Donaueschinger Musiktage 2025 I – Aufwühlendes und Abgehangenes

Die Donaueschinger Musiktage 2025 stehen unter dem Zeichen „75 Jahre SWR“ als Partner des Festivals. Nachdem am Freitag den 17.10.2025 um drei Uhr am Nachmittag im Museum Art.Plus die FEM-Ehrennadel an die IEMA – Internationale Ensemble Modern Akademie verliehen worden war, begann das Festivals in den Donauhallen mit dem Festakt zur nun 75 Jahre währenden Partnerschaft der Musiktage mit dem SWR. Bevor Eleonore Büning ihre launige Festrede hielt, sprach unter anderem SWR-Programmdirektorin Anke Mai von der Bedeutung dieser Zusammenarbeit als Bekenntnis des SWR zur zeitgenössischen Musik. Das ist sehr fein. Allerdings wirkt dann ihr Reden über gekürzte Kulturbudgets etwas befremdlich, wenn man um die Rolle des SWR als derzeitigen Vorsitz der ARD weiß und was in der Zeit alles getan wurde, um Formate der ARD-Kultursender zu kürzen, zu fusionieren, das Lokale und Regionale dabei zu reduzieren, Sendeplätze einzuschränken – da ist das doch ein sehr wackliges Bekenntnis. Frau Mai betonte zudem, dass es selbstverständlich sei, dass seit 1950 mit Hans Rosbaud und anderen immer der Chefdirigent des SWR bzw. zuvor SWF die Musiktage eröffne – von Teodor Currentzis ist das nicht bekannt.

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Kulturpolitisch klappernd begann dann um acht Uhr das Eröffnungskonzert mit dem SWR-Sinfonieorchester unter der Leitung seines umstrittenen Chefdirigenten. Das Orchester wurde mit Bravi begrüßt, der Dirigent Francois-Xavier Roth wurde auch mit Buhrufen beim ersten Auftritt bedacht, denn im September erneut aufgeglimmte und dann gelöschte Vorwürfe hatten den Streit um seine Berufung als Orchester-Boss neu entfacht und auch etliche zeitgenössische Komponierende empört, darunter auch bereits durch das SWR-Sinfonieorchester aufgeführte.

Das erste Werk des Abends legte sich wie ein Herbstnebel über die Causa: Mark Andres Uraufführung „Im Entfalten. Dem Andenken an Pierre Boulez“ führte mit sehr stillen und wirklich schönen Klängen in andere Welten, abgesehen von ganz unverfremdeten Klavierklängen gegen Ende des Stücks, die wie knackende Äste im Unterholz wirkten, Fremdkörper, die einen wieder in der Realität des Abends erdeten. Es folgte das Neue Werk von Turgut Erçetin: „There recedes a silence, faceting beyond enclosures“ für Klarinette und Orchester mit Carl Rosman als Solisten. Seine Klarinette zauberte die irrlichterndsten Multiphonics im stillen Solopart hervor, mal apart begleitet vom Solo-Cello, mal von der wunderbaren mikrotonalen Harfe. Dazwischen spielte das Orchester feine, satte, ja, konventionelle Orchesterklangströme, die das Ganze wunderbar einrahmten. So entstand eine neuartige Hommage an das Adagio von Mozarts Klarinettenkonzert, ganz klar mit einer Reprise von Solo-Klarinette und Solo-Cello. Viel Applaus vor der Pause für Andre und Ercettin. Diesen überließ der Dirigent zum Applaus die Bühne je allein – seine beste Tat an diesem Abend, wobei gesagt sein muß, dass Roth alle vier Werke sehr gut und fein erarbeitet hatte und leitete.

Nach der Pause dann Imsu Choi, „Miro“ eine stimmige Farb- und transitorische Zustandsstudie, die jedem Kulturorchester zur Ehre gereichen würde, hier etwas konventionell im Vergleich zu den Werken vor der Pause geriet. Zum Abschluss erklang dann Philippe Lerouxs „Paris, Banlieue“ für Orchester und IRCAM-Elektronik. Hier entstand ein seltsamer Moment, als der Dirigent wieder unter Buhrufen auftrat und sich vor dem Start des Dirigats umwandte – das galt wohl der Live-Elektronik, es wirkte dabei komischerweise aber auch wie eine stumme Ansage an seine buhende Gegnerschaft. Das Werk begann französisch-spektral mit Basswucht. Doch dann verlor es sich in Flexaton-Orgien und Soundwiederholungen, die die angestaubte Klangpatina der 90er zu einer ästhetischen Belastung machten. Dazu dann Freeze-Sounds der IRCAM-Elektronik, als wäre es dann eben nicht Pariser Staatsmagie, sondern ein simples Gitarreneffektgerät. Enttäuschung. Buhrufe für Leroux und Roth. Natürlich auch unerschüttliche Bravi vieler angereister Frankophoner im Saale oder SWR-Getreuer im Ländle.

Am Samstag begann es in den Donauhallen mit Hanna Eimermachers Uraufführung „Aura“ für 22 Performer:innen. Das Publikum wurde vom Klangforum Wien umkreist, man konnte in der Mitte meditativ liegen oder am Boden auf Matten sitzen, drumherum Hocker. Doch nur Wenige gingen während der ätherischen fünfzig Minuten umher. Am interessantesten waren die Aluminiumstangen der Schlagzeuger, die mal wie Blech schnarrten und den Klang akustisch wie optisch geradezu verbogen. Da entstand in der Ruhe auch mal eine Ahnung von Drive. Als sich gegen Ende dann feine Klänge fast kontrapunktisch türmten und den Hauch einer himmlischen Melodie dann doch nicht zustande brachten, sondern sich in naiven Intervallschaukeln verloren dachte man: eine nette Musik zum Runterkommen, aber kein Musikabenteuer, wie räumlich suggeriert.

Parallel gab es die Uraufführung von Georges Aperghis „Tell Tales“ für sechs Stimmen und Viola mit dem Vokalensemble Exaudi und der überragenden Tabea Zimmermann. Es entstand ein Geflecht aus einer Art vokalen Fingertheater, in der die vielsprachigen Texte kaum zu verstehen waren, aber situative Kleinstszenen scheiternder Zwischenmmenschlichkeit entstanden. Oft etwas zeitlich gedehnt, leicht nervend. Die Bratsche erwies sich als klanglicher Moderator, den mittleren und tiefen Stimmen der Singenden im Ausdruck ganz nah, mal als Anschieber, mal als Tröster, mal als Partner, mal Gegner. Gegen Ende entstand dann wirklich eine Aura, als hätte sich Verdis Schlussensemblefuge aus „Falstaff“ in ein Pariser Sprachbabylon verwandelt. Begeisterung, Schweiß, Erleichterung und durch und durch Freude.

Tiefpunkt des Tages war der Auftritt des Kaja Draksler Octet mit „Bare, Unfolding. Music to the words of Matsuo Bashō“ von Kaja Deaksler. Was wie ein Haiku-Reigen begann, auch mit Gong und Shakuhachi, erwies sich als Mogelpackung. Neben intonatorischen Schwächen der Sängerinnen und des Geigers, ungemein groben Klaviersoli, die wie Keith Jarrett Pianissimo wirken sollten oder schlichtweg nur schrillen, unverführerischen Klarinettenschreien, kam man einmal über Hindemith-Quarten der 1940er Jahre nicht hinaus, kadenzierte sich Funktionsharmonisch ins klischeehafte Unterhaltungsmusikalische und zitierte dann am Ende minutenlang Händels Ombra mai fu, als sei es die Beerdigung des experimentellen Jazz an sich. Was vermisste man hier Eierkocher und Pingpongspiele der legendären Jazznächte der Musiktage. Was vermisste man Zeiten, als in ihrer Jugend Helmut Oehring und Irir ter Schiphorst aufmischten oder die transzendentale Maria de Alvear radikalfeministisch, aber kompositorisch streng, mehr provozierte als heutige Erklärungen und Programmhefte.

Dagegen war das Mundharmonika und Elektronik-Ereignis „Reflections of a Bright Object“ von Tristan Perich herzerwärmernd. Kam das zwar über freundlichen Hohner-Minimalismus kaum hinaus, war es zu lang und etwas materiell einfältig, so paarte es sich als ambient music und begehbare Situation, so man den Mut hatte herumzugehen, dabei in der Orangerie neben dem Lammplatz Nika Schmitts „Abweichungsversuche“ – eine Installation mit ins Klangerleben aufzunehmen, die in der Raumflucht mit Minimotoren Metallplatten zart anregten und einen Quasi-Dauersinuston erzeugte, das Gehupe von Autos, die Kirchenglocken, dann hatte man im Sonnenschein eine wahre walking music im Cageschen Sinne. Wer sitzenblieb, hatte vielleicht auch seinen Spaß, aber wohl ästhetisch etwas abgehangen, was leider auf Vieles des diesjährigen Programmes auch zutrifft.

Mit Roth allerdings hat sich das Feministische erstmal als unglaubwürdig erwiesen. Und ach ja, nachdem man am Donnerstag schon viel von Maßnahmen und Institution sprach und sich dafür beweihräucherte, so kam das neue Awareness-Team einem vor, als könnte man sich auch über Buhrufende vielleicht beschweren. Es fühlte sich nicht wie ein safe space an, sondern eine zusätzliche SWR Kontrollinstanz von oben, egal wie autonom und extern der Awareness-Verein auch sein mag.

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