Embrace von Abigél Varga – ein bemerkenswerter Schlusspunkt eines Kompositionsstudiums

Gestern Abend konnte man in der Reaktorhalle der Hochschule für Musik und Theater München die Meisterklassen-Abschlussarbeit der ungarischen Komponistin Abigél Varga erleben. Typisch für Arbeiten ohne Kooperation mit der Bayerischen Theaterakademie, die sonst ein bezahltes Orchester und wichtige Mitarbeitende für Regie und Bühnenbild auffahren können, musste die Komponistin alle beteiligten Kräfte selbst anfragen und organisieren, ohne Bezahlung oder nur gegen sehr symbolische Aufwandsentschädigungen. Daher ist es nicht allein die Abschlussarbeit einer angehenden Komponistin, sondern Teamwork von verschiedensten Studierenden mitten im Studium oder am Anfang dessen oder eben kurz vor dem eigenem Abschluss. Mit Caio de Azevedo wurde sogar ein ehemaliger Student der Kompositionsklasse von Moritz Eggert, der auch Varga angehörte, als Dirigent hinzugezogen. Eine schöne Kooperation über die Grenzen von Studierenden und bereits sich etablierenden Profis hinaus!

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Das Embrace Ensemble während des Applauses

Die Sängerinnen des Abends waren Studierende der Gesangsklassen und der Schulmusik: Laure Cazin, Antonia Modes, Katharina Hartl und Madeleine Maier. Anastasia Lyubinski stieß als Tänzerin hinzu (Choreografie Anastasia Lyubinski). „Embrace“ war als Oratorium angekündigt, war dann doch aber ein halb-szenischer, halb-konzertanter Musiktheaterabend. Oder doch auch voll-szenisch? Das kam auf die jeweilige Station an. Varga hatte dafür zehn Teile geschaffen: Von der Kindheit bis ins hohe Alter befragten sich und uns die Sängerinnen, meist ohne Text, in Silben und sachte erweiterten Vokaltechniken, ob uns das Umfeld prägt, ob wir es prägen, sollen wir es widerspiegeln, um zu kommunizieren oder sollen wir uns selbst finden und offenbaren? Natürlich Letzteres, aber das ist nicht so einfach. Klasse gelang das in der Solo-Station von Laure Cazin in unendlich vielen Variationen über das einerseits simple, andererseits im richtigen Ausdruck im richtigen Moment vorgetragene „I am so sorry“. Das wäre eigentlich ein englischsprachiges Super-Klischee, aus entsprechenden Filmen zusammengeschnipselt wie 100 Anfänge der Eroica von Beethoven über 100 Jahre akustische Aufnahmetechniken. Varga tat dies nicht, sondern schuf mit diesem heiklen Material zarteste Übergänge und Brüche, so dass man der sich verändernden Emotionalität der Situation wunderbar folgen konnte.

Überhaupt stellte sich die Komponistin noch anderen Topoi, wo man einen romantischen Kanon der Vertonung vermuten würde, wie zum Bereich „Wald“. Natürlich brummte, fiepte, pfiff und gutzte es wie ein Golz, frei nach Christian Morgenstern. Aber trotz Improvisation und allerelei Freiheit, war es klanglich und zeitlich sehr dezent und konzis, ohne unnötiges Überborden auf den Punkt gebracht. Überhaupt der Sound von Varga: Die gesamte Partitur ist voll von erweiterten Spieltechniken, fast jeder jeder Instrumental- und Vokalklang ist klanglich dekonstruiert. Harmonisch erlebt man aber eine Welt zwischen Modalität, spektralen Klängen und fein durchbrochener minimal music Bewegung. Ja, manchmal wäre eine mal nicht unterbrochene Fläche purer minimal music von sagen wir mal sechzig Sekunden durchaus denkbar oder auch andere Klanglichkeiten der erweiterten Spieltechniken könnten einfach ein wenig dezent wie sonst im Gewebe der Musik etwas länger andauern. Satire an: Da sitzt einem vielleicht noch der akademische Appell zu Vielfalt und Abwechslung sowie Schnitttechnik und Stillstand-Vermeidung oder so manche Kompositionsmeisterklasse zu möglichst viel komplexer Lesbarkeit alle 0,586754 Takte im Nacken. Satire aus. Natürlich übertreibe ich hier.

Was hier immer wieder begeistert, ist die Interkulturalität der Ensembles an der Hochschule, die selbst diese von Profi-Ensembles noch einmal etwas toppt. Und irgendwie schade war es, wenn jemand mittendrin rausging. Doch eine Minute später kamen dafür zwei verspätet hinein – es wurde also sogar während des Stückes immer voller. In der Isarphilharmonie oder Staatsoper wären die kaum eingelassen worden, hier schon. Natürlich stört das etwas, aber es ist auch fein und ein Ausdruck dessen, dass man unbedingt dabei sein muss, auch wenn nur in Teilen. Überhaupt das Publikum: naturgemäß sind Studierende und ihre Zuhörenden jünger als im Profi-Bereich. Wenn es dann aber mal nicht mehrheitlich Ü70, sondern U40 ist, könnte man fast an die Zukunft eines zeitgenössischen Klassik- Publikums glauben.

Die Musiker:innen des Trio Merak mit Boris Knezevic (Klavier), Cristina Lehaci, Moritz Knapp (Schlagzeug), erweitert um Vera Drazic (Akkordeon) und das Doppel-Streichquartett mit Marta Rando, Rita Coimbra, Mana Ohashi, Annouk Brönnimann und Leandro Hauxwell an den Violinen, Mingyue Yu, Mingyue Xin an den Bratschen sowie Nella Balog und Alex Lau mit ihren Celli spielten so wunderbar zart-intensiv, wühlten mal in ihren Instrumenten, sangen und bliesen in Flaschen, wirkten am Ende sogar mit kleinen Begegnungen mit den Sängerinnen szenisch mit, spielten fantastisch und packten auch mal richtig zu, wo Vargas Musik sie dazu aufforderte.

Fazit: ein dezenter und konziser Abend, nie zu viel, nie zu wenig, inhaltlich reduziert und doch gerade daher sehr eindringlich, dessen Komponistin es verdient hat, vielleicht mal ab der Opern-Biennale 2026 dort dabei zu sein?

Apropos: im Sommer wohnte ich der Premiere der Abschluss-Oper von Bernhard Plechinger bei, genauso auf die Bühne gebracht wie die von Varga, oder davor das Musiktheater von Robert Florian Daniel oder all die Arbeiten von Play-List mit der Falckenbergschule und der Dramaturgie der Theaterakademie. Die Komponierenden all dieser Werke sollte man doch auch einmal wieder bei Biennale oder Experimenten der Staatsoper bzw. Staatstheater wiedersehen. Nicht so sehr als Studierende, sondern dann als beginnende Profis. In den letzten Jahrzehnten haben diese Institutionen Münchner Absolvent:innen irgendwie übersehen, obwohl sie wesentlich mehr Lust auf Musiktheater an den Tag legten, als was man dort so dem Publikum an gewollter Un-Lust vorlegte, Hauptsache der Name war schon einmal in Donaueschingen oder Berlin zu lesen. Die selbstverordnete, institutionelle Münchner-Komponist:innen-Ignoranz könnte nun mit Dorny, Köpplinger und nun mit der neuen Biennale-Leitung Beck-Kerer ein Ende finden.

Schlussapplaus für Abigél Varga

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