Als man mich an der Münchner Musikhochschule mit Exmatrikulation bedrohte
Lang ist es her. Irgendwann noch vor 1995. Ich wollte immer nur Komposition studieren. Als frischer Abiturient fand ich in München allerdings nicht mehr bzw. noch nicht die lehrende Person in dem Fach Komposition vor, so dass ich mich entschloss, mit Schulmusik für das Lehramt am Gymnasium das Studium zu beginnen. Gleich nach der Schule hatte ich also das große Glück, dieses Studium nach erfolgreicher Aufnahmeprüfung studieren zu dürfen. Denn das Studium dieses Fachs ist mit Theorie, Gesang, Instrumentalunterricht, Chor- und Orchesterleitung so breit aufgestellt, dass es mir wie ein Studium Generale der Musik erschien. Zu Beginn waren dann auch Projekte mit der Opernschule, wo man im Graben im Orchester mitwirken konnte, im theoretischen Bereich mit Claus Kühnl in die Neue Musik als Anfängerfundiert blicken konnte oder mit der Regieklasse als Tenor an ersten Produktionen mitmachen konnte, Projekte mit dem Madrigalchor für mich faszinierend. Allerdings faszinierender als die Aussicht, dann doch mal wirklich Gymnasiallehrer werden zu müssen.
Das erste Praktikum verlief sogar sehr gut, so dass das mit dem Lehrer-Sein doch nicht so grau wie im vorigen Absatz wirkte. Als dann das Kompositionsstudium ein Jahr später aber mit einer einwöchigen Schleife über das Mozarteum doch in München begann, wohin der dortige Lehrer damals wechselte und ein paar Studierende und mich, die er frisch aufgenommen hatte, mitnahm, rückte für mich das Lehrer-Sein an einem Gymnasium wieder in den Hintergrund. Ausschlaggebend war für das Lehramtsstudium neben der damaligen kompositorischen Leerstelle vor allem der Sicherheitsaspekt auf ein geregeltes Lehrereinkommen gewesen. Doch konnte ich mir das Komponieren damals besser als das Leben als Lehrer vorstellen. Hinzu kam dann auch ein besserer Unterricht in kleineren Gruppen als in Schulmusik in Schlagtechnik für Chorleitung und Orchesterdirigieren als Nebenfächer, so dass von der Breite der Schulmusik für mich letztlich dazu der Gesang übrig blieb. Wobei man sagen muss, dass das nichts gegen die Qualität des Schulmusik-Studiums aussagt, wo man immerhin sogar Chöre und kleine Orchester direkt probeweise leiten konnte. Mein Verhalten dem gegenüber war einfach hochindividuell.
Im dritten Jahr Schulmusik und zweitem Jahr Komposition hätte damals ein Projekt mit einem Werk von Carl Orff stattfinden sollen, mit mir wieder im Schulmusik-Orchester. Meine dort Mitstudierenden freuten sich auf Carmina Burana. Ich fand das Werk und den Komponisten damals für mich ziemlich furchtbar. Ich empfand es auch als „typisch Schulmusik“, wie man sich dafür begeisterte. So hatte ich als Gymnasiast schon in Teil-Aufführungen mitwirken können, führten andere Schulen das auf. Und nun auch noch das Schulmusik-Orchester. Aufgrund eines Todesfalles in der Familie konnte ich an dem Probenwochenende dazu nicht mitwirken. Dazu hatte ich mich entschuldigt. Und ich blieb dann den Endproben fern. Heute würde ich sagen: zwar hochindividuell, aber nicht professionell.
Der Leiter der Aufführung, auch der Dozent für das Schulmusik-Orchester, vermisste mich dabei. Denn ich verletzte natürlich meine Mitwirkungspflicht und hätte wohl somit dann eben für das Semester keine Teilnahmebestätigung für das Orchester erhalten. Der Dozent ging aber gleich einen anderen Weg. Gegenüber den Kurs-Teilnehmenden verkündete er offen, dass er sich dafür einsetzen würde, dass ich aus der Hochschule exmatrikuliert werden solle. Also die universitäre Kapitalstrafe. Mir persönlich teilte er es allerdings weder schriftlich noch telefonisch mit. So traf dann diese Botschaft über Dritte mich doch gewaltiger, als ich es erwartete.
Blickt man heute in Regelungen zur Exmatrikulation, von der Musikhochschule München bis zur Musikhochschule Hamburg, von der Akademie der Tonkunst Darmstadt bis zur Said-Akademie in Berlin, so reicht ein Fernbleiben von einem Projekt oder Orchesterkurs nur zur besagten Verweigerung der Teilnahmebestätigung. Einer Exmatrikulation muss aggressives bis bedrohliches Verhalten gegenüber der Verwaltung, dem Lehrkörper oder Mitstudierenden vorausgehen, wenn es sich nicht um Nicht-Bestehen von Prüfungen handelt. Zudem ist es an ein Verfahren gebunden, nicht an persönliche und willkürliche Äußerungen vor einer Öffentlichkeit von Studierenden durch Dozierende oder Leitende einer Hochschule. Heute würde dies womöglich als übergriffig eingeordnet und hätte im Falle des Falles dienstrechtliche Konsequenzen. Und wenn es irgendwo nicht genau geregelt wäre, wäre auch immer nicht die persönliche Wut der Lehrkraft oder Leitungsperson auf jemand ausschlaggebend, sondern die Verhältnismäßigkeit, also z.B. ein aggressives oder gar bedrohliches Verhalten.
Man bekommt vom Hörensagen immer wieder mit, dass auch heute noch Lehrende und Leitende in Wutanfällen mit Exmatrikulation drohen und damit Studierende massiv unter Druck setzen oder Lehrende, die diese Studierenden unterstützen. Das geht natürlich gar nicht! Es geht immer um Wahrung des Verfahrens, formgerechter Mitteilungen und vor allem um die Verhältnismäßigkeit.
Nachdem ich, wie eingangs beschrieben, sowieso meine Zweifel mit meiner Zukunft als Gymnasiallehrer hatte, holte ich mein Horn heraus, blies zur Hubertusmesse und exmatrikulierte mich selbst aus dem Studiengang Schulmusik. Irgendwie war es schade. Mir fehlte dann vor allem fast der Gesangsunterricht, meine Dozentin gab mir dennoch noch weitere Stunden darin. Und in meinem hochindividuellen Patchwork kann ich Gott sei Dank dennoch unterrichten, verwalten und komponieren, auch ohne an einem Gymnasium Musik zu unterrichten, wenn mir das auch manches einfacher gemacht hätte. So betrachtet bin ich dem Dozenten auch heute nicht wirklich gram. Dennoch war diese öffentliche Androhung der Exmatrikulation gegenüber Dritten damals auch schon unverhältnismäßig. Und heute wäre sie es nach den jetzt geltenden Regeln sogar unangemessen übergriffig.
Komponist*in