Weg mit dem Patchwork oder entdecke das Musikantische!

Welche Aktie wird am heissesten gehandelt? Die Jugend, besser Jugendlichkeit. Selbst die Neue Musik ist davor nicht gefeit. Alle heiligen Zeiten werden Newcomer gefeiert, werden sie mit Aufträgen und Preisen überhäuft, als müsste sich das auch in mehreren Jahrzehnten Erreichbare gnadenlos unbedingt ihrer erbarmen. Nur wenige überleben dies. Und diese altern, aber ihre Musik kennt nur wenig Weiterentwicklung. Wen wundert es dann, wenn Andere oder sie selbst in ihren Schubladen herumwühlen und plötzlich noch früher komponierte Stücke ans Tageslicht gelangen, als müsste man in seinen Fünfzigern nochmals beweisen doch viel früher mit dem Komponieren begonnen zu haben als die jetzt mit ihrer realen Jugendlichkeit wuchernden Aufstrebenden. So kramte man in den letzten Jahren Walzer von Wilhelm Killmayer und Wolfgang Rihm heraus. Man kann gespannt sein, wann wir mit den Frühwerken weiterer KollegInnen konfrontiert werden. Zuletzt konnte man hier in München die Uraufführung einer jugendlichen Klaviersonate Hans-Jürgen von Boses erleben. Beispielhaft kann sie für ähnliche Stücke anderer Kollegen stehen: irgendwo anzusiedeln zwischen Hindemith und Blacher, ideenreich mit der Vorgabe „Sonaten-Form“ spielend, zarte Vorzeichen späterer Materialvorlieben. Bei von Bose so der häufige Gebrauch des Tritonus als Vorbereitung oder Abschluss grösserer Klangflächen oder Strukturen seiner Stücke der achtziger und neunziger Jahre. Dagegen offenbaren Rihms Walzer einen Hang zum romantischen Salonstück – mit seinen heute zutage tretenden Spätromantizismen neuester Werke auf CD beglückt er anachronistisch bourgeoise-akademische Pseudo-Salons.

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Warum hat jene in den Siebzigern mit „Zurück zur Romantik“ öffentlich auftrumpfende Generation erst heute den Mut, diese „Jugendsünden“ je nach persönlicher Seinslage mal bejahender (Rihm) oder distanzierter (von Bose) an das Licht des Betriebs zu lassen, ihren Verlagen zu überlassen? Betraten sie doch ein durch Luciano Berio und Bernd Alois Zimmermann vorbereitetes Feld, auf dem sie das, was sie unter „Neuer Musik“ verstanden, also vorzüglich Alban Berg und Hans Werner Henze, der damals gerade seine vielleicht härtesten Werke um den Zeitpunkt seines kubanischen Salonkommunistenintermezzos geschrieben hatte, oder eben jener Bernd Alois Zimmermann, der in seiner Ubu-Musik den für diese post-postmoderne Generation wohl provokantesten Kollegen Karlheinz Stockhausen durch den Kakao zog, auf jenem Feld also jene Generation diese Art Neuer Musik mit Spätromantischen paarte. Zitierten sie also letztlich auf allen Ebenen: das wirklich Alte und das, was sie für Neue Musik hielten, damals aber schon nicht mehr dem aktuellen Materialstand entsprach? Bemerkenswert also, wie sie die damals avanciertesten Techniken der Neuen Musik aussparten: Music Concrète Instrumentale, New Complexity und den Spektralismus. Letzteren näherten sich in den letzten zwei Jahrzehnten nur Hans Zender wie Wolfgang von Schweinitz an, die irgendwie aus jener Generation Rihms herausfielen, Zender wohl zu alt und von Schweinitz wohl zu konstruierend, später fast vergessen und nun an seinem „plainsound“ tüftelnd, sehr spät Professor nun in den Staaten geworden, derweil seine echten Generationsgenossen anfangen ihre Lehrämter hierzulande hinter sich zu lassen. Auf den Punkt gebracht beschleicht einen heute folgendes Gefühl: Von aussen betrachtet handelte es sich um „Avantgarde“, da die Rückgriffe und Rückschritte die Gralshüter der Neuen Musik provozierte. Von innen her betrachtet, auf der Materialebene, war es erstmal streng genommen nur ein Aufguss, weniger avanciert als Berio oder Zimmermann. Erst in den späten Achtzigern zeigte Rihm plötzlich Strenge wie in der Eroberung von Mexiko, arbeitete von Bose den Technikmangel in Stücken wie seinem Oboenkonzert ab, schärfte die auseinanderstrebenden Formteile durch den Begriff des Labyrinths, integrierte Music Concrète Instrumentale als musiktheatrales-sarkastisches Element z.B. in einem Abgesang eines an Lungendurchschuss sterbenden Soldaten in seiner Oper „Schlachthof V“. Wie Rihm heute immer stärker ins Romantische fällt, siehe oben – von Bose sucht nach kontrapunktischer Vollendung. Und beide bringen erst jetzt ihre Jugendmusiken heraus.

Eine und eineinhalb Generationen vor deren ersten Auftreten betraten Ende der Fünfziger Helmut Lachenmann und Anfang der Sechziger Brian Ferneyhough die musikalische Öffentlichkeit, ohne erstmal in das Herz der Neuen Musik, die damaligen „Darmstädter Ferienkurse“ vorzustossen. Bevor sie mit ihren extrem eigenständigen Wegen begannen, veröffentlichten sie ähnliche Frühwerke, wie die in den Siebzigern Aufstrebenden erst im neuen Jahrtausend wagten. Beide beginnen frappierend ähnlich im stilistischen Bezug mit „freitonalen“ Werken. Bevor Lachenmann Nono-Schüler wurde, studierte er beim konservativ ausgerichteten Johann Nepomuk David. Jener mag zwar Kontakte in seiner Jugend zu Josef M. Hauer und Arnold Schönberg gepflegt haben, bewegte sich letztlich vereinfacht gesagt in ähnlichen Gefilden wie Harald Genzmer, Ernst Pepping und Co. So ist der erweiterte harmonische Rahmen jener Couleur bei Lachenmanns „Fünf Variationen über ein Thema von Franz Schubert“ (Walzer cis-moll, D643) für Klavier aus dem Jahre 1956 deutlich wahrnehmbar: klare cis-moll Tonartvorzeichnung, letzter Ton Kontra-Cis dies affirmierend, wenn auch im ppp. Die dritte Variation reisst in der jeden Ton oktavversetzenden Melodiezerfetzung die weiteste Entfernung vom tonalen Rahmen an. Diese Verfremdungstechnik wirkt wie eine Vorwegnahme seiner Jahrzehnte späteren „Hänschen-Klein“-Dekonstruktion. Ähnliches Verwischen bemühten auch die Siebziger, aber eher strawinskyhaft dem Zitathaften einen Gegenklang anhängend. Im noch-tonalistischen Umfeld Lachenmanns durchweg was Besonderes, auch wenn er damit wohl nicht alleine war, aber immer organisch im Gesamtkontext integriert, ein Schritt hin zu späteren ganz anderen eigenen V-Effekten. Die Siebziger benutzen dann solche Effekte, um das Benutzte einzubauen, seltenst aber aus dem Material herausentwickelt. Man predigte das Wieder-Organische, war aber ach so unorganisch in der Faktur! Spannend am Ende der fünften Variation die tonlos niedergedrückten Tasten als Resonanz wie sie sich bis zur „Serynade“ wie ein roter Faden durch Lachmanns Klavierwerk ziehen. Seine folgenden Werke vollzogen dann den Bruch mit J. N. David. Im Gegensatz zu den „Variationen“ hielt er sogar manches dieser avancierteren Stücke bis heute zurück. Wirft man einen Blick auf sieben Jahre später geschriebene „Wiegenmusik“ findet man einerseits Unmengen jener tonlos niedergedrückten Tasten-Resonanzen und Glissandi als Wege hin zu seiner Music Concrète Instrumentale, andererseits etliche typische Neue-Musik-Akkorde mit scharf dissonierenden Intervallen und Clustern. Und immer wieder Okatven, Quinten, Dur- und Mollakkorde: Ein Kosmos aller verfügbaren Stilistiken in unendlich nuancierten Anklängen, wie Substrat-Zitate, ein Wink hin zur Postmoderne, aber immer Alles synthetisierend, den Kontrast weniger als krasses, jedem deutliches Signal, vielmehr als „Idee des Gegensätzlichen“.

Brian Ferneyhoughs erstes publiziertes Werk ist seine „Sonatine für drei Klarinetten und Fagott“ (im Link wird das Fagott mehr schlecht als recht durch eine Bassklarinette ersetzt!) aus dem Jahre 1963. Dieses Stück wirkt wie eine typische pädagogische „Spielmusik“ im Sinne von Jean Francaix oder auch Harald Genzmer. Ein ziemlich herausfallendes Unikum! Es lassen sich im Gegensatz zu von Boses Klaviersonate oder Lachenmanns Variationen kaum Verbindungen zu den zwei Jahre später geschriebenen „Four Miniatures“ für Flöte und Klavier herstellen. Im Hinblick auf das Gesamtwerk kann man eine Vorliebe für Kontrapunktisches erkennen, in manchen lustig klingenden Terzketten einen Hang zum Automatisieren. Spannender wirkt der Rückblick aus den späteren „Four Miniatures“. Sie wirken dodekaphon, auch wenn manche Note vor Abschnurren eines Zwölftonfeldes nochmals wiederholt wird. Vielleicht doch keine Reihenkomposition, oder mehr als zwölf Töne? Hier nicht so erheblich. Man hat den Eindruck von Ton für Ton anderer Dynamik, grossen dissonanten Sprüngen, ein Gegeneinander von Flöte und Klavier, die eher emotional aufeinander reagieren, erst in der dritten Miniatur eine Art kontrapunktisches Geflecht bilden. Zurück zur Sonatine geblickt, kann man behaupten, dass Ferneyhough im Freitonalen nicht so meisterhaft vorging wie Lachenmann. Verfolgt man seinen Ausbildungsweg, scheint er wie Schönberg Autodidakt zu sein. So überrascht die musikantische Qualität, gerade der Einsatz des Klavieres im „richtigen Moment“ in der ersten Miniatur. Ist der Expressionismus der Neuen Wiener Schule alias Atonalität sowie deren Zwölftontechnik bemüht, strikte Intervallbinnenstrukturen in Melos und Reihe wirken zu lassen, scheint Ferneyhough damit etwas laxer umzugehen. So finden sich manchmal merkwürdig verminderte (Sept-)Akkorde die man eigentlich wie Oktaven vermeidet, wie z.B. der zweite bis vierte Ton des Anfangs von Miniatur 1 (Flöte gis2-d3-h1) oder die in der 8“-Phase der zweiten Zeile dieser Miniatur (Flöte c3, Klavier es-a1-fis3). Ähnliche Zellen finden sich auch zu Beginn der zweiten Miniatur in der Flöte, etc. So schleicht sich tonales Hören mitten in den quasi-seriellen Satz ein. Ausgehörter wirken die jeweiligen Miniatur-Schlussklänge. Miniatur 1 zieht im Klavier mit einer Art Cis-Dur-Septnonakkord, die Flöte darauf a und b mit – dieses wie ein falsch notiertes ais – und mit den Schlusstönen f und g nach dem ausgesparten fis. In der zweiten Miniatur changiert das Ende unter dem zweiten „o“ von Molto in Flöte-Klavier-Einklang d3 sowie Flöte folgend mit h2 und Klavier mit g um G-Dur und H-Dur am Ende (Klavier h4, Flöte fis3 und dis3). Minatur drei reisst am Ende im Klavier b-Moll an: am kürzesten die Mollterz des2 als 32tel, am längsten das B die 5 Sekunden des Endklangs beherrschend. Der letzten Miniatur könnte man einen Schluss in A nachsagen. Die imaginierten Tonarten Fis, G, A, B, H ineinander verschränkt ergäben kleine Sekunden und Terzen einen Quartraum ausfüllend, womit die Grundklänge aus kleinen Terzen- und Sekunden wie Tritonus und Quart, vorletzter ausgespart, das typische Akkordmaterial Weberns als idelle harmonische Klammer setzen würde. Eine Reihen- wie Melosgestaltung ähnlich den Binnenkonstruktionen Schönbergs, Bergs und Weberns, Vorbilder, auf die sich Ferneyhough immer wieder berief. Wer ihm also seine „Jugendsünde“-Sonatine um die Ohren hauen möchte – nur zu! Schon mit seinem zweiten Werk zeigt er, dass man auch Meisterschaft ohne jugendliche Genialitätsbeweise erreichen kann. Wobei diese Miniaturen eines Zweiundzwanzigjährigen allemal dies erfüllen würden, wenn auch spätberufener als es die Siebziger so gerne hätten.

So zeigen Lachenmann und Ferneyhough, wie man mit klaren freitonalen Wurzeln dennoch seinem eigenen „Müssen“ folgend, durchaus mit seinem frühen Selbst verwoben, in neue, eigenständige Räume aufbrechen kann, streng an Technik orientiert, ohne das Fremde im Eigenen ständig legitimieren zu müssen, ja selbst deren Zusammenhalt vorerst nur fremdbestimmt auf Vehikeln erreichen zu können, diese sich erst mühsam wie von Bose erarbeiten zu müssen oder endgültig alten Gefügen gehorchend wie der Rihm der ersten Dekade nach 2000. Ich sehe noch Anfang der Neunziger meine älteren Studienkollegen verschüchtert zuckend, wenn sie postmodern schreiben wollten oder stolz verkündeten, dass man jetzt wieder „tonal“ schreiben dürfte, so wie es einem einfiele. Das Problem dabei war aber, dass diese „Einfälle“ meist nur die eigene Reproduktion längst Vorhandenes waren, man so sich eine Weiterverarbeitung dessen genüsslich untersagen konnte, zu früh sich zufrieden gab, ganz zu Schweigen von einem Aufgreifen des aktuellen Materialstands wie z.B. im Sinne des Spektralismus, so alt der da schon gewesen sein mag. Kurtag und Ligeti waren meist die denkbare Aussengrenze, Xenakis, irgendwie doch v.a. ein Mensch der Fünfziger die seltenste Ausnahme. Natürlich fand ein reger Austausch mit der Kategorie des Einfalls statt, wurden Sibelius, Patterson relevant, waren dies aber eigentlich doch schon Themen der späten Siebziger gewesen. Heute stellt sich die Situation auch dank der Vernetzung wie einfacherer Kompositionskalkulation dank Rechner einfacher dar (s. auch Kreidler, hintere Mitte dieses Links), kann man Heterogenes durchaus systemstreng gestalten. Dennoch machen es sich viel zu Viele immer noch zu einfach, versuchen nicht mal ihre „Einfallskraft“ zu systematisieren, also bewusst sich mit ihren Denk- und Erlebensstrukturen zu befassen, nehmen das Ergebnis ihres Lebendrechners „Hirn“ zu schnell als bare Münze und patchworken so lose Dinge zusammen, die nicht die ihren sind, qua Auffindung einfach nur „geil“ sein müssen. Seltenst hält wirklich musikantisches Bewusstsein dies dann wenigstens zusammen. Um dieses Bewusstsein allerdings immer wieder frisch zu bekommen, empfiehlt es sich, gelegentlich konstruktive Strenge zu suchen. Dies wiederum machen ja auch Viele: jedes Jahr mehr, ist doch die Zeit der fünfziger bis siebziger der Neuen Musik ganz im Sinne des allgemeinen Retro der 2010er Jahre en vogue. Was bleibt zu tun: durchaus streng sein, strenger denn je die letzten Jahre, den Bauch allerdings auch nicht vergessen. Denn das Musikantische bleibt der Urgrund, auf dem jedes Konstrukt erst wachsen kann, aus dem letztlich Neues entsteht, wie Moritz im Blog auch einmal sagte, wie es die Siebziger propagierten, damit zuerst aber scheiterten und heute daran noch zu knabbern haben, wie Lachenmann das spielmusische ganz organisch in sein späteres Werk hineinzog, wie Ferneyhough erst angesichts härterer Konstrukte erstaunlicherweise den Musikanten in sich erkannte. Je weiter wir die Dur-Moll-Zeit hinter uns haben, nicht mehr direkt aus ihr abstammen, wie es Lachenmann gerade noch vergönnt war, müssen wir sie für uns nutzbar machen, ganz individuell, aber nicht hängen bleiben, wie meine frühen, älteren Studienkollegen oder die ihre Jugendwerke wiederaufgiessenden Siebziger.

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Komponist*in

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2 Antworten

  1. mei, Du wirst noch unser Chefmusikwissenschaftler! Schöner und hochinteressanter Artikel – das frühe Stück von Ferneyhough fand ich shocking lahm ehrlich gesagt, aber wir haben sicherlich alle solche Leichen im Keller…

  2. Herzlichen Dank für deinen erneut sehr reichhaltigen Artikel, Alexander! Fast ein wenig zuviel für einen post… Hervorragend finde ich die Einbindung der Video-Links, um deine Analysen auch gleich aural nachvollziehen zu können – oder eben auch nicht ;-)

    Dennoch machen es sich viel zu Viele immer noch zu einfach, versuchen nicht mal ihre „Einfallskraft“ zu systematisieren, also bewusst sich mit ihren Denk- und Erlebensstrukturen zu befassen, nehmen das Ergebnis ihres Lebendrechners „Hirn“ zu schnell als bare Münze und patchworken so lose Dinge zusammen, die nicht die ihren sind, qua Auffindung einfach nur „geil“ sein müssen.

    Das bewusste Befassen mit den eigenen Denk- und Erlebensstrukturen, auch Selbstbeobachtung genannt, gehört wohl zum Schwierigsten, aber evtl. auch Lohnendstem, dem sich ein Kreativer unterziehen kann. Ich verweise in diesem Zusammenhang immer gerne auf ein Interview Oswald Wieners aus dem Jahr 1991, in dem es heißt:

    In meinem Verständnis sind ästhetische Vorgänge Erkenntnisvorgänge, die vom erlebenden Individuum nicht analysiert werden.

    Angewandt auf die von dir besprochenen, so verblüffend „anderen“ Jugendwerke von Rihm, Lachenmann und Ferneyhough hieße dass, dass der teils krasse ästhetische Bruch zwischen „Jugendwerk“ und „Hauptwerk“ vor allem emotionale Ursachen hat. Das kommt in deiner „lediglich“ musikologischen Analyse ein wenig zu kurz. Wenn ästhetische Vorgänge (hier: Komponieren) wirklich von un-analysiertem Erleben „getriggert“ sind, d. h. kognitive Anstrengungen des „Lebendrechners Hirn“, Gefühle (hier: Gehörtes) in Hypothesen (hier: Komponiertes) zu verwandeln, dann muss sich bei Rihm et al. ein wahrer Gefühlssturm zwischen den beiden „Werkphasen“ ereignet haben!

    Dass gerade „schräge“ Werke emotionale Ursachen haben, wird in den Texten zu Zeitgenössischer Klassischer Musik oft geradezu „verheimlicht“. Warum eigentlich? Warum wird hier mitunter (nicht bei dir, Alexander!) geradezu zwanghaft „nachrationalisiert“, d. h., Musik, deren emotionaler Ursprung offensichtlich ist, wird als logisches Ergebnis angestrengtester Intellektualität vermittelt? Dies muss nämlich viele, auch wohlgesonnene Hörer, verwirren: Sie stellen sich die Komponistin sogleich als quasi-autistischen brainiac vor, der nur auf hochartifizielle Art überhaupt mit der Außenwelt kommunizieren kann – schon hat sich der Graben zwischen den „Schöpfern“ und dem „normalen“ (sprich: nicht-fachkundigen) Hörer wieder ein Stückchen weit vertieft – völlig unnötigerweise.

    Transparenz im Sinne eines bewussten „Erlebens des eigenen Erlebens“ ist also auch in der Selbstdarstellung von KomponistInnen nicht verkehrt. Nur keine Angst vor „Peinlichkeiten“ (denn ohne die wird es nicht gehen!).

    Leidenschaftslose Analysen des Materialstandes, tränenreiche Selbstbeweihräucherungen und virile Kraftmeiereien haben war ja schon genug!