder rauslassen, oft sogar zu den Übungsleitertätigkeiten nicht mal eine Stunde Pause lassen. Daheim dann um 23 oder 0 Uhr, noch Sachen erledigen oder die berühmten 10 Takte pro Tag bis 1 Uhr skizzieren. Am freien Tag lange ausschlafen, am WE auch, aber genauso dann 4 bis 8, auch mal 10 Stunden Arbeit am Werk exklusive der Selbstprostitution, dann natürlich auch Musik hören, Konzerte besuchen, Presse konsultieren, Freizeit, etc. Nur gut, dass ich keine Familie habe, die Partnerschaft wird schon oft genug belastet! Tja, hätte ich promovieren sollen? Von den Voraussetzungen hätte ich wohl einiges nachholen müssen, mich dabei oft genug gegen die Kunst entscheiden müssen. So versuche ich jetzt eine Ausbildung für den gehobenen Verwaltungsdienst zu absolvieren (AL II), denn die Sicherheit die ich jetzt habe, werde ich nicht gegen einen Lehrauftrag eintauschen wollen, wobei einen annehmen, würde ich schon, hätte auch Lust, mein Wissen weiterzuvermitteln, allerdings nur als Komponist, nicht als Musiktheoretiker, was bei meinen Stellschrauben aussichtslos wäre. Also bleibt die künstlerische Linie, Ferien für Probenphasen einsetzen oder das Team so organisieren, dass die sogar ohne einen mal eine Zeitstrecke auskommen können.

    Wie man sieht, und das lernt man von Schlingensief, um da mal wieder zu erinnern, eine sehr persönliche Ausgestaltung des Lebens. Nur würde es mich tatsächlich wahnsinnig freuen, wenn ich wirklich Teilzeit arbeiten könnte, künstlerisch tätig sein und hier in München noch Mieten ohne Beihilfen zahlen kann. Und da geht es los… Ich denke, dass ich wirklich nicht mehr Selbstmanagement brauche, ich benötige mehr Kunst, Menschen, die aus dem Betrieb auf einen zukommen, ohne nach dem Prof. zu fragen. Gerade weil ich Zender nicht gemolken habe wie eine Kuh, sondern mich bei ihm und Mundry um Kunst bemühte, auch gerne Abstand hielt, um mein eigener Herr zu sein, tja, da hätte man wohl mehr im Sinne der Leute schreiben sollen oder v.a. die Komilotonen wegbomben müssen – alles sehr, sehr kunstfern!

    Eine nette Story dazu: ich schrieb mal ein Cellostück, sprach hier schon mal über den „Verzicht“! Als ich ihn Zender vorspielte, wurde er immer unruhiger. Zugegeben, ein langes Ding. Das störte ihn aber gar nicht, nein er fand es so eigen, dass er ratlos wurde. Er kam dann kurz auf die Idee, das Stück als Bratschenbearbeitung dem Komilotonen Sannicandro zu offerieren, der gerade einen Soloabend mit Studenten- und Meisterstücken von Sciarrino, Komplexisten, etc. plante. Aber dann machte er einen Rückzieher, denn das Stück würde aus jenem Kontext zu sehr rausfallen. Und er meinte das gar nicht zensurierend. Nein, das Problem sind einfach Dinge, die nicht in den Festival- und Förderdurchschnitt passen – diese führen dann zu den Absurdesten Situationen. So liess ich jede Förderfrage in seine Richtung fallen, immerhin ermöglichte er mir ein interessantes Jahr in Bamberg. Auffällig nach 2000 war aber, dass er und Mundry eine Annäherung an den Komplexismus vollzogen, der mir fremd blieb, auch wenn mich selbst die Suche nach einer fundierteren Technik bewegte. So startete ich, nach grossen und kleinen Stücken und dem Wollen wieder nach „Klarheit“ im Sinne der Notation, einen Versuch, sandte ihm Werke dieser Zeit, die konstruierter, aber auch klarer gestaltet waren, als das „Verzichts“-Monster. Die Reaktion war dann: 1. durchaus eigener Stil – was für eine schöne Aussage und die hätte ich mir eingerahmt und wäre selbstgenügsam; 2. zu wenig Taktwechsel – trotz ständiger Akzentwechsel? Ich wollte das Komponieren fast einstellen, denn kein Wort, ggf. mal die grösseren oder kleineren Stücke oder neuere, „besser“ geschriebene weiterzuvermitteln oder sie als Grundlage für Weiteres zu betrachten. Ich schrieb dann ein Stück mit 25/32-Takten und dgl., Spektren, die nicht zusammengehören, dennoch virtuelle Spektren ergeben, 342. mikrotonale Obertöne. Who cares! Neuerdings in Zenderferne nur noch Variationen über Schlager, jeden Schlag ein anderer Stil, etc. Das macht Spass, weiterbrachte es mich aber auswärts auch nicht! Tja, es reichte sogar zu einer Oper, aber inzwischen sind die entspr. Leute, die das förderten im Ruhestand, arbeitslos, wurde die Institution, die eine lange Tradition Neuer Musik hatte zum Kindertheater, interessierte sich das vor Ort seiende Zentrum Hellerau nicht die Bohne, eine katastrophal lokale PR am Opernhaus, damals… Was soll da nun wieder die Frage nach strengerer Musik und noch mehr Selbstmanagement? Eigentlich müsste man bei jeder Note anderer Kollegen sofort den Griffel sich durch die Augen bohren, mit den wohnungslosen Menschen an der Isar feiern… man macht aber weiter.

    Also die Forderung an das MANAGEMENT: werft Euch an uns ran!!! Wir warten – ach, seit dem gestrigen Posting hat sich noch keiner gemeldet – ich werde dies nun hier immer vermerken, bis es soweit war. Ihr könnt mich gerne auch nach Kollegen fragen: die im Blog und die mal hier waren, nehmt die gerne, auch zuerst! Aber macht es! Und wie gesagt: sexy sind ALLE Komponisten, auch über 40! Denkt an das AGG….

    Grüsse vom Lindenbaum,

    A. Strauch

  27. erik janson sagt:

    Die Reaktion war dann: 1. durchaus eigener Stil – was für eine schöne Aussage und die hätte ich mir eingerahmt und wäre selbstgenügsam; 2. zu wenig Taktwechsel – trotz ständiger Akzentwechsel? Ich wollte das Komponieren fast einstellen, denn kein Wort, ggf. mal die grösseren oder kleineren Stücke oder neuere, “besser” geschriebene weiterzuvermitteln oder sie als Grundlage für Weiteres zu betrachten. Ich schrieb dann ein Stück mit 25/32-Takten und dgl., Spektren, die nicht zusammengehören, dennoch virtuelle Spektren ergeben, 342. mikrotonale Obertöne. Who cares! Neuerdings in Zenderferne nur noch Variationen über Schlager,

    Achso, querstand, danke für den Tipp. Das merke ich mir: na, nun wundert mich nicht mehr, warum meine Werke, die ich einsandte, wenn Zender (manchmal Mundry dabei) in der Jury waren (z.B. Delz Wettbewerb)keine Chance haben konnten :-). Wenig Taktwechsel manchmal sogar gar keine schreibe ich zumeist, dafür aber vieles binnenryhtmisch differenziert, ziseliert, aber dafür auch selten bis gar nicht mal 17:16, Subdividionen etc. Meinen ersten Lehrer, Michael Denhoff, hat dieser mein Schreibstil, nicht gestört, auch Isabel nicht. Aber mal Hand aufs Herz: Wir lassen uns viel zu sehr von Fremdurteilen noch frustrieren und schauen zu „ehrfürchtig“ zu den großen Meistern, Gönnern oder ehemaligen Lehrern auf, sowohl was Kompositionsstil als auch Notationstechniken betrifft. So würde das nichts mit unserer „Grand Revolution“…Bzw.: wir ließen uns frustrieren, zumindest unmittelbar nach dem Studium, noch als „Frischlinge“, denn ich nehme an, das hast Du auch schon, so wie ich, langsam aber sicher über Bord geworfen. Sonst würdest Du nicht hier nun drüber schreiben sondern hättest eher Angst gerade davor es auszusprechen (mal im Zizeksch-Psychoanalytischen Sinne gedeutet..). Du hast herrlich und humorvoll beschrieben, was eigentlich das Problem ist: Da ist man unsicher, WIE man es schaffen kann, seiner Musik breitere Aufmerksamkeit/ Gehör über lokale Grenzen hinaus mal zu verschaffen. Aber andererseits innerlich sicher, was man möchte: man selbst bleiben, sein Ding machen, SEINE Musik schreiben und trotzdem soo geliebt, geknuddelt und von bekannteren,und internationalen Festivals eingeladen werden, so wie man ist. Aber das lässt das System nicht – oder allzuwenig – zu! Unnötigerweise !!! Oder: das gäbe es nur im Hollywoodfilm….einem Hollywoodfilm gedreht extra für „frustierte Komponisten“ um ihnen die Naivität und Illusion zu belassen oder zu nähren, dass man heute mit Authentizität, Man-Selbst-Bleiben, Sich selbst-gegenüber ehrlich bleiben noch weiter komme. Schön wär´s… (So wie auch die gesamte globale Mediengesellschaft halt funktioniert: Traumwelten errichten, auf niederen Genuss abzielen, Konsum und Träume befriedigen, um sich mit dem Gegebenen ab zu finden…).

    Und von der anderen Seite betrachtet (Q Thema: Partituren einsenden/zeigen etc,): Niemand kann sich wohl davon frei sprechen als Kompositionsprofessor,Festivalchef, Rundfunkchefredakteur etc. (wenn denn diese uneingeschränkt mit bestimmen können, was/(wen sie einladen, senden) dass auch Subjektivitäten und eigene Vorlieben einfließen in das, was man WIE – sei es bei Wettbewerben, sei es wenn es darum geht, dass ein Komponist um ein „Empfehlungsschreiben“ o.ä. bittet – beurteilt. Und dann kommen oft die Komponisten/Komponistinnen weiter, die irgendwie das Glück haben, den Geschmack einer Jury oder des Professors/Professorin zu treffen, den sie um Empfehlung oder was auch immer bitten. Selten mal wird einer, der seinen eigenen Kopf hat und behält, ohne Kalkül wo was hin schickt und nicht irgendwie doch wie sein Lehrer klingt (zumindest zum Zeitpunkt seines entscheidenden Durchbruchs, oft dann aber weiterhin…), dann durch das engmaschige Anti-Authentizitätsnetz, was unsere Szene rein wäscht (könnte man es nennen) nach „oben“ durch gelassen.

    Tja, dass sich die „Manager“ mehr an uns ran werfen, dass man mehr aktiv Ausschau hält nach Vielfalt, Unbekannterem etc. ist zu hoffen, aber ich bleibe da skeptisch bzw. vorsichtig… Nun ein Letztes: zum Thema „Lokalhelden“ oder „international Vergessene“ (wie auch immer man sie nennt): es gibt hier in NRW vom Kultursekretariat nun ein Förderkonzept mit Namen „Local Heroes“, wo sich international insgesamt wenig(er) beachtete Komponisten, Vereine die in ihrer Stadt, wo sie „doheem sin“ (würde der Rheinländer sagen..)Konzerte organisieren und Fördergelder für Ensembles und Aufträge beantragen können. Soll man sich da bewerben? Mir widerstrebt das, denn ich möchte mich zwar lokal wie überregional engagieren, dort auch anerkannt sein, aber niemals als „Local Hero“ gelten noch enden. Und ich würde mich auch niemals als „Held“ bezeichnen wollen. Irgendwie hat ja in dieser „globalized world“, wenn man einen Rihm etc. fast monatlich durch die Welt touren sieht, dann die Bezeichnung und das Förderkonzept „Local Hero“ etwas zynisch-Spöttisches. Nach dem Motto: Wir geben Dir mal lokale Fördermittel. Wir gestehen Dir mal zu „Local Hero“ zu sein, aber dann gib bitte Ruhe…
    Es sei denn, es wäre von den Machern des Konzepts aus Trotz gegen die globalen trends entworfen worden oder als Provokation. Aber das weiß ich nicht und möchte ich eher zunächst mal bezweifeln.

    Alexander, noch ein Tipp: bzgl. „Managersuche“…
    Versuch es doch mal bei Facebook. Da schrieb ich spontan-scherzhaft dieser Tage rein, dass ich gerade wieder Demo-CDs brenne und am liebsten einen Manager hätte, der das für mich machen würde…, Und da melden sich bei mir die ersten Leute (nicht fürs „Beim-Brennen-Helfen“ sondern sogar zum Anhören meiner CDs…). Vielleicht sind solche „social networks“, die sich in Künstlerkreisen bilden, ja doch eine Chance… (wenn man sie auch weiter kritisch (bzgl. Daten-/Urheberrechtsschutz) sehen sollte.

    Buona notte, Erik

  28. erik janson sagt:

    Noch eine Forderung an den Deutschen Musikrat
    und seine Jurys/Gremien

    Kippt bitte endlich die Altersdeadline beim CD-Förderprojekt des Deutscher Musikrates! Sie ist durch nichts zu legitimieren (und angesichts der demographischen Entwicklung und EU-Richtlinien schon lange nicht mehr Zeitgemäß!)außer vielleicht, dass dann
    dann nicht mehr so sehr „Jung Auserwählte“, „Jungenies“ (es sei ihnen ja auch gegönnt, viele erhielten sie zu Recht) ausgewählt werden können wie bisher.

    Wenn aber mal Leute Ü40 oder Ü50 dort was einreichen dürften und wirklich mal auch die Chance einer CD-Produktion dort bekommen würden, muss das ja nicht heißen, dass dann die „Jüngeren“ (Ü40, Ü30, Ü20 oder (als nächstes kommt vielleicht Ü15) (gerade vom Studium oder Meisterstudium kommend oder von einem Stipendium zum nächsten gereicht) „weniger Chancen“ hätten bzw. dass die „Alten“ dann den „Jungen“ Chancen weg nehmen würden.
    (Mir gegenüber wurde an anderer Stelle tatsächlich mal so argumentiert, als ich ein Mail schrieb und die Altersdeadline kritisch hinterfragte!). Ungeheuerlich!
    Wo es doch schlichtweg so ist, dass insgesamt zu wenig
    Chancen für Künstler (ob jung oder alt!) bestehen.

    Oder auch genauso: WO sind mutige Labels, Verlage etc.?
    Wo mutige Rundfunkanstalten/Redakeure, die wieder gegen den Strom der Ökönomie der Aufmerksamkeit(en) und der Quoten schwimmen, bzw. die was riskieren, die echt entdecken?

    Auch ich werde hier diese Forderungen so lange und oft wiederholen, bis sich was ändert.

  29. erik janson sagt:

    @Alexander,
    hab noch was gelesen:
    bitte werd kein gehobener Verwaltungsbeamter! :-)

  30. querstand sagt:

    @ erik: kein Beamter! Da wär‘ fast bald Prof., sind ja erst recht Beamte! Sprich: wenn man seinen Hochschullehrer im Unterricht unziemlich angefahren hätte, wäre es gleich Beamtenbeleidigung gewesen… Nein, mich spülte es von Nachtpförtnerdienst an die Stelle im Wohnungsamt, wo alle Menschen auftauchen, die keinen Schlafplatz mehr haben, Hilfe brauchen, um sich zu finanzieren, um eine Wohnung zu suchen oder um überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Leute aus allen Schichten: von der Freundin auf die Strasse gesetzt, auf der Flucht vor, aus der Haft, von der Strasse, aus Bürgerkriegsgebieten, aus der Psychatrie, Rentner aller Mittel verlustig im Ausland alles verloren, suchtkrank, reine Infos um ländlicher Enge zu entkommen, etcpp. Irgendwie niederschwelliges, sozile Herzarbeit, aber auch Verwaltung, was einen dann in diesen o.g. Kurs spülte, um sich ein zweites Standbein zu ermöglichen, fern der Akademien, unsere „Appel für’n Ei“ Hauptrettungsanker. Ich sehe das gar nicht negativ, auf alle Fälle weiß ich jetzt, wie so mancher Komponistenfamilienvater, was Brotarbeit bedeutet. Natürlich ist das auch ein gewaltiger Input von menschlichen Tragödien, die direkte Sicht auf das Ende der deutschen Fahnenstange. Trotz meiner „Managertirade“ versetzt mich das in die Lage, einerseits mit Honoratioren wie den sozial Schwachen zu reden – man kennt an jeder grossen Kreuzung immer jemanden, man sieht aber auch, wie tief man fallen kann, wie immer wieder Künstler bedroht sind, was für merkwürdige Menschen auch „Künstler“ sind, wie dünn die Übergänge gelegt sind: Apropos Manager: bei mir hospitieren immer wieder auch Leute aus dem Mittelbau von höheren Firmenabteilungen – das sollte man auch mal wieder unseren Profs., Intendanten und KBB-Leitern empfehlen! Die freien Stiftungen sind da sowieso näher dran, aber unsere Halbeliten könnten mal mehr Erfahrungen als Sarrazinlesen oder Schlingensieferleben, leider vorüber, sammeln, wenn sie an Tafeln für Arme, in Suppenküchen und Bahnhofsmissionen mithelfen würden, dann sähe man die Besetzung des öffentlichen Raumes, ganz ohne Soundzug! Ich bin am Stachus z.B. Zeuge eines fidelen, alten bettelnden Geigers, der wundersam im gleichen Tempo jede Schmonzette spielt, dass sie nach Schnittke, ma arco col legno senza crini denkt. Er spielt dafür zum meterologischen Ausgleich bei jedem Wetter! Das gab mir schon so manchen musikalischen Gedanken nach Hause mit…

    Gruss,

    A. Strauch

    Gute Nacht

  31. wechselstrom sagt:

    @querstand
    @erik, @all,

    in der Kunstwelt gilt es zu unterscheiden zwischen klassischen, modernen und avantgardistischen Betätigungsfeldern.

    Bei den klassischen, und dazu gehört in erster Linie die alte Oma „Oper“, in vielen Aspekten auch das klasssische Theater, läuft es nach Dynastien, d.h. der Sohn jener Leute, die im Opernbetrieb tätig sind (die müssen nicht notwendigerweise selbst Komponisten sein) hat gegenüber demjenigen, der diesen häuslichen Background nicht hat, ungleich mehr Chancen. Er hat quasi Kraft Geburt bereits einen Fuß in der Türe.
    Bestes Beispiel: Moritz Eggert.
    Mama: Theaterfotografin, war in Mannheim, Heidelberg, Frankfurt, Berlin, Salzburg, an vielen bedeutenden Häusern
    Papa: Autor, Uni-Prof, Präsident der Akademie für Sprache und Dichtung.

    Kein Wunder, dass Moritz einen Opernauftrag nach dem anderen einsacken kann, bei solch glänzender genetischer Ausstattung.
    Und wenn er nicht ganz unbegabt ist oder sich deppert anstellt, dann geht das schon durch – der Mensch wächst mit seinen Aufgaben.

    Zu den modernen Betätigungsfeldern gehört beispielsweise der Rundfunk: Hier wird nach Qualifikation und Qualität gerne zuerst gefragt. Natürlich sind auch hier die Kinder der Mitarbeiter in einem gewissen Vorteil, aber das Mediengeschäft ist so schnelllebig, dass für viele andere auch noch gute Chancen vorhanden sind.
    Ich selbst habe jahrelang für Hörspiele Musik geschrieben. Das ist zwar nicht so glanzvoll, wie ein Opernauftrag, aber zumindest war (heute auch nicht mehr) die Bezahlung o.k. und von den Zuhörerzahlen her kann man sich auch nicht beklagen:
    Statistischen Untersuchungen zufolge hat das Hörspiel in Österreich einen Kreis von ca. 30-50.000 Zuhörern pro Sendung. Das ist nicht berauschend viel, aber das Stadion ist gut gefüllt.

    Die avantgardistischen Betätigungsfelder sind solche, die sich in ihrem Profil heute erst verschwommen und schemenhaft zeigen.
    Netzkunst, teilweise noch die Medienkunst gehören dazu.
    Hier gibt es die Regel: Hast du eine gute Idee, bist du hoch willkommen und alle Türen öffnen sich wie von Geisterhand.
    Ist die Idee abgearbeitet, dann schließen sich wieder alle Türen und der nächste mit einer guten Idee ist dran und bekommt die Chance.

    Bei der Avantgarde selbst, d.h. Zeitgenössische Musik, Moderne Malerei und inzwischen in zunehmendem Maß die Medienkunst wird die Schule immer mehr zum ausschlaggebenden Faktor für Anfangserfolge im Bewerb um Aufträge, Stipendien, Arbeitsmöglichkeiten.
    Die bedeutende Uni, der berühmte Lehrer, das sind die Sachverhalte, auf die zuerst geblickt wird. Beinahe Alles, was größere Projekte, Auftritte bei Festivals, CD-Produktionen des Musikrates betrifft läuft über Empfehlungen. Deshalb ist ein Netztwerk an Verbindungen zu den Institutionen von unermesslichem Vorteil.
    Das Werk selbst ist absolute Skundärerscheinung. Bitte nicht verwechseln mit „ubedeutend“, denn das Werk ist immer noch von erheblicher Bedeutung, ist es doch der Anlass zu einer Reihe von Sekundärliteratur, die dann wiederum den Unis Stoff zum Studium liefert. Welches Werk aber in den Glanz des Scheinwerferlichtes fällt, ist allein von obengenannten Faktoren abhängig.

    Jetzt kann man sich über die Folgen dieser Verschulung und institutionellen Vefilzung (Filz und Netztwerk sind bekanntlich die beiden Seiten der gleichen Münze) beklagen. Eine der Folgen speziell für die Zeitgenössische Musik ist ja die vielbeklagte Tatsache, dass in den Konzerten neben Friends und Family ausschließlich Fachpublikum, also wiederum Komponisten zuhören.
    Ich halte dem mal entgegen, dass auch bei den Symposien und Tagungen der Physiker, Ingenieure, Mediziner nur
    Fachpublikum teilnimmt.
    Aber im Kunstbetrieb sollte doch auch eine Aussenwirkung vorhanden sein. (was bei den anderen ja auch der Fall ist, d.h. Mediziner heilen, Ingenieure bauen Autos und Physiker erklären die Welt, auch wenn es kaum einer bis ins Detail versteht).

    Um diese Aussenwirkung geht es heute, und wie sie erreicht werden kann.
    A: durch Revolution – Erfolgversprechender Ansatz, ungleich schwieriger, als früher, denn man kämpft nicht mehr gegen einen klassischen bürgerlichen Geschmack, denn dagegen kann man mit dem Werk antreten, sondern man kämpft gegen Institutionen und Netzwerke, was für den Einzelnen eine Unmöglichkeit ist, will er sich nicht selbst absägen. Bestes Indiz ist der Ruf der Alten zu den Jungen; „Na, machts mal endlich eine Revolution“, schöner Ausdruck der Verbindung von Hohn und blankem Zynismus.

    B. Durch Bejahung der Verhältnisse, so lange, bis etwas dabei herauskommt. Hier regiert das Prinzip Glaube und Hoffnung. Das Künstlerdasein verkommt mit der Zeit zur Schmiere.

    C. so lange an seinem Ding (Findung der Wahrheit im Dissonanten, Untersuchung der Reizwucherungen des Imaginären) arbeiten, bis man entdeckt und gewürdigt wird. Funktioniert nach heutigen Berechnungen immer. Den Nutzwert dieses Tuns streichen ausschließlich die Erben ein, wenn sie den Erhalt des Werkes für nützlich erachten.

    Wer eine gerechte Welt verlangt, braucht keine Kunst.

    Beste Grüße aus dem Labor

    – wechselstrom –

  32. eggy sagt:

    @wechselstrom
    wenn Du Dich schon so obsessiv mit meinem Leben auseinandersetzt (mich rührt natürlich Deine kontinuierliche Faszination daran zutiefst) dann recherchiere die Fakten bitte richtig:

    – ich bin als uneheliches Kind nicht mit meinem Vater aufgewachsen, habe ihn das erste Mal mit 7 Jahren gesehen und danach auch nur viel zu selten, seine Familie habe ich erst an seinem Sterbebett kennengelernt, da er bis zu seinem Tod meine Existenz verleugnet hatte. Mein Verhältnis zu meinem Vater würde ich als nicht sehr einfach beschreiben, wie man sich denken kann.
    – meine Mutter hat mir zwar sicherlich durch ihre eigene künstlerische Tätigkeit nie Steine in den Weg gelegt, als ich selber einen ähnlichen Weg ging, wer aber glaubt, dass eine Theaterfotografin (sic!) ihren komponierenden Sohn protegieren kann, versteht scheinbar sehr wenig davon, wie das Geschäft läuft. Meine Mutter hätte das weder gekonnt, noch hat sie es je getan (gottseidank).

    Ich habe übrigens in den prägenden Jahren der Kindheit meine Mutter auch nur sehr selten gesehen (die musste ja alleinerziehend das Geld ranschaffen, und davon hatten wir nicht viel), da ich die meiste Zeit bei meiner Großmutter im Pfaffengrund, einem Arbeiterviertel von Heidelberg aufgewachsen bin, unter ganz normalen Leuten, mit ganz normalen Berufen. Wenn man mich noch mit 15 gefragt hätte, was ich einmal werden will, wäre Musiker so ziemlich das letzte gewesen, was ich geantwortet hätte. Dass ich in diesem Beruf gelandet bin, ist einer Abfolge von Zufällen geschuldet, das wichtigste Ereignis in dieser Richtung war sicherlich die Frage eines Schulfreundes, doch in seiner Band Keyboards zu spielen. Dieses einzelne Ereignis (und was sich daraus ergab) würde ich als den prägendsten Moment meines Lebens bezeichnen, wichtiger als jede von Dir mir einfach mal angedichtete Protektion gewesen sein könnte. Und ich habe wie jeder andere auch gegen Widerstände ankämpfen müssen, nichts ist mir in den Schoss gefallen. Und die Widerstände bleiben, ein Leben lang. Nur die Verbitterung darob liegt mir nicht so, Dir vielleicht eher, so scheint es zumindest durch.

    Ich hatte sicherlich keine kunstfeindliche Familiensituation, aber wenn ich das mit so manch anderer Musikerkarriere vergleiche, bei denen ehrgeizige Eltern schon im frühen Kindesalter ihre Kinder pushen, dann war ich in dieser Beziehung vollkommen unbeleckt, und bin auch ganz froh drum, denn das hätte mich eher abgeschreckt, diese Laufbahn zu ergreifen. In der Kompositionsklasse bei Wilhelm Killmayer war ich sicher einer derjenigen mit dem am wenigsten musikalisch/künstlerisch ausgerichteten Elternhaus.

    Im Laufe meines Lebens habe ich die verschiedensten Musikertypen kennengelernt – aus kunstfeindlichen wie aus kunstfördernden Elternhäusern, aus armen wie aus reichen. Als größtes Hindernis für eine Musikerlaufbahn habe ich immer empfunden, wenn die Eltern Druck dagegen ausübten, a la „lern doch was gescheites“. Das kann aber auch gerade Energien bei diesen Menschen hervorrufen, die die angeblich so gepäppelten vielleicht gar nicht mobilisieren. Über einen späteren Erfolg sagt das aber auch nichts aus.
    Eine dauerhafte Musikerlaufbahn wird nie von den Eltern „gemacht“ werden können- Kollegen wie Widmann, Rihm etc. haben da sicherlich extrem mehr „Starthilfe“ als andere erfahren, aber man muss dann auch etwas können, sonst verläuft das (wie tausende Gegenbeispiele beweisen) im Sande. Wenn Eltern ihre Kinder als Wunderkinder anpreisen weiß jeder im Geschäft, das höchste Vorsicht geboten ist, es gibt auch Karrieren, die gerade durch solche Protektion verhindert wurden, obwohl die Kinder vielleicht sogar tatsächlich begabt sind.

    Und Dein Satz

    Wer eine gerechte Welt verlangt, braucht keine Kunst.

    ist ungefähr so sinnfällig wie:

    „Wer ein saftiges Steak bestellen will, braucht keinen Kellner“.
    Verstanden warum? Dann ist ja gut.

    Diesmal ausnahmsweise keine Grüße ins Labor,
    Moritz Eggert

  33. peh sagt:

    wechselstrom, „get a life“, sagt der Amerikaner. Und ich erlaube mir mal den Hinweis: Dieser Thread fing mit kritischen Reflexionen über einen außergewöhnlichen Künstler an und ihr missbraucht ihn wieder für euer ewiggleiches Gejammer und eure ewiglahmen Verschwörungstheorien. Folgt doch Jansons Vorschlag und gründet eine Facebook-Community oder so.
    patrick

  34. wechselstrom sagt:

    @ eggy,

    cool down. Es ist überhaupt nicht schlimm oder anrüchig oder gar ehrrührig, aus einem Elternhaus, wie du es hattest zu kommen, ebenso ist es nicht besonders ehrvoll oder heroisch unter den sogenannten „einfachen“ Leuten aufzuwachsen zu sein.
    Nimm es doch einfach so, wie es ist und freue dich darüber.
    Und wenn man dort hineingeboren wird, wo die Eltern schon einen Namen haben, und daran anschließt, warum soll dir irgendjemand einen Vorwurf machen, dass du es nutzt, bzw. dass dir es nützt.

    Verwundert über dein letztes Posting

    – wechselstrom –

  35. eggy sagt:

    Biep…Biep….Achtung…Biep
    Wechselstroms vorgetäuschter Verwunderungsmodus: „Huch, ich habe doch gar nichts gesagt bzw. gemeint“ ist….
    AN!

  36. querstand sagt:

    @ all: Das Thema „Nachruf“, „Kritik am Verstorbenen durch Eggert“ ist heikel genug! Eggert ist hier auch schon von anderer Seite dafür gerügt worden, dem wurde erwidert, der ganze Fall versucht zu durchleuchten, etliche Hundselendigkeiten die sich am Thema Schlingensief und seinem Tod entzünden können, von Tränen bis Verwünschungen, von Trauer bis Selbstspiegelung der eigenen kleinen Existenz, sind durchdekliniert worden, tw. mit einer biografischen Extroversion, die tatsächlich grenzfällig am Gejammer vorbeischrammte, zugleich aber auch auf wundersame Verwicklungen von „business as usual“ und wie jetzt gerade bekannter werdende, mit grösseren Aufträgen versehene Komponisten (Joneleit) in den Strudel der post-mortem-Kunst geraten. Das ist wahrlich nahe am „Stammtisch“, den Armin Köhler hierfür in einem Radioporträt in den Mund nahm. Darauf gehört aber auch hingewiesen. Der Tod Schlingensiefs hat eine extrem kathartische Wirkung, extremer als seine abgründigsten, letzten Stücke! Und für diese Erkenntnis kann man ihm nur danken, leider mal wieder viel zu spät. Das sollte im Vordergrund bleiben!

    Der Exkurs in die Frage der Herkunft von Kunstschaffenden, das ergab sich für mich auch aus der Schlingensiefschen Art des Bühnenumgangs mit Vater und Mutter. Diese als Apotheker werden ihm garantiert von den grds. Lebenskoordinaten ausgehend Dinge ermöglicht haben, an die andere Oberhausener gar nicht zu denken wagten, dennoch Künstler wurden. Ich habe mich da vielleicht zu sehr hineinreflektiert, allerdings fallen mir im eigenen Umfeld durchaus liebe Leute auf, mit denen ich zusammenarbeite, wenn ich meiner Berufung nachgehe, die aber durch ihren familiären Hintergrund so abgesichert sind, dass ich ob meiner eigenen pekuniären Rückhaltlosigkeit in richtige Existenznöte komme, in einen Spalt rutsche, wenn ich an meinen Brotjob denke, an die Absicherung der Freunde denke. Diese Freunde äussern durchaus Respekt vor mir, auch bin ich ihnen nicht nachtragend. Es ist aber schon der Wahnsinn, wenn man hört, welche Mietshäuser, Starnberger Grundstücke, etc. sich hinter Einzelnen verbergen, wie leicht diese Menschen mal schnell die Lebensgrundlage ändern können.

    Denkt man also an seinen eigenen Weg, an die Abgründe der durch die sozialen Netze gefallenen Menschen denke – auch Musiker! – , die ich in meinem Brotjob tagtäglich sehe, daraus natürlich auch wieder intelektuellen Input beziehe, dann hat man verdammt nochmal auch die Pflicht, auch mal hinzuweisen, bevor mal wieder das Selbstmarketing falsch sein soll und der ganze Typ als unsexy gilt, was ja durchaus ein Kriterium für manche Programmierer ist, wenn der Auftragsnehmer lispelt, er brauche jemand zum reden und wolle die Welt esoterisch retten, selbst aber natürlich aus gesicherten Verhältnissen stammt… Und wenn dann Agenturen die Hobbies der Mitarbeiter anpreisen, den vertretenen Künstler nur im Angesicht hehrster Kunst glänzen lassen – ist da nicht was falsch? Oder anders: ergötzt man sich nicht viel eher an Spahlingers Arbeiterberufen als an seinem professoralen Dasein? Warum sollen wir pseudoprofessionalisierten jüngeren Kollegen nicht mal darauf hinweisen?

    Sei es drum!

    @ wechselstrom: Dass Sie dem Eggert nicht ganz wohlgesonnen sind, das ist ja wirklich nicht neu, das liest man hier seit Eggerts ersten Beitrag und Ihren Kommentaren, sei es auch drum! Ich fände es viel spannender zu wissen, wie Sie sich so über Wasser halten, als dass Sie sich mit Eggerts Familiengeschichte beschäftigen. Wenn man nun Schlingensief hier als Massstab ansieht, dann geht es zwar um Preisgabe, aber zuerst mal um Selbstpreisgabe! Das hat Eggert getan, das kann pietätlos wirken, gehört aber tatsächlich hierher, und steht vertrackterweise doch mit Schlingensiefs Preisgaben dadurch durchaus in Verbindung… Mal esoterisch betrachtet: Moritz ist auf alle Fälle ein Mensch, der provozieren kann, da er weder das Establishment noch die Gosse scheut, zutiefst moralisch ist und durchaus selbst als „Systemprofitierender“, wenn es um honorige Organisationen gehen mag, denen er inzwischen angehört, diesen die Dinge um die Ohren schleudert, die diesen um die Ohren geklatscht gehören. Wie auch immer, er benennt die Dinge! Dazu gehört aber auch der Eggert, der nicht nur Klatsche verteilen kann, sondern der eigentlich unterhalten, Grenzen aufbrechen möchte, etc. Mir Old-School-Klassiker kam z.B. seine jugendliche Auseinandersetzung mit Rock/Pop/Jazz total spanisch vor. Allerdings erklärt genau diese Auseinandersetzung aber auch, warum er Musik lockerer angeht als ich es mir vor 15 Jahren zu träumen wagte. Da kann man doch Vieles von ihm abgucken, das erklärt aber auch, warum eher er für Opernbälle angefragt wird als Sie oder ich! Unsereins verquast sich immer zu sehr, muss sich x-Rechtfertigungsgründe zurechtlegen, etc. Er macht‘ s halt einfach! Oder anders: denken Sie an Mozart, der immer Hofkomponist werden wollte und dies nur über seine Tanzmusiken errang statt über seine Opern! Eggert blieb in Wien bisher auch nur der Tanzmusiker, wo sind also Ihre Walzer, liebster wechselstrom!?!

    @ Patrick Hahn: ich finde es nicht gut, wie SIE hier reagierten!! Genau solche Reaktionen, wie „Ihr kompositorischen Jammerlappen“, ja, die habe ich an Janson adressiert, erwartet. Und nun kommen SIE damit, als Schreiber, der dann wieder auf Nische, etc. verweist. Das ist ein potzgefährliches Spiel! Wenn Sie hier schon bloggen, die Neue Musik aus der Nische holen wollen, dann müssen SIE, ja besonders SIE das sog. Gejammer unsereins einfach ertragen können, sich sogar dafür interessieren. Und nicht nur dem eigenen Traum von hehrer Kompositionskunst hinterhertrauern. Sie schreiben tatsächlich immer sehr gehaltvolle, genaue, durchaus persönliche Berichte über das Neue Musik Geschehen. Und grds. scheinen Sie auch mit Strukturen und Lebensweisen in diesem Bereich nicht zufrieden zu sein, wie manche andere Person hier. Aber vergessen Sie nicht, dass Sie natürlich genauso ein kleines Licht sind, wie wechselstrom, Lücker, Janson oder auch ich selbst. Also regen Sie sich über das Gejammer hier gerne auf, aber artikulieren Sie das solidarischer! Oder sehen Sie sich als Hauptbeitragender bereits über uns schweben? Das wäre sehr, sehr schade! So mag Sie die Deutsche Bank Stiftung fördern, die Autorenschaft hier adeln, das ist Alles Ihnen auch wirklich zurecht zugekommen, aber wagen SIE es nicht, den Stab über mir oder auch Janson zu brechen!! Das mag qua Amt dem Kritiker schon auch zukommen, aber Sie sind noch nicht Jupiter, sondern rangieren wie ich eher auf der unteren Ebene! Und ja: ich missbrauche das Andenken Schlingensiefs, da es mich fordert, mich auf mich selbst zurückwirft, mir meine Mittelmässigkeit zeigt, aber auch an das Potenzial in mir erinnert – und ob Sie das nun ertragen können oder nicht: durchleuchten Sie sich unter Schlingensiefs Sonne bis aufs Mark und beten Sie nicht nur an! Dann haben Sie garantiert mehr von ihm erfasst, als mit den Besuchen seiner Stücke, was ich mir selbst dummerweise verwehrt habe. Vielleicht unterscheidet dies Komponist und Kritiker, dass meine Zunft bis ins Innerste eindringt, pervers sich selbst penetriert, derweil Ihre Zunft das Brennglas immer nur auf die Oberfläche setzen kann, auch wenn es weh tut, aber diese Selbstpenetration nicht durchführen kann, ja, wie SIE hier, diese mir verbieten will. Wenn Sie das aber wirklich durchziehen wollen, dann haben Sie schon den Typus „Künstler“ abgeschafft… Wie gesagt, ich halte viel von Ihnen, das geht mir jetzt aber zu weit.

    @ eggy: Echten Dank für die „Selbstentblössung“! Es hat mich tatsächlich tief in mich selbst hineingeworfen…

  37. erik janson sagt:

    @ querstand, patrick hahn, wechselstrom, eggy and all

    Dieser Thread fing mit kritischen Reflexionen über einen außergewöhnlichen Künstler an und ihr missbraucht ihn wieder für euer ewiggleiches Gejammer und eure ewiglahmen Verschwörungstheorien. Folgt doch Jansons Vorschlag und gründet eine Facebook-Community oder so.
    patrick

    Ich möchte hierzu doch bemerken, dass dies nicht zu trifft: Ich habe soweit ich weiß hier keine Facebook-Comunity vor geschlagen pro oder contra irgendwas und würde sowas auch nicht tun, weil auf Fb doch meist nur Nettigkeiten ausgetauscht werden. Was auch mal erholsam ist.

    2. Auf den Schlingensief-Nachruf wurde hier schon, vor allem von Wechselstrom u.a., sehr wohl substantiell und konstruktiv ein gegangen. Das Thema ging halt dann wieder in Richtung „Gesellschaftskritik“/ Chancen-Ungleichheiten/ Strukturprobleme/Förderung/Protekionismus in unserer Branche, über Lebensläufe, „Schicksale“ etc. Was sicherlich Schlingensief nicht gerade „unwürdig“ ist, da er dies schließlich vor lebte. Und die zeitgenössische Musik hat nun mal dieses substantielle Problem von Selbstbezogenheiten, Protektionismen und Oligarchien. Das ist nicht einfach mit Schlagworten wie „Verschwörungstheorie“ o.ä. weg zu wischen. Und wenn dies immer mehr Leute mal offen zu äußern wagen, dann ist es ein wenig „einfach“ diese als „Verschwörungstheoretiker“ zu bezeichnen oder auch nur einzelne davon.

    @ Patrick Hahn: ich finde es nicht gut, wie SIE hier reagierten!! Genau solche Reaktionen, wie “Ihr kompositorischen Jammerlappen”, ja, die habe ich an Janson adressiert, erwartet. Und nun kommen SIE damit, als Schreiber, der dann wieder auf Nische, etc. verweist. Das ist ein potzgefährliches Spiel! Wenn Sie hier schon bloggen, die Neue Musik aus der Nische holen wollen, dann müssen SIE, ja besonders SIE das sog. Gejammer unsereins einfach ertragen können, sich sogar dafür interessieren. Und nicht nur dem eigenen Traum von hehrer Kompositionskunst hinterhertrauern. Sie schreiben tatsächlich immer sehr gehaltvolle, genaue, durchaus persönliche Berichte über das Neue Musik Geschehen.

    Diesen Worten an Sie gerichtet von querstand, kann ich nur unterschreiben! Mir ist bisher übrigens nicht bekannt dass weder Sie, Herr Hahn noch andere namhafte Leute beim WDR bzw. Ihre Vorgesetzte (wenn man mal so sagen darf) wirklich auch „unbekanntere“ oder un-protegiertere Komponisten oder bei denen man mal nicht damit rechnete (erst Recht nicht hier aus NRW, in NRW lebend)
    wirklich „entdeckt“ und gefördert hätten. Ja, die Aufträge des WDR für Musikfabrik z.b:, die bekommen doch, wenn man sich das mal so ansieht, auch die immer gleichen, die immer wieder gefördert werden und IMMER WIEDER Aufträge bekommen, gesendet werden, immer wieder nach Witten eingeladen werden. Neue, überraschende Namen liest man da doch leider allzu selten, auch wenn ich denen die da regelmäßig Aufträge erhalten dies sicher Gönne und nicht – weder im Einzelnen oder generell – die Qualitäten absprechen will. Aber reden schreiben ausgerechnet Sie als Mitarbeiter vom Rundfunk hier dann bitte nicht vom „Immergleichen Gejammere“, wenn Sie hier Komponisten im Blog kritisieren oder „Verschwörungstheorien“ unterstellen. Sie deuteten ja mal in einem Ihrer Blogbeiträge an (ich weiß momentan nicht mehr, welcher es war, schon länger her): wenn viele wüssten, wie es beim Rundfunk zugeht bzw. was man dort an Möglichkeiten hat, dann würde man sich wundern …
    Dies wurde aber nicht weiter von Ihnen ausgeführt. Warum, das wundert mich wenig. Gerade hier würde es spannend werden, wenn Sie den Mut, den querstand, wechselstrom, ich und andere sich hier nehmen/nahmen, offen Struktur-Missstände an zu sprechen, auch beweisen würden.
    Nochmals: Das hat mit „Neiddebatten“ oder „notorischem imergleichen Gejammere“ gar nichts zu tun! Auch wenn man mir dies noch hunderte Male hier oder anderswo unterstellen wollte. Die „Verschwörungstheorie“ oder „Neiddebatten“-Unterstellungen in Richtung der (System-) und Förder(struktur-)-Kritiker werden dadurch nicht weniger unwahr, im Gegenteil. Solche Abwehrargumente und
    -mechanismen zeigen geradezu, dass an der Kritik im Kern auch was dran ist.

    @ Moritz: ich denke, wechselstroms Re-Posting auf Deine
    ausführliche Antwort und „Biographie“-Entblößung war alles andere als spöttisch oder ironisch gemeint. Verstehe nicht, warum Du das nur so auffasst. Auch ich kannte Deine Biographie ja noch nicht, ehrlich nicht.
    Allerdings wäre ich auch nicht auf die Idee gekommen, das hier mutmaßend so aus zu breiten und muss Dir bei pflichten: ob man nun aus „einfluss(reichem)“ Hause kommt oder nicht: Können und Geschick müssen schon dabei sein, damit man dann Erfolge hat. Das stimmt!

    Es grüßt, Euer rheinisch-humoristischer „Jammerlappen“,

  38. peh sagt:

    Lieber Erik Janson,

    ohne jetzt in autobiographische Exegesen zu verfallen nur so viel zur Richtigstellung.

    1. Leider habe ich als freiberuflich Tätiger keinerlei Einfluss auf vom WDR vergebene Kompositionsaufträge. Beschwerden über die Vergabepolitik bitte an die jeweiligen Redaktionen und Klangkörpermanagements.

    2. Die Reihe musikFabrik im WDR wird vom Ensemble musikFabrik inhaltlich gestaltet, die auch – meist im Verein mit der Kunststiftung NRW – die Kompositionsaufträge vergibt. Beschwerden über die Vergabepolitik bitte an diese Stelle.

    3. Was die Entdeckung und Förderung noch unbekannter Komponisten durch den WDR angeht, empfehle ich insbesondere die Dokumentationen zu den Wittener Tagen für neue Kammermusik aus den Jahren Witten 1989 und Hofheim 2008 – Letztere käuflich zu erwerben beim WOLKE-Verlag, wo auch eine Dokumentation über die Konzertreihe Musik der Zeit vorliegt, die zu nämlichem Thema gleichfalls Wissenswertes beiträgt.

    Meine emotionale Reaktion war dem Entsetzen geschuldet, auf welche Weise hier biographische Halbwahrheiten sehr persönlicher Natur über Mitschreibende in Umlauf gebracht und mit halbgaren Ideen und Vermutungen verquirlt werden. Auch wenn sich einige so gebärden, als wäre es so: Das Internet ist kein privater Raum und einmal Lanciertes ist schwer wieder zu löschen. Daher würde ich mich freuen, wenn sich die Diskutaten zukünftig vor allem der Sache und weniger den Personen zuwenden würden.

    Und wenn die Zeit, die in das Recherchieren von Biographien gesteckt wird, vielleicht gar ins Komponieren fließt… Wer weiß, was dann alles möglich wird!

    Viel Erfolg wünscht
    Patrick Hahn

  39. wechselstrom sagt:

    … allerdings würde ich die Bedeutung von Agenten bei der Beschaffung von Kompositionsaufträgen oder Aufführungen nicht als so hoch einschätzen, da dürften andere Mechanismen (gewachsener Bekanntheitsgrad, Kontakte, genereller “Ruf”) wesentlich wichtiger sein, zumindest bei Komponisten …

    So das Posting Nr. 21 in diesem Thread von M.E.

    Was die unterstellte Recherche aus eggys Privatleben betrifft:
    Das steht hochoffiziell in wikipedia unter seinem Namen.
    Man kann sich in Wikipedia zwar nicht selbst eintragen (man macht das meist über einen Strohmann) , das ist klar, aber man kann Eintragungen, die man nicht wünscht (private oder sachfremde ) löschen lassen.

    Und unter dem Eintrag seiner Mama Maria Eggert steht:
    „Mara Eggert lebt in Berlin. Ihr gemeinsamer Sohn mit Herbert Heckmann ist der Komponist Moritz Eggert.“

    und unter dem wikipedia-Eintrag seines Papas steht:
    „Herbert Heckmann war der Vater von Moritz Eggert, einem zeitgenössischen Komponisten.“

    Bei so viel Kreuz- und Quer-, gegenseitigen hin- und her-Verweisen bin ich immer noch über die Aufregung von eggy verwundert, vor allem unter dem Licht, dass du, eggy ja selbst bei der Kompositionsauftragsvergabe dem „generellen „Ruf““ eine besondere Bedeutung zumisst.
    Was soll der Begriff „genereller „Ruf““ (die Anführungszeichen bei „Ruf“ hast du gesetzt, lieber eggy) anderes bedeuten, als ein Synonym für „Herkunft“.

    Also nochmal: Cool down, nimm es und genieße es, so wie es andere genießen können bspw. ein beträchtliches Erbe erlangt zu haben. Ich bin der Letzte, der es jemandem neidet.

    Grüße aus dem Labor

    – wechselstrom –

  40. Martin Torp sagt:

    Um wieder zum eigentlichen Thema dieses Blogs zurückzumodulieren, möchte ich – nicht ohne Bezug auf die letzten Blog-Kommentare – jetzt auch nochmal Schlingensief selbst zu Wort kommen lassen. In seinem Buch „So schön wie hier kanns im Himmel garnicht sein“ (Köln 2009) äußert er auf Seite 85 wie folgt: „Man muss vor allem aufpassen, dass man nicht immer den anderen die Schuld gibt. Dazu gehört auch Gott. Es ist ja klar, dass manchmal Sachen passieren, bei denen man sich fragt, wie er das zulassen konnte, was daran sinnvoll sein soll. Natürlich ist alles sinnvoll. Aber nur, weil alles zusammen gehört.“ Dies als ein Beispiel für die hellen Momente und schönen Passagen des Schlingensief-Buchs.

    Leider enthält es aber auch Berge finsteren Gedankenmülls. Um der Ausgewogenheit willen auch dafür ein Beispiel (S. 37 f.), etwa 3 Monate vor der Berliner Braunfels-Premiere von Schlingensief ins Diktiergerät gesprochen: „Jetzt sitze ich auf dem Sofa und versuche, ein bisschen an der Johanna-Inszenierung zu basteln. Vor ein paar Tagen in Oberhausen dachte ich, ich könnte der Figur der Johanna irgendwelche Abgründe abgewinnen. […] Ich habe geglaubt, dass es in dieser Oper von Walter Braunfels um den irrwitzigen Glauben gehe, eine bestimmte Religion ermögliche uns Menschen die Freiheit, die wir nur in der eigenen Autonomie finden können. […] Im Moment denke ich nur: Meine Güte, was für ein aufgeblasener Schwachsinn. Vielleicht sollte ich einfach mit Transparenten arbeiten. Da würde dann draufstehen: Hört die sich schon wieder selbst zu? Oder: Was hat die denn für Probleme? Es wäre gar nicht schlecht, ein Transparent runterzurollen, wo draufsteht: Jetzt mach mal halblang! Komm runter, Alte! Das wäre wirklich eine schöne Untertitelung für den Scheiterhaufen: Komm mal wieder runter, Alte!“ – No further comment.

  41. querstand sagt:

    @ hahn: Danke für die Konkretisierungen, da fühle ich mich nur noch halbbetroffen, kann Ihren Unwillen auf die Jammertiraden schon verstehen, wovor ich selbst warnte und auch den Spass an meiner Lebenskonstruktion zuvor hoffentlich ein wenig zeigen konnte. Sorry für den direkten Angriff! Da Sie als Hauptblogger grosse Verantwortung tragen, da besonders Ihre Äusserungen genauso im Netz erstmal verbleiben wie meine Sermons, hätte ich auf mehr Differenzierung Ihrerseits gehofft. Ihre Adressierung an wechselstrom ist zwar klar, man kann aber auch Hintergründigeres aus den weiteren Halbsätzen herauslesen, mein paranoisches Spezialthema.

    @ janson: Und so komme ich auch gleich zu Dir! Habe da wohl etwas über’s Ziel hinausgeschossen, bleibe aber grds. dabei und unterstütze Dich da auch, dass es auch o.k ist, hier seine Befindlichkeiten in Reaktion auf einen sich weitenden Thema wie „Schlingensief“, mal herauszuschleudern, gerade weil es ins Existenzhafte zwingt. Mich interessiert aber eindeutig daran, lieber die allgemeinen Reaktionen der Szene zu betrachten, das Hauptthema Moritz/Schl. zu durchleuchten und dann eben auf mich oder Dich selbst zu kommen – das kann nur die Konsequenz aus diesem Nachruf sein. Und meine Angst mit dem „Jammern“… schade, dass sich das immer wieder bestätigt. Man scheint unsere Sorte immer noch für total weltfern und überfördert zu halten, findet den Blick von aussen vor lauter Vorurteilen auf uns nicht mehr. Natürlich hat die Komponistenzunft ein Grossteil selbst diesen Vorurteilen Vorschub geleistet. Nun ist es aber an der Zeit, von den uns pauschal Abtuenden mehr als nur Pauschalität einzufordern! Und das ist vollkommen aufgeblasen meinerseits auch der einzige Weg: wir suchen das zu Hörende, die anderen haben gefälligst zu Hören, erstmal – Kritik dann gerne erwünscht, vielleicht kullert dann auch eine neue Erkenntnis in meine Kugel. Aber wie bei wechselstrom: ich wünsche mir eigentlich mehr Stories aus Eurem Leben als über andere Leut‘ – da kann man sich wirklich selbst bei Wiki und Konsorten informieren. Ach, hat wechselstrom mir nicht damals „Internetrecherche“ fast zum Strick gekordelt? Wie gerne wäre ich ab und an hier doch noch „anonym“, kann ganz komfortabel sein.

    @ wechselstrom: Ich bleibe dabei – Ihre Geschichte über Schlingensief war wirklich gut, Ihre Punkte A, B, C kann ich auch unterschreiben. Nur, warum diese quartalshafte Verbohrtheit, Eggert immer wieder eine reinzurammen? Ich denke, er nervt Sie gerade deshalb, weil er trotzdem kritische Sachen artikuliert, die irgendwie zu dem Bild eines beim Opernball Aufgeführten nicht passen mögen, wenn man deshalb Moritz „Establishment“ vorwerfen möchte. Natürlich wird Moritz die dortige Aufmerksamkeit gerne annehmen, ich tät’s auch! Das ist eben die Krux unserer Kunst: da mag sie noch so sehr als „Freie Szene“ bezeichnet werden, sie ist und bleibt Hochkultur und kommt direkt von dieser! Die meisten von uns sind doch durch diese Mühle klassisches Instrument, Liebe zur Klassik, Absonderung von ihr aber dennoch besonders aus ihrem Blickwinkel, gekrochen. Wie freut doch jeden von uns ein Auftrag an einem Stadttheater soviel mehr als schon wieder die Begleitkulisse für eine Vernissage, ein Theaterkonzept zu sein – ich zumindest stehe schon lieber gerne im Mittelpunkt einer grösseren musikalischen Veranstaltung, als an ihrem Rande mein Dasein zu fristen. Moritz hat tatsächlich viel auf diesem Weg erreicht, aber eben auch sehr viel daran gearbeitet, wohl mehr als manche von uns hier zusammen… Dennoch hat er seine Ehrlichkeit nicht eingebüsst und teilt auf Ebenen aus, wo wir erstmal ganz vorsichtig sein müssten, um nicht durch ein braveres Kompöstelchen ersetzt zu werden. Sie müssen nun wirklich nicht mitschwingen, Sie können auch gerne einen superkritischen Blick auf so etwas wie das Freax-Unterfangen haben. Aber warum immer wieder diese besondere Liebe zu Tieftritten? Ich sehe Sie als wunderbar kritischen Geist, mit oft sehr trockenen, treffenden Kommentaren – nur diese besonderen Eggertausfälle… Wie wäre es mal mit Frau Spinola, die arme, von mir so unrecht Gebeutelte…

    @ Torp: Liest man die Tagebuchnotizen, könnte man als für Braunfels Glühender, ich hoffe fern jeglicher Scheiterhaufentemperaturen, schon in Agonie ob soviel Distanz zu einer Opernproduktion verfallen und sich sofort einen anderen Regiesseur wünschen. Allerdings, dieses „komm‘ doch einfach mal runter, Alte, vom Scheiterhaufen“, das ist doch eine nette Aufforderung! Warum sein Leben so extrem riskieren? Ich kenne von Braunfels wirklich zu wenig. Irgendwie erinnert doch das ganze Sujet an die Vorlieben, die so zwischen 1930 und 1960 immer wieder die Komponisten trieben, man denke an die Dialoge der Karmeliterinnen, an Moses und Aron, an die Johanna von Braunfels und Honegger! Da müssen Frauen brennen, Alle sind vor Entsetzen darüber entflammt und freuen sich an Extasen wild gen‘ Himmel blickender hoher Frauenstimmen in den Hauptrollen – bei Schönberg eher die sich opfernden Jungfrauen. Da kann man den Schl. schon verstehen, dass er lieber mit diesen Figuren ein Bier trinken will als sie in den Tod zu schicken, sie von ihrem Bühnentod zu erlösen – wobei dieser seinige Erlösungstick doch auch wieder ätzend sein kann. Gut, man mag in den brennenden Diven einen Bezug zu Bücherverbrennungen und mehr des 3. Reichs als Analogien sehen, so analog kann dies aber auch nicht wieder gemeint sein… Diese Damen erinnern mich zudem an x-fache Steigerungen von Tosca, La Traviata, Leonore, etc. Und starke Frauen sind in Opern immer schön, nur wird es Mitte des 20. Jhds. leicht pervers, wie sich die Todesarten der Rollen extremisieren, in grossen Tableaus dargestellt werden müssen, wie befreiend ist dann doch dieser Schl.-Spruch! Allerdings, wenn er sie wirklich vom Haufen bekommen hätte, so hat er natürlich sofort sein persönliches Siechen gross ins Bild gesetzt, da könnte sich was beissen. Oder gnadenlos die Szenerie für sich selbst usurpiert, ganz gnadenlos und darin durchaus auch wieder ehrlich. Zugegeben, seine eigenen „Opern“ waren dazu viel besser geeignet als diese „Johanna“, was will uns aber diese Heiligenparabel sagen? Da ist mir Poulenc, selbst Honegger doch lieber, irgendwie mehr an unsere Zeiten heranreichend, gerade durch Honeggers Verfremdungen des Tribunals zu Tieren, besonders die Nähe der frz. Revolution. Johanna aber ohne Brechung wirkt wie eine Tosca in der Tosca: im Te Deum des 1. Akts sie zu einer Heiligen verklärt, spätestens durch das schöne Vissi, wo es dann auch noch um Altarblumen geht, ganz der Realität enthoben. Starke Frauen ja, aber ihr Tod hinter der Bühne oder in der Distanz des Berichts zeitgemässer als dieser ganze Exekutionstingeltangel auf offener Bühne, Puccini fand das ja schon selbst geschmacklos…

  42. wechselstrom sagt:

    @ querstand,

    „gewachsener Bekanntheitsgrad, Kontakte, genereller “Ruf”“ ist das von Moritz Eggert Ihnen zugerufene Dreibein der Erfolgsgrundlage für Komponisten.
    Es handelt sich natürlich um den berühmten „Fuß in der Türe“ einer Institution, und die chronologische Reihenfolge des Eggertschen Dreibeins ist natürlich umzudrehen:
    Zuerst der „generelle „Ruf““, dann die daraus resultierenden Kontakte und dann der wachsende Bekanntheitsgrad.

    Klar, man muss auch Qualifikationen mitbringen – einem Nichtskönner werden auch bei bestem generellen Ruf nicht die Aufträge über Jahre hinterher geworfen.

    Wollen Sie Erfolg im Opernbetrieb, vulgo einen dicken Opernauftrag haben, so ist der Eggertsche Voraussetzungs-Dreisatz der gängige Weg, er ist nicht der einzige, aber der am häufigsten gebrauchte.

    Sie und auch Patrick Hahn sprechen die Kluft zwischen künstlerischer Freiheit (im Gegensatz zu den 50er-Jahren ist heute alles möglich) und den Zwängen des Kunstbetriebes (kaum mehr etwas möglich) immer wieder deutlich an, kommen aber nicht zum Kern, nämlich der präzisen Benennung der Verhältnisse. Und hier geht es nicht, wie Sie vielleicht glauben, um die Findung eines „Schuldigen“, das wäre wirklich zu blöd. In dieser Findungskommission sehe ich eher Herrn Hahn, der in seinem Posting auf alle anderen verweist (geradezu mit dem Zeigefinger deutet), seinen eigenen Verantwortungsbereich aber nicht einmal so benennt wie er vermutl. auf der WDR-Homepage abgelegt ist.

    Es wäre ein Leichtes, und es würde sogar die Politik mitspielen, die Angelegenheiten der Kompositionsaufträge gleichberechtigt in die Hände der Betroffenen, also der Komponisten und Musiker zu legen. Dazu bräuchte es aber einen spezifischen demokratischen Grundkonsens, den es bei den Künstlern am wenigsten gibt und in nächster Zeit auch nie geben wird.

    Also bastelt weiter an der A(de)vantgarde, oder De-Avantgarde und zementiert dadurch die Verhältnisse, die ihr zu Recht beklagt.

    Beste Grüße aus dem Labor

    – wechselstrom –

  43. wechselstrom sagt:

    @Martin Torp,

    herzlich gelacht über beide Schlingensief-Zitate, die m.E. weder philosophisch hochstehend noch dunkler Gedankenmüll sind. Ich sehe da eher witzig assoziative Gedankensplitter, die sich unterhaltsam lesen lassen.

    Grüße aus Wien

    – wechselstrom –

  44. erik janson sagt:

    @ patrick hahn, @ all,

    1. Leider habe ich als freiberuflich Tätiger keinerlei Einfluss auf vom WDR vergebene Kompositionsaufträge. Beschwerden über die Vergabepolitik bitte an die jeweiligen Redaktionen und Klangkörpermanagements.

    Ihren Empfehlungen (auch der Recherche bzw. Durchgehen der Witten-Dokumentationen) werde ich bei Gelegenheit gerne nach gehen und bin ja auch keineswegs ein WDR- oder Witten-, noch Kunststiftungs NRW-Verachter, im Gegenteil! Obwohl man sich denken kann, welche Art von Antwort man wohl an entsprechender Stelle bekäme, wenn man sich mal grundsätzlich „beschweren“ würde i.Ggs. zu manch anderen, immer wieder gesendeten/mit Aufträgen bedachten Komponisten „nie beachtet“ zu werden und immer wieder bei Anträgen (auch zusammen mit anderen Kollegen) abgelehnt zu werden: „vielen Dank für Ihren Brief vom …, aber leider …“. Werde daher lieber erstmal mich aufs Komponieren konzentrieren und bin guter Dinge, auf dem Gebiet keineswegs chancenlos zu sein oder zum „alten“, nicht förderungswürdigen Eisen zu gehören.
    Aber wenn man möchte, das sich was verändert (sowohl an der allgemeinen als auch an der eigenen Situation) dann muss man erstmal auch Missstände benennen und den Mund aufmachen (dürfen). Denn sonst bekommt ja die Politik/Kulturpolitik gar nicht mit, dass es auch Faules/ UNgerechtigkeiten etc. gibt und nicht nur eitel Sonnenschein…

    Meine Reaktion auf Ihr Posting, Herr Hahn, war auch hauptsächlich so wie sie war, weil Sie über meine Person
    ja begannen indirekt zu spekulieren, von wegen ich hätte zu eine Facebook Community o.ä. aufgerufen oder mir in den Mund legten, ich könne auf die Idee kommen das zu tun. Dies noch im Zsg. einer Reaktion, die gar nicht auf einen meiner Beiträge sich bezog. Das hat mich ziemlich irritiert. Bekanntlich hat querstand auch unabhängig davon dann VOR mir auf Ihr Posting reagiert. Also, über mich wird und wurde hier ja auch schon einiges in die Welt gesetzt an Unterstellungen über mein Privates, meinen Chatakter o.ä., was vielleicht nicht der Objektivität entspricht oder wenn man mich näher kennen würde. Damit muss man ein Stück weit leben, wenn man sich ins Netz wagt (ich, auch Eggy, Wechselstrom etc. pepe) Und ich lebe auch noch, habe ein dickes Fell (das man halt auch haben muss, wenn man sich gerade im Netz bewegt).

    @ Torp: Danke für das bereichernde Schlingensief-Zitat, allerdings würde ich dies auch ein Stück weit unter „Altersweisheit“ und im Angesicht seiner Krankheit/des baldigen Todes schon einordnen. Da möchte man gerne unter alles einen Schlussstrich ziehen und seinen „Frieden“ mit sich und anderen machen, blickt auch zufriedener zurück auf Erreichtes etc. Vielleicht komme ich da ja auch noch hin, aber noch ist es zu früh. Bzw. das kommt dann, wenn es kommen soll, schon noch früh genug. Und – sorry – mal eingewendet gegen das SChlingensiefsche Tabu in seinem o.g. Torp-Zitat „Gott“ dürfe man z.B. ja nicht für was „anklagen“ oder sich beschweren (bzw. Unzufriedenheit o.ä. vor tragen). Da ist der altersweise Schlingensief päpstlicher als die Kirche und Religion selbst. Das Hadern und Jammern, selbst an die Adresse unseres „höchsten Chefs“ – wer denn dran glaubt -(wie der Rheinländer karnevalistisch sagen würde). Das kommt sogar in der Bibel vor. Ich erinnere nur mal beispielsweise an Hiob.

    In diesem Sinne: Euch allen noch einen himmlischen Tag,
    Erik

  45. querstand sagt:

    @ wechselstrom, @ all
    Zum sog. Dreisatz Moritz‘
    1. gewachsener Bekanntheitsgrad,
    2. Kontakte,
    3. genereller “Ruf”

    Man kann ihn, in welcher Reihenfolge auch immer, als Theorem lesen, man kann ihn simpel auch in dem Zusammenhang belassen, im welchem er genannt worden ist, nämlich als Entgegnung zur Frage des Einflusses von Agenturen auf das Fortkommen von Komponisten. Darauf kam ich wegen meines komischen Gefühls hier hinterlassener PR-Texte, die auf diese Agentur verweisen könnten, zeigen wie deren Komponisten mit den grösseren Aufführungen derselbigen an der Berliner Staatsoper korrelieren. Das Gefühl bleibt auch jetzt noch komisch, denn dies klingt wirklich nach outgesourcter Dramaturgie, mag tatsächlich im Gegensatz Moritz‘ Normalzustandsbeschreibung ein Novum sein. Die relativ grosse Bekanntheit der dortigen Komponisten scheinen im nicht-erfolgsversprechenden Agenturland „Neue-Musik-Komponiste“n entsprechend zur Bedeutung der Lindenoper für alle Beteiligten das Risiko zu minimieren, könnte im Extremfall der Erfolglosigkeit die Agentur als „Buhmann“ gegenüber der experimentängstlicher werdenden Berliner Kulturbürokratie im Regen stehen gelassen werden. Da könnten sogar die Komponisten von sich auf die dann gescheiterten Agenturkonzepte verweisen. Das wäre wirklich neu, nicht die Musik, die Vermarktung als Experiment! Wieder am Kern vorbei?

    Also am „Dreisatz“ geblieben!
    zu 1. „Gewachsener Bekanntheitsgrad“: Dieser ist wohl wirklich die grösste Hürde, darum macht es nicht unbedingt Sinn die Reihung der drei Begriffe wahlweise umzudrehen. Ich könnte mir jenseits der Bekanntheit v.a. „Kontakte“ als wichtigste Visitenkarte für den Betrieb vorstellen, die dann den „generellen Ruf“ generieren, welcher dann auch hilfsweise ohne „gewachsenen Bekanntheitsgrad“ diesen vollkommen ersetzen kann. Ohne „Kontakte“ als Punkt 2 wird der „gewachsene Bekanntheitsgrad“ allerdings die Berufseinstiegsvoraussetzung sein und erstmal bleiben.

    Wie wird man bekannt, ohne Kontakte, ohne Referenzen? Nur über „Publikumserfolg“. Das ist schier aussichtslos, es sei denn man arbeitet an seinem Produkt, so gut wie es eben geht, dass es als solches erstmal ohne Publikumsbezug vor einem selbst existieren kann! Wenn man innerhalb der Neuen Musik Szene das durchhält bzw. als Qualitätsmerkmal anpreisen kann, springt ggf. die kleine Mühle der Neuen Musik über Kontakte und Ruf, der dann des „Verweigerers“ oder „Inneren Exils“ ist, ganz von alleine an.

    Wenn allerdings Publikumserfolg oder der Wille nach diesem seitens der Mühle Neue Musik unterstellt wird, kann man diese erst einmal vergessen. So bleibt dann der Weg, sich tapfer auf kleinen Foren zu behaupten, v.a. zäh und beständig zu werden, immer wieder Musiker für sich zu begeistern, dass diese die Stücke ins Programm nehmen, so etwas wie eine „kleine Mundpropaganda“ anläuft. Die verschafft dann „Ruf“ und „Kontakte“, wenn der „Ruf“ den o.g. Kriterien der Mühle Neue Musik entspricht, gibt‘ s da noch eine letzte Chance für die Hierarchie in jener Mahlstube.

    Sollte der Erfolg allerdings grösser sein, ggf. sich in anderen Nischen bewegen, gar ein bekannterer Musik sein Herz für jenen Schreiber entdecken, entsteht ein der Neuen Musik gefährlich entstehender „Ruf“, kommen die Kontakte zu vermarktungsfreudigen Kreisen evtl. schnell alleine zustande, muss aber um so mehr dann diese Kontakte als den Ruf pflegen, ohne die schafft es nicht mal der grösste Publikumsliebling, schnell wieder in der Versenkung verschwundene Menschen gibt es allerorten.

    Um den Dreisatz wird man so kaum herumkommen, die Frage ist die der Gewichtung. Wobei ein strategisches Vorgehen, das mit den Kontakten startet und mit dem Bekanntheitsgrad endet, nicht grundsätzlich unmoralisch sein muss, man kann sich auf jenem Wege eigentlich viel stärker um seine Substanz kümmern, als wenn man so oder so auf dem Wege der wachsenden Bekanntheit Konzessionen dabei eingehen muss. So verwundert es mich nicht, das jener Weg immer noch der häufigste ist, schnell und die eigenen Ressourcen schonend, solange man den Ruf wahren kann.

    Mein Problem ist, dass ich selbst so strategisch gar nicht bin, dass die Kontaktschiene der Hinterzimmer nicht so funktionierte, mich mehr und mehr die Schiene „Bekanntheitsgrad“ interessiert, ganz brutal in einem Ausloten von eigenen Grenzen, zugleich aber auch die Frage nach dem Publikum, es zu verstören, was Neue Musik durch den ihr immanenten Ruf komischerweise immer wieder in gewissen Grade schafft, vielleicht aber auch zu berühren, ganz im alten Sinne. Kontakte ergeben sich so über die Mitstreiter allein, man kann sowohl sich selbst als auch sparsamen Förderern hoffentlich das Vorhaben erklären, der Ruf wandelt sich sowieso immer zugleich ins Negative wie Positive, je nachdem ob man aus dem Neue Musik Kristall oder dem Normalschlamm darauf äugt.

    Ihr Problem nun ist, dass für Sie der „Ruf“ unglaublich wichtig ist. Das klingt im Sinne der Neuen Musik, die „Ruf“ im Sinne von Protest und/oder Verweigerung definiert nach einer hohen Ethik wie Neue Musik sich selbst als das ethisch Höchste deklariert. Damit können Ihnen Eggerts Ausflüge nur als irrational, unethisch, verwerflich erscheinen. Dadurch reicht Ihnen ein Blick in seine Biografie oder auch auf die Adevantgarde-Seite, wo Sie tatsächlich auch mich vorfinden. Wenn Sie jetzt eine ähnliche Sicht auf die Adevantgarde und Moritz haben wie z.B. der unendlich weit oben mal erwähnte Manuel Brug bzgl. seiner Freax-Kritik, dann habe ich wohl in Ihren Augen verloren. Das zeigt aber nur, wie einseitig Sie das Kriterium „Ruf“ bewerten, es benutzen.

    Eigentlich hat Moritz Ihnen Alles entgegnet, was zu entgegnen ist! Ich denke, was hinter Ihren Gedanken zu seiner Familie weit auf der Strecke bleibt, ist das Wissen, dass neben den Stellungen, die Moritz jetzt inne hat, auch seine Arbeit als Musiker gehört, die tatsächlich vielmehr zu seiner Bekanntheit beigetragen haben dürfte, als nur „wichtige Hinterzimmerkontakte“. Dadurch ist Moritz einerseits einem gewissen Grad an Publikum aber noch mehr Musikerkollegen bekannt geworden, was in puncto „Bekanntheit“ der wichtigste Faktor sein dürfte, wie oben beschrieben bringt dies einen in viel weitere Kreise als das reine Schreiben. Musiker, die seine, Ihre oder meine Musik gerne spielen sind für die Mundpropaganda der Hauptfaktor, das anarchischste Mittel, gewachsene Strukturen zu brechen.

    Sie selbst haben ja wohl auch die Erkenntnis gewonnen, dass man neben der eigenen Komposition auch für deren Produktion Sorge tragen muss, das versuche ich bspw. auch durch theatrale Projekte. Über diese Verantwortung steht es uns nun auch zu zu klagen, aber sie schafft dann doch wieder mehr Freiheit, als rein freies Schreiben im anything-goes-Nirwana. Die Limitationen werden da zwar nicht durch die reine Ethik der Kunst gesetzt, meist durch profane Fragen wie Geldmittel, Aufführungsort, Können der Beteiligten. Aber auch diese Grenzen können ehrbare Kunst hervorbringen.

    Die andere Erkenntnis, meine zumindest, nur von mir ausgehend, nicht von den Verhältnissen, dies explizit, je mehr man auf den Produktionsfeldern zu tun hat um so mehr hat man auch zu komponieren als im Zustand der totalen Freiheit. So wird ein gewisses Mass an Steinen im Weg immer auch die reine Kunst befördern, ab einen zu grossen Grade aber auch behindern! Und darüber lief meine meiste Klage und Jammerei.

    Rein künstlerisch besetzte Gremien, selbstverwaltet sind eigentlich auch mein Traum. Und da fehlt es mehr denn je, sitzen nicht Schöpfer sondern Verwerter an den Hebeln. Das wird dann problematisch, wenn sich das verfestigt. Das ist aber genauso unerträglich, wenn alternde Künstler sich an ihre Posten klammern, am Besten noch durch eine Zweitqualifikation „Marketing“ legitimiert. Es ist auch da eine Frage des Betrachters. „Reine“ Juries sind auch nicht die Lösung! Mischungen aus allen Bereichen wie Künstler, Vermittler und Kritiker sind eine Chance, zeitlich begrenzt allemal, am Besten durch die Künstler selbst gewählt. In der Münchener Theaterszene wird so verfahren, allerdings ist das Jammer und Klagen auch da noch voll und ganz vorhanden. Sollte eine gewisse Jammerfreude einfach zum Künstlerleben dazugehören? Ich denke schon! Selbst Kollegen, die des Jammers der Anderen überdrüssig werden fangen selbst über diese oder sich selbst über kurz oder lang zu lamentieren an.

    Am liebsten wäre mir, dass man die Verhältnisse idealisiert, den Filz aufbricht. Das kann aber eigentlich nur in einer Welt gelingen, in der selbst Mehrheiten hinter das Individuelle zurücktreten, das geht nur in der sich selbstverantwortlichen Kunst. Auf Dauer ist allerdings eine solch hermetische Welt wieder ein Gefängnis wie die reine Erfolgslust ein Abgrund ist. Also bleibt doch der Mehrheitsgedanke und das Versuchen, diese immer mal wieder anders zu gestalten, kurzfristige Koalitionen einzugehen, dem richtigen Zweck geschuldet. Aber auch ohne die Angst, sich oder die Anderen verleugnen zu müssen, wenn die Koalition wieder endet. Das ist dann der prinzipielle Unterschied zwischen der Aussenwirkung von Kunst und Parteipolitik.

    Zudem: Kunst kann schon die Welt verändern, solange sie direkt wirkt. Nichts aber ist wieder schneller vergessen als Kunst, wenn der Alltag greift. So gehört zum Verändern der Dinge immer ein Einstieg in diese dazu. Die Gefahr ist natürlich, das man diesen Einstieg zu sehr für sein eigenes Fortkommen nutzt. In einem gewissen Masse ist diese gar nicht vermeidbar, in einem anderen Masse kann es aber einen schneller korrumpieren, als man es mitbekommt. Davor ist weder Moritz, noch sind Sie es, noch bin ich davor ganz gefeit. Es kommt also immer auf die Verhältnismässigkeit an, mit der man selbst das Recht ausbremsen kann. Und in diesem Sinne sind Ihre Angriffe vielleicht geeignet, vielleicht auch hin und wieder mal erforderlich. Aber sind sie immer angemessen? Es gilt die Wahl des milderen, nicht unbedingt des mildesten Mittels.

    So kann man die Verhältnisse zu Friedenszeiten allemal besser ändern als nur immer daraufzuhalten. Das Verletzen sollte unbedingt zum Instrumentarium gehören, das Heilen folgt aber sofort und bedarf viel mehr Durchhaltevermögen als die reine Bombe, die auch sehr oft als Bauchplatscher endet. Wie sehen Sie nun jenseits Ihrer Adevantgarde-Pauschalierungen die Verhältnisse? Sie werfen uns Anderen immer die Unfähigkeit der Kernbenennung vor, aber wo sehen Sie ihn denn? Wie gesagt, ich bin der grösste Fan von Schwänken aus Ihrem Leben! Wie sieht’s aus?

  46. erik janson sagt:

    @ querstand bzgl. Bekanntwerden OHNE Beziegungen, nur durch „hungrige“ Musiker, Gute-Stücke-schreiben, Selfmanaging, Durchhalten, gewachsene Bekanntheit etc. pepe.

    Ergänzungen aus meinen Erfahrungen dazu bisher:
    Ich würde auch sehr gerne weiter darauf setzen, mit langem Atem und nur durch Musik selbst (gute Stücke schreiben) „kleinere“ (aber feine) Projekte organisieren bekannter zu werden anstatt über Vitamin B und/oder durch Preisgewinne/Stipendien/GLück/prominente Referenzen o.ä. erlangten Bekanntheisgrad-Bonus oder -vorsprung gegenüber Kolleginnen oder Kollegen. Aber schnell merkt man, dass das Sich-Verlassen auf pures Eigenengagement und die Kräfte aufreibenste Art, sich frei zu schwimmen, nicht belohnt wird. Es ist nicht nur bereits während des Tuns aufreibender als alles andere, sondern auch die „Früchte“, die danach abfallen, sind praktisch nahe Null.
    Zu wenig Traubenzucker um zu überleben. In Punkto Musiker gibt es, bei allem Idealismus und gutem Willen, den man dort findet (nicht immer leider, wie ich erfahren musste, ja viel zu wenig, bei den Jungen tendenziell mehr als bei den Routinierteren!) ja auch wiederum „Marktgebundenheiten“ und Eingebundensein in das, was Veranstalter wollen etc. und womit sie ihrerseits schneller „bekannter“ werden (oder bleiben) können/wollen. Und natürlich wird man als Musiker mit einem Rihm oder Ferneyhough oder Cage oder Widmann etc. im Gepäck, den man dann oft dem Janson, querstand oder Wechselstrom in seinem Repertoire vor zieht (da können letzere Werke noch so gleichwertig, ja besser komponiert, origineller, frischer o.ä. sein!) – sowohl als Nachwuchsmusiker als auch als bereits renommierte Musiker dann von Veranstaltern/Festivals einfach eher und öfter eingeladen.

    Mal ein kleines Modell, das ich schon xmal durch exerzierte: Angenommen man hat ein gutes Stück im Gepäck, ja sogar auf Anfrage eines Musikers/mehrerer Musiker für diese geschrieben (wie ich schon einige Male tat), organisiert für diesen/diese ein Konzert bzw. deren Honorare und empfiehlt ihn/sie dann nicht selten auch noch ein bis zwei mal weiter an bekannte Komponisten/Veranstalter/Vereine, die dann wiederum den/die Musiker einladen und das Programm spielen.

    Der/die Musiker, so hofft man – oder möchte man gerne annehmen – gehen dann mit dem neuen Programm, mit einem neuen Repertoirestück „Janson“ (oder querstand oder wechselstrom im Gepäck) weiter und eigenständig, eigeninitiativ auf Tour, so hofft man; spielen die für sie komponierten Werke von sich aus öfters. Schön und gut. Soweit die Theorie!. Dies passiert dann aber leider in der Praxis so nicht, oder allzu selten.

    Denn es kommt Veranstalter XY, der den Musikern sagt:
    Spielt doch lieber den und den, nicht Janson, querstand oder Wechselstrom. Ich möchte, dass Ihr doch lieber Euren „Rihm“ spielt, der „zieht“ mehr Publikum, weil er „bekannter“ ist etc. pepe. Und schon ist man schnell wieder außen vor. (Wenn nicht sogar – ich vertraue auf Musiker, wenn sie mir unmittelbar nach einem Konzert sagen „Dein Stück ist gut, es machte Spaß zu spielen, wir hoffen es öfters zu spielen – dann von sich aus auf die pragmatischere Erwägung kommen doch lieber mit Rihm, Cage oder bekannteren „Namen“ im Gepäck beim Veranstalter, den sie allein aufgetan haben, an zu klopfen bzw. dann an zu reisen…

    Also holt einen – bei allem Eigenengagement und Engagement für andere neben dem Komponieren (Honorare beschaffen, Organisationsarbeit etc. was da so alles an und abfällt – mehr für Musiker meist als für Komponisten) der Faktor „bereits errungener Bekanntheitsgrad“ dann schmerzlich vor dem Eigenmodell (auf Bekanntwerden durch Fleißarbeit-setzen) ein. Um es System-relevanter und brutaler oder auch karnevalistisch-selbstironisch humorvoll aus zu drücken: Professor Rihm es kann auch ein anderer sein) kommt mit seiner C4-Professur, seiner „dionysischen“ Prominenz, seinem Rolls Royce im Rücken auf der Überholspur angerast und Janson bleibt mit seinem „Revolutions 2CV“ in der Parklücke stecken.

    So etwas -oder ähnlich habe ich schon desöfteren erleben müssen. Und gerade das ist etwas, was mich so enorm frustriert sodass ich schon ab und zu drauf und dran bin, das Komponieren für „kleinere Projekte“ oder zumindest das Konzerte-Organisieren für andere und mich ganz sein zu lassen, nur noch für Schublade oder Ewigkeit zu schreiben.

    Und ich unterstelle mal einfach mutig, dass es nicht nur mir so ergeht derzeit (zunehmend), sondern auch einigen anderen „weniger bekannten“/schlechter gestellteren Komponisten, die n.b. auch organisieren und veranstalten für sich und andere. Womit wir wieder beim Strukturproblem sind und womit auch deutlich werden dürfte: Der Status Quo, so wie er jetzt ist, lähmt (und wird in Zuknuft, wenn der große Kahlschlag kommen sollte) noch mehr diejenigen lähmen, bzw. ausbrennen, die es sowieso schon schwerer haben, die von Haus aus „weniger“ Bekannt sind oder keine „Fürsprecher“ haben, die viel Eigenengagement auf bringen (vergebens), die jene Kraft und mal Erfolgserlebnisse von AUSSEN bräuchten, um durch zu halten, sich mehr auf das Komponieren zu konzentrieren (was die Leute OHNE natürlich/selbst „gewachsenen“ Bekanntheisgrad (= Variante 1 bei querstand)dann „entspannter“ tun können (das Thema hatten wir ja schon).

    Ergo, so behaupte ich: Weniger Vitamin B-Hörigkeit „oben“, in der Kulturpolitik, bei Veranstaltern, den Netzwerken und an den Hochschulen etc., das Weniger-Schauen-nach-Fremd-Lorberen/Vor-Referenzen oder „Schlüsselkomponisten und -werken“, auch bei den Medien, würde zu mehr Basisarbeit, zu mehr Engagement in den freien Szenen und zu mehr Demokratisierung, Aufbruchstimmungen und auch zu breiterer Vermittlung (was immer langwierig ist) führen. Denn wer Mut gemacht bekommt, wessen Arbeit auch mal belohnt wird, der hält durch, ja engagiert sich nicht selten noch mehr.

    Buona notte,
    Erik

  47. querstand sagt:

    @ janson: Guten Morgen! Ist ja Alles schon immer wieder hier benannt worden. Das Hauptproblem ist und bleibt: wenn unsere lieben Musiker uns wirklich gut finden, dann werden sie uns schon spielen, uns dem Veranstalter gegenüber auch mal verteidigen. Nur ist höchstwahrscheinlich unsere Musik einfach zu uninteressant. Blickt man bspw. in all die sounding-D Videos, dann hat Neue Musik nur noch eine Chance, wenn sie freundlich bizarr falsch getrötet klingt wie Kagel in Freiburg oder esoterisch getrommelt wird, ja nicht zu laut, immer schön befreit, so dass die Schallwellen im Wasser aussehen wie brave Batikaufdrucke.

    Oder Strieders NDR-Link betrachtend: man klingt so wie Pärt, kann von Domchören gesungen werden, macht ’ne nette ZDF Filmmusik.

    Oder Geisslers Mason-Addictum zu den schlechtesten Kompostern des Recyclings: Ben Mason! Man nehme komischerweise unterschiedlich huch lange fremde Musiken, vielleicht einen wüsten eigenen Jugendstreich, stellt sie nebeneinander, vermutet ein wenig Ives dahinter und hält sich das Händchen! Wie platter als platt ist doch Mason geworden! Wie relativ spannend waren noch seine leergeräumten Podien seines Trompetenkonzertes, die Musiker im ganzen Haus verteilt, die genaue akustische Öffnung der Türen organisiert. Selbst dieser Orga-Stress scheint ihn nun vollkommen kapituliert gelassen zu haben. Da wünscht man sich doch sofort Schlingensiefsche Mädchenchöre, die Parsifal zu uns’rer eigenen Musik kreischen. Oder einfach gleich den eigenen Rock verfasst und gehoben, dass die Mädels auch ohne Regie kreischen.

    Jetzt kreischen erstmal nur meine Radlbremsen, ganz heteronom im Takt der wegabschneidenden LKWs und PKWs! Danke GDL-Streik! Aber deren Streiks im Grossland der Verdi sind ungefähr so wirkungslos, nur kurz störend, wie die Neue Musik eben!

    Grüsse vom Lokführer Strauch!

  48. erik janson sagt:

    @ Lokführer Strauch, @ all,

    ja, da möchte man auch gerne mal für eine Nacht oder Tag zum „Verwandlungskünstler“ oder postmodernen Scharlatan mutieren, der den Leuten beliebig zusammen geklaubten Dreck (bzw. durch Ihre Hand zu „Dreck“ Gemachtes) für „Kunst“ verkauft, allein ich könnte es einfach nicht mit meinem ästhetischen Gewissen vereinbaren noch mich dabei im Spiegel anschaun.

    Das Fatale an der Sache ist ja, querstand:
    Die wenigen NICHT Neue Musik-Nicht-erfahrenen Leute, das potentielle Neupublikum, das – jenseits des Fachpublikums, der Förderer, einiger immer wieder bekannter Gesichter in unserer sich liebend-hassenden Großfamilie – solche Konzerte, solche Events besucht… Dieses nichts ahnende Publikum merkt sofort wenn es verarscht wird – (und wenn es nur intuitiv ist); die Leute merken sofort, wenn da irgendwas nicht stimmt und nur auf „Provokation“ oder „Event“ ohne Substanz gemacht wird. Oder wenn Klischees transportiert werden. Die Leute waren dann halt mal bei einem solchen Event dabei, schmunzeln sich einen, sagen uns, den Netzwerk-Veranstaltern „höflich“: wie „interessant“, „wie lustig“, „wie originell“ etc. und das wars dann. Hunderttausende Euros sind aber verpulvert worden, und die sind dann weg, fehlen woanders, wo sie dringend, überlebenswichtig für die regionale Arbeit, die Basisarbeit gebraucht würden. Und um noch eins drauf zu setzen: Der nicht wohlmeinende/skeptische Teil der Politik, und/oder jene Teile der Kulturpolitik und Kreise, die uns, die Neue Musik nicht kennen (oder ernsthaft kennenlernen und unterstützen möchten), die können in einer self fulfilling prophecy sagen: Seht ihr? Nun haben wir mal Millionen in „Neue Musik“ und ihre Vermittlung, in Euch „spinnerte Komponisten“ rein gesteckt, und was kam dabei raus…?

    Und obendrein ist man selbst, als Arbeitsameise an der Basis, als sich mit dem Bemühen um künstlerische Aussage/Ehrlichkeit beschäftigender Komponist, dann doppelt verärgert, aber ohnmächtig zugleich(kann nichts dagegen tun), z.B. mit Leuten wie Mason künstlerisch-ästhetisch von ahnungslosen aber einflussreichen Leuten in einen Topf geworfen zu werden.

    Das ist dann der nicht unbeträchtliche „collateral damage“ derartiger Events.

  49. wechselstrom sagt:

    @querstand

    … So kann man die Verhältnisse zu Friedenszeiten allemal besser ändern als nur immer daraufzuhalten. Das Verletzen sollte unbedingt zum Instrumentarium gehören, das Heilen folgt aber sofort und bedarf viel mehr Durchhaltevermögen als die reine Bombe, …

    Sie rücken mich in die Nähe der fanatischen Bombenleger und drücken sich um das Argument. Auch eine Methode der Täterzuschreibung – amüsant.

    Verlassen Sie einfach das Feld der Schuldigenfindungskommission und betrachten Sie Ihre Welt (die Welt der Musik, des Gesanges, der Oper) mit pragmatischen Augen.

    Hier tippt Ihr Spindoctor:

    In einem abgelegenen Hinterzimmer des Opernhauses xy sitzt der Mann/ die Frau an der Schaltstelle der Hochkultur, es ist der Chefdramaturg/ die Chefdramaturgin. Täglich kommt ein Stapel Post, so groß, dass eine eingehende Behandlung aller Anliegen zeitlich unmöglich ist.
    (Übrigens hat der Computer mit seiner COPY-PASTE-Architektur hier das Postaufkommen ins 100-fache gesteigert.)

    Die Chef-Dramaturgin stöhnt und macht eine erste Durchsicht nach Absendern, klaubt alle die heraus, die sie kennt, übergibt den Rest (90%) des Stapels an den 2. Dramaturgen (der erst vor ein paar Wochen seine 50%-Stelle angetreten hat), wobei sie ihren Wunsch nach Bearbeitung mit der Nebenbei-Bemerkung garniert, ob denn der Text für das Programmheft der kommenden Inszenierung schon vorläge.

    Anschließend zieht sie sich einen Kaffee aus der frisch angeschafften Hi-Tech-Maschine, und versucht möglichst rasch in ihrem Büro zu verschwinden, um den Zudringlichkeiten und Zumutungen der zahlreich herumeilenden PraktikantInnen zu entkommen.
    Sie greift sich die aktuellen Tageszeitungen und liest die Kritiken über Premieren der benachbarten Opernhäuser, denn nichts versüßt den zweiten Morgenkaffee so sehr, wie die Tatsache, dass die Konkurrenz eine sichere Erfolgsoper gnadenlos in den Sand gesetzt hat.

    Schauen wir ins Büro des 2. Dramaturgen, ein Bild des Elends tut sich auf:
    In einem halb so großen Zimmer sitzen 3 Leute hinter dicht-an-dicht hingestellten Schreibtischen, voll mit Stapeln unerledigter Post, sich türmenden Manuskripten und Partituren. Dazu jeweils ein Uralt-Computer-Bildschirm und eine dazugehörige Tastatur, die man hochkant zur Seite stellen muss, will man etwas handschriftlich notieren. Möchte jemand auf die Toilette, muss ein anderer aufstehen um den Weg freizumachen.

    Hier sitzt also jemand mit einer 50%-Stelle (bei Vertragsunterzeichnung hat er das noch irgendwie mit „mehr Freizeit“ verbunden, jetzt dämmert ihm allmählich, dass 50%-Stelle so viel bedeutet wie „halbes Gehalt“) und hat 10 kg Noten, 20 Stunden Musik auf CDs, Lebensläufe, so lang wie Leporellos Leporello-Arie, und das soll er alles lesen und hören.
    Aus seiner Praktikantenzeit weiß er, dass hier eine Arbeitsstrategie anzuwenden ist, die es ihm ermöglicht vor 24 Uhr das Büro zu verlassen.

    Also: Weitergabe an einen Praktikanten. Vorher muss man natürlich alle Post öffnen, den Inhalt herausnehmen, anknüllen, die CDs aus der Design-Hülle entfernen und irgendwo anders „verlegen“. Das Ganze wie einen losen Kartenstapel zusammengeschüttelt und der Praktikantin, die gerade mit einem wackeligen Getränketablett in der Hand die Treppe hoch jongliert entgegenreichen.

    Der 2. Dramaturg begibt sich zum Kaffeeautomaten, trifft unterwegs die Chefdramaturgin und ruft ihr im Vorbeigehen zu, dass der angeforderte Programmheft-Text in einer ersten Version am Nachmittag in ihrem E-Mail-Fach ankommen werde.

    Schauen wir zur Praktikantin. Die Hälfte der Post ist mit dem Inhalt umgekippter Bionade-Flaschen besudelt. Sie bemüht sich um Schadensbegrenzung, während ihre Konkurrenten sich vielsagend stumm anblicken.
    Inzwischen auf die 30 zugehend, überlegt sie noch kurz, ob sie Ihren Ambitionen, die Bretter, die die Welt bedeuten zu polieren, die intelektuellen Reizwucherungen verrückt gewordener Regisseure mit allgemein verständlichen Worten zu umgarnen, weiter nachkommen soll, oder ob sie doch umschwenken soll, um eine handfeste bürgerliche Familienplanung ins Auge zu fassen …

    So viel für heute, Fortsetzung folgt

    Beste Grüße aus dem Labor

    – wechselstrom –

  50. querstand sagt:

    @ wechselstrom:

    Aber zuerst @ all: Dies wird nun der 50. Beitragsversuch zum Thema Schlingensief! So hoch wurde hier lange nicht mehr kommentiert! Wenn auch nicht jede Zeile hier, auch die meinen, direkt mit Schl. zu tun hatte, scheint er uns doch herausgefordert zu haben, das stimmt eigentlich froh. Ist nur zu hoffen, dass unsereins von seiner Kraft auch was für die hoffentlich bald zu schreibenden neuen Stücke kapiert haben wird, dass vielleicht auch Themen zu Lebenden uns genügend Lust zum hiesigen Köpfe heissschreiben machen.

    @ wechselstrom: Das mit dem Bombenleger können Sie so oder so sehen! In diese Ecke begeben Sie sich ja hier alle paar Monate von ganz allein. Man weiss eben nie, mit was für neuen Findungen Sie Ihr Labor verlassen werden. Man ist da immer etwas furchtsam, wenn man Ihren Namen in der Kommentarleiste erblickt, freut sich auf eine blitzscharfe Analyse oder einen schulterklopfenden, die Herablassung selbst seienden freundlichen Kick oder stösst, solange der Rechner die Seite noch aufbaut, ein Gebet ‚gen Himmel, dass nicht mal wieder jemand eine solche draufkriegt, als wären Krampus und die Perchten auch im Hochsommer unterwegs. Wenn ich – Sie werden verzeihen – in Ihrer Bio kramt, dann kann das nur was mit Wien zu tun haben, das wohl zachere Naturen verlangt als der märkische Sand Berlins oder die wohlig über den Schotter an München vorbeirollenden Fakten, die bei genauerer Betrachtung eine Beschreibung der Verhältnisse zuliessen. Aber es lebt sich hier eben so generös bequem, blind dem Rest der Welt gegenüber! Man sieht hier ja jeden und Alles aus allen Ländern, nicht genau – nur die Reichsten der Reichen! D.h., ein Bewohner selbst des Glasscherbenviertels Hasenbergl kommt sich unter Umständen glücklicher vor als ein Einwohner Neu-Köllns, ein gar nicht geförderter Künstler Münchens kann hier teuer vegetieren, ein arm’s Hascherl aus Berlin muss erst mal das Ticket von seinen Eltern vorfinanzieren lassen, bevor er mal wieder in Süddeutschland Location-Hunting oder Catern zum Broterwerb betreiben kann.

    Es herrscht hier also eine ganz andere Asymetrie als in Berlin. Dort kennt man seinen Feind, beschiesst ihn einmal am Silvesterabend, spricht aber auch mal in der Bar um die Ecke. Hier hält sich jeder für was Besseres, auch der Benachteiligte, einerseits wegen der Sonne, aber auch, weil man weiss, dass es Nicht-Münchnern viel schlechter gehen kann. Dabei vergisst man hier aber, dass Menschen andernorts trotzdem glücklich sein können. Das liegt daran, dass man als Münchner bzw. als in München sesshaft gewordener die Restwelt nur in Gold, also Geld bemisst: am konzessionsfreudigsten noch beim Sonnengold, denn selbst hier regnet es gefühlt zu oft, ganz engstirnig durch die Dukatenbrille, da ist man eine wandelnde Ratingagentur, nicht so eine schöne Wiener Herablassung, nein, ganz und gar Fallbeil, manchmal auch als das besagte blonde Fallbeil!

    Das wirkt aber nicht nur nach aussen, auch wenn man die zu direkte Wirkung dieser Hochnäsigkeit dem Rest der Welt mit Starkbier und Ludwigschlössern samt Fönalpenpanorama wieder aus dem Hirn wischt. Dem eigenen Feind in der Stadt, der Kollege ist, den macht man virtuos madig. Das dumme daran ist nur, dass der Andere dies genauso tut. Da die Stadt so klein ist, sind die Wege kurz, es kennt wirklich jeder jeden oder jemand der den anderen Jeden gut kennt. So beisst es sich hier durch, selbst der Ehrbarste macht mal irgendwas falsch, was ihm sofort zum Strick gedreht wird. Jeder krittelt am Nächsten. Darüber schwebt eine städtische wie staatliche Kulturbehörde, die den ganzen Laden mit ihren, zwar als zu gering beklagten Förderungen, aber doch in den letzten Jahren stabil gebliebenen bzw. erhöhten Segnungen sediert. Wehe, das bräche mal weg! So verrät sich gegenseitig was sich eigentlich liebt, so versöhnt sich das, was sich mal bewusst nicht kannte.

    Das ist das Bild, lieber wechselstrom, was sie wohl von uns haben und das man auch gerne bestätigen kann! Aber da übersehen Sie schon den letzten Satz des vorigen Abschnitts: weil man sich in dieser Stadt hier immer mal wieder begegnet und nicht verborgen im Bezirk oder Kietz weitervegetieren kann wie in Berlin oder Wien, rückt sich dann erstaunlicherweise so manches Bild wieder zurecht, einerseits erstmal ganz pragmatisch, andererseits auch ganz ernstgemeint. Der hier aufgewachsene oder schon sehr, sehr lang heimisch gewordene, der hier gebliebene, der zurückgekehrte Münchner ist da ein sehr freigiebig.

    Man liest so gerne Manns „München leuchtete“, man sieht nur die hiesige Politik durch die Seiten von Feuchtwangers „Erfolg“. Das stimmt natürlich heute noch, was dort beschrieben worden ist. Im grossen und ganzen bezieht sich das aber heute eher auf den Staat Bayern als auf die Stadt München. Da muss man genau unterscheiden, da erschliessen sich die Feinheiten nur langsam. Genau diese Dinge aber machen es aus: im Gegensatz zum konservativeren Staat bringt die Stadt selbst immer wieder die Querköpfe hervor, zieht sie vom Lande zu sich, wenn sie nicht gleich nach Berlin oder Wien abdriften, wenn man als Landbewohner in München nur das Symbol für den Staat sieht. Die Stadt selbst ist da aber wachsamer, zumindest in weiten Teilen! Sieht man das Chaos neulich um die Berufungen am Gärtnerplatztheater, am Nationaltheater jetzt der Knatsch zwischen Leitung und Dirigent, so kam die Trennung von Thielemann zuerst städtischerseits, der Protest v.a. von Landesorganisationen. Der Staat selbst fördert neue Künste eigentlich nur über seine Theater und Bauvorhaben in der Stadt im ernstzunehmenden Masse, wobei man natürlich die Umwegnutzung seiner Institutionen durch die städtisch geförderten Künste nicht unterschätzen sollte. Das hängt meist an den in München lebenden Verwaltern jener staatlichen Einrichtungen, die die Stadtluft selbst gegenüber ihrem Dienstherren im gewissen Rahmen zart-rebellisch werden läßt.

    Das zarte am Rebellischen! Dies ist eigentlich das Hauptmerkmal der hiesigen Kunst. Sie haut nie so arg drauf, wie die in Ihrem Wien oder Berlin und in NRW. Sie agiert eher subtil, vielleicht sogar der sächsischen und thüringischen vergleichbar. Und die kurzen Wege: sie können oft unglaublich lang und erfolglos sein, sie können aber auch sehr schnell zu einer Förderstelle privater oder öffentlicher – hier meist die Stadt – Art führen. Kommunikatorisch begabte Menschen sind da natürlich sofort Fisch im Becken, sind aber keine kleinen Piranhas, sondern grosse Haie, immerhin. So spürt man dann trotz dem subtilen Hintenrum, dass es natürlich unbestreitbar gibt, sofort die Zähne des Anderen, beisst auch mal gewaltig zurück, verbeisst sich aber auch nicht, da es sonst in der Enge schnell tödlich werden könnte – das ist die Funktion von „leben und leben lassen“, ziemlich brutal, ziemlich effektiv. Das Alphatier hat natürlich immer die Flossen vorne, das muss man erstmal so lassen. Dennoch kann man sich dann wieder wunderbar entfalten. Man bekommt sogar immerhin regionale Aufmerksamkeit, nicht nur lokale, wenn man sich ein klein wenig anstrengt. Dies alles im Bezug auf die Stadt, solange ihre Einrichtungen nicht staatstragend geführt werden.

    So kommt man zwangsläufig zu den Opernhäusern. Auch wenn das Gärtnerplatztheater eher lustig ist, immerhin antwortet da tatsächlich Ihnen mal ein Dramaturg, wenn man seine Interessen nicht ganz verfehlt. Bei der Staatsoper ist das eher unergründlich: selbst wenn man einen Mitarbeiter jahrelang kennt, hüllt sich dieser bei Anfragen sofort in Schweigen. Das mag seiner Meinung über das Haifischbecken „Stadt“ geschuldet sein. Die Staatsoper selbst ist allerdings seit dem Wienimport selbst zum Piranhabecken geworden, läßt auf Eigeninitiative kaum jemand an sich herantreten. Besonders schrullig wird es dann, wenn sie Wirtinnen vom Flussende der Fraunhoferstrasse einlädt, wo seit Jahrzehnten die freie Kunstszene verkehrt, damit die Oper „freie Szene“ sein möchte statt die entsprechenden Schaffenden ins Haupt- oder Beiprogramm mal einzuladen. Da hat sich leider viel verschlechtert, wo es doch vorher schon nicht einfach war, damals aber wegen dem Staat als Träger, der sowas nicht wollte. Der Leitung und den Dirigenten begegnete man urplötzlich auch mal in privaten Kreisen, da ganz locker und souverän frei von Anfrageängsten, die man dann auch zulassen oder verweigern konnte. Jetzt finden diese nicht mehr statt, man sieht den Mitarbeitern die Angst vor ihrem Chef und vor Aussenanfragen an…

    Bleibt die städtisch getragene Biennale – das ist ein eigener Abgrund, ganz staatstragend geleitet von Ruzicka, ein fast reiner Importladen, Münchern Kräfte verdampfen in den zweckgebundensten Projekten wie „Amazonas“. Immerhin hat die Stadt da ein seltsam transparentes Forum mit dem Stipendium „Neue Musik/Medien“ – na ja, etwas abgestanden in der expliziten Nennung der PC’s – geschaffen, das explizit Künstler aus dem S-Bahn-Globus in die Biennale hieven kann, wohlgemerkt „kann“! Das verhalf z.B. Klaus Schedl zu seinem Amazonas-Beitrag, wäre so im Rückblick schon ausreichend gewesen, da er sich da frei entfalten konnte, bei Amazonas aber doch in die Mühle geriet, so wacker er sich geschlagen haben mag.

    Davon abgesehen ist es aber durchaus möglich auch unabhängig, in der freien Szene, sich fortzuentwickeln, selbst Musiktheater zu produzieren. Das verdankt man v.a. den Anstrengungen der vorigen Künstlergeneration, das vergeuden junge Leute allzu schnell, die tatsächlich nach „Kurator“ und „Leitung“ rufen, wo sie eigentlich einfach nur Juries wählen sollen, die über sie wieder entscheiden. Klar, eine Leitung kann man im Zweifelsfalle besser zum Sündenbock machen als eine selbst gewählte Jury. Das vergisst man zu schnell, verschenkt eine gewonnene Transparenz. Gott sei Dank hat da bei den Jüngeren wohl schon ein Umdenken begonnen. In der Musik vermisst man diese Juries ein wenig. Allerdings hat die Musikbürokratie immer ein offenes Ohr, gibt es eine generöse Akademie der Schönen Künste, wenn sie auf unterer Ebene agieren kann, gibt es einen grossen Tonkünstlerverband, viele semiprofessionellen Chöre, die Neuer Musik gegenüber aufgeschlossen sind, gibt es viele gebildete, höhere Angestellte und Freiberufler, wohl mehr als anderswo, die privat auch mal ungenannte unterstützen, die zahlreich die Konzerte besuchen. Am leersten sind eigentlich immer die des Tonkünstlerverbandes, der Klangspuren und Klangaktionen. Andere Konzerte tendieren aber oft sogar zur 100-Besuchergrenze, gerade wenn sie experimenteller sind, sogar weh tun, den Normalrahmen – einem Wiener oder Berliner ggf. zu spielerisch – durchbrechen.

    Fazit: die kurzen Wege sind oft wirklich ein Hase-Igel-Rennen, das einen den letzten Nerv und Neid kostet. In den meisten Fällen stehen die Türen aber auch offen, die Hinterzimmer sind natürlich nicht stürmbar. In diesen entscheidet sich aber eine durch einen Rheinländer geführte städtische Kulturbürokratie doch erstaunlich transparent. Mit Küppers herrscht ein ganz anderer Wind als bei Frau Hartl oder dem Bundesphilosophiestaatsminister Nida-Rümelin, es wird wieder mehr zugehört als sich selbst gefeiert. So stossen sehr harte Umgangsformen, die man erstmal schlucken muss, weite und zahlreiche Herzen der Zuschauer und eine gar nicht so schlimme Bürokratie aufeinander, man mag es draussen gar nicht glauben.

    Gute Nacht im Gleichstrom der Bahn,

    Draisinenschaffner (so auf und ab pumpend kommt mir mein umständlich-langes Geschreibesel grad vor) Strauch

  51. wechselstrom sagt:

    @querstand

    man kann von Städten und ihren Menschen Bilder zeichnen, sie werden immer zum Klischee tendieren, das lässt sich kaum vermeiden. Ihr Bild, das sie von München in Abgrenzung zu Wien und Berlin zeichnen ist wohl das treffendste, wobei ein schwermütiger/bierschwerer Ton kaum zu überhören ist.

    Oder um es in der Art einer Wiener Herablassung zu formulieren:
    Köstlich, ganz köstlich …

    Bei der Herablassung selbst kann man kurz einhaken, sie ist dann doch eine allgemein menschliche und überall anzutreffende Erscheinungsform der Kommunikation, nur ist sie länder-bzw. städtespezifisch unterschiedlichst ausgeprägt.

    So wird das, was in Berlin als burschikos-nette Geste zu deuten ist, in Wien zum Ausdruck des aufgeblasenendsten Piefkeinesentums schlechthin, und der, auch in Wien nie ganz ernst gemeint Charme in seinen zahllosen Ausprägungen des ironischen Klingelings wird in Berlin zur ekelerregenden Schmier-Schleimspur umgedeutet.

    Erst die Beobachtung und die damit getroffene Unterscheidung schafft jene Tatsachen an die angeschlossen werden kann. Dieser kommunikative Anschluss ist aber nur auf der einen Seite der Beobachtung möglich, nie auf der anderen.

    Aber von diesen Dingen reden wir natürlich nicht!

    Kommen wir zurück zu Eggerts „Selbstentblößung“, die Sie im anschließenden Posting so kommentierten:

    @ eggy: Echten Dank für die “Selbstentblössung”! Es hat mich tatsächlich tief in mich selbst hineingeworfen…

    Im Gegensatz zu Ihnen spürte ich beim Lesen von Eggerts Posting zum ersten Mal seit langem und zum ersten Mal überhaupt in diesem Blog Verachtung in mir hoch steigen.
    Ich kämpfe dagegen an, suche nach Gründen, die man nicht wirklich findet.

    Wie Sie wissen, kann man gegen Gefühle nicht wirklich etwas unternehmen, man kann sie allenfalls abklingen lassen. Mein Respekt vor Eggert und seinen Leistungen (ich sage mal: der Blog hier ist doch auch eine kommunikative Erfolgsstory, die auf eine Eggertsche Initiative zurückgeht, wobei wir alle die nervenden Selbstdarstellungs-blablas der 3 Protagonisten Eggert-Lücker-Hahn gerne unkommentiert verzeihen)
    dieser Respekt ist erst einmal dahin.

    Beste Grüße aus dem Labor

    – wechselstrom –

  52. eggy sagt:

    @wechselstrom:
    „Eggerts Posting…“, „Mein Respekt vor Eggert…“, „Eggertsche Initiative“ „Protagonisten Eggert-Lücker-Hahn“.
    Eggert. Eggert. Eggert.

    Ich hab Dich auch ganz lieb, mein kleines Trockenpfläumchen!

  53. erik janson sagt:

    @ Lieber Moritz,

    ich würde allerdings nicht so sehr davon aus gehen, dass man hier bloggt, um von Dir „geknuddelt“ zu werden oder
    weil sich wechselstom oder ich als „Trockenpfläumchen“ vor kämen. Das ist wohl Deine Interpretation, die Du ja gerne haben kannst.

    Ich habe mal analysiert: Wer bloggt hier eigentlich noch
    ausführlicher, außer querstand? Ich meine: als z.B. mal wechselstrom oder ich uns zwischenzeitlich ausklinkten.
    Die Zahl der UNTERSCHIEDLICHEN Blogger (Namen)ist ziemlich zurück gegangen. Wenn man mal die anonymen Postings und die Einwortsätze etc. ausklammert.

    Rätselt und Grüßt,
    Erik

  54. querstand sagt:

    @ all: Liebe Leute, der Streit ist nicht neu, der Gegenstand, an dem er sich entzündete ein anderer als die Male davor. Ich komme mir inzwischen wie in einer kleinen Erbengemeinschaft vor, speziell hier, wo es um einen Verstorbenen, seine Hinterlassenschaft geht, gehen sollte. Allerdings eine Unter-unter-unter-unter-Gemeinschaft, vielleicht kann man sich drei „unter“ auch sparen.

    Das Problem sind wohl die unterschiedlichen „Gefühle“, wechselstrom sprach ja davon, eggy formuliert sie mit. Beide haben in Bezug auf Schlingensief sehr unterschiedliche Gefühle aufgrund unterschiedlicher Erlebnisse mit ihm und dessen Umfeld. In einem gewissen Grundrespekt zum Verstorbenen könntet Ihr zwei sogar als übereinstimmend bezeichnet werden. Davon ausgehend habt Ihr sogar ähnliche Entwicklungen, allerdings in gegensätzliche Richtungen genommen: wechselstrom verlor mitunter Kontakt zu Freunden, weil er Schlingensief hochhielt, eggy hat viel Haue einfahren müssen, da er Schlingensief kritisierte, auch schon direkt nach den Bonner Ereignissen.

    Das wäre eigentlich eine gute Gesprächsbasis gewesen, da unterschiedliche Bezugspunkte zum Verstorbenen, ähnliche Erfahrungen in Bezug auf das eigene Umfeld der allgemeinen Kommunikationen. Wirklich im Wege stehen sich die Gefühle zueinander. Dass man auch weit neben eggy grosse Probleme mit Schl. haben kann, zeigt sich auch aus den Beiträgen M. Torps, dass man ihn zum Heiligen erklären kann, wie die anonymen Beiträge, etwas bedachter, wie z.B. janson, wechselstrom, oder gar kritisch, wie z.B. ich, betrachten kann, zeigt das weite Spektrum. Im Grundrespekt dürfte uns aber allen trotz Verehrung oder Kritik die Bedeutung Schlingensiefs bewusst sein, dass man daraus viel lernen kann, sogar wenn man das nur ungern eingestehen wollte. Das ist aber eine Sache, die auch noch nicht jetzt stattfinden muss, sie kann auch ganz unterbleiben, denn abgefärbt auf uns hat der Verstorbene auf alle Fälle, sonst hätte man sich hier nicht so verheddert.

    Ich habe ja ähnlich wie janson auch im Bezug auf den Streit hier zwischen eggy und wechselstrom den gesamten Blog von vorne beginnend durchforstet und finde die Reibereien von Anfang an, mal sachlich gehalten, mal ausspeiend wie ein indonesischer Schlammvulkan. In den Haaren lagen wir uns Alle schon. Die Frage, wer hier noch schreibt, stellten wir uns offen oder auch nur insgeheim. Dass es permanent so wenig sind, liegt oft an sehr speziellen Themen, die nicht immer so der „Knaller“ sind, das liegt daran, dass manche Leser hier lieber nicht erkennbar auftreten können oder wollen, das liegt daran, dass manche der früheren Kommentierer nicht immer zum Diskurs fähig sind, das liegt daran, dass wir Verbliebenen diese Leute hinausbissen wie ein Ameisenlöwe seiner Beute auflauert und sie dann langsam aussagt, das liegt an den Streitereien untereinander. Das Alles findet aber besonders seine Ursache im Thema Neue Musik und in der Dickköpfigkeit und Sturheit, die dieses Inselthema und das Überleben auf dieser Insel verursacht. Denn nur die Sturen halten es aus Neue Musik zu machen, und dieser Rest, der so wunderbar sein kann tritt sich immer wieder auf die Füsse bzw. verpasst dem noch einen Extratritt, der von der Insel fällt oder der der Insel Neuland erarbeiten oder gar hinzuerwerben möchte.

    Vielleicht sollte man sich einfach ein paar mal daran erinnern, nachdem man den Gefühlen wieder Erholung gönnte und dann dem Inselgebot Nr. 1 folgen: weitermachen! Wir treiben uns auch schon auf NDR und K. Meyer-Wiesen herum, so sollte man dieses Thema hier vielleicht allmählich liegen lassen, abschliessen können wir es sowieso nicht. Ich ziehe hier die Lehre, dass eben jeder Mensch Gefühle hat, die man noch sehr herausschleudern oder klar beobachten und unterscheiden oder emotional abwägen kann. Sie kommen höchstwahrscheinlich immer wieder, man weiss nun aber sehr genau, wann jemand bei einem selbst den Startknopf drückt und was dann zu tun oder zu unterlassen ist oder man es eben mal wieder wiederholt. Dazu ist der Blog ja auch da, das hält er schon solange aus wie es ihn gibt, aber er dreht sich immer weiter. Selbst wenn wir direkt oder indirekt ihn verlassen, fasziniert er uns doch so, sind wir doch süchtig nach ihm, dass wir wieder zu ihm zurückkehren. Also wechselstrom, eggy, janson und querstand, keep cool!

  55. erik janson sagt:

    Recht Hast´querstand!
    Wir sollten uns alle 4 mal drunten an der Isar zur Maß treffen.

    Und wenn denn die Bloggerei langfristig doch was bewegen sollte… dann wär ich auch für weiter machen und bleibe dabei.